Wie wir seit gestern und auch heute bestimmt alle mitbekommen haben und was auch zu erwarten war, ist der Samstag in Bern Medienthema Nr. 1.
Nahezu jede Partei, darunter auch die SPS und die JuSo, haben sich von den Vorkommnissen in kürzester Zeit vehement distanziert. Man bekommt den Eindruck, dass man gegenseitig versucht sich in seiner Wortwahl gegenüber den Akteuren in der Abschätzigkeit und der Primitivität zu übertreffen.
Wir finden es wichtig für die Linke und die Zukunft der fortschrittlichen Kräfte in der Schweiz mal kurz innezuhalten und den Samstag politisch Revue passieren zu lassen, bevor man in einer Kurzschlussreaktion und im Druck der anstehenden Wahlen mittelfristig grobe Fehler begeht.
Es ist die Rede von einem Angriff auf die Demokratie, auf die Meinungsäußerungs- und die Versammlungsfreiheit. Es ist die Rede von apolitischen gewaltgeilen ChaotInnen, von ExtremistInnen (z.T. sogar TerroristInnen), die zu 200-500st in schwarzer Uniform eine Demo von 10’000 SVPlern und SympathisantInnen und ein Polizeiaufgebot aus über drei Kantonen blockiert und ins Leere laufengelassen hätten. Die Polizei, die durch massiven Einsatz ihrer „Gewaltmittel“, Gummischrot, Pfeffersprays, Tränengas und eines Wasserwerfers ihr Möglichstes tat, erklärt, dass sie vor dieser mickrigen Gruppe kapitulieren musste und schlichtweg überfordert war. Sie hätte das Schlimmste abgewendet und den Bundesplatz ungeschützt lassen müssen um zu verhindern, dass „es vielleicht sogar Tote gegeben hätte“. Sie spricht von einer noch nie dagewesenen Gewaltbereitschaft.
Das allein sollte jedem kritischen Menschen zu denken geben auch wenn er nicht vor Ort anwesend war.
Was ist dort wirklich vorgefallen und was sind die politischen Auswirkungen davon?
Das erste, was man richtig stellen muss sind die Zahlen mit denen gespielt wird. Die SVP spricht von 10000 DemoteilnehmerInnen ihrerseits, die Medien und auch Parteien übernehmen diese Zahl, obwohl die Polizei von 5000 spricht. Wer anwesend war und sich die Größe des SVP Umzugs annähernd aus der Vogelperspektive betrachten konnte, wird mit mir einig gehen, dass sogar die 5000 hoch gegriffen sind. Solche Zählungen zu machen ist immer eine schwierige Angelegenheit und liegt immer im Interesse der Berichtenden.
Die nächste Zahl sind diese 200-500 Schwarzvermummten, die für alles verantwortlich gemacht werden. Diese Zahl trifft in etwa zu und bezieht sich einmal auf die Gruppe von AktivistInnen, welche die erste Blockade vor der Nydeggbrücke zustande brachten, die sehr früh stattfand und die nach einer gewissen Zeit von der Polizei durch einen massiven Tränengaseinsatz aufgelöst und zurückgedrängt wurde. Was hier zu bemerken ist, ist die Gruppe nicht „nur“ von Schwarzuniformierten gestellt, sondern von unterschiedlichsten LinksaktivistInnen getragen worden, die sich angesichts ihrer gefährlichen aber effizienten Blockadeposition gegen einen allfälligen Angriff von Seiten der SVP oder der Polizei schützen mussten. Der Angriff der Polizei kam dann auch, was der Auslöser war für die daraus resultierende Gegengewalt.
Wenn wir von dieser kleinen Gruppe von 200-500 spreche, dann liegt es auf der Hand, dass es sich dabei um einen kleinen Teil der TeilnehmerInnen der Gegenveranstaltung, der verschiedenen Gegendemos und der Blockadeaktionen handelte, die den ganzen Nachmittag das Bild prägten. Wären es nur Zweihundert gewesen, hätten diese schwer bewaffnet sein müssen um das zu bewerkstelligen, was wir geschafft haben.
