Wer die Gesellschaft verändern will, braucht klare Perspektiven. Deshalb erarbeiten wir jedes Jahr eine allgemeine Einschätzung der wirtschaftlichen und politischen Konjunktur in der Schweiz. Hier veröffentlichen wir das diesjährige Dokument, das an einer nationalen Konferenz im Februar mit Anträgen abgeändert und verabschiedet wurde. Es dient uns als Kompass zur Orientierung in der laufenden politischen Arbeit. Im Teil 1 haben wir arguentiert, dass das Jahr 2020 einen Wendepunkt in der Entwicklung des Schweizer Klassenkampfs darstellt…
Wir müssen allerdings klar sagen, dass der Prozess der Auflösung der politischen Stabilität erst ganz am Anfang steht. Die überwiegende Mehrheit der Schweizer Arbeiterklasse hat den Bundesrat und den Kapitalismus noch nicht entlarvt. Trotz der ersten Risse wirkt die vermeintliche Schweizer Stabilität weiterhin, weil der allgemeinen Unzufriedenheit kein politischer Ausdruck gegeben wird. Die nationale Einheit spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Der Bundesrat hat im Krisenjahr 2020 die Interessen der Bourgeoisie ziemlich genau umgesetzt. Das Tempo der Lockdownmassnahmen und die Rettungsgelder erfolgten im Grossen und Ganzen gemäss den Anforderungen der Kapitalisten. Insofern hat der Bundesrat die Forderungen der Parteien der Bourgeoisie, die CVP, SVP und die FDP, umgesetzt. Doch auch die SP hat die Politik der Bundesrats grösstenteils unterstützt. SP-Bundesrat Berset gab der menschenfeindlichen Regierungspolitik ein humanes Gesicht. Die CVP, SVP und die FDP konnten sich somit eigentlich meistens hinter dem «rationalen» Bundesrat verstecken und mussten kaum sichtbar als offene Kapitalvertreter auftreten. Das hat dazu beigetragen, zu verschleiern, dass die Politik von SVP und FDP die Politik des Kapitals gegen die lohnabhängige Bevölkerung ist. Doch das lässt sich nicht auf Dauer verstecken. Die Krisenpolitik wird auch die bürgerlichen Parteien zunehmend entblössen.
Wie in allen Ländern appellierte auch die herrschende Klasse in der Schweiz seit Beginn der Pandemie vehement an die nationale Einheit. Mit der Logik von «Wir sitzen alle im gleichen Boot» versucht die herrschende Klasse zu verhindern, dass in Krisenzeiten die Klassenwidersprüche offen aufbrechen. So soll der Status quo, das heisst die Profitbedingungen und die Herrschaft des Kapitals, aufrechterhalten werden. Es sei Aufgabe einer nationalen Interessensgemeinschaft, «die Wirtschaft» weiterlaufen zu lassen. Alle müssten dabei ihren Beitrag leisten, was in den beschuldigenden Appellen an die «Eigenverantwortung» besonders zynische Formen annahm.
Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung mit der zweiten Welle das Vertrauen in den Bundesrat verlor, kam keine organisierte, politische Opposition gegen die bundesrätliche Krisenpolitik auf.
Wichtiger Teil dieser bürgerlichen Krisenstrategie ist die Einbindung der Führungen der traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung in die nationale Einheit. So soll der potenziellen Radikalisierung der Arbeiterklasse ein Deckel aufgedrückt werden. Indem die Führungen der beiden Hauptklassen der Gesellschaft Teil der nationalen Einheit sind, soll die bürgerliche Krisenpolitik als alternativlos dargestellt werden. Genau dies ist der Schweizer Bourgeoisie ziemlich gut gelungen: Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung mit der zweiten Welle das Vertrauen in den Bundesrat verlor, kam keine organisierte, politische Opposition gegen die bundesrätliche Krisenpolitik auf.
Die Schweiz hat mit dem Bundesrat ein sehr wirksames Instrument der nationalen Einheit. Zauberformel und Kollegialitätsprinzip sorgen für eine institutionalisierte nationale Einheit. Seit Jahrzehnten ist die SP in klar untergeordneter Position in die Regierung des Kapitals integriert. So wird dem Widerstand der Arbeiterklasse der Kopf abgeschlagen und Oppositionspolitik ist scheinbar ausgeschlossen. Gleichzeitig wird keine Partei alleine für die Krisenpolitik verantwortlich gemacht, was die politischen Differenzierungsprozesse verschleiert und so zumindest temporär bremsen kann. Doch die Dialektik und das Jahr 2020 haben uns gelehrt, dass nichts in Stein gemeisselt ist und sich alle Stabilitätsfaktoren unter ausreichendem Druck in ihr Gegenteil verkehren können.
Die SP nahm im März die ihr zugedachte Rolle in der nationalen Einheit sofort ein. Seither wurden eigentlich alle Grundpfeiler der bürgerlichen Krisenpolitik mitgetragen: zweimalige Verweigerung des Lockdowns, zweimalige Verweigerung der Schliessung der nicht-essentiellen Produktion, Verweigerung einer Vorbereitung der Gesundheitskapazitäten auf die zweite Welle, ständiges Abladen der Kosten für die Rettungspakete auf die Allgemeinheit, sprich die Arbeiterklasse.
