Der wissenschaftliche Sozialismus steht auf drei Säulen: dem dialektischen Materialismus, dem historischen Materialismus und der marxistischen Ökonomie. Dieser Text gibt einen Einblick in die Methode des Marxismus, den dialektischen Materialismus. Von Rob Sewell.
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Für all jene, die sich noch nicht näher mit marxistischer Philosophie auseinandergesetzt haben, erscheint sie zuerst als ein schwieriges und obskures Konzept. Jene jedoch, die sich genauer mit dieser neuen Art die Welt zu sehen befassen, werden mit einem revolutionären Blick auf die scheinbaren Mysterien dieser Welt belohnt. Sie verschafft uns einen Einblick in die Welt in all ihrer Komplexität. Der dialektische Materialismus ist ein zentraler Bestandteil des Marxismus. Losgelöst von der Methode verkommt der Marxismus zu einer hohlen Doktrin. Der dialektische Materialismus ist das philosophische Fundament, die Methode, auf die der Marxismus aufbaut.
Laut Friedrich Engels ist die Dialektik „unser bestes Arbeitsmittel und unsere schärfste Waffe“. Und auch für uns ist sie die Grundlage für unsere politische Aktivität in der Arbeiterbewegung. Sie ist wie ein Kompass, der es uns ermöglicht, selbst in unruhigen Zeiten die richtige Orientierung beizubehalten und uns eine Einsicht in die der Welt zugrundeliegenden Prozesse ermöglicht.
Ob wir es wollen oder nicht, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, jeder Mensch hat eine Philosophie. Eine Philosophie ist im Grunde genommen nicht viel mehr als ein Weg, die Welt zu sehen. Wenn wir keine eigene wissenschaftliche Philosophie haben, dann übernehmen wir unweigerlich die Philosophie der herrschenden Klasse und die Vorurteile der Gesellschaft, in der wir leben. Sätze wie „Da wird sich nie was ändern“ gehören zum alltäglichen Sprachgebrauch. Sie spiegeln die Anschauung wider, dass es unmöglich ist, die Dinge zu verändern, und dass das Leben mit all seinen Problemen akzeptiert werden muss. Es gibt noch etlicher solcher Phrasen, wie „es gibt nichts Neues unter der Sonne“ und „die Geschichte wiederholt sich“, die dieselbe konservative Auffassung widerspiegeln. Marx erklärte, dass solche Ideen einen schweren Ballast für das menschliche Bewusstsein darstellen.
Genauso wie das aufstrebende Bürgertum im Zuge der bürgerlichen Revolution gegen die konservativen Ideen der alten Feudalaristokratie kämpfte, muss die Arbeiterklasse in ihrem Kampf für eine neue Gesellschaft die vorherrschenden Ideen ihrer eigenen Unterdrücker, der Kapitalistenklasse, herausfordern. Die herrschende Klasse verfügt mit den Massenmedien, dem Bildungswesen und den Kirchen über wichtige Werkzeuge zur Verbreitung ihrer Ideologien und zur Rechtfertigung ihres auf Ausbeutung basierenden Systems als „die natürlichste Gesellschaftsordnung“. Der staatliche Repressionsapparat mit Polizei und Militär allein reicht nicht aus, um das Fortbestehen des kapitalistischen Systems zu garantieren. Die herrschenden Moralvorstellungen und Ideen stellen ein unverzichtbares Mittel zur Verteidigung der materiellen Interessen der herrschenden Klasse dar. Ohne seine mächtige Ideologie könnte sich das kapitalistische System keinen Tag länger am Leben halten.
„Jedenfalls ist es Tatsache“, erklärte Lenin, „dass die gesamte offizielle und liberale Wissenschaft die Lohnsklaverei verteidigt, während der Marxismus dieser Sklaverei einen schonungslosen Kampf angesagt hat. In einer Gesellschaft der Lohnsklaverei eine unparteiische Wissenschaft zu erwarten wäre eine ebenso törichte Naivität, wie etwa von den Fabrikanten Unparteilichkeit in der Frage zu erwarten, ob man nicht den Arbeitern den Lohn erhöhen sollte, indem man den Profit des Kapitals kürzt.“ (W.I. Lenin, Drei Quellen, LGW Bd.19, S.3)
Die bürgerliche Ideologie führt einen unerbittlichen Kampf gegen den Marxismus, weil sie in ihm völlig zu Recht eine tödliche Gefahr für den Kapitalismus sieht. Bürgerliche ProfessorInnen und WissenschafterInnen versuchen mit ihrer Propaganda den Marxismus zu diskreditieren, insbesondere die dialektische Methode. Der Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 gab ihnen enormen Auftrieb. Gestärkt durch dieses Ereignis begann eine unvorstellbare ideologische Offensive gegen den Marxismus, Kommunismus, Revolution und so weiter. Gebetsmühlenartig wurde erklärt, der Marxismus sei tot. Der Marxismus wurde dadurch aber nicht zu Grabe getragen. Der Marxismus drückt das unbewusste Interesse der Arbeiterklasse, die Gesellschaft zu verändern, aus. Solange das Proletariat den Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung führt, solange wird auch der Marxismus lebendig sein.
Die ProphetInnen des Kapitalismus, gemeinsam mit ihren Verbündeten in der Arbeiterbewegung, werden nicht müde zu erklären, dass dieses System eine natürliche und dauerhafte Form der Gesellschaft wäre. Jedoch zeigt uns die Dialektik, dass nichts ewig besteht, und alle Dinge mit der Zeit verändert werden. Eine solch revolutionäre Weltanschauung ist ein Sprengsatz für die kapitalistische Welt und muss unter allen Umständen und mit allen Mitteln bekämpft werden. Dies erklärt die tägliche Hexenjagd gegen den Marxismus. Aber jeder wirkliche Schritt vorwärts, in der Wissenschaft und im Wissen selbst, schafft uns Beweise für die Richtigkeit der Dialektik. Die Notwendigkeit des Marxismus demonstriert sich zunehmend für Millionen von Menschen anhand der Krise des Kapitalismus. Die objektive Situation zwingt arbeitende Menschen, einen Ausweg aus der Misere zu finden. „Das Leben lehrt uns“, wie Lenin bemerkte. Um die berühmten Zeilen aus dem Kommunistischen Manifest zu verwenden: „Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus.“
Im Kampf für die Befreiung der Arbeiterklasse führt der Marxismus einen entschlossenen Kampf gegen den Kapitalismus und seine Ideologien, welche die Ausbeutungsverhältnisse, „die freie Marktwirtschaft“ verteidigen und rechtfertigen. Aber der Marxismus vollbringt mehr als das. Er gibt der Arbeiterklasse „eine in sich zusammenhängende Weltanschauung, die sich mit keinerlei Aberglauben, keinerlei Reaktion, keinerlei Verteidigung bürgerlicher Knechtung vereinbaren lässt“ (Lenin). Er legt die wahren Beziehungen, die innerhalb des kapitalistischen Systems existieren, offen, und er stattet uns mit dem Verständnis, wie wir unsere Befreiung erreichen können, aus. Der dialektische Materialismus ist, um es mit den Worten des russischen Marxisten Plekhanov zu sagen, ist mehr als nur eine Weltanschauung, er ist die „Philosophie der Tat“.
Menschen versuchen auf rationelle Art zu denken. Die Logik (Logos, griechisches Wort für Vernunft und Wort) ist die Wissenschaft von den Gesetzen des Denkens. Welche Gedanken wir auch immer haben, und in welcher Sprache diese auch ausgedrückt sind, sie müssen die Erfordernisse des Verstands befriedigen. Diese Erfordernisse führten zu Gesetzen des Denkens, und damit zu Prinzipien der Logik. Es war der griechische Philosoph Aristoteles (384-322 vor Christi), der vor mehr als 2000 Jahren das heutige System der formalen Logik formulierte. Ein System, welches noch heute das Fundament unserer Bildung darstellt.
Aristoteles traf eine Einteilung (Kategorisierung) betreffend die Methode, wie Aussagen kombiniert werden sollen, um zu Urteilen zu kommen, und wie aus diesen Schlüsse gezogen werden können. Er legte diesbezüglich drei Grundgesetze der Logik dar: Das Prinzip der Identität (A = A), des Widerspruchs (A kann nicht A sein und gleichzeitig Nicht-A), und des ausgeschlossenen Dritten (A ist entweder A oder Nicht-A, es gibt kein alternatives Zwischending).
Diese Prinzipien der formalen Logik beherrschen das menschliche Denken seit 2000 Jahren und bildeten die Basis für die großen Fortschritte der modernen Wissenschaft. Die Mathematik baut auf der formalen Logik auf. Man kann keinem Kind die Addition erklären, ohne darauf aufzubauen. 1+1 = 2, und nicht 3. Die formale Logik scheint wie der natürliche Hausverstand, und beweist sich uns jeden Tag unzählige Male. Aber, und das ist der zentrale Punkt, sie hat ihre Grenzen. Wenn wir uns mit lebendigen Prozessen oder komplexen Ereignissen beschäftigen, wird die formale Logik ein vollkommen nutzloses Werkzeug des Denkens. Besonders wenn wir uns mit Bewegungen, Veränderungen und Widersprüchen auseinandersetzen. Die formale Logik betrachtet Dinge als fix und bewegungslos. Natürlich mindert dies nicht die Nützlichkeit der formalen Logik im Zusammenhang mit tagtäglichen Problemen und Phänomenen. Trotzdem ist es aber notwendig ihre Grenzen aufzuzeigen.
