Der für am 14. Juni geplante Frauenstreik mobilisiert momentan zahlreiche Frauen in der ganzen Schweiz. Allerdings kann dieser Streik nur zu einer wertvollen Erfahrung werden, wenn er nicht nur symbolisch, sondern ökonomisch ist, und damit auch zu einer ökonomischen Einbusse der KapitalistInnen wird. In der Romandie und im Tessin herrscht eine grössere Streiktradition als in der Deutschschweiz. Die Macht, die Wirtschaft lahmzulegen, liegt allerdings hauptsächlich in den Händen der Deutschschweizer ArbeiterInnen. Deshalb muss auch auf Seiten der Deutschschweizer Sektionen der Gewerkschaften mit der Politik der Sozialpartnerschaft gebrochen werden. Denn nur vereint können sich die ArbeiterInnen der verschiedenen Sprachregionen den Kampf gegen das Kapital erfolgreich führen. Um diesen Kampf aber schlussendlich zu gewinnen müssen wir ihn organisiert und international führen. Dazu brauchen wir eine starke revolutionäre Organisation!
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Mut zum Frauenstreik
Der limitierte Ausbau des Sozialstaates in der Schweiz ist eine direkte Folge der Schwäche der Gewerkschaften und ihrer sozialpartnerschaftlichen, das heisst kompromisslerischen und nicht kämpferischer Praxis in den letzten sechzig Jahre. Sie haben die wirklichen Interessen der ArbeiterInnenschaft – und der Frauen im spezifischen – immer den Interessen der Bürokratie selber oder gewissen Sektoren untergeordnet. Die inexistente Verteidigung der spezifischen Interessen der Frauen ist eine direkte Folge dieses Kurses. Um die Jahrtausendwende gab es eine wichtige Veränderung. Die Fusion verschiedener Gewerkschaften zur Unia verfolgte als eines der Ziele, die gewerkschaftliche Aufbauarbeit im Dienstleistungssektor – wo die Mehrheit der Teilzeit arbeitenden Frauen aktiv ist – voranzutreiben. Bis heute bleibt der Organisationsgrad in den Frauensektoren tief: Dienstleistungssektor 8%, Reinigung 6%, etc. Viele der prekär arbeitenden Frauen sind bis heute nie in den Kontakt mit den Gewerkschaften gekommen.
Wie bereits beim Frauenstreik von 1991 gehört es zu einer bewussten Strategie der Gewerkschaftsbürokratie, die fehlende Verankerung durch symbolische Aktionen und Kampagnen zu kompensieren. Dazu zählt zu einem gewissen Grad auch das Projekt des Frauenstreiks, an dessen Ursprung die VPOD-Frauensektion steht. Die Gewerkschaften glauben, mit der Ausrufung des Streiks eine Abkürzung gefunden zu haben, die ihnen die langfristige, mühselige, aber schlicht notwendige Aufbauarbeit in den Frauensektoren erspart. Die enthusiastische Stimmung unter den unorganisierten Frauen in den Streikkomitees spiegelt die Wut und den Kampfgeist vieler arbeitender Frauen. Zu kritisieren ist aber, dass diese Kampagnen nicht gebraucht werden, um zielgerichtet die gewerkschaftliche Verankerung aufzubauen. Die Übernahme der Führung der Bewegung durch bürokratische und linksradikale Elemente lässt wenig Spielraum für demokratische Diskussionen und hindern den Aufbau der Komitees und die Verankerung unter den unorganisierten Frauen.