Die SP-Führung begnügte sich mit einer sehr schwachen Scheinopposition, die sich überwiegend auf das Füllen von Lücken in den Rettungspaketen zugunsten des Kleingewerbes begrenzte. Ihr Hauptargument ist, dass sozialdemokratische Politik fähiger sei, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft vor der Krise zu schützen. Dabei verbleibt sie aber vollumfänglich innerhalb der engen Grenzen des Kapitalismus. Sie versucht mit ihren «Lösungsvorschlägen» die Kapitalisten zu überzeugen, dass soziale Investitionen für alle gut seien. Weil sie dafür aber nicht bereit ist, die Profite des Kapitals anzugreifen, bleibt ihre einzige Zuflucht die keynesianistische Staatsverschuldung. Weil sie keine von den Bürgerlichen unabhängige Klassenpolitik führt, kann sie der Arbeiterklasse keine Verbesserungen während der Krise mehr anbieten. In der Krise entblösst sich der Reformismus als das, was er ist: Nicht ein anderer Weg zum Sozialismus, sondern der illusorische Versuch, den Kapitalismus vor sich selber zu retten. Der Reformismus wird zum Juniorpartner der Bourgeoisie.
Dies erklärt die SP-Politik im Jahr 2020: die Unterzeichnung einer gemeinsamen Deklaration mit den bürgerlichen Parteien im März, das Mittragen der Swiss-Rettung im Mai und das Ausbleiben von Widerstand gegen das kriminelle Verhalten der Kapitalisten und des Bundesrats im Herbst. Da nichts unternommen wurde, um die Arbeiterklasse zu mobilisieren, konnten die Bürgerlichen auch im parlamentarischen Krümelverteilen praktisch alles abschmettern. Die SP war im Krisenjahr 2020 die de facto wichtigste Stütze des Bundesrates, was in Berset und Sommaruga personifiziert wurde.
In einer Periode von Angriffen und Politisierung ist der Reformismus der SP-Führung eine entscheidende Bremse auf die Radikalisierung der Arbeiterklasse. Doch Bremsen nutzen sich mit dem Gebrauch und in extrem steilen Abfahrten ab. Die aktuelle Krise ist eine solche Abfahrt. Wenn die SP ihre Politik nicht grundlegend ändert, wird sie daher mit der sich über Jahre hinziehenden Krise auch zunehmend von der Arbeiterklasse für ihre arbeiterfeindliche Politik verantwortlich gemacht werden. Für die Bourgeoisie ist dies gefährlich, weil sich das Krisenmittel der nationalen Einheit aufzubrauchen droht. Für die Arbeiterklasse bedeutet die Situation, dass es umso dringender wird, sich ihre Organisation zurückzuerobern, um sich mit einem Kampfinstrument gegen die Krise wehren zu können. Die Politik der SP muss sich ändern – oder die SP muss ersetzt werden. Da wir uns die SP, die grösste nationale linke Partei, nicht einfach schönträumen oder wegwünschen können, müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen.
Meyer-Wermuth haben mit dem Slogan für einen «linken Aufbruch die SP-Präsidentschaft gewonnen. Das Meyer-Wermuth-Präsidium ist also bereits ein Ausdruck der Radikalisierung der Arbeiterklasse und Jugend in der Schweiz. Gewisse Schichten innerhalb der SP, insbesondere in der JUSO, hegen aufgrund ihres Slogans sowie ihrer kämpferischen JUSO-Vergangenheit ehrliche Hoffnungen. Meyer-Wermuth stellen einige unterstützenswerte Forderungen auf. So fordert die SP beispielsweise völlig zurecht die sofortige Aufstockung des Gesundheitspersonals oder die stärkere Besteuerung von Dividenden, grossen Erbschaften (10 Mio.) und hohen Löhnen (>300’000.-), um die Kosten der Krise zu bezahlen. Wir MarxistInnen unterstützen alle Forderungen, welche die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen verbessern. Die entscheidende Frage ist allerdings, wie die Forderungen tatsächlich umgesetzt werden können. Genauer gesagt, mit welchen politischen Methoden sie gegen die Profitinteressen der Kapitalisten und deren Bundesrat durchgesetzt werden können.
Gemäss der SP-Führung sind es der Bundesrat, das Parlament und die Kantonsregierungen, welche die Forderungen im Interesse der ArbeiterInnen umsetzen sollen. Die SP-Führung tut, als könne man die Bürgerlichen und den Bundesrat mit Argumenten überzeugen und zum Handeln bringen. Das wird jedoch nicht passieren. Im Jahr 2020 wurde überdeutlich, dass die Bürgerlichen und der Bundesrat nicht die Interessen der Arbeiterklasse vertreten. Sie werden nicht freiwillig die Kosten der Krise tragen. Dies kann nur auf Druck der Arbeiterklasse erfolgen. Dieser Druck wird nicht im Parlament erzeugt, wo die Arbeiterklasse schwach ist. Sondern dort, wo sie stark ist, nämlich in den Betrieben, den Quartieren und auf der Strasse. Heute kann die Arbeiterklasse die Angriffe nur abwehren, wenn sie organisiert und kampffähig ist. Die Mobilisierung der Arbeiterklasse muss auf folgenden zwei Grundsätzen basieren: 1) Wir bezahlen eure Krise nicht! 2) Wir ArbeiterInnen sorgen tagtäglich dafür, dass die Gesellschaft funktioniert. Wir müssen auch entscheiden, wie die Gesellschaft funktioniert!
