Der österreichische Quantenphysiker Anton Zeilinger erhielt vor kurzem für seine Experimente zur Quantenmechanik den Nobelpreis. Lukas Frank zeigt, wie es kommt, dass die Ergebnisse dieser Forschung auf abstruse, teils religiöse Weise interpretiert werden.
Insbesondere auf Zeilinger selbst trifft das zu, der in seinem Buch „Einsteins Spuk“ meint:
„Sein [Einsteins] Bild einer real, faktisch existierenden Wirklichkeit, die in ihren wesentlichen Eigenschaften unabhängig von uns ist, diese Trennung von Wirklichkeit und Information ist offenbar nicht haltbar“.
In einem aktuellen Interview hat er folgendes zur Verbindung von Gott und der Quantenmechanik zu sagen:
„Ein verbindender Gedanke aller Religionen ist ja der, dass es einen Gott gibt, der eingreifen kann in den Lauf der Welt […]: Dieser objektive Zufall wäre tatsächlich eine Möglichkeit für Gott einzugreifen, ohne dass er mit den Naturgesetzen in Widerspruch gerät. Natürlich nur, wenn er das so selten macht, dass er die Gesetze der Wahrscheinlichkeit nicht verletzt.“
Aus seinen Experimenten soll also laut ihm folgen, dass die Natur nur durch die menschliche Beobachtung einen festgelegten Zustand einnimmt, dass wir uns „Ursache-Wirkung“ nur einbilden und dass der Zufall in der Quantenmechanik unfassbar ist, vielleicht sogar die Intervention Gottes.
Wie kann jemand, der täglich mit den höchsten Errungenschaften der Technik hantiert, zu solchen Schlussfolgerungen kommen?
Dies hängt unter anderem mit dem philosophischen Fundament zusammen, das Physikern heute vermittelt wird und das an den Physikfakultäten vor allem durch die klassische Mechanik geprägt ist. In dieser besteht alles aus unendlich kleinen Punktteilchen, die jeweils perfekt Bewegungsgesetzen gehorchen und zu jedem Zeitpunkt klare Eigenschaften haben. Jedes grössere Objekt und jede höhere Form von Bewegung – egal ob Wärme, Denken oder Leben – kann angeblich eins zu eins auf diese heruntergebrochen werden.
Die dazu analoge Philosophie, der mechanische Materialismus, wurde vom Physiker Laplace besonders zugespitzt formuliert:
„Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der grössten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.“
Alles in der Welt ist somit von vornherein vorherbestimmt, bzw. gibt es in Wirklichkeit keine zeitliche Entwicklung – für diesen Dämon existieren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig.
Zufall ist hier eine Illusion, die darauf beruht, dass wir noch nicht die genauen Geschwindigkeiten aller Teilchen kennen und wir auch die absolute Gesetzmässigkeit noch nicht entdeckt haben. In Wirklichkeit hat man also kein rationales Verständnis davon, was der Zufall ist, sondern leugnet diesen auf philosophischer Ebene einfach.
Die Ergebnisse der Quantenmechanik sprengen diesen engen philosophischen Rahmen. Diese versucht, die kleinste bekannte Ebene der Welt zu beschreiben. Sie nahm mit der Untersuchung des Lichts ihren Anfang, das seit Maxwell (1861) eindeutig als Welle eingestuft wurde. Einstein (1905) fand jedoch heraus, dass Licht nur in Paketen absorbiert werden kann – dass Licht also aus Teilchen besteht. Dies ist auf den ersten Blick z.B. einer Wasserwelle ähnlich, die ja auch aus kleinsten Teilchen, Wassermolekülen, besteht. Diese Moleküle bewegen sich gemeinsam, beeinflussen sich gegenseitig und daraus resultiert die Welle als Gesamtbewegung.
Doch so leicht macht es uns die Materie nicht. Schiesst man z.B. einen Laser durch einen sehr kleinen Spalt, erzeugt das Licht am dahinterliegenden Schirm Interferenzmuster. Das bedeutet, dass das Licht an den Rändern des Spalts ähnlich einer Wasserwelle abgelenkt wurde. So weit so unspektakulär. Werden nun einzelne Photonen durch den Spalt geschossen, die auf einem speziellen Schirm Punkte hinterlassen, sollte eigentlich kein Interferenzmuster erschienen. Denn wenn jedes Photon einzeln abgeschossen wird, kann dieses nicht mit anderen Photonen wechselwirken und sich dadurch nicht gemeinsam als Welle verhalten. Doch auch in diesem Fall erscheint mit jedem abgeschossenen Photon ein immer deutlicheres Interferenzmuster!
