Kurz vor der Abstimmung über die Rentenreform geht es in den Diskussionen hoch her. Eines ist klar: Die AV2020 spaltet die Linke – und dies nachhaltig. Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie haben sich bei den kritischen Linken diskreditiert. Noch fehlt eine linke Kraft, um dieses Vakuum zu füllen. Eine Beurteilung der Rolle der JUSO.
In der Westschweiz mobilisierten linke GewerkschafterInnen und kleinere Gruppierungen seit Diskussionsbeginn gegen das «Paquet Berset» (AV2020). Die Unia-Führung wendete an ihrem Kongress Ende 2016 den Zwang zum Referendum mit bürokratischen Kniffen ab. In der SP zeigte sich wenig Opposition gegen den «eigenen» Bundesrat im zuständigen Departement des Inneren. In dieser Konstellation wurde die JUSO Schweiz zur wichtigsten Bühne für eine Weichenstellung. An der Jahresversammlung Anfang März beugte sich die Geschäftsleitung, und speziell die Präsidentin, dem Druck des rechten Parteiflügels. Sie unterstützte eine Resolution, die ein Referendum und den Kampf gegen die Konterreform verhindert hätte. Im Mai wurde der Entscheid korrigiert, doch das Zaudern in der wichtigsten Phase hat Folgen.
Die Führung als Hebel
Betrachtet man die Geschichte der Schweizer Sozialversicherungen, stellt man fest, dass offene Angriffe auf ihre Ausgestaltung nur erfolgreich waren, wenn sie von der parlamentarischen oder gewerkschaftlichen Linken kamen. Ein erstes Beispiele dafür sind das anhaltende Bremsen des SGB hinsichtlich der Volkspension (eine statt drei Säulen zur Altersvorsorge) seit Weltkriegsende und die 10. AHV-Revision unter Ruth Dreifuss (Erhöhung des Frauenrentenalters). Damit hat der Reformismus den Bürgerlichen die offenen Konflikte mit der ArbeiterInnenbewegung erspart.
Es ist klar – oder zumindest wahrscheinlich –, dass diese Reformprojekte unter bürgerlicher Federführung nie zustande gekommen wären. Da die SP in Fragen der Rente über Jahrzehnte grosses Vertrauen genoss und ihre Parolen meistens Unterstützung fanden, ist ihr Votum von enormer Wichtigkeit. Aktuell kommt nun aber ein mit einigen Zückerchen versetztes Abbaupaket aus einer roten Schmiede und es wird sogar der eigenen Basis fast als pures Gold verkauft.
Das Muster der Meisterschmiede Berset wird exakt in SP und Gewerkschaften weiter dekliniert. Nur wenige Interessensgruppen opponierten. Die JUSO-Führung ist in der Abstimmungsfrage offensichtlich gespalten und konnte ihrer Basis keinen klaren Kurs aufdrücken. Auch die lokalen Sektionen stimmten für unterschiedliche Positionen. Die Konsequenz aus dieser inneren Spaltung ist, dass die JUSO ihre Möglichkeiten für eine Kampagne bei weitem nicht ausschöpft.
Linkes Nein mit leiser Stimme
In der Westschweiz rollt die Nein-Kampagne. Die linke Nein-Argumentation wurde lange vorbereitet und verfügt über ein korrektes Argumentarium, gegen die sich keine bürgerliche Schein-Opposition aufbauen konnte.
Aber östlich des Röstigrabens kommt die Kampagne nicht aus dem Stocken heraus. Wen wundert’s bei den unterstützenden Organisationen? Die Basler BaStA! Ist die grösste darunter, der Rest sind grob gesagt Einzelpersonen (oder Organisationen, die kaum darüber hinaus gehen). .
Die JUSO hätte hier das Zünglein an der Waage spielen können. Mehrfach hat sie in den vergangen Jahren bewiesen, dass die richtige Wahl von Thema, Position und Forderung eine beträchtliche Aktivierung der Jugend nach sich ziehen kann. Nicht nur die jungen und bewährten AktivistInnen sind die Stärke der Partei, sondern auch ihr direktes Umfeld. Als einzige linke Gruppierung hat sie ein ernstzunehmendes Netz von Sektionen in der ganzen Schweiz und Erfahrung im Organisieren von landesweiten Kampagnen.
