Es ist ein hartnäckiges Vorurteil, dass sich MarxistInnen nicht für die Geschlechterfrage interessierten. Doch keine Organisation hat so entschieden und engagiert für die Emanzipation der Frau gekämpft, wie die junge Kommunistische Internationale.
«Die Diktatur des Proletariats kann nur unter dem regen und aktiven Anteil der Frauen der Arbeiterklasse verwirklicht und behauptet werden», verkündet eine Resolution, welche am Gründungskongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) am 6. März 1919 verabschiedet wurde. Das war keine leere Phrase.
Nur wenige Wochen nach der Oktoberrevolution 1917 proklamierte die junge Sowjetregierung (in der mit Alexandra Kollontai das erste weibliche Regierungsmitglied der Geschichte vertreten war) eine Reihe von Dekreten, welche die Emanzipation der Frauen zum Zweck hatten: Frauen erhielten das passive und aktive Wahlrecht und wurden im Ehe- und Scheidungsrecht den Männern vollkommen gleichgestellt. Als erster Staat der Welt legalisierte Sowjetrussland Abtreibungen und machte sich an den Aufbau eines breiten Netzes an Krippen, Kantinen und Wäschereien, welche die arbeitenden Frauen von der Last der Hausarbeit befreien sollten. Spezielle Frauenabteilungen wurden auf allen Ebenen der Sowjets eingerichtet, welche die Frauen in die Produktion und die Staatsverwaltung integrieren sollten. Dies war ein radikaler Bruch mit der zaristischen Vergangenheit, in denen Frauen als willen- und rechtloser Besitz ihrer Ehemänner betrachtet wurden. Nun betraten die Frauen als aktive Mitgestalterinnen einer sozialistischen Gesellschaft die Bühne der Geschichte.
Die kommunistische Frauenbewegung
Für die junge Komintern war daher klar: Die arbeitenden Frauen zu gewinnen heisst, die unverzichtbare zweite Hälfte des Proletariats zu gewinnen. Die Komintern hielt von Beginn an fest, dass die Emanzipation der Frau nur durch die sozialistische Revolution, also durch den gemeinsamen Kampf der Lohnabhängigen beider Geschlechter, verwirklicht werden könne. Klassenkampf und der Kampf für die Emanzipation der Frau wurden als das gesehen, was sie sind: Zwei Seiten eines Kampfes, nicht zwei getrennte Kämpfe. Damit grenzte sich die Komintern klar von der bürgerlichen Frauenbewegung und dem Feminismus ab.
Die Komintern erkannte aber umgekehrt auch, dass die Einheit der arbeitenden Klasse nur hergestellt werden kann, wenn der energischste Kampf gegen die Unterdrückung der Frau aufgenommen wird. 1920 organisierte die Komintern eine internationale kommunistische Frauenkonferenz und richtete ein internationales Frauensekretariat unter der Leitung der deutschen Kommunistin Clara Zetkin ein. Die Konferenz verabschiedete Richtlinien für die «Methoden und Formen der kommunistischen Arbeit unter den Frauen», welche vom dritten Weltkongress der Komintern 1921 bestätigt wurden. Auf Ansporn des Frauensekretariats wurde zudem eine internationale Kampagne für die Legalisierung der Abtreibung lanciert.
Die Thesen hielten fest, dass auf allen Ebenen der Kommunistischen Internationalen und ihrer Sektionen spezifische Frauenkomissionen eingerichtet werden sollten. Deren Zweck war die Agitation unter den arbeitenden Frauen, ihre Integration in die Partei und den Kampf gegen «chauvinistische Vorurteile der männlichen Arbeiter», wie der dritte Komintern-Kongress von 1921 festhielt. Diese Kommissionen blieben aber unter der politischen Kontrolle der Gesamtpartei. Die Frauenfrage sollte eben nicht in “Sonderkommissionen” ausgelagert werden, sondern umgekehrt als Sache der Gesamtpartei stärker ins Zentrum rücken. Ziel des Kampfs gegen die spezifische Unterdrückung arbeitender Frauen war immer die Einheit der Arbeiterklasse herzustellen, somit den gemeinsamen Klassenkampf von männlichen und weiblichen Lohnabhängigen zu ermöglichen. Gerade die Erfahrung der Russischen Revolution zeigte auf, dass der gemeinsame Kampf das beste Mittel ist, um die jahrhundertealte Unterdrückung der Frau zu bekämpfen.
Die konservative Wende in der Sowjetunion
Für Lenin, Trotzki und alle anderen führenden Bolschewiki war immer klar gewesen, dass der Aufbau des Sozialismus in einem Land allein nicht möglich ist – erst recht nicht in einem ökonomisch und kulturell so rückständigen Land wie Russland. Mit der Niederschlagung der revolutionären Welle in Westeuropa und insbesondere dem Scheitern der deutschen Revolution, blieb Sowjetrussland aber isoliert. Unter diesen ökonomischen und sozialen Bedingungen konnte Sozialismus schliesslich nichts anderes bedeuten als Verwaltung des allgemeinen Mangels.
Dies wirkte sich auch fatal auf die Geschlechterverhältnisse aus: Die öffentlichen Einrichtungen, welche die Frauen von der Reproduktionsarbeit befreien sollten, waren chronisch unterfinanziert und konnten nur einen winzigen Bruchteil der Betreuungsplätze und öffentlichen Mahlzeiten anbieten, welche eigentlich benötigt worden wären. 1927 kamen auf 10 Millionen Kinder gerade mal 150’000 Krippen- und Internatsplätze. Da also die Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit nicht gelang, musste diese wieder in die Familie und die Privathaushalte zurückverlagert werden, und dazu musste die Kleinfamilie als soziale Einheit wieder rechtlich, politisch und ideologisch gefestigt werden.
Unter dem bereits relativ stabilisierten Regime Stalins wurden deswegen ab Mitte der 20er-Jahre wieder patriarchale Geschlechterrollen und Familienbilder propagiert. Scheidungen wurden wieder erschwert, 1936 schliesslich ganz verboten, ebenso Abtreibungen. Diese Entwicklung wurde durch einen grotesken Mutterkult in der stalinistischen Propaganda untermauert – etwa mit der Einführung von «Mutterschaftsorden» für Frauen mit mehr als vier Kindern. Unter dem zunehmenden Einfluss der Sowjetbürokratie übertrug sich diese Politik auch immer mehr auf die Komintern.
Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau
Diese Politik unterschied sich diametral von der Politik der Bolschewiki und der jungen Komintern. In keinem anderen Staat war die Emanzipation der Frauen jemals so weit verwirklicht worden, wie im frühen Sowjetrussland. Die ersten vier Kongresse der Komintern und die lebendigen Frauenkonferenzen zeigen zudem auf, dass revolutionäre sozialistische Politik und die Emanzipation der Frau organisch zusammengehören. Die Geschlechterfrage ist eine Klassenfrage und umgekehrt. Alle Werkzeuge, welche wir für den Kampf gegen die Unterdrückung der Frau brauchen, sind im revolutionären Marxismus enthalten. Wie die Komintern sagen wir auch heute: Es braucht keine feministische Bewegung neben der ArbeiterInnenbewegung, sondern was es braucht, ist eine revolutionäre marxistische Internationale. Alexandra Kollontai hatte hundertmal recht mit ihrem Slogan: «Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau»!
Julian Scherler
JUSO Stadt Bern
Bilder: Klasse gegen Klasse, Fightback Canada, Communist Party of India.
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