(Hier gehts zum Teil I und Teil II)
Die Digitalisierung ist ein Ausdruck des technologischen Fortschritts, welcher in den letzten zwei Jahrhunderten durch die kapitalistische Produktionsweise angetrieben wurde. Die Automatisierungen haben das Potential, uns vom grössten Teil der Arbeitslast zu befreien. Solange sich jedoch die Produktionsmittel in den Händen von Privatpersonen befinden und diese alle Entscheidungen treffen, wird der technologische Fortschritt nur der Profitmaximierung einiger weniger dienen. Das volle Potential für die gesamte Gesellschaft kann sich erst unter einer sozialistischen Planwirtschaft entfalten.
Zu welcher enormen Produktivitätssteigerung es im Kapitalismus gekommen ist, zeigen uns alleine die industriellen Roboter, welche seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Fabriken auf der ganzen Welt eroberten. Mit ihnen kann mit einem Bruchteil der menschlichen Arbeit viel mehr produziert werden. «Zwischen 1962 und 2005 gingen in der US Stahlindustrie 400’000 Jobs verloren – 75% insgesamt. Doch die Stahlproduktion sank seither nicht. Heute produziert einE MinenarbeiterIn soviel wie 1945 zehn. EinE TextilarbeiterIn produziert soviel wie Tausende vor einigen Jahrzehnten.» (Siehe: ‚2017 Perspectives for the US Revolution‘)
Doch das ist noch lange nicht alles. Auch in anderen Branchen werden viele Arbeiten von Robotern übernommen, mit denen auch die Beteiligung von Menschen an gefährlichen Berufen ausgeschlossen werden könnte. Roboter bedeuten mehr Qualität, mehr Flexibilität in der Produktion und mehr Geschwindigkeit. Mit der Digitalisierung wird das alles noch viel weiter getrieben: Es wird mit selbstfahrenden Autos experimentiert oder mit autonomen Küchen. Selbst die Chirurgen sollen irgendwann von Robotern ersetzt werden.
Hier gehen technische Machbarkeit und Realität jedoch weit auseinander; die Arbeitsbedingungen sind überall auf der Welt, aber vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern, eine Bedrohung für Leib und Leben der Menschen im Produktionsprozess. Denken wir nur an die Katastrophen in den Fabriken Bangladeschs oder in den türkischen Minen. Hier wären nur schon einfachste Massnahmen der Arbeitssicherheit ein grosser Fortschritt. Doch auch in der Schweiz, z.B. auf den Baustellen, könnte der gezielte Einsatz von modernen Robotern die physische Unversehrtheit stark erhöhen.
Das Internet
Mit dem Internet erhöht sich das Potential zur Automatisierung und Optimierung der Produktion und der Dienstleistungen. Es ermöglicht eine automatische Koordination zwischen ganzen Fabriken und Verarbeitungsschritten. Informationen aus Anlagen der ganzen Welt können an einem zentralen Ort zusammengetragen und bis zu einem gewissen Grad können diese Anlagen auch von der Ferne aus gesteuert und gewartet werden. Dazu kommt das immer besser werdende drahtlose Internet über das Mobilfunknetz. Alle elektronischen Geräte könnten einen Internetzugang bekommen und die Produktion so dynamischer, flexibler und autonomer machen.
Doch nicht nur im Produktionsprozess spielt das Internet eine wichtige Rolle, auch in der Forschung und Bildung hat es uns grosse Fortschritte gebracht. Je mehr Menschen einen Zugang zum aktuellen Wissensstand haben, desto mehr Ideen könnten in die Weiterentwicklung der Technologie fliessen. Dadurch, und mit seinen eigenen technologischen Möglichkeiten, revolutioniert das Internet die Produktionsmittel schneller als je zuvor. Um dieses Potential voll zu entfalten, müsste jedoch die Last der Arbeit vermindert werden, denn nicht viele haben die Motivation und Kraft, nach einem harten Arbeitstag noch ihren Entdecker- und Erfindergeist auszuleben. Die Möglichkeit, sich autodidaktisch zu bilden, steht zwar grundsätzlich fast allen offen, doch letztlich ist auch dies eine Klassenfrage: Wer aus der Arbeiterklasse kommt, muss alles nachholen, was den Sprösslingen der Bourgeoisie auf dem Silbertablett oder ans Bett im Eliteinternat gereicht wird.
