Für viele ist klar, gegen was wir kämpfen: Korruption, Krise und Abbaupolitik; aber es kann schwerer sein, auszudrücken oder sogar sich vorzustellen, für was wir kämpfen. Konkret: Wie könnte eine neue Gesellschaft funktionieren? Wie würden unsere individuellen Leben davon betroffen sein? Wie wird der Sozialismus aussehen?
Dieser Artikel ist der zweite Teil einer Serie zum Thema „Wie wird der Sozialismus aussehen?“ Teil 1 | Teil 3 | Teil 4
Eine Planwirtschaft
Uns wird oft gesagt, dass Wettbewerb das Geheimnis der kapitalistischen Effizienz ist; aber in Wahrheit führt Wettbewerb zu hoher Verschwendung. Zum Beispiel gibt es eine signifikante Verdoppelung der Arbeit zwischen Unternehmen im gleichen Bereich – was bedeutet, dass Zeit und Geld zweimal in die selben Dinge investiert werden. Nehmen wir als Beispiel Supermärkte: wenn die Verteilung von Gütern von einer einzigen Organisation ausgeführt würde, dann würde der Prozess durch die Grössenvorteile günstiger und durch die zentrale Planung effizienter werden.
Wettbewerb zwingt die Unternehmen auch, durch Werbung die Nachfrage für ihre Produkte zu erzeugen. Handelsgeheimnisse und Urheberrechte bedeuten, dass die besten Ideen und Innovationen nicht so vollständig weitergeführt werden wie sie könnten und führen zu teuren Gerichtsverfahren, wie die berühmt-berüchtigte Apple-Samsung-Fälle über Mobiltelefone, welche wieder die Preise für gewöhnliche Menschen hochdrücken. Statt die weltbesten und klügsten Köpfe zusammen zu bringen um die Dinge zu produzieren, die die Gesellschaft braucht, werden WissenschaftlerInnen, IngenieurInnen und DesignerInnen aufgeteilt auf verschiedene Unternehmen und gegeneinander in Konkurrenz gesetzt, was zu völlig unnötiger Duplikation von Aufwand und Ressourcen führt.
Jedenfalls ist echter Wettbewerb im Zeitalter des Imperialismus, der höchsten Stufe des Kapitalismus, eine Art Mythos. 2012 wurde aufgedeckt, dass Barclays, UBS, Citibank, RBS, DB und JP Morgan ihre Zinsfüsse abgesprochen haben um grössere Profite zu machen. In den vergangenen Jahren bei British Airways und Virgin Atlantic in der Luftfahrt; Grolsch, Bavaria und Heineken in der Brauerei; und Sainsbury’s, Asda und anderen Supermärkten: alle wurden bei Preisabsprachen zwecks höherer Profite erwischt. Der Grund für diese Skandale ist, dass diese Unternehmen erkennen, dass die Planung ein effizienterer Weg ist, eine Wirtschaft zu führen, als sie der Anarchie des freien Marktes zu überlassen.
Genau die Anwesenheit solcher riesigen multinationalen Monopole in jeder Branche mit nur einer Hand voll Firmen, die den Markt dominieren, zeigt, wie sich der freie Wettbewerb in sein Gegenteil kehrt, genau wegen der gesteigerten Produktivität und Effizienz, die durch das Produzieren in solchen Massen erreicht werden kann. Innerhalb jeder Firma gibt es ein immenses Level an Planung, Koordination und Kooperation, alles um die Effizienz zu steigern, im Namen des grossen Profits. Unterdessen bleibt zwischen den Firmen die Anarchie des Wettbewerbs und der unsichtbaren Hand bestehen, was zu enormer Ineffizienz und Verschwendung auf gesellschaftlicher Ebene führt.
Als Beispiel führt James C. Leontiades im Buch Multinational Corporate Strategy; Planning for World Markets das Elektronikunternehmen Texas Instruments an – eine multinationale Organisation, welche alle ihre Tätigkeiten von ihrem Hauptsitz in Dallas aus plant. Der Grad der zentralisierten Kontrolle des Multinationalen ist erkennbar an den Elementen der Strategie, über welche im Hauptsitz entschieden wird. Diese beinhaltet:
Hier sehen wir den Keim einer neuen Gesellschaft innerhalb der alten. Eine sozialistische Gesellschaft würde die Möglichkeiten der Planwirtschaft umarmen; aber natürlich wären wir imstande, im Interesse der Bedürfnisse von vielen zu planen anstatt des Profits einiger Weniger. Das ist die Grundlage einer Gesellschaft des Überflusses, in welcher alle Kräfte der wirtschaftlichen Produktion und Investition rationell und demokratisch geplant werden im Interesse der Mehrheit. Der erste Schritt in diese Richtung wird die Enteignung der Führungsspitze der Wirtschaft sein – also der Boden, die Banken, die Mittel und die Infrastruktur der grössten Unternehmen – um alle unter die demokratische Kontrolle der ArbeiterInnenklasse zu stellen als Teil der Planwirtschaft.
