Im Zuge des 50-Jahre-Jubiläums der 68er-Bewegung ist im Bernischen Historischen Museum derzeit die Ausstellung «1968 Schweiz» zu sehen. Was kann uns diese Ausstellung heute aufzeigen? Ein kritischer Rundgang durch die Ausstellung.
Im Korridor zur Ausstellung wird mit Rockmusik aus den 60ern auf die Zeit eingestimmt. Einleitend erzählen im ersten knallfarbigen, fast schon schmerzend bunten Raum zehn Pappfiguren über Lautsprecher episodisch aus ihrer 68er-Zeit. Für einige ging es mit der Veränderungslust los mit den beiden Rockkonzerten (Rolling Stones und Jimi Hendrix), in deren Anschluss die Polizei auf die Jugendlichen einprügelte.
Für Andere ging es zunächst um den Protest gegen diese autoritäre Gesellschaft. Die Ereignisse sorgten aber nicht bei allen für ein Umdenken. Es erinnert sich Michael Dreher (Autopartei, später SVP) an die Zeit und kommt zum Schluss: «Viertes Semester HSG und der erste VW – süsch nüt». Ich muss lachen und gehe weiter.
Hinein in die gute Stube
Der nächste Raum erschlägt mich nahezu mit seiner Biederhaftigkeit. Der konservative Mief hängt in der schrecklichen Tapete. Das Wohnzimmer zeigt einige aufkommende Annehmlichkeiten wie den Fernseher und ein gefülltes Bücherregal: Karl May, Tolstoi, Robinson Crusoe und Winston Churchill. Aus schickem Teegeschirr wurde Tee geschlürft. Auf dem Buffet steht ein Kässeli für die dritte Welt – «nickendes Negerlein» steht im Kommentar.
Im Fernseher zu sehen sind eine Heerschau und die Selbstanpreisung der Industrie im staatlichen Rundfunk. Die Sendung zeigt: Die geistige Landesverteidigung (GeLaVer) hallt noch nach: Die Flagge des Bundeshauses wird auf Halbmast gesetzt als General Guisan stirbt. Eine Trauerparade mit dem Gesamtbundesrat, der lustige Dagobert Duck-Zylinder trägt, begleitet den toten Militär.
Die auf dem mit hässlichem Tuch bedeckten Tisch liegende Illustrierte verrät mir: In der Schweiz der 60er-Jahre herrscht Hochkonjunktur. Ein Nationalbanker informiert in einem Artikel: Die Schweizer Konjunktur sei überhitzt. Man kämpfe seit 50 Jahren mit dauernder Inflation. Es sei einfach zu viel Geld vorhanden. Die Kaufkraft sei real auf einen Drittel des Niveaus von 1916 geschrumpft. Offenbar gabs keine griffigen Instrumente, um dem Inflationsproblem Herr zu werden.
Protest, Sexualität, Frauenbewegung
Im nächsten, etwas sehr gelben und sehr spärlich ausgestatteten Raum werden ausschnitthaft einige Protestbewegungen beschrieben und bebildert. Ein etwas wirrer Film in einem kleinen Nebensaal zeigt Ausschnitte des Weltgeschehens. Mehrere Wandtafeln und Grafiken informieren: Die Scheidungsquote steigt kontinuierlich an; alternative Wohnformen halten Einzug und geheiratet wird erst spät, wenn überhaupt. Kinderkriegen ist auch nicht oberste Priorität für viele junge Frauen. Die bewegten 68er fordern aber nicht nur sexuelle Freiheit, sondern auch das Frauenstimmrecht.
Ausklang – Aufbruch
Am Ende der Ausstellung erstreckt sich rundherum eine schwarze Wand mit bunten Zetteln. Ein Schild sagt: «Schreib drauf, wofür du heute noch kämpfst». Ich muss länger in diesem Raum alleine als in der gesamten Ausstellung verbracht haben: so viele tolle Parolen. Beispielsweise ein sowjetisches Symbol mit dem Spruch «Für alle Arbeiter und Bauern».
Die Ausstellung vermag das Ausmass der Bewegung in der Schweiz gut bebildert und mit Statements zu beschreiben und liefert teilweise lustige Einblicke in die damalige Protestkultur. Auch die internationale Dimension wird ersichtlich. Am Ende der Ausstellung ist aber nicht klar, was denn nun genau die konservative Welt einigermassen aufgebrochen hat und in dieser wirtschaftlichen Blütezeit die Massen auf die Strasse zu holen vermochte. Dazu reichen ein paar Erinnerungen von Bewegten nicht aus.
Die Ausstellung sagt auch nichts über den Ausgang der Bewegung aus. Dass die Bewegung versandet ist und warum – das wird noch nicht mal thematisiert. Der letzte Raum mit den zahlreichen bunten Zetteln ist jedoch ein Treffer: Er zeigt auf, dass die Forderung nach einer Umwälzung der bürgerlichen Verhältnisse ungebremst vorhanden ist. Die Hoffnung, die einem die Zettelwand gibt, macht einige Mängel der Ausstellung wett. Zuhause angekommen habe ich Lust auf Rock aus den 60ern – und auf Revolution.
Nils Graf
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