„Die Dialektik ist weder eine Erfindung noch Mystizismus“, schrieb Leo Trotzki, „sondern eine Wissenschaft unserer Denkformen, insofern als sie sich nicht auf die Probleme des täglichen Lebens beschränkt, sondern versucht, die komplizierteren und umfangreicheren Prozesse zu verstehen. Die Dialektik und die formale Logik stehen in einem ähnlichen Verhältnis zueinander wie die höhere und die elementare Mathematik.“ (L. Trotzki, Eine kleinbürgerliche Opposition in der Socialist Workers Party, in: L. Trotzki, Verteidigung des Marxismus, 2006, S.59)
Mit der Entwicklung der modernen Wissenschaft – das System der Klassifikation der Arten (auf Grundlage von Linné) basierte auf der formalen Logik – wurden alle Lebewesen in Arten und Unterarten eingeteilt. Dies war im Vergleich zur Vergangenheit für die Biologie ein großer Schritt vorwärts. Jedoch war dies ein sehr starres System, dessen Kategorien mit der Zeit an ihre Grenzen stießen. Darwin brachte den Beweis für die Möglichkeit, dass sich eine Spezies in eine andere entwickelte. Konsequenterweise musste das System der Klassifizierung aufgrund der neuen Erkenntnisse verändert werden, um ein neues Verständnis der Realität zu erlauben.
Im Endeffekt brach das System der formalen Logik zusammen. Es konnte nicht mit den Widersprüchen umgehen. Die Dialektik, die Logik der Veränderung, zeigt uns, dass es so etwas wie fixe und absolute Kategorien, sowohl in der Natur als auch in der Gesellschaft, nicht gibt.
Es machte Engels großen Spaß, auf das Schnabeltier hinzuweisen und zu zeigen, dass diese zoologische Übergangsform jedes rigide Schema sprengt. (Das Schnabeltier legt Eier, ist aber gleichzeitig ein Säugetier, hat Flossen und einen Schnabel, usw.)
Nur der dialektische Materialismus kann die Gesetze der Evolution und der Veränderung erklären. Er zeigt uns die Welt nicht als eine Aneinanderreihung gegebener, fixer und fertiger Dinge, sondern vielmehr als einen Komplex von Prozessen, die einem unaufhörlichen Wandel unterliegen. Hegel verglich die formale Logik mit einem Kinderspiel, das Bilder aus Puzzleteilen macht. Trotzki schrieb: „Der grundlegende Fehler des üblichen Denkens liegt darin, dass es sich mit bewegungslosen Eindrücken der Wirklichkeit, die aus ewiger Bewegung gebildet wird, zufrieden gibt“. Bevor wir uns nun mit den grundlegenden Gesetzen der Dialektik beschäftigen, versuchen wir, die Ursprünge der materialistischen Auffassung darzustellen.
„Die Philosophie des Marxismus ist der Materialismus“, schrieb Lenin. Die Philosophie selbst kann im Prinzip in zwei große ideologische Kategorien unterteilt werden: Den Materialismus und den Idealismus. Bevor wir fortfahren, sollten wir auf diese beiden Ausdrücke näher eingehen. Materialismus und Idealismus haben in philosophischer Hinsicht nichts mit ihrer im Alltagsgebrauch verwendeten Bedeutungen zu tun. In der Alltagssprache wird Materialismus mit Raffgier (also der Moral des heutigen Kapitalismus) gleichgesetzt und Idealismus mit besonders hohen Idealen und Tugend.
In der Philosophie geht der Materialismus von der Auffassung aus, dass es nur eine materielle Welt gibt. Es gibt weder Himmel noch Hölle. Das Universum existierte schon immer und ist keine Schöpfung eines übernatürlichen Wesens, es ist vielmehr einem ständigen Prozess der Bewegung und Veränderung ausgesetzt. Der Mensch ist ein Teil der Natur und entwickelte sich aus niederen Lebensformen, deren Vorfahren sich vor einigen Milliarden Jahren auf einem zuvor leblosen Planeten entstanden. Mit der Entwicklung des Lebens formten sich auf einer gewissen Stufe Tiere mit Nervensystem und später menschliche Wesen mit Großhirn. Mit dem Menschen entstanden auch menschliches Denken und Bewusstsein. Nur das menschliche Gehirn ist fähig, allgemeine Ideen hervorzubringen, d.h. zu denken. Daher existiert die Materie, die schon ewig besteht, unabhängig vom Denken und unabhängig vom Menschen. Dinge existierten schon lange bevor das Bewusstsein über sie entstand, oder das Bewusstsein über sie als Bestandteil von lebenden Organismen sich überhaupt entwickelten konnte.
Für MaterialistInnen gibt es kein Bewusstsein außerhalb des lebenden Gehirns, das wiederum nur Teil des materiellen Körpers ist. Einen Verstand ohne Körper anzunehmen ist absurd. Materie ist also kein Produkt des Verstandes, sondern genau das Gegenteil ist der Fall: Der Verstand ist das höchste Produkt der Materie. Die Idee reflektiert nur die von uns unabhängige materielle Welt um uns herum. Gegenstände, die sich in einem Spiegel widerspiegeln, brauchen diese Widerspiegelung nicht für ihre Existenz. Engels erklärte dies so: „Alle Ideen kommen aus Erfahrungen. Sie sind Reflexionen der Realität“. Oder um es mit den Worten von Karl Marx auszudrücken: „Das Bewusstsein kann nie etwas Andres sein als das bewusste Sein.“ (K. Marx, Die deutsche Ideologie, MEW Bd.3, S.26)
MarxistInnen bestreiten nicht, dass der Verstand, das Bewusstsein, der Wille oder Gefühle echt sind. Was MaterialistInnen bestreiten ist, dass der Verstand, oder das Bewusstsein unabhängig vom Körper existiert. Das Denken ist das Produkt des Gehirns, welches das Organ des Gedankens ist. Das heißt wiederum nicht, dass das Bewusstsein eine leblose Widerspiegelung der Natur ist. Der Mensch ist verbunden mit seiner Umwelt. Er ist sich seiner Umgebung bewusst und reagiert auf sie, und die Umgebung wirkt wiederum auf ihn zurück. Eingebettet in die materielle Basis, haben die Menschen die Fähigkeit zur Verallgemeinerung und zu kreativem Denken. Als Resultat können sie dadurch ihre materielle Umgebung selbst verändern.
Im Gegensatz dazu geht der Idealismus davon aus, dass die materielle Welt nicht real ist, sondern eine Widerspiegelung der Welt der Ideen. Es gibt verschiedenste Formen des Idealismus, aber alle teilen sie letztlich ein Prinzip: die Idee ist der Ausgangspunkt und die Materie, falls sie überhaupt existiert, ist nebensächlich. Die IdealistInnen betrachten die Idee losgelöst und unabhängig von der Materie, von der Natur. Genau das ist Hegels Konzept von der absoluten Idee, die letztlich eine Vorstellung eines Gottes ist. Der philosophische Idealismus öffnet auf die eine oder andere Art Tür und Tor für Religion und Aberglaube. Die idealistische Weltanschauung ist nicht nur falsch, sie ist darüber hinaus extrem konservativ, die uns zum pessimistischen Schluss führt, dass wir die „Mysterien der Welt“ niemals verstehen können. Dagegen zeigt der Materialismus, dass wir die Welt nicht nur verstehen können, sondern auch fähig sind, sie zu verändern, und, indem wir dies tun, uns selbst verändern.
Die idealistische Sichtweise der Welt wuchs geschichtlich aus der Teilung der Arbeit in körperliche und geistige Arbeit. Dieser Schritt bedeutete einen riesigen Fortschritt, da er einem Teil der Gesellschaft die Möglichkeit gab, sich von der körperlichen Arbeit zu befreien, um mit dieser Zeit die Wissenschaft und Technologie weiterzuentwickeln. Je mehr sich jedoch diese Individuen von der körperlichen Arbeit distanzierten, umso abstrakter werden ihre Ideen. Wenn DenkerInnen ihre Ideen von der realen Welt loskoppeln kommen sie in den Sog des abstrakten, „reinen Denkens“ und enden in den unglaublichsten Phantasien. Heutzutage wird beispielsweise die Astronomie von einer sehr abstrakten und komplexen Mathematik beherrscht. Die Folge ist eine unglaubliche Masse an seltsamen, wundersamen und falschen Theorien: die Theorie des Urknalls, die Theorie des Beginns der Zeit, die Theorie der Paralleluniversen, etc. Jeder Bruch mit der Praxis führt zu einseitigem Idealismus. (Anm.: Das Problem ist nicht die Verwendung der „abstrakten und komplexen Mathematik” an sich. Das Problem entsteht, wenn die „abstrakte und komplexe Mathematik” der Realität aufgepfropft oder sogar als Erzeugerin der Wirklichkeit aufgefasst wird, anstatt dass sie dazu verwendet wird, um die tatsächlichen Tendenzen der Realität zu beschreiben.)