Das Resultat einer Planwirtschaft kann man sehen in der Transformation Russlands in den fünfzig Jahren zwischen 1913 und 1963, nach der Russischen Revolution von 1917 – trotz dem enormen Entwicklungsbruch, welche die stalinistische Bürokratie verursachte. In diesem Zeitraum entwickelte sich das Land, das wirtschaftlich rückständiger war als Bangladesch heute, zur zweitmächtigsten Nation der Welt. Die Industrieproduktion wurde 52 mal grösser, verglichen mit sechs mal in den USA und zwei mal in Grossbritannien. Die Arbeitsproduktivität stieg um 1310%, verglichen mit 332% in den USA und 73% in Grossbritannien.
Die Lebenserwartung in Russland verdoppelte sich und die Kindersterblichkeit schrumpfte um den Faktor neun. Und das Land hatte mehr Ärzte pro 100’000 Einwohner als Italien, Österreich, Westdeutschland, die USA, Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande und Schweden. Wenn das im Russland des 20. Jahrhunderts erreicht wurde, welches ein rückständiges, fast feudales Land war zu dieser Zeit und von zwei Weltkriegen und einem Bürgerkrieg verwüstet worden war, sowie unter der stalinistischen Bürokratie litt, stellt euch vor, was eine demokratisch geplante Wirtschaft in Grossbritannien und dem Rest der wirtschaftlich entwickelten Welt des 21. Jahrhunderts erreichen könnte.
Kuba taugt auch als gutes Beispiel für den Erfolg der Planwirtschaft, trotz seiner begrenzten Arbeiterdemokratie. Die Lebenserwartung (gemäss den Statistiken des Human Development Reports der UNO von 2005) zur Zeit der Geburt in Kuba liegt heute bei 77.7 Jahren (1959, zur Zeit der Revolution, betrug sie 62 Jahre), fast gleich wie die USA (77.9 Jahre) und weit höher als im benachbarten Haiti, wo sie nur 59.5 Jahre beträgt, und wesentlich höher als in der regionalen kapitalistischen Macht Brasilien (71.7 Jahre). Die Lese- und Schreibfähigkeit bei Erwachsenen in Kuba ist 99.8%, während sie in Brasilien bei lediglich 88.6% liegt, und sie ist auch höher als in Chile (95.7%) und Costa Rica (94.9%).
In Wahrheit, laut demselben UN-Report, hat Kuba den vierthöchsten Index der Menschlichen Entwicklung (HDI) in Lateinamerika. Wenn wir die Statistiken für die Kindersterblichkeit anschauen (Totgeburten pro 1000 Lebendgeburten), so ist die Situation in Kuba (5.93 heute gegenüber 78.8 1959) laut dem CIA World Factbook von 2008 viel besser als sogar in den USA (6.3), Chile (7.9), Costa Rica (9.01) und Brasilien (26.67), nicht zu sprechen von Haiti, wo die Quote bei 62.33 Totgeburten pro 1000 Lebendgeburten liegt. Diese Zahlen sollten uns nicht verwundern, da, laut der Weltbank, Kuba das Land mit den zweitmeisten Ärzten pro 1000 Einwohner ist (5.91), während die USA bei nur 2.3 liegen, Brasilien bei 2.06, Chile bei 1.09, Costa Rica bei 1.32 und Haiti bei knapp 0.25.
Nochmals, dies war ein wirtschaftlich rückständiges Land 1959, als Castros Revolution stattfand. Seine Geschichte war dominiert durch fremde Mächte, benutzt als Spielplatz für US-Kapitalisten und als Monokultur für Zucker. Die Fortschritte seither waren nur möglich durch die Planwirtschaft, frei von imperialistischer Herrschaft.
