In zahlreichen Ländern Europas gewinnen Rechte und teils faschistische Parteien und Organisation an Stärke. Ohne die faschistische Bedrohungslage zu dramatisieren, muss man feststellen, dass in der europäischen Sozialdemokratie keine theoretische Auseinandersetzung mit dem Faschismus stattfindet. Diese ist heute jedoch bitter notwendig, wollen wir nicht dieselben Fehler wie die historische ArbeiterInnenbewegung der 1920/30er Jahre begehen.
Der Vormarsch faschistischer Kräfte wird in den häufigsten Fällen darauf reduziert, dass es den Menschen immer schlechter geht und sie sich deshalb vom Faschismus überzeugen liessen. Diese Oberflächlichkeit müssen wir entschieden bekämpfen. Der Faschismus ist nicht einfach eine wildgewordene Ideologie des rechten Randes der Gesellschaft, auch wenn er sich so über lange Zeit in Europa hauptsächlich so dargestellt hatte, sondern vielmehr Ausdruck des Klassenkampfes. Faschismus ist die radikale Antwort auf die organisierte Arbeiterinnenbewegung. In Zeiten des relativen sozialen Friedens erlahmt er deshalb, bis er sich nur noch auf kleine Gruppen und Subkulturen aus, zumeist verarmten, Schichten reduziert. Es ist deshalb kein Zufall, dass im Zuge der aktuellen Krise und der daraus resultierenden sozialen Kämpfen, die faschistische Bewegung am Erstarken ist. Wir müssen uns also nicht nur fragen in welchen konkreten sozioökonomischen und politischen Bedingungen diese Bewegung erfolgreich die Macht ergreifen konnte, sondern auch wie sich die unterschiedlichen Klasseninteressen im Faschismus und im Antifaschismus widerspiegeln. Bei dieser Untersuchung werden wir uns auf die Faschismustheorie von Leo Trotzki stützen, welche er im Zuge des Aufstiegs des Faschismus in den frühen 30er Jahren entwickelte.
Auf welche Klasse stützt sich der Faschismus?
Um das Wesen des Faschmismus verstehen zu können, müssen wir zuerst vergegenwärtigen worin seine soziale Basis besteht. Die Entwicklungen der 1930er Jahren, als Periode des Höhenpunkts der faschistischen Bewegungen, bietet sich deshalb zur genaueren Betrachtung an. Ausgangspunkt des Aufstiegs der faschistischen Bewegungen war die Krise, welche 1929 ihren Anfang nahm. Es herrschte eine massive Überproduktionskrise, welche massive Arbeitslosigkeit und sich rasch verbreitendes Elend mit sich brachte. Dabei machte das Kleinbürgertum kei¬ne Ausnahme, welches scharenweise in den Ruin getrieben wurde. Handwerker, kleine Ladenbesitzer und Bauern mussten oft von einem weniger hohen Einkommen leben, als gelernte ArbeiterInnen. Viele verloren ihren gesamten Besitz. Während einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs werden die wirtschaftlich unerfolgreichem KleinbürgerInnen einfach zu Lohnabhängigen. Doch ist das in einer Zeit massiver Arbeitslosigkeit nicht möglich und sie steigen sozial ab, ohne jedoch ihren materiellen Interessen nach Teil der ArbeiterInnenklasse zu werden.
Während der Weimarer Republik war die Sozialdemokratie die wichtigste Stütze der bürgerlichen Demokratie. In Perioden vom offenen Ausbrechen der Krise des Kapitalismus, müssen die Bürgerlichen die Arbeitsbedingungen jedoch frontal angreifen, um die Profitbedingungen wiederherzustellen. Wegen ihrer numerischen Bedeutungslosigkeit muss sich das Bürgertum, zur Aufrechterhaltung ihrer gesellschaftlichen Herrschaft und Durchsetzung ihrer materiellen Interessen, auf andere Klassen stützen. Das Kleinbürgertum stellt zumeist eine solide soziale Basis für die Grosskapitalisten dar, da es empfänglich ist für die Ideologien der „freien“ Marktwirtschaft und oft sich in wirtschaftlicher Abhängigkeit, aber auch Kooperation mit dem Grosskapital befinden. Die Verwahrlosung dieses Kleinbürgertums zerstörte jedoch ihren Glauben an den demokratischen Parlamentarismus und an alle Parteien, welche sie in der Vergangenheit betrogen hatten. Ihr Hass wuchs sowohl gegen oben, wie auch gegen unten. Oben das Finanzkapital, welches sie bis zum letzten Tropfen ausgesaugt hatte, die grossen Industrien, welche sie vom Markt gefegt hatten und unten die ArbeiterInnen, welche aufgrund ihrer erkämpften Forderungen für das wirtschaftliche Scheitern der Nation verantwortlich gemacht wurden. Dies ist der soziale Inhalt des Faschismus. Es ist in dieser Phase, dass „eine besondere Partei [auftritt], deren direktes Ziel es ist, das Kleinbürgertum bis zur Weissglut zu bringen und seinen Hass und seine Verzweiflung auf das Proletariat zu richten.“
Wem dient der Faschismus?