Schlussendlich stellt sich auch im Projekt des Frauenstreiks die Frage, welche Praxis die Interessen der arbeitenden Frauen wirklich weiterbringt. Begnügen wir uns mit Symbolpolitik und der Instrumentalisierung der Bewegung durch reformistische PolitikerInnen, welche am Schluss irgendeinen heuchlerischen Kompromiss im Parlament als grossen Sieg der Bewegung verkaufen? Oder schauen wir der Realität ins Auge und akzeptieren, dass in der aktuellen Periode nur harte, reale Kämpfe echte Verbesserungen bringen werden? Nimmt man den Streik als Mittel zu diesem Ziel ernst, ergeben sich notwendigerweise zwei Konsequenzen: Erstens dass er wie ein Streik organisiert werden muss, das heisst Arbeitsniederlegung und nicht kleine, dezentrale Symbolaktionen; zweitens dass auch dieser Streik nur ein Etappenziel in einem langfristigen Kampf sein kann. Dazu muss er das Ziel verfolgen, die arbeitenden Frauen (und Männer) längerfristig gewerkschaftlich und politisch zu organisieren. Dazu kommt, dass die meisten Frauen das erste Mal mit dieser Kampfform in Kontakt treten. Die Basics dazu müssen gemeinsam erarbeitet werden. Das ist die beste Gelegenheit, sie von der Notwendigkeit des kollektiven Kampfes zu überzeugen. Beschränkt man sich im Vornherein auf Symbolpolitik, amputiert man sich die Möglichkeit, aufzuzeigen, wie und dass arbeitende Frauen siegen können. Nur ein Frauenstreik, der die Wirtschaft erfolgreich blockiert, wird die Bürgerlichen zu Konzessionen zwingen. Und darum geht es. Bei einem siegreichen Streik sind die Resultate der Beweis, dass der Kampf Verbesserungen bringt.
Die Wahl des Streiks als Ziel und Kampfmittel ist eine vortreffliche Möglichkeit, direkt aufzuzeigen, was bei vielen unbewusst bereits klar ist: Frauenunterdrückung ist Teil der kapitalistischen Unterdrückung und Ausbeutung. Die effektivste Waffe dagegen ist die traditionelle Waffe der ArbeiterInnenklasse, der Streik. Dieser trifft den wunden Punkt der Kapitalisten. Für ihren Profit sind sie nämlich auf die Arbeitskraft der Lohnabhängigen angewiesen. Mit einem Streik blockieren wir die Kapitalisten – mit einem Generalstreik das gesamte System! – von einem Tag auf den anderen. Dies ist nur möglich, wenn sich die ganze ArbeiterInnenklasse daran beteiligt. Dafür müssen Männer ebenfalls streiken. Das ist naheliegend, denn alle spezifischen Probleme der lohnabhängigen Frauen betreffen direkt oder indirekt immer auch die männlichen ArbeiterInnen und können nur gemeinsam überwunden werden.
Die Organisation eines Frauenstreiks stellt uns auch vor spezifische Aufgaben. Auf Grundlage einer geschlechterspezifischen Arbeitsteilung fällt die gesellschaftliche Reproduktion vornehmlich Frauen zu, sei es im privaten Rahmen als Hausarbeit oder in den Berufssektoren der Reproduktionsarbeit, wie beispielsweise der Pflege. In beiden Fällen beinhaltet das eine grosse Verantwortung gegenüber Personen, die man während des Streiks nicht einfach im Stich lassen kann. Solche Probleme können und müssen überwunden werden.
In Bezug auf die professionelle Reproduktionsarbeit bedeutet diese Verantwortung, dass immer eine Mindestanzahl an Personal ein Mindestmass an Arbeit wird leisten müssen. Gleichzeitig kann bei einer massiven Verringerung der Arbeitsleistung und einer Reduktion auf die absolut dringendste Arbeit aber auch massiver Druck auf die Chefetagen, beispielsweise die Spitalleitungen aufgebaut werden. Solche Probleme können zwar überwunden werden, aber nur indem man sowohl das Personal als auch die PatientInnen und Angehörigen im Vorhinein von der Notwendigkeit des Streiks überzeugt und sich gemeinsam am Arbeitsplatz organisiert.
In Bezug auf die privat geleistete Reproduktionsarbeit zeigen wir am Streiktag auf, wie die ArbeiterInnenklasse solche Probleme löst: durch die Sozialisierung, das heisst unsere kollektive Organisationskraft. Die Reproduktionsarbeit – wie das Kochen und Kinderbetreuung – soll an diesem Tag nicht einfach vom arbeitenden Ehemann erledigt werden, sondern von der Gemeinschaft, von der lokalen Gewerkschaft, im Kollektiv. So zeigen wir auf, wie Reproduktionsarbeit vergemeinschaftet werden kann. Dies entspricht unserer Forderung nach öffentlichen Kantinen und Wäschereien, welche die Frauen wirklich von der individualisierten Reproduktionsarbeit befreien. Das bedingt ebenfalls, dass die männlichen ArbeiterInnen streiken. So zeigt man eindrücklich auf, dass die Hausarbeit nicht eine Frage der «gerechten» Verteilung unter den Geschlechtern ist, sondern der Vergesellschaftung dieser Arbeit. Gleichzeitig überwindet man die spaltende Idee eines Streiks gegen die Männer. Die ArbeiterInnenklasse beantwortet eine gesellschaftliche Frage mit einer gesellschaftlichen Antwort. Nur die Kapitalisten bürden die Arbeit zur Reproduktion der Klasse den einzelnen Frauen auf. Im Sozialismus kümmert sich darum die Gesellschaft als Ganzes.