Die materialistische Auffassung hat eine lange Geschichte, die bis zu Anaxagoras (ca. 500–428 v. Chr.) und Demokrit (ca. 460–ca. 370 v. Chr.) zurückreicht. Mit dem Zusammenbruch des antiken Griechenland verschwand diese rationale Weltanschauung für eine ganze historische Epoche von der Oberfläche. Erst mit dem Wiedererwachen des Denkens nach dem Niedergang christlichen Mittelalters konnte eine neue Ära der Philosophie und der Naturwissenschaft eingeläutet werden. Im 17. Jahrhundert wurde der moderne Materialismus in England geboren. „Der wahre Gründer des englischen Materialismus war Bacon“, schrieb Marx. Auf Francis Bacon (1561–1626) folgte Thomas Hobbes (1588–1679), dessen Ideen wiederum durch John Locke (1632-1704) weiterentwickelt wurden. Letzterer dachte bereits, dass es möglich wäre, dass Materie die Fähigkeit zum Denken hätte. Es ist kein Zufall, dass diese Fortschritte im menschlichen Denken Hand in Hand mit dem Aufstieg des Bürgertums und großen Fortschritten in der Wissenschaft, speziell der Mechanik, der Astronomie und der Medizin gingen. Diese großen Denker bereiteten sozusagen den Boden für den Durchbruch der brillanten Schule der französischen Materialisten im 18. Jahrhundert. Deren wichtigster Vertreter war Rene Descartes (1596-1650).
Ihr Materialismus und Rationalismus wurden die Leitgedanken der großen französischen Revolution 1789. Diese revolutionären Denker erkannten keine externe (übernatürliche), höhere Macht oder Autorität an. Alles von der Religion bis zur Naturwissenschaft, von der Gesellschaft bis zu politischen Institutionen wurde kritisch durchleuchtet. Die Vernunft wurde zum höchsten Maß für alles erklärt. Diese materialistische Philosophie, die konsequent unter anderem von Holbach (1723–1789) und Helvetius zu neuen Höhen geführt wurde, war eine revolutionäre Philosophie.
„Die Welt, dieser große Inbegriff alles dessen, was ist, zeigt uns allenthalben nichts als Materie und Bewegung“, schrieb Holbach.
„Sie ist eine unendliche, ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen. Aber wir kennen nicht alle diese Ursachen, wir kennen nur diejenigen von ihnen, welche unmittelbar unsere Sinne berühren; andere, die nur durch oftmals sehr entfernte Wirkungen sich uns darstellen, sind uns unbekannt.“ (Holbach, Paul Hendri Thiry, 1871 Wigand Verlag Leipzig, S. 17)
Diese rationale Sichtweise war eine ideologische Widerspiegelung des Kampfes des philosophischen Kampfes des Bürgertums gegen die Kirche, die Aristokratie und die absolutistische Monarchie. Es war eine schlagkräftige Attacke gegen die Ideologie der alten Ordnung. Schlussendlich wurde aber aus dem „Königreich der Vernunft“ nichts mehr als das idealisierte Königreich des Bürgertums. Eigentum wurde zu einem der wichtigsten Menschenrechte erhoben. Die revolutionären Materialisten bereiteten den Weg für die neuerschaffene bürgerliche Gesellschaft, und mit ihr die Herrschaft der neuen Eigentumsformen. „Andere Zeiten, andere Umstände, andere Philosophien“, erklärte Denis Diderot (1713- 1784).
Der neue Materialismus stellte auf der einen Seite einen revolutionären Fortschritt dar, tendierte allerdings dazu, sehr starr und mechanisch zu sein. Diese Philosophen griffen die Kirche an, verneinten die Unabhängigkeit der Seele und erklärten, dass der Mensch – wie alle anderen Tiere und auch unorganische Körper – aus einem materiellen Körper besteht. Die Auffassung war, dass der menschliche Körper schlicht und einfach komplexer und einem komplizierteren Mechanismus als andere Körper unterworfen war. Nach Diderot sind Menschen „Instrumente, ausgestattet mit Gefühlen und Erinnerungen.“ (in „Entretien entre d’Alembert et Diderot”, eigene Übersetzung).
Für die französischen Materialisten war der Ursprung jedes Wissens – die Entdeckung der objektiven Wahrheit – durch Wirkungen der Natur auf unsere Sinne festgelegt. Die Planeten und die Erde waren fixe Konstanten im Sonnensystem und in der Natur, die selbst unveränderlich war. Sie stellten sich die Welt sozusagen als Uhrwerk vor, wo alles seinen logischen Platz einnimmt, und jede Bewegung einen Anstoß von außen bedarf. Ihre ganze Methode war zwar materialistisch, aber mechanisch und konnte die lebendige Realität der Welt nicht einfangen. Man begriff das Universum nicht als einen Prozess, als sich ständig verändernde Materie. Diese Schwäche führte zu einem falschen Verständnis von einer Gegenüberstellung der materiellen Welt und der Ideenwelt. Und dieser Dualismus öffnete wiederum die Hintertür zum Idealismus.
Andere kamen zu der Auffassung das Universum als ein System zu betrachten, dass weder aus purem Geist noch purer Materie bestand. Spinoza war einer der ersten Philosophen, die solch ein System ausarbeiteten. Während er das Universum als vollkommenes materielles System beschrieb, glaubte er andererseits an die Notwendigkeit eines Gottes.
Die marxistische Auffassung der Welt ist nicht nur materialistisch, sondern auch dialektisch. Für die KritikerInnen erscheint die Dialektik als etwas Mystisches und damit Irrelevantes. Doch dieser Ansatz hat keinerlei Berechtigung. Die Methode der Dialektik hilft uns die reale Welt in ihren Zusammenhängen zu erkennen. Engels schrieb im Anti-Dühring:
„Die Dialektik ist aber weiter nichts als die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengesellschaft und des Denkens.“ (F. Engels, Anti-Dühring, MEW Bd.20, S.131f.) Einfach gesagt: Sie ist die Logik der Bewegung.
Für die meisten Menschen ist es offensichtlich, dass wir nicht in einer statischen Welt leben. Tatsächlich ist die gesamte Natur einer konstanten Veränderung unterworfen. „Die Bewegung ist die Daseinsform der Materie. Nie und nirgends hat es Materie ohne Bewegung gegeben, oder kann es sie geben.“ (F. Engels, Anti-Dühring, MEW Bd.20, S.55) Die Erde rotiert ständig um die eigene Achse, und umkreist in regelmäßigen Abständen die Sonne. Daraus resultieren Tag und Nacht, sowie die verschiedenen Jahreszeiten. Wir werden geboren, wachsen auf und werden älter bis wir schließlich sterben. Alles ist in Bewegung, verändert sich, wächst und entwickelt sich oder vergeht und stirbt ab. Jede Art von Gleichgewicht ist relativ, und hat nur in Bezug auf andere Formen von Bewegung Bedeutung.
