Mit dem Kollaps der Sowjetunion schien der Begriff Imperialismus aus der aktuellen Politik verschwunden zu sein. Er wurde abgetan als überwundene Rhetorik des „real existierenden Sozialismus“ oder als in die Epoche des Grossmachtstrebens Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg gehörend. Eine marxistische Definition war kaum mehr vertreten in der Politik. Deshalb ist es umso dringender anhand Lenins Imperialismus-Analyse zurück zu den Basics zu gehen und dessen Rolle in aktuellen Geschehnissen aufzuzeigen.
Die bürgerlichen Theorien verwenden den Begriff Imperialismus hauptsächlich, um die aggressive Aussenpolitik und die Besetzung oder Quasi-Annektierung von Gebieten zu kennzeichnen. In Anlehnung an das Imperium Romanum würde dies bedeuten, dass es sich hierbei vor allem um die Sicherung der Zugänge zu billiger Arbeitskraft und Rohstoffquellen dreht sowie um den Kulturexport. So wird der scheinheilige Export von „Freedom and Democracy“ von den USA in den Mittleren Osten heute wieder vermehrt als Imperialismus verstanden. Dieser simplistische, politische Begriffsgebrauch nützt uns allerdings überhaupt nichts, um die Dynamiken zu verstehen, welche zu Konflikten und Kriegen führen.
Lenins Imperialismustheorie
Wie Lenin 1917 brillant beschrieb, können wir den Imperialismus nur als Ergebnis der ökonomischen Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus und so als das „höchste Stadium des Kapitalismus“ verstehen. Der Imperialismus hat demnach fünf grundlegende Merkmale:
Die erstgenannte Monopolbildung entwickelte sich direkt aus der freien Konkurrenz. Der freie Markt führte also zu seinem Gegenteil, negiert sich selbst. Im Zuge der periodischen konjunkturellen Krisen gibt es immer wieder Firmen, die Pleite gehen und vom Markt verschwinden, die fusionieren oder die übernommen werden. Dies führt zwangsläufig zu einer zunehmenden Konzentration der Produktion und letztendlich zur Herausbildung von Monopolen. Diese können unterschiedlicher Art sein, aber schlussendlich werden sie die alles prägenden Formationen der Weltwirtschaft. Genau dieses Resultat zeigte eine ETH-Studie (2011). Bei der Durchforstung der Datenbank Orbis mit einem Verzeichnis von 37 Millionen Firmen stellte sich heraus, dass 147 transnationale Firmen sich selbst und weitere 40% der Weltwirtschaft kontrollieren. Die Fusion der Zementhersteller Lafarge und Holcim bietet ein Beispiel für die Konzentration der Produktion auf sehr hoher Entwicklungsstufe. Eine überschaubare Anzahl Personen oder Konzerne kontrollieren die Öl- und Gasquellen weltweit. Diese Quasi-Monopole veranschaulichen, wie bei natürlichen Rohstoffen dieser Prozess unaufhaltsam voranschritt und –schreitet. Als dritte mögliche Form tritt jene hervor, die aus dem Finanzkapital erwuchs. Wenn also einige wenige Grossbanken über die Möglichkeit der Kreditvergabe oder –verweigerung fast sämtliche Konzerne kontrollieren, so konzentriert sich auch hier eine massive monopolistische Macht. Die too big to fail Diskussion bestätigt diesen Fakt unweigerlich.
Als letzte prägende Monopolform nennt Lenin jene der Kolonialpolitik: den Wettlauf um die Besetzung aller verfügbaren Gebiete und den Drang nach dessen steter Ausdehnung. Besonders zu beobachten war dieses Monopolstreben in der Zeit, welche die bürgerliche Geschichtsschreibung als Imperialismus bezeichnet (Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg).
Die Monopolisierung des Kapitalismus hat diesem einen extremen Entwicklungsschub verliehen. Die Vergesellschaftung der Produktion, also die internationale Arbeitsteilung, schritt voran und somit wurde diese insgesamt rationaler. So wurden viele „rückständige“ Betriebe im Konkurrenzkampf ausgeschaltet oder in technisch entwickeltere Grosskonzerne integriert. Die Zentralisierung zunächst der nationalen, dann der globalen Produktionsprozesse ermöglichte enorme Effizienzsteigerungen. Diese Entwicklung verstärkt jedoch nur einen der grundsätzlichen Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise, wie Lenin schrieb: „Die Produktion wird vergesellschaftet, die Aneignung jedoch bleibt privat.“
Fäulnis des Kapitalismus
Diese private Aneignung wirkt über kurz oder lang hemmend auf die Produktion: Das Fehlen der Konkurrenz und die kaum vorhandenen Möglichkeiten der Profitmaximierung halten die Monopolisten davon ab technischen Fortschritt einzusetzen, um die Produktivität zu steigern. Es kommt also zu einer gewissen Lähmung des Kapitalismus, da er sich innerhalb der gegebenen Bedingungen nicht profitabel weiterentwickeln kann und es deshalb auch nicht tut.
Die imperialistischen Staaten versuchen mit zunehmender Stagnation der Wirtschaft im „eigenen“ Land immer stärker ihre Einflusssphären auszuweiten. Der Heimmarkt ist gesättigt und es müssen neue erschlossen werden. So sollen auch diese Gebiete der Herrschaft der Monopolistenverbände unterworfen werden. Es werden Absprachen über die Aufteilung der Märkte getroffen. Wenn dies in ökonomischen Aufschwungsphasen in scheinbar gewaltfreier Weise funktioniert, so kann es in Zeiten der Stagnation oder Krise der globalen Wirtschaft immer öfter zu Konflikten zwischen imperialistischen Staaten kommen (militärische Manöver, offene Konflikte und die grössten Kriege der Geschichte). Das politisch-militärische Kräfteverhältnis muss jedoch auch die Herausforderung einer imperialistischen Macht durch eine andere zulassen. Offene Kriege mit den USA sind im Moment kaum denkbar, da keine Nation ein vergleichbares Rüstungsniveau aufweist. Dies erklärt die enorme Zunahme an Stellvertreterkriegen (Georgien 2008, Syrien, Ukraine, etc.).