Hier wird auch deutlich, dass gewisse Forderungen von Meyer-Wermuth in die richtige Richtung, aber viel zu wenig weit gehen. Die Arbeiterklasse braucht ein von den Interessen der Bourgeoisie unabhängiges Programm: Die Kosten der Krise dürfen auf keinen Fall auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden. Heute muss ein striktes Entlassungsverbot bei garantiertem Lohn in das Programm der Arbeiterorganisationen eingemeisselt werden. Bei Nichteinhaltung müssen die Kapitalisten enteignet werden, sie haben ihren Anspruch auf die Führung der Gesellschaft komplett verloren. Die öffentlichen Gesundheitskapazitäten, v.a. das Personal, müssen flächendeckend massiv ausgebaut werden – 5% reichen nicht (Vorschlag von Meyer-Wermuth)! Geld ist dafür genug da, es ist jedoch konzentriert bei einer winzigen Minderheit von Grosskapitalisten. Auch die Schulden dürfen keinesfalls über Sparmassnahmen von den ArbeiterInnen und ihren Familien getragen werden. Dies bedingt, dass den keynesianistischen Wunschträumen, die in der harten Realität von der Arbeiterklasse bezahlt werden, in einer Arbeiterpartei den Riegel vorgeschoben werden muss. Die Arbeiterklasse braucht eine revolutionäre Kampfpartei, die ernsthaft für eine Arbeiterregierung – eine Regierung von ArbeiterInnen, für ArbeiterInnen – einsteht.
Die SP muss aufzeigen, dass schon die Erhaltung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse nur im Kampf gegen die Kapitalisten und ihre Profitinteressen erfolgen kann. Die SP muss einen Weg finden, wie die Arbeiterklasse die notwendigen Forderungen selbst umsetzen oder ihre Umsetzung erzwingen kann. Sie muss im Bündnis mit den Gewerkschaften direkt für die Verankerung dieser Forderungen in den Betrieben, Schulen, Quartieren sorgen. Dort sollen die Forderungen in Versammlungen diskutiert und ihre Unterstützung beschlossen werden.
Die Verteidigung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse erfordert die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Bundesrat der Kapitalisten.
In erster Linie muss die SP konsequent die Interessen der Arbeiterklasse vertreten – das heisst den Kampf gegen die bürgerlichen Angriffe aufnehmen und ein sozialistisches Programm verteidigen. Das macht nicht nur den Bruch mit der nationalen Einheit in der Regierung notwendig – ebenso braucht es einen internenen Kampf für dieses sozialistische Programm und gegen die reaktionären Teile in der SP selbst. Eine ernstzunehmende soziale Politik ist nicht möglich, solange Exponenten wie Eva Herzog, Mario Fehr, Daniel Jositsch und Alain Berset, welche eine klar arbeiterfeindliche Politik vertreten, in der Partei verbleiben und für die SP sogar noch Regierungsverantwortung übernehmen. Die Erfahrungen mit Jeremy Corbyn in der britischen Labour Partei sollte eine wichtige Warnung sein für alle Linken: Das Scheitern der Corbyn-Führung bestand darin, dass sie trotz offener Sabotage der rechten Blairisten versucht hat, mit ihnen gemeinsam die Partei zu führen. Auch die vergangene Ära unter SP-Parteipräsident Levrat war immer der Versuch, die verschiedenen Klasseninteressen, die in der SP selbst aufeinanderprallen, zu versöhnen.
Meyer-Wermuth befürchten, dass ein solch entschlossener Kampf gegen den rechten Parteiflügel ihnen die „Wirkungsmacht“ nehmen würde . Das Gegenteil ist der Fall! Die Verteidigung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse erfordert die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Bundesrat der Kapitalisten. Der offene Bruch mit jeglicher bürgerlicher Politik ist ein absolut notwendiger Schritt, um das Vertrauen der fortgeschritteneren Lohnabhängigen zurückzugewinnen und sie um ein kämpferisches sozialistisches Programm herum zu organisieren. In erster Linie heisst das für ein konsequent linkes Programm in der SP selbst zu kämpfen, die Basis dafür zu mobilisieren, jegliche SP-Exponenten dafür zu verpflichten und andernfalls abzuwählen. Klar ist: Die Bourgeoisie kann niemals dulden, dass Mitglieder der Regierung gegen ihre gesamte Krisenpolitik opponieren. Bei einer konsequenten linken Politik werden die Regierungsmitglieder der SP also entweder von den bürgerlichen Parteien aus der Regierung geworfen, oder sie gehen offen ins bürgerliche Lager über und werden aus der SP ausgeschlossen. Die Opposition ist also kein Selbstzweck – sie ist notwendiges Ergebnis einer konsequenten Politik zur Verteidigung der Arbeiterklasse.
