Die Imperialisten der «Entente»länder blockieren Russland, bestrebt, die Sowjetrepublik als einen Ansteckungsherd von der kapitalistischen Welt zu isolieren. Diese Leute, die sich mit dem «Demokratismus» ihrer Institutionen brüsten, hat der Hass gegen die Sowjetrepublik derart verblendet, dass sie nicht merken, wie sie sich selbst lächerlich machen. Man denke bloss: Die fortgeschrittenen, zivilisiertesten und «demokratischsten» Länder, die, bis an die Zähne bewaffnet, militärisch uneingeschränkt die ganze Erde beherrschen, fürchten wie das Feuer eine Ansteckung durch Ideen, die von einem ruinierten, hungernden, rückständigen, ihrer Versicherung nach sogar halbwilden Lande ausgeht!
Schon allein dieser Widerspruch öffnet den werktätigen Massen aller Länder die Augen und hilft, die Heuchelei der Imperialisten Clemenceau, Lloyd George, Wilson und ihrer Regierungen zu entlarven.
Die Gründung der III. Internationale erfolgte in einer solchen internationalen Situation, dass keinerlei Verbote, keinerlei kleinliche und klägliche Kniffe der «Entente»imperialisten oder der Lakaien des Kapitalismus, wie der Scheidemänner in Deutschland, der Renner in Österreich, verhindern konnten, dass sich die Kunde von dieser Internationale und die Sympathie für sie in der Arbeiterklasse der ganzen Welt ausbreiten. Diese Situation wurde geschaffen durch die allerorts täglich, ja stündlich unverkennbar heranreifende proletarische Revolution. Diese Situation wurde geschaffen durch die Sowjetbewegung unter den werktätigen Massen, die bereits eine solche Kraft erlangt hat, dass sie tatsächlich international geworden ist.
Die I. Internationale (1864-1872) legte den Grundstein der internationalen Organisation der Arbeiter zur Vorbereitung ihres revolutionären Ansturms gegen das Kapital. Die II. Internationale (1889-1914) war eine internationale Organisation der proletarischen Bewegung, die in die Breite wuchs, was nicht ohne zeitweiliges Sinken des revolutionären Niveaus, nicht ohne zeitweiliges Erstarken des Opportunismus abging, der schliesslich zum schmählichen Zusammenbruch dieser Internationale führte.
Die III. Internationale entstand faktisch im Jahre 1918, als der langjährige Prozess des Kampfes gegen Opportunismus und Sozialchauvinismus, besonders während des Krieges, in einer Reihe von Nationen zur Bildung von kommunistischen Parteien geführt hatte. Offiziell ist die III. Internationale auf ihrem ersten Kongress, im März 1919 in Moskau, gegründet worden. Und der charakteristischste Zug dieser Internationale, ihre Bestimmung: das Vermächtnis des Marxismus zu erfüllen und in die Tat umzusetzen, die uralten Ideale des Sozialismus und der Arbeiterbewegung zu verwirklichen – dieser charakteristischste Zug der III. Internationale trat sofort darin zutage, dass die neue, die dritte «Internationale Arbeiterassoziation» schon jetzt in gewissem Masse mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zusammenfällt.
Die I. Internationale legte den Grundstein zum internationalen proletarischen Kampf für den Sozialismus.
Die II. Internationale war die Epoche der Vorbereitung des Bodens für eine weite Ausbreitung der Bewegung unter den Massen in einer Reihe von Ländern.
Die III. Internationale übernahm die Früchte der Arbeit der II. Internationale, beseitigte ihren opportunistischen, sozialchauvinistischen, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Unrat und begann, die Diktatur des Proletariats zu verwirklichen.
Der internationale Bund der Parteien, die die revolutionärste Bewegung der Welt leiten, die Bewegung des Proletariats zum Sturze des kapitalistischen Jochs, hat jetzt eine Basis von beispielloser Festigkeit: mehrere Sowjetrepubliken, die in internationalem Massstab die Diktatur des Proletariats, seinen Sieg über den Kapitalismus lebendig verkörpern.
Die weltgeschichtliche Bedeutung der III., der Kommunistischen Internationale besteht darin, dass sie damit begonnen hat, die grosse Losung von Marx in die Tat umzusetzen, die Losung, die aus der hundertjährigen Entwicklung des Sozialismus und der Arbeiterbewegung die Bilanz zieht, die Losung, die ihren Ausdruck findet in dem Begriff: Diktatur des Proletariats.
Diese geniale Voraussicht, diese geniale Theorie wird zur Wirklichkeit.
Diese lateinischen Worte sind jetzt in alle Volkssprachen des heutigen Europas, mehr noch: in alle Sprachen der Welt übersetzt.
Eine neue Epoche der Weltgeschichte hat begonnen.
Die Menschheit wirft die letzte Form der Sklaverei ab: die kapitalistische oder Lohnsklaverei.
Indem sie sich von der Sklaverei befreit, gelangt die Menschheit zum erstenmal zu wahrer Freiheit.
