Die SVP-Kündigungsinitiative greift den Lohnschutz an und macht ausländische ArbeiterInnen zum Sündenbock für die soziale Unsicherheit. Das verschleiert die wirklichen Konfliktlinien in der Gesellschaft: zwischen «unten» und «oben», zwischen Arbeit und Kapital.
Am 27. September 2020 stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)» ab. Die SVP-Initiative ist unter ihren Gegnern als «Kündigungsinitiative» bekannt, weil sie auf die Aufkündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU abzielt. Bei einer Annahmewürden auf Grund der «Guillotineklausel» die gesamten Bilateralen Verträge mit der EU aufgekündigt werden müssen.
Sowohl für die Klasse der Kapitalisten wie für die Klasse der Lohnabhängigen steht viel auf dem Spiel, wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen.
SVP gegen die ArbeiterInnen
Die SVP spielt ihr übliches Spiel: Die Bonzenpartei gibt vor, die Interessen der ArbeiterInnen und des «Mittelstandes» zu verteidigen und macht die Zuwanderung aus dem Ausland verantwortlich für alle Probleme in der Schweiz. Das lenkt den Blick weg von den wirklichen Verantwortlichen für die Probleme der ArbeiterInnen und verschleiert, wer die wirklichen Feinde der Arbeiterklasse sind: Nicht die AusländerInnen, sondern die Kapitalisten und ihre Ideologen – unter anderem die SVP selbst.
Doch die Absicht hinter der SVP-Initiative ist es nicht nur, «Schweizer» ArbeiterInnen gegen ausländische aufzuwiegeln. Die SVP hat es auch auf die Flankierenden Massnahmen (FlaM) und damit auf den Lohnschutz der ArbeiterInnen in der Schweiz abgesehen. Durch die Aufkündigung der Personenfreizügigkeit sollen die Gewerkschaften und die Gesamtarbeitsverträge zurückgedrängt werden, um die Löhne zu drücken und die ArbeiterInnen «freier» ausbeuten zu können.
Abgesehen davon, dass wir die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit als fundamentale demokratische Grundrechte verteidigen, ist deshalb offensichtlich, dass wir MarxistInnen die SVP-Initiative als Angriff auf die ArbeiterInnen vehement ablehnen.
Spaltung in der herrschenden Klasse
Aber die SVP ist vom Standpunkt der Bourgeoisie definitiv einen Schritt zu weit gegangen. Die Schweizer Bourgeoisie mit ihrer mächtigen Exportindustrie braucht die Bilateralen Verträge mit der EU, die ihr den notwendigen Zugang zu Absatzmärkten und Arbeitskräften bieten.
Entsprechend ist die herrschende Klasse – vertreten sowohl durch die übrigen bürgerlichen Parteien wie durch die Unternehmerverbände – abgesehen von der SVP geschlossen und sehr energisch gegen die Initiative. Aber selbst die SVP ist über die eigene Initiative gespalten. Wichtige SVPler wie der Unternehmer Spuhler oder Bundesrat Parmelin lehnen die Initiative ihrer eigenen Partei ab. Das halbherzige Auftreten der SVP ist Ausdruck für die tiefen Widersprüche in der Partei.
Diese Spaltung in der Bourgeoisie ist vom Standpunkt der ArbeiterInnen eine positive Sache. Aber die ArbeiterInnen müssen sich hüten, sich in der Ablehnung der SVP-Initiative auf die andere Seite der Bourgeoisie zu schlagen. Die Arbeiterklasse muss ihren eigenen Standpunkt einnehmen, unabhängig von den verschiedenen Fraktionen der Kapitalisten und gegen beide Seiten.
Wie kämpfen gegen die SVP?
Die SP begeht deshalb einen grossen Fehler, indem sie sich mit allen grösseren Parteien von links bis zur FDP in einem überparteilichen Komitee gegen die Initiative zusammengeschlossen hat. Statt zwischen Arbeit und Kapital ziehen sie die Linie zwischen den «vernünftigen» Verteidigern des Schweizer Kapitalismus und der bösen SVP. Die Sozialdemokraten leisten damit ihren eigenen Beitrag, die Klassenlinien in der Gesellschaft zu verschleiern, statt sie zu klären. Das wird nicht nur Teile der Arbeiterklasse noch mehr von der SP entfremden, es schwächt auch den Kampf gegen die SVP-Initiative.
Wir haben bereits früher betont, dass die SVP immer wieder Erfolg haben kann, wenn die Linke keine Antwort auf den berechtigten Unmut und die Ängste der Arbeiterklasse gibt. SVP-Präsident Rösti hofft, dass die kommende Kündigungswelle durch die Coronakrise breitere Schichten anregen wird, sich zu «überlegen, ob die günstige Konkurrenz aus der EU nicht auch den eigenen Arbeitsplatz gefährden könnte».
Das einzige Mittel dagegen besteht darin, erstens den arbeiterfeindlichen Gehalt des SVP-Rassismus zu entlarven und zweitens eine wirkliche Antwort auf die Krise des Kapitalismus zu geben, die gewisse Teile der Arbeiterklasse überhaupt erst empfänglich macht für die rassistischen Scheinlösungen: Nicht die AusländerInnen sind verantwortlich für soziale Unsicherheit und Druck auf die Löhne, sondern die Bosse und ihr kapitalistisches System. Sie sind es, die Löhne drücken und die ArbeiterInnen auf die Strasse setzen, obwohl mehr als genug Reichtum da wäre, um allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen – unabhängig von ihrer Herkunft!
Eine solche Klassen-Position geht zwangsweise gegen die Interessen des Kapitals. Sie zu verteidigen ist unmöglich in einem gemeinsamen Block mit den Interessensvertretern des Kapitals wie der FDP.
Auf diese Weise verliert die Arbeiterklasse selbst dann, wenn die Initiative abgelehnt wird: Sie steht ohne Kampfinstrument gegen Rassismus und Krise da, während die SVP sich nur wieder als einzige «unabhängige» Partei präsentieren kann. Ein Schelm, wer denkt, dass genau dies das Wunschszenario der SVP wäre.
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