Es wäre klare Aufgabe jeder Jungsozialistin und jedes Jungsozialisten, Bersets Angriff zu bekämpfen. Aber nicht nur die JUSOs. Auch die Mutterpartei, die Gewerkschaft und die SchülerInnen- bzw. Studierendenversammlungen müssten die Notwendigkeit des Gegenangriffs vertreten. Denn wer sich bezüglich der AV2020 über ein ungünstiges Kräfteverhältnis im Parlament beklagt, das keinen besseren «Kompromiss» zuliesse, versteht nicht, wie die Gesellschaft funktioniert.
Geht es um Sport, sind sich die meisten einig: Angriff ist die beste Verteidigung. In der Politik ist es komplexer. Klar ist: Wer nicht kämpft, hat schon verloren! Zu Beginn des Jahres 2017 erlitten die Bürgerlichen eine empfindliche Niederlage bei der Unternehmenssteuerreform III. Statt die Dynamik zu nutzen und erhobenen Hauptes in die Schlacht gegen die RentenklauerInnen zu ziehen, verstecken sich viele Linke hinter pessimistischen Prognosen und negativen Erfahrungen (AHVplus-Niederlage). Wenn sich daran nicht sofort etwas ändert, gibt es nur einen positiven Punkt: In der nächsten Legislaturperiode braucht man keine neue Entschuldigung, um keine radikalen Forderungen zu stellen. Denn das Kräfteverhältnis wird sich bei diesem Verhalten und Vorgehen keinesfalls ändern!
Prinzipien haben!
Wir wollen zu diesem späten Zeitpunkt nicht fordern, in einer Hauruck-Aktion noch eine Kampagne loszutreten. Doch wir werden aus dem Gesagten einige Lehren für die JUSO und die kommenden Kämpfe ziehen.
Erstens muss die Linke Prinzipien haben, die sie nicht für ein Butterbrot zu verkaufen bereit ist. Die interne Diskussion über prinzipielle Vorlagen soll so offen wie möglich sein, und sie muss allen Mitgliedern zugänglich sein, z. B. über die JUSO-Zeitung.
Das verlangt aber auch, dass zweitens die Führung der JUSO mit genügend Weitsicht operiert. Die Fassung von Positionen über kommende Kämpfe darf nicht verschleppt werden. Wird eine Position gefasst, muss diese klar vertreten werden. Ein Kollegialitätsprinzip in der Geschäftsleitung ist dabei offensichtlich ein grosses Hindernis. Die Mitglieder der Führung sollten an internen Parteidiskussionen (nicht gegen aussen) klar ihre persönliche Position äussern und sich nicht hinter einem Gremiumsentscheid verstecken.
Drittens muss die Prioritätensetzung im politischen Jahreskalender der Wichtigkeit der anstehenden oder loszutretenden Kämpfe und Kampagnen entsprechen. Es wäre absolut korrekt gewesen, die 99%-Initiative bewusst zu verschieben und die Zeit für den Kampf gegen Berset zu nutzen.
Viertens dürfen die Karriereziele der JUSO-Führung nicht über den politischen Prinzipien der Linken stehen. Wenn die SP und der SGB offen die Interessen der Lohnabhängigen verkaufen, darf man sie nicht stützen. Die JUSO muss in einem solchen Fall ihre Praxis der neuen Situation anpassen und sich nicht scheuen, selbst die Führung zu übernehmen. Die AV2020 müsste für die Linke, und die JUSO als deren schlagkräftigsten Ausdruck, als Signal zum Angriff verstanden werden. Nach der Losung: Wenn das aktuelle Kräfteverhältnis im Parlament zu einem solchen Angriff Anlass gibt, dann brauchen wir schleunigst ein besseres Kräfteverhältnis!
Michael Wepf
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