Um die Mobilisierung schweizweit effizient zu koordinieren und einen gemeinsamen Forderungskatalog auszuarbeiten, braucht es eine demokratische Funktionsweise. Forderungen müssen gemeinsam diskutiert und demokratisch abgesegnet werden können. Die Streikführung – die bereits heute inoffiziell existiert – muss demokratisch kontrolliert werden. Je grösser die Bewegung, desto wichtiger werden die Demokratie und die Kontrolle der Führung. Die heutige Organisationsform in dezentralen Regionalkomitees und Arbeitsgruppen ermöglicht dies nicht. Die bürokratische Herangehensweise der Gewerkschaften ergänzt sich perfekt mit dem Verbaldemokratismus der Linksradikalen. Durch das Konsensprinzip haben die Stursten ein Vetorecht und Sektiererinnen können Sitzungen blockieren und hinausziehen, bis auch die letzte werktätige Mutter nach Hause gehen musste – was regelmässig der Fall ist.
Die grossen Streiks vom 8. März 2018 in Spanien haben gezeigt, dass die Mobilisierung zu einem Ventil werden kann, wo der aufgestaute Frust ausbricht. Wenn sich die werktätigen Frauen in diesem Projekt wiederfinden und sich in Bewegung setzen, dann wird auch die bürokratische Führung und die ungenügende Vorbereitung sie nicht daran hindern. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Bewegung sich ein kämpferisches Programm gibt und den Frauen wirklich die Gründe liefert, wieso es sich lohnt, hier das Risiko einzugehen, Zeit, Energie und vielleicht sogar den Job zu verlieren. Die interne Demokratie und die seriöse Vorbereitung eines wirklichen Streiks sind die einzigen und besten Argumente, die es dafür gibt.
In der Romandie wird gestreikt
Die Geschichte des Klassenkampfs in den Sprachregionen hat unterschiedliche Traditionen hinterlassen. Diese sieht man am klarsten in der Gewerkschaftsbewegung. Spuren davon sind auch in den politischen Organisationen links der SP überliefert geblieben.
Der Wirtschaftsraum der Deutschschweiz ist für grob drei Viertel der Wirtschaftsleistung verantwortlich. Die Macht, die Wirtschaft lahmzulegen, liegt mehrheitlich in den Händen der Deutschschweizer Arbeiterbewegung. Dass nur im Tessin und der Romandie eine kämpferischere Gewerkschaftstradition erhalten geblieben ist, führt zu einer Verzettelung der Kräfte auf lokaler Ebene, hemmt den Aufschwung nationaler Klassenkämpfe, oder führt schlimmstenfalls zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse entlang linguistischen Grenzen.
Diese kämpferische Tradition zeigt sich speziell im Mut zum Streik. Die Streiks des letzten Jahres konzentrieren sich fast ausschliesslich auf diese beiden Regionen. In Genf gab es Streiks in zahlreichen Sektoren: ABB Sécheron in der Industrie, zwei Tage Bauarbeiterstreik (der auch im Tessin stark war), mehrere Streiktage im öffentlichen Dienst, in Altersheimen etc.
Diese kämpferischere Praxis wird von den Lokalsektionen der Unia und dem VPOD getragen. Trotzdem unternehmen die nationalen Organisationen keine Anstrengungen, diese wichtigen Erfahrungen weiterzugeben. Die Erklärung liegt in der Treue der nationalen Führungen zur obsoleten Tradition der Sozialpartnerschaft. In der Praxis verhindern sie, dass praktische Hilfe geleistet wird, um den Streik als Praxis zu verteidigen. Der Bausektor ist hier eine löbliche Ausnahme.