Durch das Internet ist die Welt viel näher zusammengerückt. Menschen können quer über den ganzen Planeten kommunizieren, als würden sie nebeneinander stehen. Dies zeigt sich auch in der Produktion, wie z.B. die Softwareindustrie, welche hauptsächlich digitale Rohstoffe benötigt und digitale Waren produzieren. So können diese innert Sekunden über den ganzen Planeten transportiert werden. Dort können sie wieder neu in einen Produktionsprozess von einer anderen Firma eintreten.
Die Geschwindigkeit der Anhäufung von Kapital ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Das konstante Kapital (Rohstoffe und Maschinen sowie auch Programme und ihre Lizenzen) nimmt zu, während verhältnismässig das variable Kapital (menschliche Arbeitskraft) tendenziell abnimmt. Da der Mehrwert jedoch nur aus dem variablen Kapital entsteht, sinkt tendenziell der Profit gegenüber dem investierten Kapital, auch wenn dieser Prozess durch diverse entgegenwirkenden Entwicklungen begleitet wird.
Durch den technologischen Fortschritt wurde und wird die menschliche Arbeitskraft immer stärker durch Maschinen ersetzt. Da die Profite allerdings daraus entspringen wird es immer schwieriger für die KapitalistInnen ihr Kapital gewinnbringend in der klassischen Industrie zu investieren. Da die Profite in den traditionellen Branchen durch die Automatisierung also immer geringer werden, müssen sie nach neuen Investitionsmöglichkeiten suchen. In ihrem streben nach Profit verfallen die KapitalistInnen in Spekulationen und sie stürzen sich wie Geier auf neue Branchen. Das Internet beschleunigte diesen Prozess und eröffnete gleichzeitig einen ganz neuen Markt, welcher auch sofort mit Kapital überschwemmt wurde.
Die Entstehung riesiger Technologie-, Software- und Internetkonzerne und die enormen Investitionssummen, welche in sie gesteckt werden, lassen sich damit erklären. Dadurch ist aber auch die Gefahr für Hypes und Blasen gross. Alle wittern das grosse Geschäft in diesem neuen Markt. Im März 2000 kam es daher zum Platzen der so genannten Dotcom Blase, in der unmengen an Geld in alle möglichen Technologieunternehmen investiert wurde.
Big Data
Das Internet bietet uns Zugang zu Unmengen an Informationen und Wissen. Wer bereits einmal vor einem Stapel Schulbücher sass, musste lernen, dass es nicht so einfach ist, daraus das wichtigste herauszuziehen. Ein Technikhistoriker der ETH Zürich (David Gugerli) schätzt, dass 1989 die Fichen des Schweizer Geheimdienstes nur aufgeflogen sind, weil der Geheimdienst kaum Möglichkeiten hatte, fast eine Million Dossiers auf Papier sinnvoll auszuwerten.
Da kommt ein Modebegriff, welcher zur Industrie 4.0 gehört, ins Spiel: ‚Big Data‘. Dabei geht es in erster Linie eigentlich nur darum, unglaubliche Mengen und vor allem alle möglichen Daten und Informationen zu speichern und auszuwerten. Heute werden diese Möglichkeiten hauptsächlich von den Kapitalisten für ihre Zwecke verwendet. Doch die Fähigkeit enorme Mengen an Informationen effizient zu verarbeiten, bietet auch grosses Potential für die ganze Gesellschaft.
Die Informationen werden in riesigen Datenbanken gespeichert und von Computerprogrammen durchforstet und analysiert. Die NSA, ein amerikanischer Geheimdienst, speichert so gut wie alle Internet- und Telefonverbindungen und analysiert diese, um Informationen zu gewinnen, welche ihnen diplomatische, militärische und wirtschaftliche Vorteile bringen. Google liefert in Bruchteilen einer Sekunde nach der Eingabe eines Suchbegriffes oder Bildes hunderttausende Ergebnisse. Nur durch die enormen Fortschritte, welche bei der Rechenleistung von Computer gemacht wurden, ist dies überhaupt möglich – also durch die Entwicklung der Produktivkräfte.