Es wäre jedoch falsch vom Faschismus als einer Massenbewegung des Kleinbürgertums für das Kleinbürgertum zu sprechen. Da sich aus naheliegenden Gründen das Kleinbürgertum nicht selbst zur herrschenden Klasse werden kann, gerät die faschistische Bewegung immer unter Kontrolle des nationalen Grosskapitals und wird, Spätestens nach einer Geglückten Machtübernahme, durch dieses Instrumentalisiert. Im Folgenden wollen wir kurz skizzieren wie es dazu kommt:
Unter der Voraussetzung stabiler wirtschaftlicher Bedingungen, ist die bürgerliche Demokratie das günstigste Herrschaftssystem für die Kapitalistenklasse. Sie garantiert, dass durch Sozialreformen die Klassengegensätze in dem Masse entschärft werden, dass die Kapitalisten ihre Herrschaft über die Gesellschaft beinahe Reibungslos ausüben können, ohne die Macht über den Staatsapparat zu verlieren. In Zeiten anhaltender Überproduktionskrise jedoch sind sie gezwungen diese Reformen wieder zurückzunehmen, um ihre Profitbedingungen wieder zu verbessern. Die demokratischen Rechte, welche in der Vergangenheit von den ArbeiterInnen erkämpft wurden, werden dabei zu einem grossen Hindernis. Massive Staatsrepression tritt an die Stelle der demokratischen Rechte, nötigenfalls auch eine Militärdiktatur. Trotzki bezeichnet dies als „Bonapartismus“. Der Staatsapparat stellt sich gewissermassen über die Klassen und versucht die Stabilität um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Durch Zugeständnisse einerseits, durch massive Repression anderseits wird der Klassenfriede erzwungen. Das kann Enteignung unliebsamer Kapitalgruppe bedeuten, anderseits zumeist auch die starke staatliche Kontrolle der Gewerkschaften, Einschränkungen von anderen Parteien usw. In ehemaligen kolonialen Ländern ist dies oft die vorherrschende Staatsform. In westlichen Mächten wurde sie dies allem vor und während Kriegen bzw. in Krisenzeiten. Der Faschismus stellt gewissermassen eine Steigerung davon dar: Das Ziel ist die physische Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung. Dazu braucht es eine aktive Massenbasis, welche nur faschistische Bewegungen bieten können.
Diesen Tendenzen lassen sich gut an den Entwicklungen des Deutschen Faschismus darstellen. Zu Beginn der Bewegung, beispielsweise beim Putsch 1923, erhielt der Faschismus nur begrenzte Unterstützung des Bürgertums. Und auch bis zu Hitlers Machtübernahme schwankten grosse Teile des Bürgertums zwischen aufrechterhaltung der Bürgerlichen Demokratie und dem Faschismus, welcher zwar mit Gewalt gegen die ArbeiterInnenbewegung vorging, in seiner Rhetorik jedoch das Bürgertum, speziell das Finanzkapital, angriff. Denn neben dem offensichtlichen materiellen Interesse, welches die Bourgeoisie um Faschismus haben kann (Zerschlagung der organisierten ArbeiterInnenbewegung), bedeutet er auch politische und soziale Risiken. So kann der Angriff des Faschismus auf die ArbeiterInnenbewegung eine heftige Reaktion hervorrufen, welche die Bürgerliche Herrschaft als ganzes in Frage stellt. Als den deutschen Bürgerlichen klar wurde, dass die organisierte ArbeiterInnenbewegung keine schlagkräftige Antwort auf die zunehmenden Angriffe durch die Faschisten kommen würde, entfesselte sie diese Banden vollends. Viele vorher schwankende Elemente gingen dazu über, den Faschismus finanziell zu unterstützen, so geschehen in Deutschland ungefähr ab 1930. Millionen von Mark flossen in die NSDAP und speziell in die Sturm Abteilung (SA) und in die Schutzstaffel (SS), welche sich hauptsächlich aus verarmten Kleinbürgern und dem sogenannten Lumpenproletariat zusammensetzten. Die SS und die SA machten sich beim Bürgertum vor allem dadurch beliebt, dass sie dafür bekannt waren mit Versammlungen der sozialdemokratischen und der kommunistischen Partei kurzen Prozess zu machen und auch deren Demonstrationen aufzulösen. Dieser Geldfluss sicherte dem Bürgertum die Zusage von Seiten der Naziführung, ihr Privateigentum unangetastet zu lassen.