„Wenn wir die Natur oder die Menschengeschichte oder unsre geistige Tätigkeit der denkenden Betrachtung unterwerfen, so bietet sich uns zunächst dar das Bild einer unendlichen Verschlingung von Zusammenhängen und Wechselwirkungen, in der nichts bleibt, was, wo und wie es war, sondern alles sich bewegt, sich verändert, wird und vergeht. Wir sehen zunächst also das Gesamtbild, in dem die Einzelheiten noch mehr oder weniger zurücktreten, wir achten mehr auf die Bewegung, die Übergänge, die Zusammenhänge, als auf das, was sich bewegt, übergeht und zusammenhängt. Diese ursprüngliche, naive, aber der Sache nach richtige Anschauung von der Welt ist die der alten griechischen Philosophie und ist zuerst klar ausgesprochen von Heraklit: Alles ist und ist auch nicht, denn alles fließt, ist in steter Veränderung, in stetem Werden und Vergehen begriffen.“ (F. Engels, Anti-Dühring, Bd.20, S.20)
Die antiken Griechen machten viele revolutionäre Entdeckungen und Fortschritte in den Naturwissenschaften. Anaximander fertigte eine Weltkarte und schrieb ein nur fragmentarisch erhaltenes Buch über den Kosmos. Der sogenannte Mechanismus von Antikythera scheint der Überrest einer Art astronomischen Uhr aus dem Jahrhundert vor Christus zu sein. Angesichts des begrenzten Wissens zu jener Zeit war vieles Vorwegnahme und Vermutung. In dieser auf Sklaverei gegründeten Gesellschaftsform konnten diese wissenschaftlich-technische Fortschritte nicht zu einem produktiven Gebrauch führen. Sie wurden schlicht als Spielereien zur Unterhaltung angesehen. Die wahren Fortschritte in den Naturwissenschaften wurden Mitte des 15. Jahrhunderts erreicht. Die neuen Methoden in der Forschung beinhalteten die Einteilung der Natur in individuell darstellbare Teile. Dies erlaubte die Klassifizierung von Objekten und Prozessen. Auf der einen Seite führte dies zu einer großen Anhäufung von Daten, brachte jedoch auch mit sich, dass Objekte isoliert von ihrer lebenden Umgebung betrachtet und erforscht wurden. Die Folge war eine starre, beschränkte und metaphysische Form des Denkens, die zur Säule des Empirismus wurde. „Die Fakten” wurden der über alles stehende Grundsatz. „Nun, was ich will ist, Fakten. Bringen Sie diesen Jungen und Mädchen nichts als Fakten bei. Tatsachen allein sind im Leben gewollt“, bemerkt der von Charles Dickens erfundene Charakter Thomas Gradgrind im Roman „Schwere Zeiten”. Wie Engels erklärte:
„Für den Metaphysiker sind die Dinge und ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, vereinzelte eins nach dem andern und ohne das andre zu betrachtende, feste, starre, ein für alle Mal gegebene Gegenstände der Untersuchung. Er denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen; seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, das ist vom Übel. Für ihn existiert ein Ding entweder, oder es existiert nicht: Ein Ding kann eben so wenig zugleich es selbst und ein andres sein. Positiv und negativ schließen einander absolut aus; Ursache und Wirkung stehen ebenso in starrem Gegensatz zueinander. Diese Denkweise scheint uns auf den ersten Blick deswegen äußerst einleuchtend, weil sie diejenige des so genannten gesunden Menschenverstandes ist. Allein der gesunde Menschenverstand, ein so respektabler Geselle er auch in dem hausbacknen Gebiet seiner vier Wände ist, er lebt ganz wunderbare Abenteuer, sobald er sich in die weite Welt der Forschung wagt; und die metaphysischen Anschauungsweise auf so weiten, je nach der Natur des Gegenstands ausgedehnten Gebieten sie auch berechtigt und sogar notwendig ist, stößt doch jedes Mal früher oder später auch eine Schranke, jenseits welcher sie einseitig, borniert, abstrakt wird und sich in unlösliche Widersprüche verirrt, weil sie über den einzelnen Dingen deren Zusammenhang, über ihrem Sein ihr Werden und Vergehen, über ihrer Ruhe ihre Bewegung vergisst, weil sie vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht.“ (F. Engels, Anti-Dühring, S.20f)
Engels fährt fort mit der Erklärung, dass wir im alltäglichen Leben wissen, ob ein Tier tot ist oder nicht. Bei einer genaueren Betrachtung müssen wir allerdings feststellen, dass dies eine durchaus knifflige und verzwickte Fragestellung ist. Selbst heute noch gibt es heftige Debatten, wann Leben im Mutterbauch eigentlich beginnt. Genauso schwer ist es den Todeszeitpunkt exakt zu bestimmen. Die Physiologie hat bewiesen, dass der Tod nicht ein einzelner Augenblick ist, sondern vielmehr ein längerer Prozess. Um es mit den Worten des brillanten griechischen Philosophen Heraklit zu sagen:
„Als dasselbe sind: Lebend und Tot, Wachend und Schlafend, Jung und Alt; denn diese sind umschlagend jene und jene umschlagend diese.“ „Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht.“
Nicht alles ist, wie es auf der Oberfläche erscheint. Jede Spezies, jeder Aspekt des organischen Lebens ist in jedem Moment er selbst und nicht er selbst. Er entwickelt sich in dem er von außen Materie aufnimmt und gleichzeitig andere unnötige Materie absondert; kontinuierlich sterben einige Zellen während andere erneuert werden. Im Laufe der Zeit wird der Körper von Kopf bis Fuß vollkommen transformiert, erneuert. Deshalb gilt, dass jede organische Einheit zugleich sie selbst ist und zugleich ein etwas anderes als sie selbst. Dieses Phänomen kann von dem metaphysischen Denken oder der formalen Logik nicht erklärt werden, weil beide unfähig sind Widersprüche zu erklären. Der sogenannte „gesunde Menschenverstand” oder „Hausverstand”, kann die widersprüchliche Realität außerhalb gewisser Grenzen nicht begreifen. Dementgegen begreift die Dialektik Dinge in ihrem Zusammenhang, in ihrer Entwicklung und in ihrer Bewegung. Engels bemerkte dazu: „Die Natur ist die Probe auf die Dialektik.“ (F. Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW Bd.19, S.205)
Engels beschrieb die mannigfaltigen Prozesse der Veränderung in der „Dialektik der Natur“ auf folgende Weise:
„Es ist ein ewiger Kreislauf, in dem die Materie sich bewegt, ein Kreislauf, der seine Bahn wohl erst in Zeiträumen vollendet, für die unser Erdenjahr kein ausreichender Maßstab mehr ist, ein Kreislauf, in dem die Zeit der höchsten Entwicklung, die Zeit des organischen Lebens und noch mehr die des Lebens selbst- und naturbewusster Wesen ebenso knapp bemessen ist wie der Raum, in dem Leben und Selbstbewusstsein zur Geltung kommen; ein Kreislauf, in dem jede endliche Daseinsweise der Materie, sei sie Sonne oder Dunstnebel, einzelnes Tier oder Tiergattung, chemische Verbindung oder Trennung, gleicherweise vergänglich, und worin nichts ewig ist als die ewig sich verändernde, ewig sich bewegende Materie und die Gesetze, nach denen sie sich bewegt und verändert. Aber wie oft und wie unbarmherzig auch in Zeit und Raum dieser Kreislauf sich vollzieht; wieviel Millionen Sonnen und Erden auch entstehen und vergehen mögen; wie lange es auch dauern mag, bis in einem Sonnensystem nur auf einem Planeten die Bedingungen des organischen Lebens sich herstellen; wie zahllose organische Wesen auch vorhergehen und vorher untergehen müssen, ehe aus ihrer Mitte sich Tiere mit denkfähigem Gehirn entwickeln und für eine kurze Spanne Zeit lebensfähige Bedingungen vorfinden, um dann auch ohne Gnade ausgerottet zu werden – wir haben die Gewissheit, dass die Materie in allen ihren Wandlungen ewig dieselbe bleibt, dass keins ihrer Attribute je verloren gehen kann, und dass sie daher auch mit derselben eisernen Notwendigkeit, womit sie auf der Erde ihre höchste Blüte, den denkenden Geist, wieder ausrotten wird, ihn anderswo und in andrer Zeit wieder erzeugen muss.“ (F. Engels, Dialektik der Natur, Dietz Verlag 1951, S. 27-28)
Neben der französischen Philosophie des 18. Jahrhunderts, und ihr folgend, entwickelte sich eine neue radikale Philosophie in Deutschland. Über Immanuel Kant wurde der Höhepunkt dieses Systems durch Georg F. Hegel verkörpert, einem großen Bewunderer der französischen Revolution. Obwohl Hegel Idealist war, war er einer der wichtigsten Denker seiner Zeit. Der große Verdienst dieses Genies war die Rettung der dialektischen Denkweise, die von den griechischen Philosophen 2000 Jahre zuvor entwickelt wurde.
„Es hat sich aber gezeigt, dass die Veränderungen des Seins überhaupt nicht nur das Übergehen einer Größe in eine andere Größe, sondern Übergang vom Qualitativen in das Quantitative und umgekehrt sind, ein Anderswerden, das ein Abbrechen des Allmählichen und ein qualitativ Anderes gegen das vorherige Dasein ist. Das Wasser wird durch die Erkältung nicht nach und nach hart, so dass es breiartig würde und allmählich bis zur Konsistenz des Eises sich verhärtete, sondern ist auf einmal hart; schon mit der ganzen Temperatur des Eispunktes, wenn es ruhig steht, kann es noch seine ganze Flüssigkeit haben, und eine geringe Erschütterung bringt es in den Zustand der Härte.
„Im Moralischen, insofern es in der Sphäre des Seins betrachtet wird, findet derselbe Übergang des Quantitativen ins Qualitative statt, und verschiedene Qualitäten erscheinen sich auf eine Verschiedenheit der Größe zu gründen. Es ist ein Mehr oder Weniger, wodurch das Maß des Leichtsinnsüberschritten wird und etwas ganz anderes, Verbrechen, hervortritt, wodurch Recht in Unrecht, Tugend in Laster übergeht.” (Hegel, Wissenschaft der Logik, Frankfurt am Main, 1986, S. 440, 441)
Hegels Werke sind voll mit Beispielen und Hinweisen der Dialektik. Unglücklicherweise war Hegel nicht nur Idealist, sondern hatte auch einen besonders unklaren und schwer verständlichen Schreibstil, der seine Werke äußerst schwer lesbar macht. Lenin schrieb, während er Hegels Werke im Exil wieder las:
„Ich bemühe mich im allgemeinen, Hegel materialistisch zu lesen: Hegel ist auf den Kopf gestellter Materialismus (nach Engels) – d.h., ich lasse den lieben Gott, das Absolute, die reine Idee etc. größtenteils beiseite. (LW Bd. 38, Dietz Verlag 1964, S. 94)
Lenin war sehr beeindruckt von Hegel und empfahl, trotz dessen Idealismus, jungen KommunistInnen diese Werke zu studieren. In ihren jungen Jahren waren Marx und Engels Anhänger der Lehren Hegels. Sie lernten viel von diesem Lehrer. Er eröffnete ihnen in Form der Dialektik eine neue Auffassung der Welt. Mit der Heraushebung der Dialektik befreite Hegel die Geschichte von der Metaphysik. Für die Dialektik gibt es nichts Ewiges, Absolutes oder Heiliges. Alles ist seinem Charakter nach nur vorübergehend und vergänglich. Jedoch ist zu bedenken, dass Hegels Wissen beschränkt war. Zum einen durch das limitierte Wissen seiner Zeit und zum anderen aufgrund seines Idealismus. Er betrachtete die Gedanken innerhalb des Gehirns nicht als mehr oder weniger abstrakte Abbilder von realen Dingen oder Prozessen, sondern als die Verwirklichung der „Absoluten Idee“, die ewig existiert. Dadurch stellte sein Idealismus die Realität auf den Kopf. Nichts desto trotz konnte Hegel die bereits erwähnten Gesetze der Bewegung, also die Gesetze der Dialektik, systematisch aufzeigen.