Mit den zunehmenden Angriffen der Kapitalisten wird die Spannung zwischen der notwendigen Selbstverteidigung der Klasse und der Sozialpartnerschaft mit Friedenspflicht zunehmen. Damit wird auch der Druck zur Disziplin innerhalb der Gewerkschaften steigen. Längerfristig gibt es für kämpferische Sektionen wie die Unia Genf oder Tessin keine andere Möglichkeit, als innerhalb der nationalen Organisation, gemeinsam mit anderen fortschrittlichen Sektionen, für eine kämpferische Praxis und für einen Bruch mit der Sozialpartnerschaft zu kämpfen. Bei den Deutschschweizer ArbeiterInnen wird eine kämpferische Praxis immer mehr auf offene Ohren stossen. Sie ist die einzige, welche heute den Lebensstandard verteidigen kann. Diese Gewissheit ist eine starke Basis für den langwierigen Kampf gegen die konservative Gewerkschaftsbürokratie.
Die kämpferischen Gewerkschaftssektionen spüren die engen Grenzen des «ökonomischen» Kampfes. Marx bezeichnete Gewerkschaften als «Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals»[1]. Die Gewerkschaft «... sollte nicht vergessen, dass sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen». Um dies zu verhindern muss der gewerkschaftliche Kampf (für mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen etc.) unbedingt von einem politischen Programm untermauert werden. Dieses muss den Kampf weitertreiben und aufzeigen, dass schlussendlich nur die Überwindung des Kapitalismus die Situation grundsätzlich und langfristig verbessern kann. Durch das Fehlen einer Partei, die konsequent die Interessen der ArbeiterInnenklasse verteidigt, fehlt heute diese zweite Flanke des Klassenkampfes völlig.
Die Linke in der Romandie
Die etwas kämpferischeren Traditionen der ArbeiterInnenklasse der Romandie erkennt man auch den linkeren Resultaten von eidgenössischen Abstimmungen. Da die SP jedoch nur marginal linker ist als in der Deutschschweiz, entsteht links von ihr ein Vakuum. In Genf, Waadt, Neuchâtel und Fribourg füllt die Partei SolidaritéS dieses teilweise. Sie positioniert sich gegenüber der SP als einzige konsequente linke Kraft und hat sich so einen gewissen Einfluss – auch bei der Jugend – erkämpft. Bei den Referenden gegen die Rentenreform und die STAF vertraten sie eine konsequentere Position als die JUSO. Gerade in Genf konnten SolidaritéS zusammen mit der Unia erfolgreich aufzeigen, wie man eine linke Kritik an der Rentenreform verteidigt, die Arbeiterschaft überzeugt und sogar die Abstimmung gewinnt. Solche regionalen Kampagnen spielen in der Schweizer Politik eine Vorreiterrolle.
SolidaritéS entstand in den Neunzigerjahren aus den Überbleibseln der RML/SAP[2] und den Resten von maoistischen Organisationen. Während den damaligen grossen Mobilisierungen gegen die Sparmassnahmen im öffentlichen Dienst konnte SolidaritéS sich eine gewisse Basis erkämpfen. Die Staatsangestellten und ihre Kämpfe bilden bis heute die Basis der Organisation. Bei den grossen Streiks gegen die Abbaubudgets in Genf im Jahr 2015 spielte sie eine wichtige politische Rolle. Sie lancierten erfolgreich Referenden gegen die Sparmassnahmen, um so den gewerkschaftlichen Kampf auch als politischen Kampf weiterzutreiben. Bei diesen Widerstandsbewegungen – ähnlich wie auf nationaler Ebene – kämpft die Organisation jedoch über ihrer Gewichtsklasse. Sie bleibt eine «kleine» Organisation mit beschränkter Verankerung. Der intensive Aktivismus ihrer Mitglieder ermöglicht es, kantonale Referenden zu sammeln.
Es herrscht aber ein Element der Stellvertreterpolitik. Das Sammeln der Referenden wird zum Hauptziel, denn damit versucht man die eigenen Schwächen zu überspielen. Das gleiche gilt für die Koalitionen, die sie mit zahlreichen linken Splittergruppen und ohne gemeinsames Programm eingehen müssen, um gewählt zu werden. Deren politische Fehler fallen dann regelmässig auf SolidaritéS zurück. Diese «Abkürzungen» behindern, was eigentlich notwendig wäre: der beharrliche Aufbau einer revolutionären Partei.