Fritz Thyssen, ein deutscher Grossindustrieller, spielte dabei eine zentrale Rolle. In seinem Buch „I paid Hitler“ gab er offen zu, Hitler persönlich eine Million Mark übergeben zu haben. Neben seinen eigenen Mitteln, unterstützte er die Nazis, indem er die Verbindung zur Schwerindustrie herstellte. „Ich habe faktisch die Verbindung zwischen Hitler und allen rheinisch-westfälischen Industriellen hergestellt… als Folge davon sind grosse Beiträge von der Schwerindustrie in die Kassen der nationalsozialistischen Partei gewandert.“ Der Faschismus wurde also vom Bürgertum (übrigens auch Teilen des schweizerischen) entscheidend mit aufgebaut. Doch entscheidend für die Charakterisierung des Faschismus als politische riskantes Instrument der Bourgeoisie ist nicht bloss die Frage der materiellen Unterstützung durch diesen oder jenen Einzelkapitalisten oder diesem oder jenem Verband. Entscheidend ist seine reale ökonomische und soziale Wirkung und diese spricht eine klare Sprache: physische Zerstörung aller Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, die Senkung der Löhne und Rücknahme aller Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung. Nichts war zu sehen, von „antikapitalistischen“ Losungen der Nazis, wie dem verstaatlichen der Trusts und der Abschaffung des „arbeits- und mühelosen Einkommens“. Es fand eine verstärkte Konzentration des Kapitals statt, gerade auch zum Nachteil des eh schon geschwächten Kleinbürgertums.
Faschismus als Mittel der Konterrevolution
Eine wirtschaftliche Krise allein reicht bei weitem nicht aus an sich aus um eine faschistische Bewegung zu schaffen, welche eine grosse Massenbasis hat. Die extreme Radikalisierung grosser Teile des Kleinbürgertums bedingt einiges mehr. Es ist wichtig den Faschismus vor allem auch als Konterrevolution, also als Produkt einer Revolutionären Situation, zu verstehen. Nämlich als die Bewegung, welche durch die Zunahme des Klassenkampfes und der damit verbundenen Unsicherheit und Instabilität, radikalisiert wird. Der Faschismus ist in gewisser Hinsicht das finale Aufbäumen um „endlich“ für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Geburtsstunde des deutschen Faschismus war die Deutsche Revolution 1918 und die damit verbundenen Ereignisse. Dieser richtete sich in erster Linie gegen die Gefahr einer sozialistischen Revolution. Der Kern der späteren NSDAP bildeten die Schergen, welche die deutsche Revolution in Blut ertränkten hatten. Die Unterstützung der NSDP später durch die Mehrheit der Bürgerlichen beruhte auf der Panik, welche sie vor dem revolutionären Geist der deutschen ArbeiterInnenklasse und ihren mächtigen Organisationen hatten, welche durch die Krise weiter radikalisiert wurden. In anderen Ländern war der Übergang viel unmittelbarer. Beispielsweise folgte in Italien auf die Revolutionäre Bewegungen zwischen 1917 und 1921 die Machtübernahme Mussolinis 1922. Dessen Bewegung entstand aus dem unmittelbaren Kampf gegen die Revolutionäre Bewegung. Das spanische Franco-Regime war die Antwort der reaktionärsten Teile der bürgerlichen Klasse auf die Spanische Revolution. Das heisst nicht, dass faschistische Ideen nur während solchen Perioden existieren, es ist aber der Moment an dem sie zu einer Massenkraft werden können. Im Kern faschistischer Ideen steht immer „Rasse statt Klasse“. Also die Einheit der Kapitalisten, Arbeiter und Kleinbürger einer „Rasse“ oder einer „Nation“ gegen die anderen. Dass dabei die Kapitalistenklasse in letzter Instanz die Führung übernimmt, erstaunt aufgrund ihrer materiellen Ressourcen wenig. Noch weniger erstaunt, dass ein Faschistischer Staat zur Expansion und Krieg neigt, ist es doch die perfekte Ideologie um imperialistische Staaten ihre Kontrahenten offen bekämpfen zu lassen. Die Expansionsinteressen des nationalen Grosskapitals werden zu „Volksinteresse“ erklärt. Die Bewegung des zornigen Kleinbürgers wird zum letzten Sicherheitsnetz für die Kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und an der Macht zur absoluten Diktatur des Grosskapitals.