Die Arbeiterklasse braucht eine von der Bourgeoisie unabhängige Kampforganisation. Die aktuelle SP-Führung wird die Partei nicht zu einem Kampfinstrument der ArbeiterInnen umbauen. Darin haben wir MarxistInnen keinerlei Illusionen. Gleichzeitig erkennen wir auch die Realität an, dass die SP weiterhin die einzige Massenpartei ist, die von gewichtigen Schichten der Arbeiterklasse als links angesehen wird. Dieser widersprüchliche Zustand wird in der kommenden Periode nicht auf Dauer haltbar sein. Der Druck auf Meyer-Wermuth wird ansteigen. Jene Schichten, die Hoffnungen in das neue Präsidium setzen, erwarten, dass die SP-Führung auf die aggressivere Krisenpolitik reagiert. Die Corona-Toten, die Situation in der Pflege, die Entlassungen, die Sparmassnahmen usw. erfordern eine Reaktion. Es ist durchaus möglich, dass die neue SP-Führung verbal auf kämpferische Positionen schwenken wird, gerade wenn der Druck von unten weiter zunimmt. Doch um den Lebensstandard gegen die kommenden Angriffen der Kapitalisten zu verteidigen braucht es mehr als einen verbalen Linksrutsch. Der Widerstand gegen die Bürgerlichen erfordert eine deutlich kämpferischere Herangehensweise als bisher. Die SP-Führung wird in der nächsten Periode daran gemessen werden, ob sie den Lohnabhängigen aufzeigen kann, wie diese sich gegen die Krise wehren können.
Ob sich die Lohnabhängigen die SP zurückerobern, ob aus Teilen der SP eine neue Arbeiterpartei hervorgeht und welche Rolle Bewegungen ausserhalb der SP spielen werden – der Ausgang dieses Prozesses ist heute offen. Das wird sich erst zeigen, wenn die Arbeiterklasse im Widerstand zur herrschenden Politik in Bewegung tritt. Wenn die Massen die politische Bühne betreten, ist es allerdings wahrscheinlich, dass sie auf jene Organisationen zurückgreifen, die heute existieren. Unsere Klasse hat in der vergangenen Periode wenig kollektive Kampferfahrungen gesammelt. Insbesondere die harte Schule des (linken) Reformismus steht ihr noch bevor. Im Kampf für echte Reformen wird sie mit der reformistischen Führung zusammenstossen. Wir müssen aktiv in diese Prozesse eingreifen, wenn sie auf der Tagesordnung stehen. Als politische Strömung innerhalb der JUSO stehen wir bereits heute für die Erneuerung der Sozialdemokratie auf einem sozialistischen Programm. Doch um in Zukunft in diesen Prozessen eine Rolle zu spielen, müssen wir heute die marxistische Strömung aufbauen, wo sich die besten Möglichkeiten dazu bieten.
Aktuell ist die JUSO die einzige organisierte Kraft, welche die Differenzierungsprozesse in der SP von links aus weitertreiben kann. Die JUSO ist auch die einzige nationale Partei, die sich im vergangenen Jahr offen gegen die bürgerliche Krisenpolitik gestellt hat. Es wurden korrekte Slogans aufgestellt wie «Die Kosten der Krise dürfen auf keinen Fall auf die 99% abgewälzt werden» und «Der Staat schaut immer zuerst auf das Kapital». Das ist ein guter Ausgangspunkt. Nun müssen diese Slogans in die Tat umgesetzt, das heisst mit konkretem revolutionärem Inhalt gefüllt werden. Welche Verantwortung die JUSO besitzt, hat sich klar im Klimastreik und am CO2-Gesetz gezeigt.
Seit über zwei Jahren suchen Teile der Jugend in der Schweiz auf der Strasse nach einer Alternative zur Sackgasse des Kapitalismus und des bürgerlichen Staats. Die JUSO hatte von Beginn weg das Potenzial (und hat es weiterhin), den kämpfenden Jugendlichen aufzuzeigen, wie sie in der Krise wirklich Widerstand leisten können. In der Klimabewegung kämpfen tausende Jugendliche gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur. Zwar hat sich der aktive Kreis des Klimastreiks mittlerweile verkleinert. Aber der passiv unterstützende Teil in der Jugend ist riesig und die Bewegung kann auch in Zukunft nochmals Energie bekommen. Solche Bewegungen sind nicht statisch. Sie machen Erfahrungen, die zu inneren Differenzierungsprozessen führen. Das Selbstverständnis der meisten Klimastreikenden ist heute viel klarer antikapitalistisch als noch zu Beginn der Bewegung. An Demonstrationen sind fast alle Teilnehmenden einverstanden, dass der Kapitalismus das Problem ist. Doch sie haben keine klare Idee, wie man gegen ihn kämpft. Für Alternativen sind sie aber extrem offen. Die Erfahrungen haben auch zu einer breiteren Einsicht geführt, dass der Klimastreik trotz aller Mobilisierungen noch nichts Handfestes gewonnen hat.