Arbeit, Löhne und Geld
Das Resultat solcher Planung, kombiniert mit rationeller Verteilung der Arbeit auf alle, die fähig sind zu arbeiten (anstatt dass einige Leute zwei oder drei Jobs haben, während andere arbeitslos sind, wie es unter dem Kapitalismus geschieht) würde, die Verkürzung des Arbeitstages ohne Lohnverlust bedeuten. Hinweise darauf kann man in der besetzten Flasko Fabrik in Brasilien finden. Seit 2003, als die Fabrik erstmals besetzt und die Arbeit demokratisch geplant wurde, wurden die Arbeitsstunden von 40 Stunden pro Woche auf 30 Stunden gekürzt, ohne Lohnverlust oder Produktivitätsrückgang.
Mit der Entwicklung der Technologie, die immer mehr und mehr Arbeit durch Maschinen und digitalisierte Abläufe ersetzt, könnten die Arbeitsstunden sogar noch weiter gekürzt werden. Zum Beispiel waren 1870 70-80% der US-Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, während es heute nur 2% sind. Aber trotz dem Rückgang der Beschäftigten in der Landwirtschaft, hat sich der Ertrag gewaltig erhöht. Von 1950 bis 2000 wurde der landwirtschaftliche Ertrag massiv erhöht.
Zum Beispiel: die durchschnittliche Menge an Milch, die pro Kuh produziert wird, erhöhte sich von 5’314 Pfund auf 18’201 Pfund pro Jahr (+242%); der durchschnittliche Ertrag an Mais stieg von 4 Tonnen auf 15.5 Tonnen pro Hektare (+292%); und jeder Bauer produzierte im Jahr 2000 im Schnitt 12 mal so viel Ertrag pro Arbeitsstunde wie ein Farmer im Jahr 1950. Diese Entwicklung der Produktivität kann hauptsächlich auf die Mechanisierung, die Entwicklung neuer Dünger und anderer technischen Fortschritte zurückgeführt werden. Weitere Entwicklungen dieser Art in anderen Sektoren können ähnliche Resultate erreichen, was die Länge des Arbeitstages angeht. Aus diesem Grund könnte man die Arbeitserfordernisse für jede Person einmal auf Lebenszeitbasis festlegen anstelle von Tages-, Wochen- oder Monatsbasis.
MarxistInnen werden oft gefragt, was der Anreiz zu arbeiten in einer sozialistischen Gesellschaft wäre. Der Anreiz zu arbeiten im Kapitalismus besteht in der Form, dass die Menschen arbeiten müssen um Geld zu verdienen um ihr Leben zu leben. Deshalb verlangen Menschen die Freiheit zu Arbeiten – um zu leben. Im Sozialismus andererseits geht es um die Freiheit von der Arbeit. Der Anreiz zu arbeiten im Sozialismus wird sein, dass wir daran arbeiten eine Gesellschaft zu errichten, in welcher wir frei sind von der Notwendigkeit zu arbeiten. Diese Freiheit könnte erreicht werden durch die gemeinsamen Leistungen der Gesellschaft, die Wirtschaft und Produktionskräfte in einem solchen Mass zu entwickeln, dass nur sehr wenig menschliche Arbeit nötig wäre um sie am laufen zu halten, was uns befreit, unsere Leben zu leben wie wir möchten.
KapitalistInnen haben ein sehr enges, inkorrektes Verständnis davon, was Menschen anreizt, Dinge zu tun – sie sehen alles als eine Frage von Geld, entgegen der Tatsache, dass es viele Dinge gibt, die alle tun (z.B. Hobbys), welche nur dadurch motiviert sind, dass wir sie gerne tun; Dinge, die uns als Menschen entwickeln, uns einen Sinn geben und uns helfen, Bindungen mit anderen zu bilden.
Dennoch gibt es einige KapitalistInnen, die dies selbst erkennen. Eine Harvard Business School Professorin, Teresa Amabile, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel Das Fortschrittsprinzip, welches argumentiert, dass es ein Gefühl von Fortschritt und Vorwärtskommen, sowohl beruflich als auch privat, das Menschen bei der Arbeit wirklich motiviert. Gemäss Alfie Kohn, einem Sozialwissenschaftler der Harvard Business Review, weist der kapitalistische Managementjargon auf vier Faktoren hin, die Menschen motiviert oder anreizt hart zu arbeiten: persönliches Wachstum, Anerkennung, Verantwortung und herausfordernde Arbeit – finanzielle Belohnung ist verdächtig abwesend auf dieser Liste. Es sind diese Anreize, die der Sozialismus in den Vordergrund schieben würde, über finanziellen Gewinn.