Was braucht der Faschismus um zu siegen?
Der Aufschwung faschistischer Parteien und Ideologien in mehreren europäischen Ländern sollte uns deshalb nicht allzu sehr erstaunen. Doch besonders wichtig zu sehen ist, dass dies weder Massenparteien sind, welche die herrschende Ordnung angreifen könnten, noch geniessen sie die volle Unterstützung des Grosskapitals. Sie sind wie bellende Bluthunde, doch noch immer sind sie an der Leine. Der Aufstieg der „goldenen Morgenröte“ in Griechenland auf fast 10% Wähleranteil lässt manchen vergessen, dass zur gleichen Zeit das Linksbündnis Syriza auf über 26% der Stimmen kam und dass die griechische ArbeiterInnenklasse sich seit Jahren in einem verzweifelten Kampf gegen die Verschlechterung ihres Lebensstandard befindet und dabei mehrere duzend Generalstreiks durchgeführt hat. Auch steht ein Grossteil der Griechen dem Faschismus nach wie vor extrem feindlich gegenüber. Das heisst nicht, dass die Faschisten keine Gefahr darstellen, sie sind es jetzt schon teilweise schon sehr konkret, jedoch muss dazu noch einiges passieren. Erst wenn ArbeiterInnenbewegung weitere und tiefere Niederlagen erlitten hat, erst wenn sich die Linke als echte Alternative diskreditiert hat, und wahrscheinlich erst wenn die Herrschaft des Grosskapitals wirklich in Gefahr steht, wird der Sieg des Faschismus möglich sein. Wir haben es also in der Hand.
Heute, wie damals, stösst der Kapitalismus an seine Grenzen. Die kapitalistische Wirtschaft kommt seit Jahren nicht richtig aus der Krise und es werden massive Angriffe auf den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse durchgeführt. Doch an diesem Punkt, an welchem es keine Aussichten auf irgendeine Besserung mehr gibt, klammert sich die Sozialdemokratie mit allen Kräften an den bürgerlichen Staat und somit an die herrschenden Verhältnisse. Dies erinnert auf erschreckende Art und Weise an die 1920/30er Jahre und ist eine entscheidende Grundlage für den Sieg des Faschismus. Millionen desillusionierter ArbeiterInnen, welche von ihrer Partei im Stich gelassen wurden, während sich Rechtspopulistische bis wirklich faschistische Partei in vielen Ländern als einzige Alternative zum Status Quo präsentieren. Das enorme 0045rstarken des Faschismus ist in letzter Analyse auf das Versagen der Organisationen ArbeiterInnenbewegung zurückzuführen. Der Kleinbürger ist nicht von Natur aus Faschist, doch zwingen ihn Elend und Alternativlosigkeit in die Arme des Faschismus, welcher in Worten ein radikales Brechen mit den herrschenden Verhältnissen verspricht. Bei der Existenz einer revolutionären Partei mit Massenbasis, deren Politik auf den Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Besitzformen gerichtet ist und dem Kleinbürgertum konkrete Auswege aus ihrer sozialen Not aufzeigt, wird dem Faschismus die soziale Basis entzogen, denn weite Teile des Kleinbürgertums könnten von den vorwärtsstürmenden ArbeiterInnen mitgerissen. Heute ist in Westeuropa die reale Bedrohung des Faschismus für die organisierte ArbeiterInnebewegung (noch) nicht mit der in den 20/30er Jahren zu vergleichen. Der politische Zustand der Klasse ist ganz ein anderer. Dennoch ist der Kampf für eine revolutionäre Partei die zentrale Aufgabe der Klassenbewussten Lohnabhängigen und der sozialistischen Jugend von heute. Denn der Slogan von damals, entspricht der Realität von heute: Sozialismus oder Barbarei.
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
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