Heute zeichnen sich bereits scharf die Konsequenzen von verschiedenen politischen Herangehensweisen ab, welche in der Debatte über die Strategie der Bewegung vorgestellt wurden. Ohne dass in der Bewegung ein kohärentes revolutionäres Programm verteidigt wird, läuft sie immer wieder Gefahr, politisch korrumpiert zu werden. Für den Sozialismus zu kämpfen hätte für die JUSO bedeutet, diesen Kampf aufzunehmen und speziell am CO2-Gesetz aufzuzeigen, wieso ein Klimaprogramm ein sozialistisches Programm sein muss und wie man dafür kämpft. Weil die JUSO-Führung diesen Kampf verweigerte, konnte die kleinbürgerliche XR-Bewegung temporär die Führung übernehmen und die Aufmerksamkeit auf den zivilen Ungehorsam lenken. Im September 2020 organisierten diese die symbolische Besetzung des Bundesplatzes, während im Bundeshaus das arbeiterfeindliche CO2-Gesetz verabschiedet wurde. Auch als wir an der JUSO-DV vom Oktober 2020 diese Debatte erneut provozierten, wurde die Diskussion von der Geschäftsleitung sabotiert.
Das CO2-Gesetz wirft wichtige Fragen auf: Einerseits wer für die (Klima-)Krise bezahlen soll, andererseits wer die Klimakrise lösen kann. Das Gesetz übergibt dem bürgerlichen Staat die aktive Rolle im Klimawandel, den Unternehmen viel Freiraum und den ArbeiterInnen über Abgaben zusätzliche Kosten. Damit stellt es das «grüne» Spiegelbild der arbeiterfeindlichen Krisenpolitik dar. Die Führung des Klimastreiks bestand diese Herausforderung nicht. Zu durchdrungen sind sie vom Reformismus, dem Vertrauen in den bürgerlichen Staat, dem Zwang, irgendetwas zu erreichen und dem Karrierismus bei den Grünen. In undemokratischer Weise sabotierten sie die Diskussion in den nationalen Klimastreiktreffen und kippten nachträglich die Entscheidung, das Referendum zu unterstützen.
Das zentrale Argument für das CO2-Gesetz war die Alternativlosigkeit zum bürgerlichen Parlament und somit das “kleinere Übel”, welches das Gesetz darstellen soll. Sozialisten haben Antworten auf die Probleme, welche so ein Gesetz und das Referendum stellen. Denn diese stellen sich nicht zum ersten Mal! Den Slogans Taten folgen zu lassen bedeutet für die JUSO in genau diesen Debatten konsequent die Position der lohnabhängigen Mehrheit einzunehmen. Durch das Einknicken der JUSO-Führung vor der Mutterpartei gab es in der Deutschschweiz keine politisch relevante linke Kraft, welche das Gesetz ablehnte. Die Befürworter des Referendums hatten in der Deutschschweiz keine Vertretung. Ihr Kampf wurde dadurch erheblich geschwächt.
Mit einem sozialistischen Programm hätte die JUSO mit Optimismus und einer politisch ehrlichen Herangehensweise diese Fragen im Klimastreik klären können. Die JUSO hätte aufzeigen müssen, dass jene «Linken», die das CO2-Gesetz aktiv mittragen, Pessimisten sind, die kein Vertrauen in das Potential der Arbeiterklasse und somit kein Vertrauen in die Lösung der Klimafrage haben. Sie hätte aufzeigen müssen, wie gegen diese gekämpft werden kann. Doch dies geht nur, wenn aufgezeigt wird, wie die Forderungen der Klimastreikenden und der ArbeiterInnen umgesetzt werden können. Die Klimakrise ist dringend, die Forderung nach Nettonull bis 2030 korrekt. Aber Marktmechanismen und der bürgerliche Staat (die Grundpfeiler des CO2-Gesetzes) sind völlig unfähig, dieses Ziel zu erreichen. Der Kampf für eine lebenswerte Zukunft ist der Kampf der Arbeiterklasse. Nur sie hat die soziale Macht, die Produktion aus den verschmutzenden Händen der Kapitalisten zu entreissen.
Dass die kämpferischsten Teile des Klimastreiks das Referendum gegen das asoziale Gesetz ergriffen haben war völlig korrekt. Doch gegen die bürgerliche Verbandsmacht kam das linke Referendumskomitee, von dem wir Teil waren, nicht an. Sie konnten nur 7’000 Unterschriften einreichen. Doch trotz des Scheiterns des linken Referendums geht dieser Kampf mit der Abstimmung im Juni in die zweite Runde.
Ob das Referendum nun von Links oder von Rechts lanciert wurde ist eine nebensächliche Frage. Der Abstimmungskampf wird erneut die gleichen Debatte lancieren: Wer bezahlt? Wegen dem Einknicken von JUSO- und Klimastreikführung werden die Lohnabhängigen erneut ohne Interessensvertretung dastehen. Die Rechte wird zynisch, aber hemmungslos, die sozialen Argumente auspacken und diese gegen die Linke schleudern. Auch der Klimastreik wird nicht unbehelligt durch diesen Kampf ziehen können. Denn die Position, in welche die Führung die Bewegung manövriert hat, verrät auf ganzer Linie die Forderung nach “Klimagerechtigkeit”, welche in der Bewegung weit verankert ist.
Die sozialen Forderungen der Lohnabhängigen wie sichere Löhne und eine anständige Rente stossen an die gleichen Grenzen wie die Klimabewegung – die Grenzen des Kapitalismus.