„Es gibt keinen Sprung in der Natur, wird gesagt; und die gewöhnliche Vorstellung, wenn sie ein Entstehen oder Vergehen begreifen soll, meint, wie erinnert, es damit begriffen zu haben, dass sie es als ein allmähliches Hervorheben oder Verschwinden vorstellt…“ „..das Wasser indem es seine Temperatur ändert, wird damit nicht bloß mehr oder weniger warm, sondern geht durch die Zustände der Härte, der tropfbaren Flüssigkeit und der elastischen Flüssigkeit hindurch; diese verschiedenen Zustände treten nicht allmählich ein, sondern eben das bloß allmähliche Fortgehen der Temperaturänderung wird durch diese Punkte mit einem Male unterbrochen und gehemmt, und der Eintritt eines anderen Zustandes ist ein Sprung.“ (Hegel, Wissenschaft der Logik, S. 440)
Dies ist der Knackpunkt, um Veränderung zu verstehen. Veränderung und Entwicklung finden nicht in einer stetigen, graduellen Linie statt. Marx verglich die soziale Revolution mit einem alten Maulwurf, der die Erde, für lange Zeit unsichtbar, fleißig untergräbt, der beharrlich die alte Ordnung unterminiert und dann durch einen plötzlichen Umbruch zum Vorschein kommt. Sogar Charles Darwin glaubte, dass seine Evolutionstheorie einen linearen und graduellen Prozess beschreibe. Er dachte, dass die Lücken in den fossilen Funden keine Brüche oder Sprünge in der Evolution vermuten lassen, sondern durch zukünftige Entdeckungen geschlossen werden können. In diesem Punkt irrte sich Darwin. Heute können wir anhand neuer Theorien, vorwiegend dialektischen, eine Ursache für diese Sprünge nachvollziehen. Stephan J. Gould und Niles Eldredge bezeichnen ihre dialektischen Theorien der Evolution als „unterbrochenes Gleichgewicht“. Sie erklärten, dass es lange Perioden ohne große Veränderungen gab, die plötzlich durch die Entstehung einer neuen Lebensform unterbrochen wurden. Mit anderen Worten: Quantitative Veränderungen legen die Basis für eine qualitative Veränderung, die zur Entstehung einer neuen Lebensform führt. Die gesamte Entwicklung ist geprägt durch Brüche in der Kontinuität, Katastrophen sowie Revolutionen.
Die Entstehung von Einzellern vor rund 3.6 Milliarden Jahren stellte einen qualitativen Sprung in der Evolution der Materie dar. Die „Kambrsche Explosion“ vor 600 Millionen Jahren, in der komplexes mehrzelliges Leben mit harten Teilen entstanden, war ein weiterer qualitativer Sprung vorwärts in der Evolution. Im unteren Paleozoikum, vor 400-500 Millionen Jahren, bildeten sich die ersten Wirbelfische. Diese revolutionäre Entwicklung wurde dominant und entwickelte sich weiter über die Amphibien (die sowohl im Wasser als auch an Land lebten), zu den Reptilien, und schließlich zu den Warmblütern: Vögel und Säugetiere. Solche revolutionären Sprünge mündeten in der Entstehung menschlicher Wesen, mit der Fähigkeit zu denken. Die Evolution ist ein langwieriger Prozess, indem eine Ansammlung von Veränderungen innerhalb und außerhalb der Organismen zu einem Sprung führt, zu einem qualitativ höheren Stadium der Entwicklung. Genau wie der kolossale, unterirdisch Druck, der sich aufstaut und zeitweise in Form von Erdbeben durch die Erdkruste bricht, verändert sich allmählich das Bewusstsein von ArbeiterInnen bis es schließlich in einer Explosion des Klassenkampfes mündet. Der Auslöser eines Streiks kann mitunter eine Kleinigkeit oder Zufälligkeit sein, beispielsweise eine Kaffeepause, aber sie kann der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt, um ein (dialektische) Sprichwort zu bedienen. Dieser vielleicht im Vergleich kleine Grund wird so der Katalysator wodurch Quantität in Qualität umschlägt.
In England können wir heute eine Serie von Wahlsiegen der Linken in der Gewerkschaft sehen, die ein Ausdruck des Aufstauens von Unzufriedenheit der Gewerkschaftsbasis sind. 20 Jahre bitterer Attacken und Niederlagen für die Gewerkschaftsbewegung mündeten in diese Veränderungen an der Spitze der Gewerkschaften. Nur mit marxistischer Philosophie ausgestattete AktivistInnen konnten diese Entwicklung, die Ausdruck der veränderten objektiven Situation ist, vorhersehen. Diese veränderte Stimmung, die sich bereits in der Gewerkschaftsbewegung wiederspiegelt, wird sich zwangsläufig auch in der Labour Party Ausdruck finden, und zu einem Sturz des rechten Flügels um Tony Blair führen. Die Linksradikalen, die am Rande der Arbeiterbewegung ihr Leben fristen, wurden nicht müde die Unveränderlichkeit der Labour Party zu proklamieren. Sie sind unfähig dialektisch zu denken, sie haben eine empiristische und formalistische Auffassung, die ihnen nur einen Blick auf die Oberfläche der Realität erlaubt. Ohne Unterscheidung zwischen augenblicklichen Erscheinungen und der Realität, also zwischen den offensichtlichen Auswirkungen und den verborgenen Prozessen, Zusammenhängen und Gesetzen, die den betrachteten Fakten zu Grunde liegen. Mit anderen Worten: Sie sind blind gegenüber den verborgenen Prozessen, die sich vor ihren Augen abspielen. „Der Blairismus dominiert die Labour Party,“ rufen sie unentwegt. Sie stehen unter dem Einfluss der formalen Logik, und können die Prozesse nicht verstehen, die unaufhaltsam den Blairismus unterwandern, und zwangsläufig zu seinem Zusammenbruch führen, was so sicher ist wie die Nacht dem Tag folgt. Das Gleiche, was sie in der Vergangenheit über die rechten Gewerkschaften schrieben, schreiben sie über die Labour Party heute. Auf der Basis der zukünftigen Ereignisse und unter dem Druck, der sich nach links entwickelten Gewerkschaften, wird sich die Labour Party, durch ihre Verbindungen mit der Gewerkschaftsbewegung, in eine ähnliche Richtung entwickeln.
Marx hob immer hervor, dass es die Aufgabe der Wissenschaft ist, ausgehend von den unmittelbaren Wissen der Erscheinungen zum wahren Wesen der Realität vorzustoßen zu den darrunterliegenden, versteckten Gesetzen. „Das Kapital“ ist ein exzellentes Beispiel für diese Methode.
„Hier wird sich zeigen, woher die Vorstellungsweise von Spießer und Vulgärökonom stammt, nämlich daher, dass in ihrem Hirn sich immer nur die unmittelbare Erscheinungsform der Verhältnisse reflektiert, nicht deren innerer Zusammenhang.”, schrieb Marx an Engels. (27. Juli 1867, Briefwechsel Marx/Engels)
Dasselbe gilt für diejenigen, die in der Vergangenheit die Sowjetunion als Staatskapitalismus abstempelten. Der Stalinismus hatte nichts mit Sozialismus gemeinsam; es handelte sich um ein Unterdrückungsregime, in dem ArbeiterInnen weniger Rechte als im Westen besaßen. Wie auch immer, statt einer wissenschaftlichen Analyse der Sowjetunion, erklärten diese Theoretiker die Sowjetunion einfach zum Staatskapitalismus. Wie Trotzki erklärte betrachteten die Theoretiker des Staatskapitalismus die Sowjetunion durch die Brille der formalen Logik. Sie war entweder-oder, schwarz oder weiß. Die UdSSR war entweder ein wundervoller sozialistischer Staat, wie die StalinistInnen behaupteten, oder sie musste ein (staats-)kapitalistischer Staat sein. Solches Denken ist reiner Formalismus. Sie verstanden nie die Möglichkeit der Degeneration eines Arbeiterstaates zu einer chronisch deformierten Variante der proletarischen Herrschaft, wie sie von Trotzki analysiert wurde. Es ist klar, dass die Revolution, isoliert in einem rückständigen Land, einen Prozess der Degeneration durchmachte. Aber solange die verstaatlichte Planwirtschaft blieb, war nicht alles verloren. Die Bürokratie war keine neue herrschende Klasse, sondern ein parasitäres Geschwür am Staat, das die politische Macht an sich riss. Nur eine neue politische Revolution konnte die Bürokratie beseitigen und Sowjets und Arbeiterdemokratie wiedererrichten.
Die UnterstützerInnen der Theorie des Staatskapitalismus verwickelten sich in Widersinnigkeit, indem sie Konterrevolution mit Revolution verwechselten und umgekehrt. In Afghanistan unterstützten sie die reaktionären fundamentalistischen Taliban als „Freiheitskämpfer gegen den russischen Imperialismus”. Nach dem Kollaps der UdSSR und der Einleitung des Prozesses der Wiederherstellung des Kapitalismus ab 1991 blieben sie im Angesicht der tatsächlichen kapitalistischen Konterrevolution „neutral”.
