Der Wettkampf der imperialistischen Großmächte USA und China wurde vor kurzem im Technologiesektor besonders sichtbar
Das Wirtschaftswachstum Chinas fordert die Vorherrschaft des US-Kapitalismus heraus. Beide Parteien der amerikanischen herrschenden Klasse setzen daher auf Konfrontation mit China. Zusätzlich zu wachsenden militärischen Spannungen und dem Wettkampf um Länder in Afrika und anderswo eskalierte die Situation insbesondere rund um TikTok. Der in China entwickelte Social Media-Dienst, auf dem Nutzer in Schleife laufende Videos hochladen und teilen können, gehört Bytedance, einer Firma mit Sitz in Peking. Die Nutzerbasis von TikTok in den USA ist mittlerweile beachtlich – geschätzte 30 Mio. aktive User, von weltweit 800 Mio.
Am 3. August gab Trump bekannt, dass TikTok ab 15. September „in den Vereinigten Staaten kein Geschäft mehr” haben werde, wenn es nicht von einer Firma in den USA aufgekauft würde. Im Moment scheint am wahrscheinlichsten zu sein, dass Microsoft diese Rolle spielen wird. Am 7. August erließ Trump eine Verordnung, die Geschäfte der USA mit Bytedance verbot, da diese Transaktionen laut seiner Aussage drohten, „der Kommunistischen Partei Chinas Zugriff zu den persönlichen und geheimen Informationen der Amerikaner zu erlauben – was es China möglicherweise erlauben könnte, die Standorte von Staatsbediensteten und -unternehmern zu verfolgen, Akten persönlicher Informationen für Erpressungen anzulegen und Betriebsspionage durchzuführen.“
Seither wurde bekannt, dass Trump die Idee zum Angriff auf TikTok bei einem privaten Abendessen mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kam. Dieser fährt gerade eine Kampagne gegen die chinesische Bedrohung für US-Tech-Unternehmen. TikTok klagt nun Trumps Erlass vor Gericht an und argumentiert, dass er „nicht in berechtigten nationalen Sicherheitssorgen“ wurzle. Diese Behauptung kommt der Realität recht nahe. Denn was die herrschende Klasse unter „nationaler Sicherheit“ versteht bringt den Arbeitern, weder in den USA noch in China, nichts. Für beide Parteien der herrschenden Klasse der USA, Republikaner und Demokraten, bedeutet „Sicherheit“ hier den Schutz und die Expansion des US-Monopolkapitalismus.
Die Technologiegiganten – die während der aktuellen Krise historische Vermögenskonzentrationen erbeuteten – machen ihren Profit größtenteils damit, Nutzerdaten zu sammeln und diese dann zu verwenden oder an andere gewinnorientierte Firmen zu verkaufen, oft für Marketingzwecke. Dieses Profitmodell wird immer häufiger auch durch den Staat geschützt. Kürzlich geleakte Polizeidokumente belegen, dass TikTok Userinformationen regelmäßig mit Exekutivorganen der USA teilt, und dass die amerikanische Polizei TikTok verwendet hat, um diesen Sommer Personen während der Black-Lives-Matter-Proteste zu überwachen.
Für Arbeiter in den USA wird ihre Sicherheit und Privatsphäre nicht in erster Linie durch China gefährdet, das auf ihre Daten zugreift, sondern von US-Kapitalisten. Im Grunde versucht der US-Staat die TikTok-Userbasis zugunsten der US-Kapitalisten zu erobern, um ihnen damit Profite zu ermöglichen.
Amerikanische Kapitalisten verfolgen diesen neuen Zugang, weil sich die Bedingungen für sie verändern. Während des 20. Jahrhunderts hatte die herrschende Klasse der USA die unangefochtene Vorherrschaft in der Weltwirtschaft – und mit dieser Macht waren sie natürlich für offene und freie Märkte mit wenigen Zöllen. Doch das aufsteigende Gewicht des chinesischen Kapitalismus macht ein Kreuz durch ihre Rechnung. Die Beliebtheit des kapitalistischen „freien Marktes“ lässt unter den Amerikanischen Unternehmern nach, und protektionistische Ideen erleben einen Aufschwung. Sie sind nicht mehr immer und überall die Stärksten.
Das Ziel der „nationalistischen Politik“ wie jener rund um TikTok ist es, riesige Konglomerate mit weitreichenden Beziehungen zum Staat zu schützen. Die Dynamiken, die Lenin vor über 100 Jahren identifizierte, sind heute stärker denn je: Die immer größer werdende Integration des kapitalistischen Staates, die Expansion von Monopolen und die Aufteilung der Weltwirtschaft zwischen den Monopolen der mächtigsten Nationen. Letzten Endes werden weder Protektionismus noch „Freihandel” die Krise lösen, die dem Weltkapitalismus bevorsteht – und die Arbeiterklasse wäre bei beiden Lösungen der Verlierer.
Die amerikanischen und chinesischen Arbeiter haben keine gemeinsamen Interessen mit „ihren“ Kapitalisten. Sie haben eine Welt zu gewinnen, indem sie zusammenarbeiten, um Kapitalismus und Imperialismus zu stürzen.
Bild: derfunke.at
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