Wie konnte es geschehen, dass es eines der rückständigsten Länder Europas war, das als erstes die Diktatur des Proletariats verwirklichte und eine Sowjetrepublik errichtete? Wir gehen kaum fehl, wenn wir sagen, dass gerade dieser Widerspruch zwischen der Rückständigkeit Russlands und seinem «Sprung» zur höchsten Form des Demokratismus, über die bürgerliche Demokratie hinweg zur sowjetischen oder proletarischen Demokratie, dass gerade dieser Widerspruch eine der Ursachen war (neben dem Druck der opportunistischen Gewohnheiten und philisterhaften Vorurteile, unter dem die meisten sozialistischen Führer standen), die im Westen das Verständnis für die Rolle der Sowjets besonders erschwerten oder verzögerten.
Die Arbeitermassen der ganzen Welt erfassten instinktiv die Bedeutung der Sowjets als Kampfmittel des Proletariats und als Form des proletarischen Staates. Doch die durch den Opportunismus korrumpierten «Führer» beten nach wie vor die bürgerliche Demokratie an, die sie als «Demokratie» schlechthin bezeichnen.
Ist es verwunderlich, dass die Verwirklichung der Diktatur des Proletariats vor allem den «Widerspruch» zwischen der Rückständigkeit Russlands und seinem «Sprung» über die bürgerliche Demokratie hinweg zeigte? Es wäre verwunderlich, wenn die Geschichte uns die Verwirklichung der neuen Form der Demokratie ohne eine Reihe von Widersprüchen geschenkt hätte.
Jeder Marxist, ja jeder mit der modernen Wissenschaft überhaupt vertraute Mensch würde die Frage: «Ist ein gleichmässiger oder harmonisch-proportioneller Übergang der verschiedenen kapitalistischen Länder zur Diktatur des Proletariats wahrscheinlich?» zweifelsohne verneinend beantworten. In der Welt des Kapitalismus hat es niemals Gleichmässigkeit, Harmonie oder Proportionalität gegeben noch geben können. Jedes Land hat bald diese, bald jene Seite oder Besonderheit, bald diese, bald jene Gruppe von Eigenschaften des Kapitalismus und der Arbeiterbewegung besonders ausgeprägt entwickelt. Der Entwicklungsprozess verlief ungleichmässig.
Die Weltgeschichte geht unaufhaltsam der Diktatur des Proletariats entgegen, aber sie geht bei weitem nicht glatte, nicht einfache, nicht gerade Wege.
Als Karl Kautsky noch Marxist war und nicht jener Renegat des Marxismus, zu dem er als Streiter für die Einheit mit den Scheidemännern und für die bürgerliche Demokratie gegen die sowjetische oder proletarische Demokratie geworden ist, schrieb er ganz zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Artikel «Die Slawen und die Revolution». In diesem Artikel legte er die historischen Bedingungen dar, die die Möglichkeit erkennen liessen, dass die Hegemonie in der internationalen revolutionären Bewegung an die Slawen übergeht.
So ist es gekommen. Zeitweilig – selbstverständlich nur für kurze Zeit – ist die Hegemonie in der revolutionären proletarischen Internationale an die Russen übergegangen, wie sie in verschiedenen Perioden des 19. Jahrhunderts die Engländer, dann die Franzosen und dann die Deutschen innegehabt haben.
Ich habe schon mehr als einmal gesagt: Im Vergleich zu den fortgeschrittenen Ländern hatten es die Russen leichter, die grosse proletarische Revolution zu beginnen, es wird ihnen aber schwerer werden, sie fortzusetzen und bis zum endgültigen Sieg im Sinne der vollständigen Organisierung der sozialistischen Gesellschaft zu führen.
Wir hatten es leichter zu beginnen, erstens weil die für das Europa des 20. Jahrhunderts aussergewöhnliche politische Rückständigkeit der Zarenmonarchie eine aussergewöhnliche Kraft des revolutionären Ansturms der Massen auslöste. Zweitens führte die Rückständigkeit Russlands zu einer eigenartigen Verschmelzung der proletarischen Revolution gegen die Bourgeoisie mit der Bauernrevolution gegen die Gutsbesitzer. Damit fingen wir im Oktober 1917 an, und wir hätten damals nicht so leicht gesiegt, wenn wir nicht damit angefangen hätten. Marx hat schon im Jahre 1856, in Bezug auf Preussen, auf die Möglichkeit einer eigenartigen Verbindung der proletarischen Revolution mit einem Bauernkrieg hingewiesen. Die Bolschewiki verfochten seit Anfang des Jahres 1905 die Idee der revolutionär-demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft. Drittens hatte die Revolution des Jahres 1905 ausserordentlich viel für die politische Schulung der Arbeiter- und Bauernmassen getan, sowohl in dem Sinne, dass sie deren Vorhut mit dem «letzten Wort» des Sozialismus im Westen bekannt machte, als auch im Sinne der revolutionären Aktion der Massen. Ohne eine solche «Generalprobe» wie im Jahre 1905 wären im Jahre 1917 sowohl die bürgerliche Februarrevolution als auch die proletarische Oktoberrevolution unmöglich gewesen. Viertens gestatteten die geographischen Verhältnisse es Russland länger als anderen Ländern, sich gegen das militärische Übergewicht der fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten zu halten. Fünftens erleichterte das eigenartige Verhältnis des Proletariats zur Bauernschaft den Übergang von der bürgerlichen zur sozialistischen Revolution, es erleichterte den Einfluss der städtischen Proletarier auf die halbproletarischen, armen Schichten der Werktätigen im Dorf. Sechstens erleichterten die lange Schule des Streikkampfes und die Erfahrung der europäischen proletarischen Massenbewegung in der zutiefst revolutionären und sich rasch zuspitzenden Situation das Entstehen einer solchen eigenartigen Form der proletarischen revolutionären Organisation, wie es die Sowjets sind.
Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig. Aber wir können uns einstweilen auf sie beschränken.
Die sowjetische oder proletarische Demokratie wurde in Russland geboren. Im Vergleich zur Pariser Kommune war ein zweiter weltgeschichtlicher Schritt getan. Die Sowjetrepublik der Proletarier und Bauern erwies sich als die erste dauerhafte sozialistische Republik der Welt. Sie kann, als neuer Typus des Staates, schon nicht mehr untergehen. Sie steht schon heute nicht mehr allein.
Um den Aufbau des Sozialismus fortzusetzen, um ihn zu Ende zu führen, ist noch sehr, sehr vieles erforderlich. Sowjetrepubliken in Ländern auf höherer Kulturstufe, mit grösserem Gewicht und Einfluss des Proletariats haben alle Aussichten, Russland zu überholen, sobald sie den Weg der Diktatur des Proletariats einschlagen.
Die bankrotte II. Internationale liegt jetzt in den letzten Zügen und verwest bei lebendigem Leibe. Sie spielt faktisch die Rolle des Lakaien der internationalen Bourgeoisie. Das ist eine richtige gelbe Internationale. Ihre bedeutendsten ideologischen Führer vom Schlage Kautskys verherrlichen die bürgerliche Demokratie, die sie als «Demokratie» schlechthin oder – was noch dümmer und noch gröber ist – als «reine Demokratie» bezeichnen.
Die bürgerliche Demokratie hat sich überlebt, wie sich auch die II. Internationale überlebt hat, die eine historisch notwendige, nützliche Arbeit zu einer Zeit leistete, als die Vorbereitung der Arbeitermassen im Rahmen dieser bürgerlichen Demokratie auf der Tagesordnung stand.
Auch die demokratischste bürgerliche Republik war niemals etwas anderes und konnte niemals etwas anderes sein als eine Maschine zur Unterdrückung der Werktätigen durch das Kapital, ein Werkzeug der politischen Macht des Kapitals, die Diktatur der Bourgeoisie. Die demokratische bürgerliche Republik versprach der Mehrheit die Macht, proklamierte sie, konnte sie aber niemals verwirklichen, solange das Privateigentum am Grund und Boden und an den übrigen Produktionsmitteln bestand.
«Freiheit» in der bürgerlichen demokratischen Republik war in Wirklichkeit Freiheit für die Reichen. Die Proletarier und werktätigen Bauern konnten und mussten sie ausnutzen, um ihre Kräfte zum Sturz des Kapitals, zur Überwindung der bürgerlichen Demokratie vorzubereiten, aber von der Demokratie tatsächlich Gebrauch machen konnten die werktätigen Massen unter dem Kapitalismus in der Regel nicht.
Die sowjetische oder proletarische Demokratie hat zum ersten Mal in der Welt eine Demokratie für die Massen, für die Werktätigen, für die Arbeiter und die Kleinbauern geschaffen.
Noch niemals hat es in der Welt eine solche Staatsmacht der Mehrheit der Bevölkerung gegeben, die tatsächliche Macht dieser Mehrheit, wie dies die Sowjetmacht ist.
Sie unterdrückt die «Freiheit» der Ausbeuter und ihrer Helfershelfer, sie nimmt ihnen die «Freiheit» auszubeuten, die «Freiheit», sich am Hunger zu bereichern, die «Freiheit», für die Wiederherstellung der Macht des Kapitals zu kämpfen, die «Freiheit», mit der ausländischen Bourgeoisie gegen die Arbeiter und Bauern des eigenen Landes zu paktieren.
Mögen die Kautsky eine solche Freiheit verteidigen. Dazu muss man ein Renegat des Marxismus, ein Renegat des Sozialismus sein.
Nichts brachte den Bankrott der ideologischen Führer der II. Internationale, der Hilferding und Kautsky, so krass zum Ausdruck wie ihr völliges Unvermögen, die Bedeutung der sowjetischen oder proletarischen Demokratie, ihr Verhältnis zur Pariser Kommune, ihren Platz in der Geschichte, ihre Notwendigkeit als Form der Diktatur des Proletariats zu begreifen.
Wer bei der Lektüre von Marx nicht begriffen hat, dass es in der kapitalistischen Gesellschaft in jedem kritischen Moment, bei jedem ernsten Zusammenstoss der Klassen allein entweder die Diktatur der Bourgeoisie oder die Diktatur des Proletariats geben kann, der hat weder von der ökonomischen noch von der politischen Lehre von Marx etwas verstanden.
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