Anstelle davon, uns von unserer Arbeit zu entfremden, wird der Sozialismus uns eine echte Beteiligung an der Wirtschaft und Gesellschaft erlauben, indem er sie zu unserem kollektiven Eigentum macht. Die Arbeit selbst, nicht nur die Löhne daraus, werden darum einen direkteren Zweck haben und klar zu unserem Vorteil und dem Vorteil anderer um uns sein, anstatt für Bonzen in entfernten Vorstandsetagen. Der Präsident einer von Venezuelas besetzten Fabriken bezeugte dies als er berichtete, die ArbeiterInnen in seiner Fabrik bemühten sich aktiv den Produktionsprozess zu verbessern weil sie wissen, dass ihre Ideen fähig sind, das Leben der Menschen zu verbessern.
Wenn Geld im Sozialismus nur eine kleine Rolle spielt um den Menschen Anreize zu schaffen, bedeutet dies, dass man Löhne abschaffen wird? Die Antwort darauf ist nein – nicht sofort; aber es bedeutet, dass Löhne nach und nach verschwinden könnten, während die Wirtschaft sich entwickelt. ArbeiterInnen werden zuerst immer noch in Geld bezahlt werden (dessen Wert wiederum verbunden ist mit der echten Wirtschaft) – dies ist nichts, was man einfach per Erlass über Nacht abschaffen könnte. In der Tat werden in einer Periode des sozialistischen Übergangs wahrscheinlich Lohnunterschiede existieren. Das war der Fall in Russland gleich nach 1917, wo die Bolschewiki Lohnunterschiede erlaubten, wo es nötig war, aber strikt auf ein Verhältnis von 1:4 beschränkten.
Jedoch könnten Löhne mit der Zeit durch Gutscheine ersetzt werden, welche wiederum durch überhaupt nichts ersetzt werden könnten, weil es den Menschen möglich wäre, alles was sie brauchen zu nehmen. Je näher die Gesellschaft einem Zustand des Überflusses kommt, desto weniger werden Löhne gebraucht um Konsum zu rationieren, da es von allem genug für alle gibt.
Genau wie mit den Löhnen ist es mit Geld generell. Trotzki erklärte die Notwendigkeit einer unregulierten Währung mit einer Geldversorgung, welche mit dem realen Produktionsniveau der Wirtschaft verbunden ist, sogar im Sozialismus. Natürlich, viele Funktionen von Geld im Kapitalismus würden sich verändern oder verschwinden – die Notwendigkeit von Geldlöhnen ist ein Beispiel – aber es könnte immer noch eine Rolle spielen als Indikator der Gesundheit der Planwirtschaft.
Unter dem Kapitalismus zeigen der Geldfluss und der Einsatz von Signalpreisen an, wo es Mangel oder Überschüsse in der Wirtschaft gibt. Wo zum Beispiel die Nachfrage das Angebot übersteigt, steigen die Preise für Güter über deren wahren Wert und generieren Extra-Profite für KapitalistInnen in diesem Sektor. Dies ermutigt KapitalistInnen ihr Geld in diesem Sektor zu investieren und so das Angebot wieder in ein Gleichgewicht mit der Nachfrage zu bringen. In den frühen Stufen des Sozialismus würden diese Rolle des Geldes und der Signalpreise immer noch benötigt; aber stattdessen wären die hauptsächlichen Hebel der Wirtschaft – die Banken und grossen Firmen – unter der Kontrolle des ArbeiterInnenstaats, welcher Investitionen dementsprechend lenken könnte um Mangelerscheinungen zu eliminieren. Signalpreise werden deshalb ein Indikator für Angebot und Nachfrage von Gütern in unterschiedlichen Regionen und Sektoren sein und die Inflationsrate wird auf alle möglichen wirtschaftlichen Probleme hinweisen. Der Geldfluss wird ein Massstab sein, wie weit der Handel in der Planwirtschaft sich ausbreitet.
Allmählich, während ein stetig wachsender Teil der Wirtschaft unter einen gemeinsamen, demokratischen Produktionsplan kommt, wird die Produktion und der Tausch von Handelswaren verschwinden und Geld als Ganzes wird verkümmern, während diese Funktionen, die Gesundheit einer Wirtschaft zu messen abgelöst werden durch administrative statt finanzielle Kontrolle.
Dieser Artikel ist der zweite Teil einer Serie zum Thema „Wie wird der Sozialismus aussehen?“ Teil 1 | Teil 3 | Teil 4
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