Ein Hauptgrund ihres Versäumnisses, sich in der Deutschschweiz zu verankern, liegt in ihrer sektiererischen Herangehensweise (speziell gegenüber der SP und der JUSO). Dabei trennen sie sich zwar organisatorisch stark ab. Politisch und ideologisch unterscheiden sie sich jedoch nicht konsequent. Speziell verkennen sie die Notwendigkeit, die radikalsten Schichten zu organisieren, egal, wo dass diese sich befinden. So verstehen sie es nicht, die Basis von SP und JUSO zu erreichen. Sie sehen diese Organisationen als monolithische, unveränderliche Blöcke statt als dynamische Faktoren im Klassenkampf an. In der Praxis begnügen sie sich damit, diese Organisationen, mitsamt allen Basismitgliedern, von der Seitenlinie zu denunzieren, statt einen Weg zu finden, die kämpferischen Teile der Parteibasis für die eigenen Positionen zu gewinnen. Nur so versteht man, wieso es ihnen in den letzten zwanzig Jahren nicht gelungen ist, im deutschsprachigen Raum Fuss zu fassen.
Die Ursache dieser Fehler liegt in der politischen Begrenztheit ihres Programmes. Ihre punktuell relativ geschickte Praxis wird von einem politischen Programm untermauert, das sich darauf beschränkt, ein «gerechteres» Steuerregime und «mehr wirklich linke Parlamentarier» zu fordern. Das Anprangern der zahlreichen Fehler der SP führt nicht zu einer sich grundlegend von jener unterscheidenden Analyse (und Praxis). Ihre Propaganda beschränkt sich auf linksreformistische Forderungen. Auch ihr Programm erklärt die Probleme nicht durch die unlösbaren Widersprüche des Kapitalismus und seine Krisenhaftigkeit. Ihre Forderungen gehen nicht über keynesianischen Scheinlösungen hinaus. Ihre Herangehensweise an den bürgerlichen Staat unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der der SP.
Diese politische Begrenztheit führt nicht nur zu einer unausgeglichenen Praxis – wie die oben beschriebene Überschätzung der Relevanz von Referenden –, sondern auch zur Abhängigkeit von Parlamentariern und Exekutivpolitikern. Zur Finanzierung des Parteiapparats ist die Organisation von ihrer Wahl in Parlamente und Exekutiven abhängig – Daher der Hang zum Opportunismus und zum Verzicht auf ein revolutionären Programm. Schlussendlich schrecken sie davor zurück, eine konsequente marxistische Analyse und die Notwendigkeit einer Revolution zu verteidigen.
Die Notwendigkeit einer revolutionären Alternative
Im dargelegten Kontext von ökonomischer Krise ohne nennenswerte Erholung, kann ein neues Gleichgewicht nur auf Kosten einer krassen Herabsetzung des Lebensstandards der Lohnabhängigen gefunden werden. In der Schweiz arbeiten die Kapitalisten bereits daran, diese Verschlechterungen mit verschiedenen Massnahmen durchzusetzen. Im Gegensatz zu Österreich oder Frankreich halten sie sich mit den wirklich grossen Angriffen aber noch zurück.
Einerseits scheut die Schweizer Bourgeoisie den dringend benötigten offenen Konflikt mit den Lohnabhängigen. Andererseits glaub sie noch daran, dass ihre bisherigen Rezepte sie aus der Krise retten können. Sie reizt weiter aus, was ihr an Mittel zur Verfügung steht: krasse Verschuldung, Aufblähung des Kredits in ungekanntem Ausmass, Negativzinsen und nochmals verschärfte Spekulationsgeschäfte. Auch die Nationalbank mischt kräftig mit und hat in alle möglichen Wertpapiere investiert. Das unbekannte Terrain solcher Bankgeschäfte in solchem Volumen zusammen mit der Spekulation der Privatbanken macht eine neue Bankenkrise mehr als möglich. Die Banken würden durch ihre zentrale Stellung in einem solchen Falle die ganze Schweizer Wirtschaft mit sich reissen. Hinzu kommt, dass die Gefahr des Protektionismus – eines möglichen Handelskrieges –die Ungewissheit auch in die Industrie übersetzt.