Wichtige Voraussetzung für dieses Experiment ist, dass es OBJEKTIV keine Möglichkeit gibt, festzustellen, wo das Photon ist, bevor es nicht am Schirm aufgetreten ist. Das einzelne Photon scheint sich also während seines Flugs wie eine Welle zu verhalten, doch am Schirm erscheint es schlussendlich als Punkt.
Die Quantenmechanik berücksichtigt diesen Sachverhalt, indem sie z.B. das Photon als Welle beschreibt. Allerdings als eine sehr abstrakte, mehrdimensionale, komplexe Welle, die nicht direkt beobachtbar ist. Es gibt Formeln, wie sich diese Welle in der Zeit entwickelt und mit sogenannten Operatoren werden die äusseren Einflüsse – wie z.B. der Spalt – repräsentiert.
Aus dieser Welle kann dann mit Operatoren, die einen spezifischen Messvorgang repräsentieren, abgeleitet werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit man bei einem Messvorgang ein bestimmtes Messergebnis erhalten wird. Zum Beispiel kann errechnet werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit wo am Schirm das Photon einen Fleck erzeugen wird. Aus Sicht der Quantenmechanik ist es jedoch fundamental zufällig, wo genau der Fleck schlussendlich sein wird.
In der Quantenmechanik stellt also die Wellenfunktion die Gesetzmässigkeit dar, doch diese Gesetzmässigkeit äussert sich nur in einem zufälligen Ereignis. Umgekehrt steht hinter einer Summe an Zufällen eine tiefere Gesetzmässigkeit. Dieses Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit spielt in der Philosophie des Marxismus eine zentrale Rolle. Die Materie ist unendlich komplex, alles hängt miteinander zusammen und nichts gleicht dem anderen. Um überhaupt Objekte und Gesetzmässigkeiten zu abstrahieren, müssen Dinge gleichgesetzt werden, die sich nur ähnlich sind und aus ihrem grösseren Zusammenhang gerissen werden. Gesetzmässigkeiten, die wir finden, widerspiegeln also immer nur einen Teilaspekt der Materie und müssen daher notwendigerweise immer durch einen Zufall ergänzt werden.
Dass der Zufall schon in der Theorie eine derart zentrale, grundlegende Rolle spielt und aus dieser auch nicht wegzudenken ist, ist hingegen für mechanische Materialisten (also viele Physiker) ein Grund zum Kopfzerbrechen. Verbunden damit, dass in der Quantenmechanik berücksichtigt wird, dass ein Messvorgang das Objekt der Betrachtung auch verändert, ziehen manche, unter anderem Zeilinger, die absurde Schlussfolgerung, der Mensch würde durch seine Betrachtung die Natur „erschaffen“.
Die Darstellung des Objekts als Wellenfunktion hat weiters zur Konsequenz, dass gewisse Eigenschaften „nicht gleichzeitig“ gemessen werden können. Beispielsweise folgt aus der Quantenmechanik, dass ein Objekt, dessen Ort mit grosser Wahrscheinlichkeit in einem kleinen Bereich liegen wird, gleichzeitig eine schwer vorhersagbare Geschwindigkeit haben wird. Selbiges gilt umgekehrt. Zwei Eigenschaften bedingen sich also gegenseitig und stehen im Widerspruch zueinander.
Auch dieses Phänomen wurde vom Marxismus und der Dialektik untersucht, welches dort als Einheit der Gegensätze bezeichnet wird. Die Materie ist unendlich komplex und menschliche Abstraktionen wie Ort und Geschwindigkeit fassen immer nur einen einseitigen Aspekt der Materie. Dies steht im starken Kontrast zum mechanischen Materialismus, der davon ausgeht, dass die Materie klar und eindeutig von abstrakten Kategorien erfassbar ist, der also Produkte des menschlichen Verstandes zur Grundlage der Materie macht. Gehe ich von diesem Standpunkt aus, ist für mich die Quantenmechanik der Beweis einer objektiven Grenze der menschlichen Erkenntnis, bzw. dass nicht alle Phänomene wissenschaftlich erfasst werden können.