„Der Widerspruch ist … die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit. (Hegel, in: LW, Bd. 38, Dietz Verlag 1964, S. 129)
„Die Dialektik kann kurz als die Lehre von der Einheit der Gegensätze bestimmt werden. Damit wird der Kern der Dialektik erfasst sein…” (LW, Bd. 38, Dietz Verlag 1964, S. 214)
Die Welt, in der wir leben, ist von der Einheit von Widersprüchen, oder der Einheit von Gegensätzen geprägt: Kälte-Hitze, Licht-Dunkelheit, Kapital-Arbeitskraft, Geburt-Tod, Reichtum-Armut, Positiv-Negativ, Aufschwung-Krise, Oben-Unten, Evolution-Revolution, Zufall-Notwendigkeit, Kauf-Verkauf und so weiter und so fort. Der Fakt, dass zwei Pole widersprüchlicher Antithesen gemeinsam als Ganzes existieren können, gilt dem Hausverstand als Paradoxon. Das Paradoxe ist die Anerkennung, dass zwei widersprüchliche oder gegenteilige Betrachtungen beide wahr sein können. Das ist die gedankliche Widerspiegelung von einer Einheit der Gegensätze in der materiellen Welt.
Bewegung, Raum und Zeit sind nichts anderes als die Erscheinungsform der Materie. Bewegung ist, wie wir bereits erklärt haben, ein Widerspruch: Zugleich an einem als auch an einem anderen Ort zu sein. Es ist eine Einheit der Gegensätze. Um ein Etwas zu verstehen, um das innere Wesen von etwas zu verstehen, ist es notwendig seine inneren Widersprüche herauszufinden. Unter bestimmten Umständen, ist das Allgemeine das Besondere und das Besondere das Allgemeine. Dass sich Dinge in ihr Gegenteil kehren – das die Ursache zur Wirkung wird, und die Wirkung zur Ursache – kommt daher, dass die Dinge lediglich Verbindungsstücke in der endlosen Kette der Entwicklung der Materie sind. „Das Negative ist im gleichen Ausmaß positiv.” bemerkt Hegel. Dialektisches Denken bedeutet „das Begreifen der Antithese in ihrer Einheit.” Hegel geht noch weiter:
„Der Widerspruch ist … die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit. … Es bewegt sich etwas nur, nicht indem es in diesem Jetzt hier ist und in einem anderen Jetzt dort, sondern indem es in einem und demselben Jetzt hier und nicht hier, indem es in diesem Hier zugleich ist und nicht ist. Man muß den alten Dialektikern die Widersprüche zugeben, die sie in der Bewegung aufzeigen, aber daraus folgt nicht, daß darum die Bewegung nicht ist, sondern vielmehr, daß die Bewegung der daseiende Widerspruch selbst ist. (Hegel, in: LW, Bd. 38, Dietz Verlag 1964, S. 129, 130)
Deshalb ist laut Hegel etwas lebendig, wenn es Widersprüche beinhaltet, die es mit einer Selbst-Bewegung ausstatten. Die griechischen Philosophen stellten als erstes die revolutionäre Theorie auf, dass die Welt aus Atomen, als kleinste Teile der Materie aufgebaut ist. Das griechische Wort „Atomos” heißt in etwa unteilbar. Das war eine brillante Vermutung. Die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts bewies, dass alles aus Atomen zusammengesetzt ist, obwohl man heute noch viel kleinere Partikel nachgewiesen hat. Jedes Atom hat einen Kern, zusammengesetzt aus subatomaren Partikeln, nämlich Protonen und Neutronen. Zusätzlich kreisen Elektronen um den Kern. Die Protonen sind positiv geladen, und würden sich gegenseitig abstoßen, aber sie werden durch etwas das wir Kernkraft nennen zusammengehalten. Das beweist, dass alles was existiert auf der Einheit der Gegensätze basiert und eine Selbstbewegung von „Trieb und Tätigkeit“ – wie sie Hegels nannte – in sich trägt.
Beim Menschen ist der Blutzuckerspiegel essentiell fürs Leben. Ein zu hoher Wert führt zum diabetischen Koma, ein zu niedriger verunmöglicht es einer Person, zu essen. Der richtige Wert wird durch die Rate geregelt, in welcher der Zucker durch Verdauung von Kohlenhydraten in die Blutbahn geleitet wird, durch die Rate in der gespeicherter Zucker, Fett oder Eiweiß in Zucker verwandelt werden und durch die Rate, in der Zucker abgebaut und verbraucht wird. Wenn der Blutzuckerspiegel steigt, wird der Verbrauch von Zucker durch eine vermehrte Ausschüttung von Insulin erhöht. Wenn er fällt, wird mehr Zucker ins Blut ausgeschüttet, oder die Person wird hungrig und nimmt zuckerhaltiges Essen zu sich. In dieser Selbstregulierung gegenläufiger Kräfte, positiver und negativer Feedbacks, wird der Blutzuckerspiegel in tolerierbaren Grenzen gehalten. Lenin erklärte den Selbstantrieb, als er schrieb:
„Dialektik ist die Lehre, wie die Gegensätze identisch sein können und es sind (wie sie es werden) – unter welchen Bedingungen sie identisch sind, indem sie sich ineinander verwandeln –, warum der menschliche Verstand diese Gegensätze nicht als tote, erstarrte, sondern als lebendige, bedingte, bewegliche, sich ineinander verwandelnde auffassen soll.“ (W. I. Lenin, Konspekt zu Hegels Wissenschaft der Logik, LW, Bd. 38, S.221)
Lenin schenkte auch dem Widerspruch als treibende Kraft der Entwicklung große Beachtung.
„Dass die Bestrebungen der einen Mitglieder einer gegebenen Gesellschaft den Bestrebungen der anderen zuwiderlaufen, dass das gesellschaftliche Leben voller Widersprüche ist, dass uns die Geschichte den Kampf zwischen Völkern und Gesellschaften wie auch den Kampf innerhalb derselben zeigt, und außerdem noch den Wechsel der Perioden von Revolution und Reaktion, Frieden und Krieg, Stagnation und schnellem Fortschritt und Verfall – das sind allgemein bekannte Tatsachen.“ (Die drei Quellen und Bestandteile des Marxismus, W.I. Lenin, Karl Marx, LW Bd.21, S.46)
Das anschaulichste Beispiel hierfür ist der Klassenkampf. Im Kapitalismus sehen wir zwei einander bekämpfende Klassen: die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse. Der Kampf um den Mehrwert, der von den ArbeiterInnen erzeugt wird und den sich die Kapitalisten aneignen, führt zu einem unversöhnlichen Kampf. Dieser wird die Grundlage für den Sturz des Kapitalismus bieten, und damit für die Lösung der Widersprüche, durch die Auflösung der Klassen.
Das generelle Muster der historischen Entwicklung beschreibt keine geradlinige Aufwärtsbewegung, sondern ist ein komplexes Zusammenspiel, in dem jeder Schritt vorwärts nur um den Preis eines partiellen Rückschritts erzielt wird. Diese Rückwärtsbewegungen werden wiederum auf der nächsten Stufe der Entwicklung durch eine neuerliche Vorwärtsbewegung nachgebessert. Das Gesetz der Negation der Negation zeigt die Wiederholung gewisser Eigenschaften und Momente einer niederen Stufe in einem höher entwickeltem Stadium, und die scheinbare Rückkehr vergangener Verhältnisse. Wir können einen kontinuierlichen Kampf zwischen Form und Inhalt und Inhalt und Form feststellen, der zur Erschütterung der alten Form und der Umwandlung seines Inhaltes führt. Dieser Prozess ist am besten mit einer Spirale vergleichbar, in der die Bewegung zurück zum Ausgangspunkt gelangt, aber auf einem höheren Level. Mit anderen Worten: Historischer Fortschritt vollzieht sich durch Folgen von Widersprüchen. Vorangegangene Stufen werden negiert (=verneint, überwunden), aber nicht vollkommen eliminiert. Die verdrängte Stufe wird dabei nicht komplett ausgelöscht, sondern in der neuen Stufe aufbewahrt.
„Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigne Arbeit gegründeten Privateigentums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigne Negation. Es ist Negation der Negation.“ (K. Marx, Das Kapital, MEW Bd.23, S. 791)
Engels zeigt uns in seinem Buch „Anti-Dühring“ eine Fülle von Beispielen für die Negation der Negation.
