Die 800 SpanienkämpferInnen aus der Schweiz sind historisch wichtig für die hiesige ArbeiterInnenbewegung (siehe der Funke 53/2016). Der Historiker Peter Huber hat viel soziobiografische Forschung dazu betrieben und mehrere Bücher publiziert. Wir haben mit ihm gesprochen und ausser der Thematik der Kriegsfreiwilligen auch eine interessante Sichtweisen auf den Stalinismus und die Moskauer Prozesse erfahren.
Der Funke: Woher kam dein Interesse am Spanischen Bürgerkrieg und wann hast begonnen Material zu sammeln?
Peter Huber: Der Spanische Bürgerkrieg war in de 70er/80er-Jahren ein Klassiker für alle StudentInnen, die irgendwie links waren. Angefangen habe ich auch mit Interviews mit Ehemaligen. Man fragte sie aus: Warum seid ihr gegangen und was habt ihr erlebt? 1992 gingen in Moskau die Archive auf und man hörte, dass das alte Brigadenarchiv in Moskau sei: Man hatte gedacht, es wäre verloren. Es gibt Auskunft über Herkunft, politische Organisation, etc. So konnte man eine Sozialgeschichte der Brigadisten aller Länder schreiben.
Du hast sehr umfangreich die Biografien der 800 Freiwilligen nachgezeichnet. Was waren ihre Gemeinsamkeiten?
Zuerst: Es gab nicht einen Weg nach Spanien, eher drei. Die ersten waren jene, die im Juli 1936 nach Barcelona gingen um an der ArbeiterInnenolympiade teilzunehmen. Sie waren zahlenmässig wenige. Es waren SportlerInnen, die mit dem Zug reisten. Die zweiten gingen «spontan» im Sommer 1936, ohne Ermunterung oder finanzielle Unterstützung ihrer jeweiligen Parteien. Das war ein städtisches Phänomen und sie brachen im Juli, August auf eigene Faust ab Zürich, Basel oder Genf auf. Meist waren es Parteikommunisten, die kein Sitzleder hatten, wie Otto Brunner und seine Gruppe. Sie gingen nach Spanien und blieben teilweise in Barcelona. Oder sie zogen mit den trotzkistischen oder anarchistischen Gruppen an die Aragon-Front. Das waren die Milizionäre. Die klassischen Brigadisten, wie sie genannt wurden, gingen ab Spätherbst ’36 bis Anfang ’37 mithilfe ihrer Organisationen, vor allem der Roten Hilfe, nach Spanien. Ihnen wurde eine Freistellung gegeben, das Zugbillet bezahlt und sie wurden in Barcelona empfangen. Sie reisten dann weiter nach Albacete und wurden da in die Brigaden eingeteilt. Das war der grösste Teil.
In der Schweiz wurde man eher verflucht, wenn man sich als Kommunist engagierte und demonstrierte. In Spanien aber wurden sie an den Bahnhöfen als Helden empfangen, noch ohne einen Schuss abgegeben zu haben. Oft wurden sie als Russen betrachtet und bejubelt, da Russland ab Oktober 1936 Spanien mit Waffen unterstütze – aber auch mit technischen Beratern und Ausbildern.
Die Einteilung in Albacete ging meist nach Nationalität und Sprache. Französischsprachige Schweizer kamen zu den Franzosen und deutschsprachige zu den Deutschen. Es gab nur ein Bataillon mit vielen Schweizern unter der Führung von Otto Brunner im «Bataillon Tschapajew». Das war eine Ausnahme.
Wieso sind so viele Schweizer nach Spanien gegangen?
Es war verhältnismässig leicht auszureisen, es war nicht allzu weit. Der Weg war also leicht. Als Arbeiter hatte man auch kaum etwas zu verlieren. Man war jung und ungebunden. Das trifft auch auf andere Länder zu, aber in der Schweiz fühlte man sich nicht heimisch als KommunistIn. Man wurde als Aussenseiter betrachtet und hoffte in Spanien eine bessere Stellung zu haben. Viele wollten mithelfen, etwas aufzubauen, was es in der Schweiz nicht gab. In einem neuen Land sollte man einen Platz finden, an dem es besser wäre.
Gibt es Gemeinsamkeiten, die dich überrascht haben?
Es gab ein politisches Bewusstsein, aber vor allem mussten viele in der Schweiz eine prekäre Situation durchstehen. Die meisten hatten nur Gelegenheitsjobs, beispielsweise auf einem Schiff oder bei einer Seilbahn, die nur saisonal betrieben wurde. Sie waren beruflich nicht abgesichert und deshalb gingen sie auch leichter. Die meisten Kommunisten waren eher Randgestalten und nicht gut in die Gesellschaft integriert. Die gut ausgebildeten und gewerkschaftlich organisierten Arbeiter in den grossen Betriebe waren hauptsächlich in der SP organisiert. Die Kommunisten waren eher Bauarbeiter ohne gute Ausbildung und damit Randfiguren. Sie waren also auch eher bereit den Job an den Nagel zu hängen und nach Spanien zu ziehen. Die Sozialisten, die seit fünf Jahren in der Maschinenfabrik Oerlikon arbeiteten und vielleicht schon Familien hatten, haben es sich meist nochmals überlegt.