Über die letzten Jahre wurde die soziale Sicherheit der Schweizer Lohnabhängigen sukzessive abgebaut. Schweizer Vorzüge wie die hohe Kaufkraft und Jobsicherheit verschwinden und werden die Reichtumsleiter hinauf transferiert. War die Schweiz in der Nachkriegszeit für einen Teil der Lohnabhängigen eine Insel mit verhältnismässig hohem Wohlstand, ist dies heute je länger je weniger der Fall. Was zuerst auf Betriebsebene begann, läuft seit den 90er Jahren auch im öffentlichen Sektor: Keine Errungenschaft ist sicher, Service public und Sozialstaat werden ausgehöhlt und infrage gestellt. Die langfristige Stagnation und die Intensivierung der Angriffe sägen an der breiten Zustimmung zum Kapitalismus. Unter der Oberfläche steigt die Spannung an.
Es gibt eine Vielzahl von Orten, wo im nächsten Jahr Angriffe erfolgen und Kämpfe ausbrechen können. Es gibt aber im Moment keine linke Organisation, die in die Offensive gehen wird. Auf Grund der Absenz einer schweizweiten kämpferischen Gewerkschaftsbewegung und einer politischen Organisation, die sich an die Spitze der ausbrechenden Kämpfe stellt und ein revolutionäres Programm einbringt, können wir keineswegs von einer geradlinigen Ansteigen des Klassenkampfniveaus ausgehen. Aktuell finden die grössten Mobilisierungen zu Fragen der Frauenunterdrückung statt. Doch dabei wird es nicht bleiben: Was sicher ist, ist, dass auf grössere Angriffe grössere Kämpfe folgen werden. Doch ohne Organisierung werden sie nicht erfolgreich sein. Doch auch aus Niederlagen kann man etwas lernen, sofern man die nötigen Schlüsse zieht. Genau das unterscheidet Revolutionäre von Reformisten: Sie lernen aus gemachten Fehlern.
Die Prozesse der Radikalisierung gehen unter der Oberfläche vor sich. An vorderster Front dieser Entwicklung stehen Lernende, junge Frauen, MigrantInnen und ganz grundsätzlich jene, die von der Konsenspolitik der linken Organisationen nicht angesprochen und vertreten werden. Aber wir wenden uns deswegen nicht gegen die Massenorganisationen, sondern fordern sie auf, eine konsequente Oppositionspolitik gegen die Schweizer Bourgeoisie und den Kapitalismus zu fahren.
Wir wollen jene organisieren, die erkennen, dass es mehr braucht, als antikapitalistische Parolen zu brüllen oder im Freundeskreis zu schimpfen. Das ist an sich zwar nichts Schlimmes – Doch um etwas zu ändern, braucht es mehr. Diesen Lernprozess versuchen wir zu unterstützen, indem wir junge Radikalisierte in Theorie und Praxis des Klassenkampfes bilden. Wir unterstützen jede Bewegung, die sich gegen Angriffe des Staates und der Patrons wehrt. Über unsere Zeitungen, unsere Bildungsstrukturen und unsere Erfahrung verbreiten wir die Lektionen der Kämpfe und bringen uns in demokratischen Prozessen ein.
Es gilt, eine Kraft aufzubauen, welche die revolutionäre Alternative, den Marxismus, in der Jugend und der Arbeiterschaft verteidigen kann. Hier stehen wir erst ganz am Anfang. Die Vorbedingung dafür ist der Aufbau eines Kerns an RevolutionärInnen. Dafür müssen wir heute die fortgeschrittensten Elemente der Jugend und der Arbeiterschaft von den Ideen des Marxismus überzeugen und gemeinsam den Grundstein der revolutionären Organisation legen.
Verabschiedet am Kongress vom Februar 2019 in Bern.
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Fussnoten:
[1] K. Marx, Lohn, Preis und Profit, MEW 16, 152.
[2] Die Revolutionär Marxistische Liga, später als Sozialistische Arbeiterpartei bekannt, war der Ableger der «trotzkistischen» 4. Internationalen, in der Ernest Mandel eine der Führungspersönlichkeiten war.
Imperialismus, Kolonialismus & Nationale Frage — von Jorge Martín, April 2024 — 03. 10. 2024
Nah-Ost — von Fred Weston, marxist.com — 30. 09. 2024
Kunst & Kultur — von Felix Looby, Basel — 28. 09. 2024