„Nehmen wir ein Gerstenkorn. Billionen solcher Gerstenkörner werden vermahlen, verkocht und verbaut, und dann verzehrt. Aber findet solch ein Gerstenkorn die für es normalen Bedingungen vor, fällt es auf günstigen Boden, so geht unter dem Einfluss der Wärme und der Feuchtigkeit eine eigne Veränderung mit ihm vor, es keimt; das Korn vergeht als solches, wird negiert, an seine Stelle tritt die aus ihm entstanden Pflanze, die Negation des Korns. Aber was ist der normale Lebenslauf dieser Pflanze? Sie wächst, blüht, wird befruchtet und produziert schließlich wieder Gerstenkörner, und sobald diese gereift, stirbt der Halm ab, wird seinerseits negiert. Als Resultat dieser Negation der Negation haben wir wieder das anfängliche Gerstenkorn, aber nicht einfach, sondern in zehn-, zwanzig-, dreißigfacher Anzahl.“ (F. Engels, Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S.126)
Die Gerste lebt und entwickelt sich, indem sie zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt, aber auf einem höheren Level. Ein Korn hat viele produziert. Über die Zeit gesehen haben sich die Pflanzen sowohl qualitativ als auch quantitativ verändert. Aufeinanderfolgende Generationen wiesen Variationen auf, und stellten sich besser auf ihre Umwelt ein. Engels liefert uns noch ein weiteres Beispiel aus der Welt der Insekten:
„Ähnlich wie beim Gerstenkorn vollzieht sich dieser Prozess bei den meisten Insekten, z.B. Schmetterlingen. Sie entstehen aus dem Ei durch Negation des Ei’s, machen ihre Verwandlungen durch bis zur Geschlechtsreife, begatten sich und werden wieder negiert, indem sie sterben, sobald der Gärungsprozess vollendet und das Weibchen seine zahlreichen Eier gelegt hat.“ (F. Engels, Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S.127)
Hegel war ein großer Geist und beleuchtete viele Dinge. Dies war eine Leistung, auf die Marx immer wieder verwies.
„Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, dass er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewusster Weise dargestellt hat.“
Nichts desto trotz war Hegels Philosophie eine kolossale Fehlgeburt, wie Engels es nannte. Sie litt an einem unlösbaren inneren Widerspruch. Hegels Konzept der Geschichte ist ein dynamisches, in dem es nichts Endgültiges oder Ewiges gibt. Und doch reklamiert sein System für sich, die absolute Wahrheit zu sein, etwas, dass in totalem Widerspruch zum dialektischen Denken selbst steht. Während Hegel den Status Quo in Deutschland verteidigte, schließt die Dialektik eine revolutionäre Auffassung von ständigem Wandel in sich ein. Für Hegel war alles was wahr war auch rational. Aber in der Verwendung der hegelschen Dialektik, wird alles, was wahr ist irrational. Alles was existiert, verdient, dass es zugrunde geht. Darin liegt die revolutionäre Bedeutung von Hegels Philosophie.
Die Lösung der Widersprüche brauchte den Materialismus, aber nicht den alten, mechanischen Materialismus, sondern einen modernen Materialismus basierend auf den neuen Wissenschaften und Fortschritten.
„Der Materialismus, bereichert durch alle Errungenschaften des Idealismus, erlebte eine Auferstehung. Die wichtigste dieser Errungenschaften war die dialektische Methode, die Betrachtung der Erscheinungen in ihrer Entwicklung, in ihrem Werden und Vergehen. Der geniale Vertreter dieser neuen Richtung war Karl Marx“ (G.W. Plechanow, „Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung“, Berlin 1956, S. 133)
Ausgelöst von der revolutionären Entwicklung Europas 1830-1831 spaltete sich die hegelianische Denkschule in einen rechten und einen linken Flügel, sowie in ein Zentrum. Der bekannteste Vertreter der hegelianischen Linken war Ludwig Feuerbach, der die alte Orthodoxie, im speziellen das religiöse Denken bekämpfte und den Materialismus wieder in den Mittelpunkt stellte.
„Die Natur hat keinen Anfang und kein Ende. Alles in ihr steht in Wechselwirkung; alles ist relativ, alles zugleich Wirkung und Ursache; alles in ihr ist allseitig und gegenseitig…“ schreibt Feuerbach. „Christen entreißen dem Körper des Menschen den Geist, die Seele und machen diesen zerschlissenen, entkörperten Geist zu ihrem Gott“ (L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, 12. Vorlesung, GW Bd. 6, S. 115)
Trotz der Beschränkungen von Feuerbachs System, sahen Marx und Engels dies als neuen Durchbruch. Engels schrieb:
„Einstweilen schob die Revolution von 1848 jedoch die gesamte Philosophie ebenso ungeniert beiseite wie Feuerbach seinen Hegel. Und damit wurde auch Feuerbach selbst in den Hintergrund gedrängt.“ (F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW Bd. 21, S.273)
Es blieb an Marx und Engels, die Dialektik konsequent mit dem neuen Materialismus zu verbinden, und so den dialektischen Materialismus zu schaffen. Für sie war dies keine abstrakte Philosophie, sondern eine direkte Verbindung mit der Praxis.
„Damit reduzierte sich die Dialektik auf die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung, sowohl der äußeren Welt wie des menschlichen Denkens – zwei Reihen von Gesetzen, die der Sache nach identisch, dem Ausdruck nach aber insofern verschieden sind, als der menschliche Kopf sie mit Bewusstsein anwenden kann, während sie in der Natur und bis jetzt auch großenteils in der Menschengeschichte sich in unbewusster Weise, in der Form der äußern Notwendigkeit, inmitten einer endlosen Reihe scheinbarer Zufälligkeiten durchsetzen.“ (F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW Bd. 21,S. 293)
Weder Marx noch Engels schrieben je ein umfassendes Buch über die Dialektik als solche. Marx war beschäftigt mit dem Kapital. Engels wollte ein solches Buch verfassen, wurde aber von der Aufgabe das Kapital nach Marx Tod fertigzustellen, vereinnahmt. Nichtsdestotrotz schrieb er sehr intensiv über dieses Thema, besonders im „Anti-Dühring“ und in „Dialektik der Natur“. Lenin meinte dazu:
„Wenn Marx auch keine ‚Logik‘ (mit großem Anfangsbuchstaben) hinterlassen hat, so hat er doch die Logik des ‚Kapitals‘ hinterlassen, und das sollte für die zu behandelnde Frage weitestgehend ausgenutzt werden. Im ‚Kapital‘ werden auf eine Wissenschaft Logik, Dialektik und Erkenntnistheorie (man braucht keine 3 Worte: das ist ein und dasselbe) des Materialismus angewendet, der alles Wertvolle von Hegel übernommen und dieses Wertvolle weiterentwickelt hat.“ (LW, Bd. 38, Dietz Verlag 1964, S. 316)
Heute gibt es eine kleine Anzahl von Wissenschaftlern, besonders aus den Naturwissenschaften, die sich der Dialektik bewusst sind, was ihre Augen für Probleme in ihrem Spezialfach öffnete. Diese Verbindungen zwischen Wissenschaft und dialektischem Materialismus wird im Buch „Aufstand der Vernunft“ von Alan Woods und Ted Grant aufgearbeitet. Sie beweisen, genau wie Engels, dass die Natur die Dialektik in sich trägt. Neben Stephen J. Gould und Niles Eldredge haben auch Richard Levins und Richard Lewontin, die sich selbst als dialektische Materialisten sehen, in ihrem Buch „Der dialektische Biologe“ eine Abhandlung über die Dialektik in der Biologie vorgelegt:
„Was die dialektische Welt charakterisiert, in allen ihren Aspekten wie wir sie beschrieben haben ist, dass sie sich in einem Zustand permanenter Bewegung befindet. Konstanten werden Variablen, Ursachen werden Wirkungen und Systeme entwickeln sich, zerstören die Ursachen, die sie hervorgebracht haben. Sogar Elemente, die stabil erscheinen befinden sich in einem dynamischen Kräftegleichgewicht, dass plötzlich aus der Balance geraten kann, so wie ein ausdrucksloser Metallklumpen ab einer kritischen Größe zu einem Feuerball wird, heller als tausend Sonnen. Aber die Bewegung ist nicht grenzenlos und gleichförmig. Organismen entwickeln sich und differenzieren sich, dann sterben sie und zerfallen. Spezies entstehen und sterben dann unvermeidlich aus. Sogar in der einfachen physikalischen Welt kennen wir keine gleichförmige Bewegung. Sogar die Erde hat sich in ihrer Rotation um die eigene Achse in der geologischen Zeit verlangsamt. Die Entwicklung von Systemen in der Zeit, schließlich, scheint eine Wirkung gegensätzlicher Kräfte und gegensätzlicher Bewegungen zu sein. Dieses Auftreten gegensätzlicher Kräfte ist hat das umstrittenste, schwierigste, und gleichzeitig zentralste Konzept des dialektischen Denken hervorgebracht, das Prinzip des Widerspruchs. Für Manche ist der Widerspruch nur ein Erkenntnisprinzip. Es beschreibt wie wir zu einem Verständnis der Welt gelangen durch eine Geschichte antithetischer Theorien, die im Widerspruch zu einander und im Widerspruch zu den beobachteten Phänomenen zu einem neuen Blick auf die Natur führen. Kuhns Theorie der Wissenschaftlichen Revolution hat etwas von dieser Idee einer permanenten Folge von Widerspruch und Auflösung, die den Weg zu einem neuen Widerspruch eröffnet. Für andere wird dieser Widerspruch eine ontologische Eigenschaft (Anm. des Herausgebers: Eigenschaft des Seins) zumindest für das menschliche soziale Sein. Für uns ist der Widerspruch nicht nur erkenntnistheoretisch und politisch, sondern auch ontologisch (Anm. des Herausgebers.: im Sein vorhanden, „seiend”, „onto” = sein) im breitesten Sinn. Widersprüche zwischen Kräften finden sich überall in der Natur, nicht nur in den menschlichen sozialen Einrichtungen. Diese Tradition der Dialektik geht zurück auf Engels (1880) der in „Dialektik der Natur” schrieb, dass „es sich für mich nicht darum handelt die Gesetze der Dialektik der Natur zu konstruieren, sondern darum sie in ihr zu entdecken und sie aus ihr heraus zu entwickeln.” (Der Dialektische Biologe, S. 279)
Für MarxistInnen ist die Verbindung zwischen Theorie und Praxis besonders wichtig. Wie Marx betonte: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ (K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW Bd. 3, S. 533 ff.)