Gerade in diesen Momenten hilft eine marxistische Position allen ehrlichen AktivistInnen die fundamentalen politischen Positionen standfest zu verteidigen. Wir lehnen diese Gesetz ab, weil es nichts löst und weil die Lohnabhängigen bezahlen. Wir lehnen es auch ab, wenn das Referendum von rechts kommt. Wir gewinnen nichts im Kampf gegen die SVP, in Allianz mit der FDP. Und wir müssen den Abstimmungskampf nutzen, um die korrekte Position und eine korrekte Herangehensweise im Klimastreik, in der JUSO, in der Jugend und der Arbeiterklasse zu verteidigen.
Will der Klimastreik seine eigenen Ziele verwirklichen, muss er über die Jugend hinausgehen und der breiteren Arbeiterklasse aufzeigen, dass sie gemeinsame Interessen teilen. Die sozialen Forderungen der Lohnabhängigen wie sichere Löhne und eine anständige Rente stossen an die gleichen Grenzen wie die Klimabewegung – die Grenzen des Kapitalismus. Der Strike for Future und das Referendum, d.h. die Ablehnung der bürgerlichen Umwelt- und Krisenpolitik, müssen als erste Schritte hin zur Arbeiterklasse genutzt werden.[1]
Die JUSO muss im Abstimmungskampf eine solche Position verteidigen. Verpasst die JUSO-Führung diese Chance erneut, schadet das der Partei, aber auch dem politischen Bewusstsein der radikalsten Schicht an Jugendlichen, welche sich aktuell politisiert. Das wird reaktionären Ideen wie der Basisdemokratie, Decroissance, den Grünen und der GLP Tür und Tor öffnen, um die Bewegung zu korrumpieren. In Österreich ging das soweit, dass der Klimastreik komplett von den Grünen gekapert wurde und heute eine offen rassistische Regierungskoalition stützt. Die JUSO muss ihren Parolen Taten folgen lassen, indem sie gegen alle Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter kämpfen, einschliesslich des CO2-Gesetzes, und die Kämpfe der ArbeiterInnen mit denen des Klimastreiks unter einem sozialistischen Programm vereinen.
Die JUSO ist eine reale Kraft, welche in den Schulen, insbesondere den Berufsschulen, und Lehrbetrieben eine konsequente sozialistische Position verankern kann. Streikaktionen müssen organisiert und die Gewerkschaften in den Kampf gezogen werden. Insofern muss die JUSO von Meyer-Wermuth fordern, dass sie ihren schönen Worten echte Taten folgen lassen. In den Demos muss die JUSO geschlossen die sozialistischen Ideen verteidigen, denn nur sie helfen der Klimabewegung, ihre eigenen Forderungen zu erfüllen. Die kämpferischsten Teile der Jugend und der Arbeiterklasse müssen um ein revolutionäres Programm organisiert werden. Dies ist der einzige realistische Weg, um dem Kapital und dem bürgerlichen Staat die Macht entreissen zu können und tatsächlich die Ausbeutung von Mensch und Natur beenden zu können.
Die aktuelle Situation ist durch ein stark angespanntes Verhältnis zwischen den Klassen gekennzeichnet. Auf der einen Seite hat die herrschende Klasse keinen wirklichen Ausweg aus der Krise. Auf der anderen Seite finden in der Arbeiterklasse grosse Radikalisierungsprozesse statt, die in der Schweiz erst vereinzelt an die Oberfläche treten. Der Reformismus der SP-Führung bedeutet, dass auch die Arbeiterklasse keinen schnellen Ausweg hat. Was wir bereits heute deutlich sehen, ist, dass die Arbeiterklasse für die Krise bezahlt, solange sie keine revolutionäre Führung hat. Die Aufgabe der MarxistInnen ist es, diese barbarische Zwischenperiode so stark wie möglich zu verkürzen.
In der Schweiz war die Periode seit der Weltwirtschaftskrise 2008 bis zur jetzigen Krise durch stagnierenden Lebensstandard, verschlechterte Arbeitsbedingungen und Sozialabbau gekennzeichnet. Vor 2020 verfügte ein Viertel der Bevölkerung über gar kein Vermögen, 55% der Bevölkerung besass nicht über 50’000 CHF Erspartes und 18.6% der Bevölkerung hätte eine unerwartete Ausgabe von 2’500 Franken nicht finanzieren können. Zunehmend unsichere Arbeitsverhältnisse, steigender finanzieller Druck und die Zunahme der Arbeitsintensität prägten das Arbeitsleben von Teilen der Lohnabhängigen. Insbesondere in der Pflege, den sozialen Diensten und der Bildung nahm die psychische Belastung zu, was sich in zunehmendem Stress, körperlichen Beschwerden und in ständiger Müdigkeit ausdrückte. Dies ist direkte Folge der Sparmassnahmen. Auf nationaler Ebene wurden die Renten und Arbeitslosenkassen angegriffen, auf kantonaler Ebene bei der Bildung, der Gesundheit und der Sozialhilfe gespart. Die jetzige Krise kommt nun obendrauf.[2]
Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz verzeichnete im Frühling einen schnellen Anstieg um 0.8 Prozentpunkte auf aktuell 3.3% (Seco Nov. 2020). Hier muss berücksichtigt werden, dass die offiziellen Zahlen viel zu tief sind, weil Langzeitarbeitslose, Nicht-Stellensuchende, ArbeiterInnen in Übergangslösungen (wie Weiterbildungen) und Sans-Papiers nicht aufgeführt sind. Gleichzeitig werden weniger Stellen ausgeschrieben; im August 2020 beispielsweise 15% weniger als im Vorjahresmonat. Die Langzeitarbeitslosigkeit wird weiter ansteigen. Bereits jetzt hat sich die durchschnittliche Länge der Arbeitslosigkeit verdoppelt. Die aktuelle Krise hat bisher relativ geringe Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Kurzarbeit wirkt stark abfedernd. Die genannten Zahlen beschreiben die zukünftige Entwicklung nur ansatzweise, sie sind lediglich ein Vorgeschmack. Ende 2020 beschäftigten gut 40% der Unternehmen laut eigenen Aussagen zu viel Personal.[3] Die Arbeitslosigkeit wird während Jahren ansteigen und tiefe Spuren ins Bewusstsein der ArbeiterInnen brennen.
