Die Vereinigten Staaten von Amerika sind heute kaum mehr als ein Euphemismus für eine tief gespaltene Gesellschaft: politisch, wirtschaftlich, sozial. Unter dem Druck der objektiven Bedingungen zerfällt der gesamte ideologische Überbau der Nachkriegszeit. Die aktuellen Präsidentschaftswahlen nähren sich aus dieser Zersetzung – und treiben sie weiter.
Der Wahlkampf in den USA steht ganz unter dem Zeichen eines sich auf Grundlage der harten, materiellen Realität von Millionen an ArbeiterInnen auflösenden Diskurs’ der Nachkriegszeit.
Supermacht bröckelt
Wo bleibt die „Wohlfahrtssteigerung des Kapitalismus“, wenn 43 Millionen US-AmerikanerInnen in Armut leben? Wo bleibt die „Gleichstellung der Rassen“, wenn die Gefahr als junger Afroamerikaner von der Polizei erschossen zu werden noch nie so hoch war? Wo bleibt die „wohlwollende Supermacht“, wenn der Effekt der US-Militärinterventionen nur menschliches Elend und noch mehr Instabilität ist? Unter Einfluss dieser und unzähliger weiterer frappierender Ungleichheiten, welche die tiefe wirtschaftlichen und politischen Krise des US-Kapitalismus ausdrücken, löst sich der Schleier der Klassenherrschaft der US-Bourgeoisie auf. Hinter dem zerfallenden Gesicht des fotogenen Obama treten hervor: Donald Trump und Hillary Clinton.
Wahlen ohne Wahl
Während der ersten Präsidentschaftsdebatte lautete der meist gefallene Ausdruck Trump’s wohl: „I couldn’t agree more“ – „Dem kann ich nur zustimmen“. Die Wahl in den USA findet ohne eigentliche Auswahl statt. Natürlich gibt es Differenzen zwischen dem Kandidaten und der Kandidatin; natürlich ist Trump ein Wahnsinniger, ein Rassist und Sexist. Bloss, der Immobilienspekulant ist ein Resultat der Krise des Systems – Clinton dessen zuverlässiger politischer Ausdruck.
Beide stellen sie eine Bedrohung für die Arbeitenden dar und im Endeffekt werden sie beide versuchen, letztere weiter zu zerreiben. Auch werden beide weiterhin – oder sogar in zunehmendem Masse – die US-Streitkräfte international einsetzen. Nur wird Hillary dies im hohl klingenden Namen von „Freiheit und Demokratie“ tun, während es Trump unverblümt unter dem Banner des US-Imperialismus tun wird.
Obwohl im Endeffekt beide die Interessen der herrschenden Klasse der USA vertreten, stellt sich diese so gut wie geschlossen gegen Trump – und hinter Clinton. Dies nicht bloss, weil letztere getreu die materiellen Interessen der Kapitalisten durchsetzen wird. Sie wird dabei ein vermeintlich „humaneres“ und daher nützlicheres Gesicht für die Rechtfertigung ebendieser Klassenherrschaft darstellen. Trump hingegen gibt die Verachtung seiner Klasse gegenüber allem Menschlichen ungeschönt wieder. Sie lügt gut, er lügt schlecht.
Das kleinere Übel
Die Sanders-Kampagne setzte Kräfte frei, die einen Vorgeschmack lieferten, was den USA bevorsteht. An die Stelle von Aktivität tritt Passivität und die Logik des vermeintlich kleineren Übels entfaltet seine Wirkung. Die rund 13 Millionen AmerikanerInnen, die ihm in den Vorwahlen die Stimme gaben, wurden grösstenteils in die ruhigen Gewässer der demokratischen Partei – dem „Friedhof der sozialen Bewegungen“ – getrieben. Dafür bewegt sich Clinton nach links. Will heissen: sie liest vom Teleprompter einige von Sanders popularisierte, reformistische Forderungen ab. Diese antrainierte Finte, diese Täuschbewegung, wird spätestens nach der Wahl dem Rechtsschwung weichen. Wenn acht Jahre Obama die Wiege der Sanders-Kampagne war, dann überlassen wir den LeserInnen die Vorstellung, welche Wirkung vier Jahre Clinton oder nur schon ein Jahr Trump im Weissen Haus haben wird.
Der US-Sozialist Hal Draper schrieb 1967, dass die blosse Frage danach, wer das kleiner Übel sei, bereits eine Katastrophe ist. „In Konstellationen, wo die Wahl sich zwischen einem kapitalistischen Politiker und einem anderen stellt, kommt die Niederlage mit dem Akzeptieren der Grenzen dieser Auswahl.“ Immer weniger Lohnabhängige und junge AmerikanerInnen sind bereit, diese Grenzen zu akzeptieren. Wenn sich diese potentielle gesellschaftliche Kraft einen politisch–organisatorischen Ausdruck verschafft, wofür unsere GenossInnen um die Zeitschrift Socialist Appeal kämpfen, dann nützt alles Lügen nicht mehr – weder gutes, noch schlechtes.
Magnus Meister
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