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt der Quantenmechanik ist, dass unter Umständen verschiedene Objekte mit einer gemeinsamen Wellenfunktion dargestellt werden müssen. Aus dieser gemeinsamen Wellenfunktion können zwar die Wellenfunktionen der einzelnen Objekte abgeleitet werden, doch umgekehrt kann aus den einzelnen Wellenfunktionen nicht die Gesamtwellenfunktion konstruiert werden. Diese Objekte werden verschränkt genannt. Mathematisch kann jede Wellenfunktion in eine hypothetische „grössere“ Wellenfunktion eingeordnet werden, was aktuell auch einer der Ansätze in der Forschung ist, um den quantenmechanischen Zufall näher zu untersuchen.
Das bedeutet sozusagen, dass das grosse Ganze eigene Bewegungsgesetze hat, die nicht direkt aus seinen Einzelteilen erklärt werden können, dass aber auch die Bewegung des Einzelnen nur durch den Gesamtzusammenhang, in welchem sich dieses befindet, erklärt werden kann.
Es gilt also, was schon Hegel und nach ihm die Marxisten betonten: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile“. Diese Tatsache widerspricht klar dem mechanischen Materialismus, der davon ausgeht, dass schlussendlich alles auf die Bewegung kleinster Teilchen reduziert werden kann.
Eng mit diesem Phänomen ist die sogenannte „Spukhafte Fernwirkung” verbunden, welche Zeilinger experimentell realisiert hat. Seien zwei verschränkte Objekte gegeben, deren gemeinsame Wellenfunktion einen Drehimpuls von Null hat. Wird ein Objekt gemessen und hat einen bestimmten Drehimpuls, muss das andere Objekt sofort den gegenteiligen Drehimpuls bekommen. Dies wäre an sich nicht weiter bemerkenswert, doch in der Quantenmechanik wird erst im Zuge des Messvorgangs der Drehimpuls festgelegt. Einstein postulierte also, dass es irgendeine Grösse an den einzelnen Objekten geben muss, die schon vor dem Messvorgang das Ergebnis festlegen. Es sind unter anderem die Experimente Zeilingers, die bewiesen hatten, dass Einstein unrecht hatte und sich diese Kategorie des Zufalls nicht durch eine tiefere Beobachtung des einzelnen, isolierten Objekts auflösen lassen.
Ironischerweise folgert Zeilinger auf Basis dieser Errungenschaft der modernen Wissenschaft, dass der Zufall in der Quantenmechanik der Ort ist, wo Gott waltet und richtet.
Der dialektische Materialismus löst natürlich nicht die Frage, welche genauen Prozesse hinter dem quantenmechanischen Zufall stehen. Allerdings bietet er nicht nur eine rationale Einordnung der Phänomene der Quantenmechanik, sondern die Quantenmechanik ist einer der besten Beweise für die Richtigkeit des dialektischen Materialismus.
Doch genau aus dieser Philosophie folgen die Vergänglichkeit des Kapitalismus und die Notwendigkeit der Machtergreifung der Arbeiterklasse. An den Philosophie-, Politikwissenschafts- und Soziologieinstituten wird daher ein verbissener Kampf der herrschenden Klasse gegen die marxistische Philosophie geführt. In der Gestalt des Postmodernismus wird die Kausalität und die Erkennbarkeit der Materie geleugnet, und demnach gibt es keine objektive, reale Welt, sondern der Mensch erschafft diese durch seine Interpretation.
Zeilinger und andere Physiker, die die „Wunder” der Quantenmechanik philosophisch nicht fassen konnten, kommen zu ähnlich absurden Schlussfolgerungen. Ihre Aussagen sind Wasser auf die Mühlen philosophischer Quacksalber, die sich rühmen, die Quantenmechanik würde all ihre verrückten Ideen „beweisen“.
Die Physiker sind also in einer sehr ähnlichen Situation wie die restliche Arbeiterklasse. Nur unsere gemeinsame Arbeit erzeugt die gesellschaftlichen Reichtümer. Doch solange die Arbeiterklasse sich dessen nicht bewusst ist, solange wir unsere Arbeit nicht bewusst in unserem Sinne einsetzen, werden sich die Produkte unserer Arbeit gegen uns richten. Der einzige Weg daraus ist ein rationales Verständnis der Welt und der Gesellschaft – dieses kann nur der Marxismus bieten.
Lukas Frank, der Funke Österreich
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