Inwiefern war der Umgang mit SpanienkämpferInnen speziell?
In der Schweiz gab es seit 1927 ein revidiertes Militärstrafgesetz, das in einer Volksabstimmung angenommen worden war. Dieses untersagt den fremden Kriegsdienst. Auch wenn das Verbot bereits bestand: Ab jetzt wurde systematischer durchgegriffen, verfolgt und Strafen angedroht. Richtige Prozesse gab es erst ab 1928, gegen Schweizer, die in die französische Fremdenlegion und dann ab 1936 nach Spanien gingen.
Die Strafen waren meist geringfügig: zwei oder drei Monate. Natürlich ist das viel und man war vorbestraft danach, aber es waren kleine Strafen. Es gab dann zusätzlich noch zwei Bundesratsbeschlüsse, die explizit verboten, nach Spanien zu gehen oder von hier Geld und Ausrüstung für den Abwehrkampf in Spanien zu senden. Diese Beschlüsse wurden von den Linken, den Sozialisten und Kommunisten, als Eingriffe in die Meinungsfreiheit betrachtet, und das zurecht. Man konnte in der Schweiz keine Solidaritätsarbeit mehr machen. Beispielsweise haben Frauengruppen in Zürich und Basel Handschuhe gestrickt. Sie durften nur Fausthandschuhe – ohne Finger – herstellen, damit man damit keine Gewehre abfeuern konnte. Die Solidarität wurde gehindert und alles was dem bewaffneten Kampf diente, wurde durch die beiden Bundesratsbeschlüsse eingeschränkt.
Gab es da Unterschiede bei der Behandlung von ehemaligen Fremdenlegionären und Spanienkämpfern?
Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkrieges gab es eine Diskussion, wie man nun mit den Spanienkämpfern umgehen sollte. Eine Seite argumentierte, sie hätten Pulverdampf geschnuppert und das müsse man sich für die Landesverteidigung gegen den Norden zunutze machen. Aber das war eine Minderheit, die so dachte. Offiziere wie der berüchtigte Eugen Bircher, der rechtsextreme Ansichten hatte und mit den Deutschen an die Ostfront ging, haben an Veranstaltungen solche Bemerkungen fallen lassen. Sie dachten an Otto Brunner und andere, die eine gute militärische Ausbildung hatten. Aber das waren Minderheiten. Es überwog die Haltung, die Spanienkämpfer seien gefährlich Rote. Sie würden eher eine Gefahr für die Schweiz darstellen, als etwas anderes.
Aber bei Fremdenlegionären gab es diese Praxis oder?
Ja, es gab zum Beispiel den berühmten Fall Albert von Tscharner. Er nahm an am Ersten Weltkrieg teil, in der französischen Fremdenlegion und hat sich danach dem Bundesrat zur Verfügung gestellt. Er wurde sogar in den Ausbildungsdienst aufgenommen. Aus den Fremdelegionären pickte sich die Armeeführung einige heraus und setzte sie ein, wenn sie eine hohe Stellung hatten. Von Tscharner wurde dann von General Guisan in den Armeestab aufgenommen und als Ausbildner, Ideengeber, etc. genutzt.
Wie sah die Argumentation der offiziellen Schweiz aus, dass die Spanienkämpfer verfolgt wurden?
Man sagte, jeder der nach Spanien geht, ist ein Mann weniger, der die Schweiz vereidigen kann. Fehlende Manneskraft. Zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges konnte aber man sicher nicht sagen, dass jemand der wegzieht, die Schweiz schwäche. Im Gegenteil: Jemand der in Spanien, gegen den Faschismus gekämpft hat, hat einen Beitrag geleistet, dass die Schweiz frei bleiben konnte. Der Gegner wurde indirekt geschwächt. Das haben die Brigadisten auch immer wieder vor Gericht gesagt. Wenn sie beschuldigt wurden, die Schweiz geschwächt zu haben, sagten sie, sie wollten einen Beitrag leisten für die Schweiz, indem sie in Spanien dem Faschismus entgegengetreten sind.
Wie ist die Rolle des Stalinismus in Spanien zu werten?
