An einer langen Hauptstrasse am Rande eines kleines Waldes ist ein sonderbarer Ort. Eher ein Un-Ort, der am Transit zwischen den Städten liegt. So wie es der Funktion eines Überganges entspricht, lädt auch hier nichts dazu ein, zu verweilen. Hier liegt die Bäckerei eines landesweit operierenden Anbieters von Laugengebäck. Weil ich von meiner Tätigkeit als Illustrator und Comiczeichner noch nicht leben kann, arbeitete ich hier für zehn Monate Teilzeit in der Produktion.
Bei der Ankunft ist es, als wäre man nie weg gewesen. Giftig klingt das scheinbar nie abreissende Surren der Maschinen. Um die Auslagen aller Filialen konstant gefüllt zu haben, läuft die Produktion auf Doppelschicht.
Angeblich darf wegen eines bestimmten Produktes die ganze Bäckerei nicht allzu warm werden. Daher wird im Sommer in der Nacht gearbeitet. Dieses Problem anders zu lösen, käme wohl zu teuer, also wird die Hälfte der Belegschaft über ein halbes Jahr auf Schlafentzug gestellt.
Lohnarbeit heisst, seine Arbeitskraft zu vermieten, und hier bekommt man eine unangenehm klare Vorstellung davon. Ab dem piepen der Stempeluhr steht das Instrumentarium deines Körpers für die nächsten achteinhalb Stunden dem Laden zur Verfügung. Und wie darüber verfügt wird!
Vom Teigen bis zum Einlagern im Kühlregal gibt es je nach Produkt vier oder fünf Tätigkeitsbereiche in denen unsere Hände fleissig zum Einsatz kommen müssen.
Als ich einmal die Toiletten reinigen sollte, hielt mich eine Schichtleiterin mit der Begründung davon ab, diese Arbeit solle nicht von einem Mann verrichtet werden. Nur was Kraft braucht, soll von den Männern erledigt werden. Über die Arbeitskraft will frei verfügt werden und vielseitig soll sie zum Einsatz kommen. Ausser es tangiert die klassischen Geschlechterrollen, dann geht das natürlich nicht. So besteht der ganze Arbeitstag für die meisten Frauen darin, die maschinell geformten Teiglinge auf Bleche zu legen.
Bis auf drei Menschen stammt die Belegschaft aus dem Ausland. Zu fragen woher jemand kommt, ist hier keine Beleidigung. Es entspricht halt den grundlegendsten Erfahrungen und es ist ein willkommenes Thema, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Nur für den Chef ist die Herkunft andersweitig von Bedeutung. Er hat sein Weltbild danach aufgebaut und versuchte mit Witzen darüber immer wieder bei mir «menschlich» anzuknüpfen.
Ein Grossteil der Belegschaftskultur besteht aus Versuchen der Angestellten, sich irgendwie Würde zu verschaffen. Zur Nachschicht erscheinen die Frauen ausgiebig geschminkt, um die Müdigkeit zu überdecken. Ein Kollege konsumiert doppelt so viel Kaffeerahm, weil er seit Monaten unbegründete Lohnabzüge erhält. Das auf und nieder Drehen der Radioanlage wird zum Austragungsort der internen Machtspannungen.
Über diese kleinen Widerstandsgesten kommt es aber leider noch nicht hinaus. Letzten Endes wissen alle um ihre Ersetzbarkeit.
Alain
12.09.2021
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