Die Gefahr der Arbeitslosigkeit lauert momentan noch im Hintergrund. Seit Beginn der Krise musste die Arbeiterklasse aber massive, durch Kurzarbeit verursachte Lohneinbussen verkraften. Im April 2020 waren gemäss dem BFS über 1.3 Mio. ArbeiterInnen von Kurzarbeit betroffen (fast 26% aller Erwerbstätigen!), nach den Lockerungen im Sommer immer noch über 200’000. Zum Vergleich: Während des Peaks der 2008er-Krise waren nicht einmal 100’000 Lohnabhängige von Kurzarbeit betroffen. Da die Kurzarbeitsentschädigung lediglich 80% des Lohnes ausmachen, trifft das die Löhne vieler Arbeitenden ganz direkt. Die NZZ rechnet sowohl für 2020 und 2021 mit einem Gesamtrückgang der verfügbaren Einkommen von je 23.5 Mia. Franken. Ein grosser Teil hiervon lässt sich auf die Kurzarbeit zurückführen.[4] Gemessen am Lohn waren von den 20% der am wenigsten Verdienenden 45% von Kurzarbeit betroffen.[5] In den aufgeführten Zahlen zeigt sich sowohl die Breite als auch die Tiefe der Krise: Die Breite in der Anzahl Betroffener und die Tiefe in den massiven Lohnausfällen. Geringverdiener werden weiter in die Armut getrieben.
Grundsätzlich weigert sich der bürgerliche Staat in der Schweiz, allgemeine Armutszahlen zu produzieren. Allerdings zeigen die Berichte aus praktisch allen Hilfsorganisationen und Institutionen in die gleiche Richtung: Schweizer Tafel, Caritas, Winterhilfe, Frauenhäuser, Sans-papiers-Organisationen – alle verzeichnen einen rasanten Anstieg der Nachfrage. Die Bilder von langen Warteschlangen von Menschen, die während der ersten Welle für gratis Lebensmittel anstanden, schockierten. Sie zeigen die soziale Realität der ärmsten Schichten. Es werden an die 100’000 Menschen neu von der Sozialhilfe abhängig sein, was eine Zunahme der Sozialhilfebeziehenden um 37% bedeutet[6]. Ein Teil der Arbeiterklasse wird mit voller Wucht getroffen und verarmt.
Neben dem direkten materiellen Druck wird auch die Psyche der ArbeiterInnen enorm belastet. Im Oktober 2020 sagten nur 7% der Bevölkerung, dass es ihnen «gut» gehe! Dieser Anteil hat sich im Verlauf des vergangenen Jahres halbiert. Die Swiss Corona Stress Study sagt, dass sich während des Lockdowns die Häufigkeit von schweren depressiven Symptomen fast verdreifacht hat. Rund 20% davon kannten vorher keine depressiven Symptome. Die Häufigkeit von täglichen Suizidgedanken hat sich verdoppelt. Die Langzeitfolgen auf die Psyche sind nicht abschätzbar. Dass die Auswirkungen der Pandemie aber heftig sind, ist unbestritten. Ebenso ist klar, dass die sich zuspitzende Wirtschaftskrise ein wichtiger Faktor dabei darstellt. Denn die Wirtschaftskrise war sowohl im März, als auch im Oktober, der grösste Angstfaktor der Schweizer Bevölkerung.
Mit Corona wurde auch die Frauenunterdrückung weiter zementiert. Der krudeste Ausdruck ist die häufigere Corona-Erkrankung von Frauen,[7] die deutlich die Exponiertheit arbeitender Frauen in der Gesellschaft zeigt.[8] In den «feminisierten» Sektoren waren die ArbeiterInnen dem Virus stark ausgesetzt, sei es im Gesundheits- oder Detailhandelssektor. Zur Prekarisierung arbeitender Frauen einerseits und der verstärkten Ausbeutung andererseits kommen noch steigende Zahlen häuslicher Gewalt hinzu.[9] Die psychische und körperliche Last von COVID-19 ruht auf den Schultern der Arbeiterinnen! Auch die Wirtschaftskrise wird die Frauen voll treffen. Die prekären, informellen, Teilzeit- und Temporärjobs, wo Frauen oft angestellt sind, werden als erste angegriffen. Hinzu kommt die Last des Sozialabbaus, welche die Frauen doppelt und dreifach trifft. Die Frauenunterdrückung wird auch in der kommenden Krisenperiode ein Grundpfeiler des Schweizer Kapitalismus bleiben. Und somit weiteren, noch viel härteren Widerstand provozieren als in der vergangenen Periode.