In Anlehnung an das menschliche Gehirn wurden Methoden entwickelt, die es Computer ermöglichen, selbständig komplexe Konzepte zu erkennen und verstehen. Wie im Gehirn wurden Neuronennetze erstellt, welche mit ausgeklügelten Mechanismen beginnen, selbstständig aus Daten zu lernen. Je mehr Daten und Informationen diese Systeme erhalten, umso mehr lernen sie und umso besser werden sie mit der Verarbeitung von komplexen Problemen. Google verwendete zum Beispiel die ungeheuren Mengen an Bilder in ihren Datenbanken, um ihrer Suchmaschine beizubringen, ähnliche Bilder zu erkennen und finden.
So richtig beeindruckend im Bereich maschinelles Lernen ist Googles neustes Projekt: Google Douplex. Damit soll der Sprachassistent von Google in der Lage sein, nicht nur einfache Fragen zu beantworten, beispielsweise welche guten Restaurants es in der Nähe gibt. Der Assistent soll auch viel komplexere Gespräche führen können. So soll er in der Lage sein, direkt bei einem Restaurant oder Frisörsalon anzurufen und einen Termin zu vereinbaren. Dies zeigt gut, wie Aufgaben, welche heute noch von Menschen erledigt werden müssen, immer stärker und umfassender von Computern übernommen werden können.
Aber auch in der Produktion bieten sich dadurch wieder neue Möglichkeiten. Heute sind so gut wie alle Geräte mit Sensoren und einem Computer ausgerüstet. Werden diese alle übers Internet verbunden und so die Daten an einem zentralen Ort gesammelt, werden Unmengen an Daten gewonnen. Daraus können Informationen über die Optimierung von Produktionsabläufe, Ressourcenverbrauch und vieles mehr gewonnen werden. Internet in Kombination mit Big Data bietet also riesige Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung und somit zur Reduktion der Arbeitszeit.
Kapitalismus als Fessel für die weitere Entwicklung
Die Digitalisierung oder Industrie 4.0 eröffnet also ein riesiges Potential, welches nur noch genutzt werden muss. Bereits heute nutzen multinationale Konzerne viele dieser Methoden und organisieren eine Produktion, in der hunderttausende Menschen involviert sind. Dabei werden eine Vielzahl verschiedener Produkte produziert oder Dienstleistungen angeboten und die komplexen Produktionsabläufe minutiös durchgeplant. Die Nachfrage des Weltmarkts wird analysiert und die Produktion darauf ausgerichtet, um dabei den Profit zu maximieren. Dabei erreichen sie teilweise beeindruckende Erfolge – diese sind aber immer stark limitiert durch die kapitalistische Gesellschaft, wo immer nur der Profit im Zentrum steht.
Die Maximierung des Profits für Privatpersonen verhindert die Realisierung des Potentials, welches diese enormen Produktivkräfte für die Gesellschaft haben. Die einzelnen Firmen nutzen die neuen Technologien, aber gegeneinander und für ihre Privatinteressen. Statt dass die Innovationen und der technologische Fortschritt allen zur Verfügung gestellt werden, müssen die Kapitalisten versuchen, die Konkurrenz möglichst von diesen Errungenschaften auszuschliessen. So werden die kapitalistischen Produktionsverhältnisse mit ihrem Privateigentum und ihrem Profitstreben zur Fessel für die weitere Entwicklung der Produktivkräfte.
Warum sollten die Kapitalisten die Arbeitszeit senken (bei gleichbleibendem Lohn) und mehr Leute einstellen? Warum sollten sie in neue Maschinen investieren, um den Arbeitsprozess sicherer zu gestalten und erleichtern? Warum sollten sie auf die Umwelt achten, wenn nicht-erneuerbare Energien günstiger sind? Das alles würde zwar die Entwicklung der Menschheit voranbringen. Aber innerhalb des Kapitalismus würde es auch die Profite reduzieren. Das Interesse der KapitalistInnen gilt der Profitmaximierung und nicht der Hebung des Lebensstandards der Lohnabhängigen oder dem Umweltschutz.