Die Sowjetunion konnte sich ein enormes Prestige aufbauen, indem sie sich als einzige europäische Macht an die Seite der Republik gestellt hat. Das war zur Zeit als in der Sowjetunion die grössten Verbrechen passierten. Der Bürgerkrieg ging von 1936 – 39. In Russland war gleichzeitig die schwärzeste Periode der Repression am Werk. Zu genau dieser Zeit gewinnt die Sowjetunion an Sympathie in der Arbeiterschaft. Hinter dem Einsatz für die Spanische Republik konnte Stalins Clique tragischerweise ihre Verbrechen verstecken . Die Arbeiter in der Schweiz waren hin- und hergerissen und konnten kaum glauben, dass derselbe Stalin Waffenlieferungen nach Spanien schickte und im eigenen Land Massenmorde anordnete. Man dachte, wenn man Stalin kritisiere, schwäche man damit die Spanische Front. Das waren die Überlegungen, die tragisch sind. Jeder Brigadist der die Sowjetunion kritisierte, der beispielsweise Asyl für Trotzki forderte, war ein Verräter der Spanischen Demokratie. So haben die Führer der kommunistischen Partei in Spanien argumentiert. Beides zu tun war schwierig.
Was kannst du uns über die russischen Geheimdienste in Spanien erzählen?
Die russischen Geheimdienste haben nicht so stark in die Brigaden hineingewirkt wie in die Republik. Sie hatten aber Kanäle (Servicio de Información Militar, SIM) des militärischen Aufklärungsdienstes. In Spanien wurde dieser SIM vom NKWD (russischer Geheimdienst) aufgebaut und unterstützt. In der Brigade selbst gab es auch einige, die herausfinden sollten, ob es Gruppen gab, die Brigaden schwächen wollten. Die sahen natürlich Gespenster. Personen wurden als Zersetzer dargestellt, wenn gesagt wurde, Stalin sei kein Demokrat. Kleinere Angriffe gegen die Sowjetunion wurden mit moralische Zersetzungsarbeit gleichgesetzt. Der eigentliche russische Geheimdienst wirkte in Spanien eher ausserhalb der Brigaden. Er versuchte Linkssozialisten und Trotzkisten einzuschränken, zu beschatten und teils umzubringen.
Welche Rolle spielten Frauen unter den Spanienfreiwilligen?
In den ersten Monaten waren sie präsenter als später. Gewisse Sportlerinnen an der ArbeiterInnenolympiade waren Deutsche, Französinnen und Schweizerinnen, die teils an die Aragon-Front gingen. Sie haben zu Beginn noch mit der Waffe in der Hand gekämpft. Aber es waren Ausnahmeerscheinungen. Frauen wurden dann Ende 1936 von der Front abgezogen und durften nur noch im Sanitätsdienst aktiv sein. Anfangs 1937 wurde das systematisch durchgesetzt und die Frauen waren nur noch hinter der Front oder gingen nach Hause. Hinter diesem Beschluss stand der Gedanke, Frauen wären eher zugänglich für Spionage. Ihnen wurde angelastet, durch ihre Wirkung auf die Männer zersetzend zu wirken und zu Konkurrenz zu führen.
Im Ersten Weltkrieg gab es einige berühmte Beispiele von Frauen, die Offiziere ausspioniert hatten und dem Feind dann Information meldeten. Aber in Spanien gibt es keinerlei Beweise dafür. Das wurde an den Haaren herbeigezogen.
Wie sollten die Spanienkämpfer bewertet werden? War es richtig was sie getan haben?
Man sagt, dass die Brigadisten wie ein Kanonenfutter waren und überall eingesetzt wurden, wo es am brenzligsten war. Sie waren sehr motiviert und kampfeslustig. Sie haben sicher einen grossen Beitrag geleistet, dass die Republik drei Jahre gehalten hat. Man sagt, im Dezember 36 sei Madrid durch die Brigadisten gerettet worden, was stimmt. Sie haben den Sturmangriff von Franco zurückgeschlagen. Ohne sie wäre Madrid und damit Spanien schon im ersten Winter gefallen. Die Brigadisten haben damit den Fall der Republik hinausgeschoben.
Sie haben also sicher ihren Beitrag zum antifaschistischen Kampf geleistet. Sie standen aber auf verlorenem Boden und haben das auch gemerkt. Ab Sommer 1937 haben viele Brigadisten entgegen den offiziellen Parolen von «Wir werden siegen!» und «¡No pasarán!» gesehen, dass der Kampf aussichtslos war. Viele wurden dann zu Deserteuren, ohne politisch schlechte Absichten zu haben. Sie sagten oft: «Ich kann nicht mehr». Sie hatten auf einen raschen Sieg gehofft und wollten dann wieder nach Hause oder sich in Spanien eine Arbeit suchen. Diese Hoffnung zerbrach und viele desertierten währen dem Fronturlaub.
Michael Wepf
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