Die Jugend wird von der kapitalistischen Krise ebenfalls besonders hart getroffen.[10] Die Jugendarbeitslosenquote stieg fast doppelt so hoch wie die Durchschnittsquote. Die verfügbaren Lehrstellen sinken und immer mehr Lehrabgänger sind auf Stellensuche. Viele ohnehin schon sehr prekäre Studierende verloren als erste ihren Job im Stundenansatz. Jene Generation, die ihr ganzes Erwachsenenleben oder sogar ihre ganze Jugend im Krisenjahrzehnt nach 2008 verbrachte, sieht live zu, wie sich ihre Zukunftsaussichten weiter stark verdunkeln. Sie wird sich dies immer weniger gefallen lassen.
«Du kannst keinen Kapitalismus ohne Rassismus haben!» Das Malcolm-X-Zitat hat sich im vergangenen Krisenjahr einmal mehr bewahrheitet: Die MigrantInnen sind eine weitere spezifische Schicht, die unter den Konsequenzen von Corona im Besonderen leidet. Ihre oft prekären Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen bedeuten, dass sie der bürgerlichen Krisenpolitik in vielen Fällen zuvorderst ausgeliefert sind. Die Situation der Sans-papiers ist speziell unmenschlich: Unsichtbar für einen Grossteil der Gesellschaft, unter ständiger Angst vor der repressiven Justiz, können sie nicht einmal minimalsten Schutz einfordern und müssen sich grausamen Risiken aussetzen. Zwar sorgen alle diese Faktoren dafür, dass die migrantischen ArbeiterInnen oft weniger einfach in den Kampf treten können. Doch dies kann sich schnell ändern, wie beispielsweise die BLM-Demos, oder auch die Migranten-Demos in Bern, gezeigt haben. Treten diese Schichten in den Kampf, sind sie in der Tendenz oftmals radikaler als andere Teile der ArbeiterInnenklasse und können den Klassenkampf vorantreiben. Die Überwindung der rassistischen Spaltungen, das heisst der gemeinsame Kampf der internationalen Arbeiterklasse, ist eine Grundvoraussetzung für eine schlagkräftige Arbeiterbewegung.
Die genannten Zahlen (Kurzarbeit, Sozialhilfe usw.) zeigen, dass weite Teile der Arbeiterklasse bereits jetzt voll angegriffen werden. Die Frauen, die Jugend, die Migranten und die Armen sind dabei die am härtesten getroffen Schichten. Mit dem Auslaufen der Rettungspakete wird sich die soziale Situation der Lohnabhängigen weiter zuspitzen. Immer grössere Teile der Arbeiterklasse werden getroffen. Lohnabhängige aller Alterskategorien und gut ausgebildete FacharbeiterInnen werden ebenso in den sozialen Tsunami hineingezogen werden. Bei steigender Prekarität wird der Sozialabbau dafür sorgen, dass immer mehr Menschen durch das ohnehin schon dünne Sozialnetz fallen. Der sinkende Lebensstandard wird ein prägendes Element der neuen Periode sein. Die ArbeiterInnen werden sich früher oder später dagegen wehren.
Hier gehts zurück zu Teil 1. Der 3. und letzte Teil geht nächsten Sonntag 25. April online. Darin gehen wir auf die Massenentlassungen und kommenden Sparprogramme ein, die Rolle der Gewerkschaften und die Aufgabe der MarxistInnen. Abonniere uns auf Facebook oder Instagram um keinen Post zu verpassen. Hier kannst du unser Perspektivendokument als Broschüre vorbestellen.
[1] CO2-Gesetz: Wie man aus dem Referendum einen Schritt nach vorne macht | derfunke.ch 20.10.2020
[2] Ausführlich in: Perspektive des Klassenkampfs 2020 | derfunke.ch
[3] «Konjunktursignale. Ergebnisse aus den Unternehmensgesprächen der SNB. Viertes Quartal 2020.» S.4
[4] Starker wirtschaftlicher Aufwind im dritten Quartal – doch die Corona-Krise beschert den Schweizer Privathaushalten hohe Einkommenseinbussen | NZZ 1.12.2020
[5] Kurzarbeit: Grosse Einkommensprobleme für GeringverdienerInnen | SGB 5.5.2020
[6] SKOS: Aktuelle Lage und zukünftige Herausforderungen für die Sozialhilfe, 2020, S. 5.
[7] Während Lockdown: mehr Frauen als Männer mit Covid-19 infiziert | swissinfo.ch 20.5.2020
[8] Familien während Corona: Arbeit und Kinderbetreuung belastet Frauen stärker als Männer | EGB 18.6.2020
[9] «Ich gehe leider davon aus, dass sich die Situation nicht rasch bessert»: Coronakrise führt zu mehr häuslicher Gewalt | AZ 10.11.2020
[10] Schweizer Jugend zwischen Krise und Kampf | derfunke.ch 5.10.2020
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024
Europa — von Jack Halinski-Fitzpatrick, marxist.com — 11. 11. 2024
Nah-Ost — von der Redaktion von marxist.com — 07. 11. 2024
Nordamerika — von Revolutionary Communists of America — 05. 11. 2024