Wiedereinmal kassiert die UBS eine Milliardenbusse – die höchste, die der französische Staat je ausgesprochen hat. Doch das ist nur die Spitze des Eisberges. Über die Bewegungen und Widersprüchen, die sich unter der Oberfläche abspielen: ein Kommentar.
Eigentlich sind es keine atemberaubenden Nachrichten. Die UBS wurde einmal mehr vor Gericht gezerrt. Sie soll zwischen 2004 und 2012 illegal Kunden in Frankreich angelockt und beim Steuerhinterziehen unterstützt haben. Was überrascht, ist die Höhe der Busse: 5,1 Milliarden Franken. Das entspricht immerhin 7,5 Prozent des Schweizer Bundesbudgets! Gleichzeitig brach die UBS mit ihrer Standardprozedur: Statt sich einem Vergleich zu beugen, wehrt sie sich gegen die Klage. Was auf den ersten Blick nach Irrsinn aussieht, widerspiegelt in Wahrheit die Zuspitzung der Widersprüche zwischen dem französischen Staat und dem traditionsreichen Schweizer Bankenplatz.
Trotz harter Sparmassnahmen auf Kosten der Arbeiterklasse stieg die französische Staatsverschuldung seit Ausbruch der Krise 2008 von 70 auf 100% des BIPs. Statt das Defizit abzubauen, erhöhte es Macron im neuen Jahr um 0.6%. Steuergeschenke an Unternehmen von über 19 Milliarden Euro sind geplant. Kompensiert hätte dies unter anderem durch die neue Benzinsteuer werden sollen, wenn die Gilets Jaunes dies nicht verhindert hätten. Der Staatshaushalt steht heftig unter Druck – Druck, den die Regierung auf die Schweizer Bank abwälzen will. Frankreich kann es sich nicht mehr leisten, auf die Steuereinnahmen der von der UBS verwalteten Gelder zu verzichten.
Diese Busse ist nur der letzte Ausdruck der stetig enger werdenden Zwinge um die Grossbank bzw. den Schweizer Bankensektor. Nach der Jahrtausendwende wurde die unantastbare Monopolstellung der Schweizer Banken in der Vermögensverwaltung immer weniger toleriert. Unter dem internationalen Druck, mit der USA an vorderster Front, wurde die Schweiz 2014 endlich gezwungen, das Bankgeheimnis aufzugeben und den automatischen Informationsaustausch einzuführen. Die unbeschwerten Tage des geschützten Schwarzgeldes waren vorbei.
Vor der Abschaffung des Bankgeheimnisses waren 80% der verwalteten ausländischen Vermögen Schwarzgeld. Teile davon fallen nun weg. Zwar konnten sie die Gesamtmenge an verwalteten ausländischen Vermögen in den letzten Jahren stabilisieren. Doch lässt sich mit dem nicht mehr ganz so schwarzen Geld schlechter Gewinn machen: «Um gleich viel zu verdienen wie vor einem Jahrzehnt, muss eine Bank heute im Schnitt einen Fünftel mehr Gelder verwalten» (NZZ). Mit dem Fall des Bankgeheimnisses fiel auch der staatliche Schutz der Monopolstellung in der Vermögensverwaltung. Der Schweizer Bankensektor ist seither direkter der internationalen Konkurrenz ausgesetzt. Er verliert an volkswirtschaftlicher Bedeutung: der prozentuale Anteil an der Schweizer Wertschöpfung hat sich seit zehn Jahren fast halbiert. Der Bankensektor, die ehemalige Goldmine, bricht ein.
Die UBS geht nicht wie gewohnt einen Vergleich mit dem Ankläger Frankreich ein. Als mächtigste Schweizer Bank ist sie gezwungen, den Kampf aufzunehmen: Sie kann es sich nicht mehr leisten, ihre Schuld einzugestehen und Kapital abwandern zu lassen. Dieser Taktikwechsel widerspiegelt den Zustand des Schweizer Bankensektors: dieser ist aufgrund der sinkenden Profitabilität und der verschärften Konkurrenz auf jeden Franken Kapital angewiesen. Der Prozess ist der verzweifelte Versuch, den Schweizer Bankenplatz in seinem Todeskampf zu schützen.
Der Zusammenbruch des Bankensystems vor zehn Jahren wirft einen langen Schatten. Er war begleitet von demjenigen des Vertrauens in das Finanzsystem und brachte einen «tiefgreifenden Wandel in den Moralvorstellungen» (NZZ) mit sich. Das treibt sogar einen Keil in den Schweizer Staat. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich letztes Jahr dagegen entschieden, etwa 40’000 französische Kundendaten herauszurücken, von denen sich die französischen Strafbehörden Beweise gegen die UBS-Banker erhoffen. Die eidgenössische Steuerverwaltung hingegen will das Urteil, zum Vorteil Frankreichs, anfechten. Das Gericht schützt unmittelbar die Interessen der UBS und hält de facto am aufgelösten Bankgeheimnis fest. Für dieses erodierte die moralische Legitimität aber zunehmend. In Gestalt der Steuerverwaltung ist der bürgerliche Staat darum unter Druck, die Drecksgeschäfte der Banker auch anzugreifen.
In Frankreich hat sich der «Wandel in den Moralvorstellungen» noch um einiges «tiefgreifender» und allgemeiner vollzogen. In Zeiten, in denen die Massenbewegung der Giltes Jaunes die bürgerliche Regierung offen angreift, statuiert der französische bürgerliche Staat ein Exempel an der UBS. Ein Schelm wer Böses dabei denkt: er erhofft sich, die eigene bröckelnde Legitimität in der Arbeiterklasse durch den Angriff auf die UBS aufzuputzen.
Unter der Spitze des Eisbergs, einem juristischen Prozess, bewegt sich also einiges: verschärfte nationalstaatliche Widersprüche, der Todeskampf des schweizer Bankensektors – und nicht zuletzt ein kapitalistisches System, dessen moralische Legitimität von der Arbeiterklasse zunehmends infrage gestellt wird.
Nick Häfeli
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