Die Wahrheit ist immer konkret. Wir betrachten die Dinge so wie sie existieren, mit einem Blick auf ihre verborgenen und widersprüchlichen Prozesse. Dies liefert vor allem jenen wichtige Erkenntnisse, die für eine andere Gesellschaft kämpfen. Im Gegensatz zu den utopischen SozialistInnen, die den Sozialismus als schöne Idee betrachteten, betrachten wir MarxistInnen die Entwicklung zum Sozialismus als etwas, das sich aus den Widersprüchen des Kapitalismus heraus entwickelt. Das kapitalistische System legte die materielle Basis für eine klassenlose Gesellschaft, durch die hohe Entwicklung der Produktivkräfte und die Arbeitsteilung. Der Kapitalismus erschuf die Arbeiterklasse, deren Lebensbedingungen sie unweigerlich in Konflikt mit dem Kapitalismus bringen muss. Auf der Basis von Erfahrungen wird sie sich ihrer Position in der Gesellschaft vollkommen bewusst werden, und sich, um es mit Marx Worten zu beschreiben von einer „Klasse an sich“ zu einer „Klasse für sich“ entwickeln.
Die Dialektik basiert auf Determinismus, was allerdings nichts mit Fatalismus, der die Existenz von Zufällen in der Natur, Gesellschaft und dem Denken verneint, verwechselt werden darf. Der dialektische Determinismus erklärt die Einheit von Notwendigkeit und Zufälligkeit, und erklärt, dass die Notwendigkeit sich durch Zufälle ausdrückt. Alle Ereignisse haben Ursachen, sowohl die notwendigen Ereignisse als auch die zufälligen. Wenn es keine ursächlichen Gesetze in der Natur geben würde, würde alles im totalen Chaos untergehen. Existenz würde dadurch unmöglich werden. Somit ist alles von allem anderen abhängig, wie in einer kontinuierlichen Kette von Ursache und Wirkung. Spezielle Ereignisse haben immer ein Element des Zufalls, doch diese Zufälle passieren nur aufgrund zugrundeliegender, tieferer Notwendigkeiten. In letzter Konsequenz manifestiert sich die Notwendigkeit durch eine Reihe von Zufällen. Es besteht kein Zweifel, dass Zufälle ihren Platz haben, doch umso notwendiger ist es die Gesetze der Notwendigkeit zu erfassen, die diesen zugrunde liegen.
Vom Standpunkt der oberflächlichen Betrachtung, scheint alles durch Zufälle bestimmt zu sein. Dies erscheint besonders so, wenn wir die Gesetze, die die Veränderung und ihre Zusammenhänge regieren, nicht kennen. „Wo aber auf der Oberfläche der Zufall sein Spiel treibt, da wird er stets durch innere verborgene Gesetze beherrscht, und es kommt nur darauf an, diese Gesetze zu entdecken“, schrieb Engels (F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW Bd. 21, S.297).
In der Natur folgt die Evolution der Materie einem bestimmten Weg. Jedoch wie, wann und in welcher Form dieser eingeschlagen wird hängt von zufälligen Umständen ab. Zum Beispiel: Die Entwicklung von Leben auf der Erde hing von einer ganzen Reihe zufälliger Faktoren ab, wie dem Vorhandensein von Wasser, verschiedenen chemischen Elementen, dem Abstand zur Sonne, der Atmosphäre, usw. usf.
„In Wahrheit aber ist es die Natur der Materie, zur Entwicklung denkender Wesen fortzuschreiten, und dies geschieht daher auch notwendig immer, wo die Bedingungen (nicht notwendig überall und immer dieselben) dazu vorhanden… was notwendig ist, setzt sich aus schieren Zufällen zusammen, und das sog. Zufällige ist nur die Form, in der sich die Notwendigkeit versteckt.“ (F. Engels, Dialektik der Natur, MEW Bd. 20, S. 479ff)
Oberflächliche HistorikerInnen sehen den Grund für den Beginn des ersten Weltkrieges in der Ermordung des Kronprinzen in Sarajewo. Für MarxistInnen war dieses Ereignis ein historischer Zufall, und spielte die Rolle eines Katalysators in einem Weltkonflikt, der sich bereits durch wirtschaftliche, militärische und politische Widersprüche, aufgestaut hatte. Wenn die Ermordung nicht geglückt wäre, oder der Kronprinz niemals geboren worden wäre, wäre der Krieg trotzdem, anlässlich eines anderen Ereignisses ausgebrochen. Die Notwendigkeit hätte sich durch einen anderen „Zufall“ ausgedrückt. Wie Hegel sagte: Alles was existiert, hat eine Notwendigkeit zu existieren. Aber gleichzeitig ist alles was existiert dazu verdammt zu vergehen, d.h. sich in etwas anderes zu verwandeln. Das was zu einer gewissen Zeit notwendig ist, wird zu einer anderen Zeit unnötig. Alles erzeugt sein Gegenteil, welches dann die Aufgabe hat, das Alte zu überwinden und es zu negieren. Dies gilt sowohl für lebendige Dinge als auch für die Gesellschaft, und überhaupt die gesamte Natur. Jede Gesellschaftsform existiert, weil sie für eine bestimmte Stufe der Entwicklung notwendig ist.
„Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind.“ (K. Marx, Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S.9)
Die Sklavenhaltergesellschaft stellte, zu ihrer Zeit, einen riesigen Fortschritt gegenüber der Barbarei dar. Es war eine notwendige Stufe in der Entwicklung der Produktivkräfte, der Kultur und der menschlichen Gesellschaft. Wie Hegels treffend feststellte: „Es ist die Menschheit nicht sowohl aus der Knechtschaft befreit worden, als vielmehr durch die Knechtschaft.“ (Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte.)
Auch der Kapitalismus stellte eine wichtige und progressive Stufe in der Geschichte dar. Aber genau wie der Urkommunismus, die Sklavenhaltergesellschaft und der Feudalismus hat der Kapitalismus seine fortschrittlichen Elemente längst verloren, um ein notwendiges und fortschrittliches Gesellschaftssystem darzustellen. Er ist gescheitert an den großen Widersprüche, die er in sich trägt, und ist verdammt dazu von der aufstrebenden Kraft der neuen Gesellschaft, die in der alten heranwächst, überwunden zu werden, die sich im modernen Proletariat ausdrückt. Das Privateigentum in der Produktion sowie der Nationalstaat, die in der Geschichte einen gewaltigen Schritt vorwärts kennzeichneten, sind nun Hemmschuh und Fessel der Produktivkräfte geworden und gefährden alle Errungenschaften der menschlichen Entwicklung der letzten Jahrhunderte.
Der Kapitalismus stellt heute ein degeneriertes soziales System dar, das durch seinen Gegensatz, den Sozialismus, ersetzt werden muss, wenn die menschliche Kultur überleben soll. Marxismus ist deterministisch aber nicht fatalistisch. Menschen machen die Geschichte. Die Veränderung der Gesellschaft kann nur durch Menschen in ihrem bewussten Streben für ihre eigene Emanzipation erreicht werden. Der Ausgang dieses Klassenkampf ist nicht vorherbestimmt. Wer gewinnt ist abhängig von vielen verschiedenen Faktoren. Eine aufstrebende, fortschrittliche Klasse hat jedoch viele Vorteile gegenüber der alten, reaktionären Kraft. Letztendlich hängt es davon ab, welche Seite den größeren Willen, die größeren Organisationen sowie die bestausgebildetste sowie entschlossenste Führung hat. Der Sieg des Sozialismus wird einen neuen, qualitativen Sprung in der menschlichen Geschichte markieren. Genauer gesagt: Er markiert das Ende der Vorgeschichte der Menschheit, und den Beginn der wirklichen Geschichte. Andererseits bedeutet der Sozialismus auch eine Wiederkehr der frühesten menschlichen Gesellschaftsform, des Urkommunismus, jedoch auf einer höheren Stufe, die auf den kolossalen Fortschritten von tausenden Jahren Klassengesellschaft aufbauen kann. Die Negation des Urkommunismus durch die Klassengesellschaft wird somit wieder durch den Sozialismus negiert. Durch bewusste Planung der vom Kapitalismus weltweit geschaffenen Industrie, der Wissenschaft und der Technik wird die Erwirtschaftung eines gewaltigen Überflusses ermöglicht. Dies wird die Arbeitsteilung, den Unterschied zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen Stadt und Land, sowie den verschwenderischen und barbarischen Klassenkampf überflüssig machen, und es der Menschheit ermöglichen ihre Ressourcen endlich für die Bezwingung der Natur einzusetzen. Um Engels berühmten Ausspruch zu zitieren:
„Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.“
(F. Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW Bd. 19, S.226)
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