Vorwärts zur sozialistischen Planwirtschaft!
Die durch die moderne Technik hervorgebrachten Methoden sollen nicht nur im Interesse weniger, sondern im Interesse der gesamten Gesellschaft angewandt werden! Der technologische Fortschritt soll nicht durch die Vermehrung des Profits der Kapitalisten angetrieben werden, sondern der Befriedigung unserer Bedürfnisse dienen! Das setzt aber voraus, dass die Produktionsmittel dem privaten Besitz der Kapitalisten entrissen werden und unter die demokratische Kontrolle der gesamten Gesellschaft gestellt werden. Nur so können wir die Wirtschaft bewusst und demokratisch nach unseren Bedürfnissen planen, statt der Logik des Marktes und des Profits ausgeliefert zu sein.
Die Überlegenheit der Planwirtschaft gegenüber der kapitalistischen Produktionsweise wurde bereits in einer verzerrten Weise durch die Sowjetunion demonstriert. Aus einer stark rückständigen Gesellschaft in einem durch Kriege zerstörten Teil der Welt wurde eine wirtschaftliche Weltmacht, die eine Weltraumstation errichtete. Dies ohne Arbeitslosigkeit, mit steigenden Lebensbedingungen und während einer Zeit, welche in der restlichen kapitalistischen von Krisen, Depression und Massenarbeitslosigkeit begleitet war.
Wir können hier nicht auf das Aufkommen des Stalinismus eingehen. Jedenfalls hat die Tatsache, dass die proletarische Revolution auf das rückständige Russland beschränkt blieb, zum Aufstieg einer bürokratischen Kaste geführt. Die gesamte sowjetische Planwirtschaft wurde von dieser bürokratischen Kaste geleitet, welche jegliche Kritik und Widerspruch unterdrückte und somit jegliche Rückmeldung vom Erfolg der Entscheidungen verstummen liess. Es war sozusagen eine Planwirtschaft im totalen Blindflug.
Eine gesunde Planwirtschaft kann sich jedoch nicht auf einzelne Länder beschränken und benötigt eine allumfassende Demokratie, damit alle Konsequenzen der Entscheidungen in die Nächsten einfliessen. Sie stellt also die Rückmeldungen über Erfolg oder Misserfolg der getroffenen Massnahmen sicher. In Kombination mit den heutigen Unmengen an Informationen welche über das Internet sofort überall zur Verfügung stehen und von Computer immer besser gefiltert und interpretiert werden, bietet sich eine komplett neue Welt. Die sowjetische Planwirtschaft im Blindflug würde dagegen nur wie eine primitive Vorform erscheinen.
Die Augen und Ohren der demokratisch organisierten Gesellschaft wären überall und mit unglaublichen Fähigkeiten ausgestattet, sehr viele Informationen in Betracht zu ziehen. Die Menge der Produkte, welche produziert werden müssten, könnten immer genauer vorhergesagt werden — Über- und Unterproduktion könnten fast komplett eliminiert werden. Die Arbeit, welche noch immer durch die menschliche Arbeitskraft verrichtet werden müsste, wird auf alle Menschen verteilt. Aber durch den Einsatz der modernsten Maschinen kann diese auf ein Minimum reduziert werden.
Damit können «die materiellen Voraussetzungen für ein solches Aufblühen von Demokratie, Kunst, Wissenschaft und Kultur geschaffen werden, wie es die Welt noch nie gesehen hat. Genau das ist die materielle Grundlage für den Sozialismus – eine neue und qualitativ höhere Form der menschlichen Gesellschaft. Das sind keine utopischen Tagträume, sondern Schlussfolgerungen, die sich logisch und zwangsläufig aus dem gegenwärtigen Wissensstand und den tatsächlichen Anforderungen der Produktivkräfte ergeben.» (Woods in ‚Reform or Revolution‘)
Perspektive — von der Redaktion — 20. 12. 2024
Nah-Ost — von Hamid Alizadeh, marxist.com — 08. 12. 2024
Nordamerika — von Alan Woods, marxist.com — 27. 11. 2024
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024