Kontinuität des Imperialismus
Wenn nun also behauptet wird, die Zeit des Imperialismus sei vorbei, habe keine Relevanz mehr für heute, müssen wir uns klar dagegen aussprechen. Die zunehmende Konzentration der Produktion und vor allem des Finanzkapitals stellt in der Entwicklung des Kapitalismus eine heute noch entscheidende Komponente dar. Wenn Begriffe wie Kartelle oder Trusts kaum mehr gebräuchlich sind, dann können wir ähnliche Strukturen in Holdings oder multinationalen Konzernen finden. Ebenso hat sich die Abhängigkeit des Industriekapitals vom Finanzkapital oder deren totales Verwachsen seit Beginn des 20. Jahrhundert noch massiv verstärkt. Dies belegt die bereits erwähnte Studie der ETH ebenfalls: Dreiviertel der 147 wirtschaftskontrollierenden Konzerne gehören der Finanzindustrie an. Die Schweizer Grossbanken UBS und CS belegen dabei die Plätze 9 und 14. Gerade in der aktuellen Krise ist aber auch wieder verstärkt die Bedeutung der Kartelle im eigentlichen Organisieren der Produktion zu beobachten. Die Wettbewerbs- und Kartellgesetze werden ständig unterlaufen und diese Verstösse kommen regelmässig ans Licht. Preisabsprachen, Material- und Kreditsperren sind nur einige Mittel der Kartelle zur Sicherung ihrer Stellung. Vor allem aber sind die Absprachen über die Absatzgebiete und damit das Ausschalten der Konkurrenz das bevorzugte Mittel der Kartelle. Aktuell bspw. zu beobachten in der Hochseeschifffahrt, wo zwei „Allianzen“ von Kartellen es ermöglichen sollen, die grossen Routen profitabler zu machen, indem „Überkapazitäten“ abgebaut und Preise fixiert werden.
Zur Rolle Chinas
Die Prozesse, welche in Westeuropa und Nordamerika damals ihren Anfang nahmen, können wir auch in der Entwicklung Chinas beobachten. Die Monopole der Industrie, welche zu grossen Teilen der maoistischen Vergangenheit entspringen, wurden durch die kapitalistische Restauration noch gestärkt. Und auch das Finanzkapital nimmt in China immer mehr an Wichtigkeit zu. Dessen Stellung ist so stark, dass es schon lange nicht mehr nur auf nationaler Ebene operiert, sondern sich neue Profitmöglichkeiten suchen musste. So ist China heute der grösste Kreditgeber der USA. Dies ermöglichte es den chinesischen Monopolen die Exporte in die USA aufrechtzuerhalten. Wir sehen auch klar den Fäulniszustand des Kapitalismus am chinesischen Beispiel: Die bestehenden Absatzmärkte für chinesische Produkte reichen bei weitem nicht mehr aus und können auch bei Effizienzsteigerung nicht rentabler werden. Es bleiben also nur zwei Möglichkeiten: einerseits Senken der Löhne, wie dies in den Freihandels- und Sonderproduktionszonen der Fall ist, andererseits die Eroberung neuer Märkte, sprich die Kontrolle über Gebiete, welche bis anhin von anderen imperialistischen Nationen kontrolliert wurden. Der sehr gezielt um sich schlagende chinesische Imperialismus hat sich bereits bedeutender Teile Südostasiens bemächtigt. China drängt immer weiter ins Südchinesische Meer vor, Konflikte mit den Philippinen oder aktueller mit Vietnam scheut es kaum, um seinen Einfluss auszuweiten und Rohstoffe wie Erdöl in ihren Besitz zu bringen. Oder die Chinesen drängen offensiv auf Freihandelsabkommen und die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen wie in Indonesien.
Unheilige Allianzen zur Profitsteigerung
Um ihre Einflussnahme zu sichern, bedienen sich die Imperialisten allerlei Methoden und Allianzen, welche kaum mit ihren vorgeschobenen demokratischen Glaubenssätzen vereinbar scheinen. Imperialistische Staaten müssen keineswegs stets mit einer Besatzungsarmee präsent sein, um entscheidenden Einfluss in einem anderen Land zu spielen. Ihren Profit können sie weit besser und vor allem kostengünstiger maximieren, wenn eine scheinbar unabhängige Organisation im Einflussgebiet besteht, welche ihnen sichere und stabile Verhältnisse garantiert, ohne sich dabei selbst die Hände schmutzig machen zu müssen. Beispiele dafür finden sich haufenweise: von nordafrikanischen Diktaturen bis zum arabischen Frühling und darüber hinaus die Monarchie in Saudi Arabien, die Putschregierung in Hodnuras usw. Wir sehen, welch hohen Stellwert die hochgehaltene Moral in internationalen Angelegenheiten einnimmt.
Als MarxistInnen haben wir keine Illusionen in die Zähmung des Imperialismus. Eine Aussöhnung der Nationalstaaten steht ausser Frage, solange diese in Konkurrenz zueinander stehen. Wir stellen uns entschieden gegen jegliche imperialistische Unterdrückung, doch wissen wir, dass deren endgültige Überwindung nur möglich ist, wenn die Arbeitenden die Diktatur des Kapitals zerschlagen. Die sozialistische Antwort auf den Imperialismus kann nur entschiedener Internationalismus sein. Die ArbeiterInnen haben kein Vaterland!
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