Dies bringt mich zur letzten Zahl, die ich behandeln werde und mit der ich in den politischen Teil überleiten möchte. Die Zahl der Linken auf der Strasse, die diese ganzen Vorkommnisse mitgetragen haben. Die Zahl der linken AktivistInnen in den Strassen. Dazu muss ich sagen, dass es mir unmöglich ist und dass auch von sonst niemandem eine objektive Schätzung vorgenommen werden kann. Offiziell wird berichtet von den 3000 „Guten“ am Fest auf dem Münsterplatz und den 200-500 „Bösen“ ChaotInnen. Gehen wir mal davon aus, dass die 3000 am Fest gut geschätzt sind. Das Fest wurde die längste Zeit von der Polizei abgeriegelt und so war es gar nicht möglich, dass ein großer Teil vom Fest die Blockadeaktionen direkt unterstützen konnte. Dafür haben auch die OrganisatorInnen geschaut, die ihre Arbeit hervorragend meisterten und ein friedliches Fest zustande brachten, das gefahrlos von Familien mit Kindern und älteren Leuten besucht werden konnte, auch wenn der Tränengasgeruch in der Luft der Gesundheit sicher nicht zuträglich war.
Zu diesen 3000 gesellen sich diese 200-500 Linksradikalen in schwarzer Vollmontur hinzu, von denen nun schon öfter die Rede war und deren Anzahl man so stehen lassen kann. Der letzte, der für mich entscheidenste Teil waren die Tausenden, die unmöglich zu zählen sind, die aber schlussendlich diese ganze Aktion ermöglicht und getragen haben. Diesen Teil konnte man sehen, wenn man durch die Altstadt lief. Diesen Teil haben wir an jeder Ecke, in jeder Strasse, auf dem Bundesplatz, in der Marktgasse, an den Fenstern und auf den Plätzen wahrnehmen können, durch die wir im Laufe des Nachmittags gekommen sind. Ohne eine Zahl zu nennen, sind wir überzeugt, dass am Samstag auf der Strasse viel mehr Menschen gegen die SVP eingestanden, als für sie auf die Strasse gegangen sind.
Politische Schlüsse
Dies ist unser Zeichen, das wir gesetzt haben. Die offizielle, nach dem Gesetz bewilligte, aber für uns nicht legitimierte, Demonstration der SVP wurde durch die Macht und Kraft der Masse auf der Strasse verhindert. Die Meinungsäusserungsfreiheit wird immer wieder von allen Seiten benutzt um sich zu rechtfertigen. Wie oft haben wir in der Geschichte schon erlebt, dass sie beschnitten wurde um gegen uns, gegen soziale Bewegungen, die ehrlich für Demokratie und für die Freiheit aller Menschen einstehen und kämpfen, vorzugehen. Die SVP, allen voran Christoph Blocher, hat die Meinungsfreiheit vor kurzer Zeit zum Thema gemacht, als es um die türkischen Völkermordsleugner ging. Er hat das Ziel, mit dem Argument der Meinungsfreiheit die Anti-Rassismusstrafnorm abzuschaffen, die unserer Meinung nach bereits jetzt viel zu schwammig ist (Nach ihr kann man mit dem Hitlergruss durch die Strassen ziehen, solange man ihn nicht direkt auf eine Gruppe oder ein Einzelperson richtet.) Die NPD hat vor kurzem eine Demonstration in Friedrichshafen DE durchgeführt unter dem Motto: Für Toleranz, MEINUNGSFREIHEIT und gegen Faschismus. Wenn es darum geht, MigranntInnen, die einen beträchtlichen Teil unserer Gesellschaft ausmachen, das aktive und passive Wahlrecht zu ermöglichen, also ihnen eine Möglichkeit zu geben ihre Meinung auf politischer Ebene zu äußern, stellt sich die SVP mit allen Mitteln dagegen.
Am Samstag in Bern haben tausende Menschen, der überwiegenste Teil jugendlich, sich einer Partei in den weg gestellt, welche die Meinungsäußerungs- und die Versammlungsfreiheit, die Demokratie, die Gerechtigkeit und die Freiheit normalerweise mit Füssen tritt. Die SVP rekrutiert sich aus den gleichen sozialen Schichten, die in den 20er und 30er Jahre überall in Europa Parteien gründeten wie die NSDAP, zu deren Geschichte an diesem Punkt nicht mehr gesagt werden muss.
Am Samstag haben als überwiegende Mehrheit die fortschrittlichsten, kämpferischsten und kritischsten Teile der Jugend, die für eine bessere, eine gerechtere und eine wirklich demokratische Welt einstehen und zu kämpfen bereit sind, gezeigt, dass es reicht! Ya basta!
Die sinnlose Sachbeschädigung, die verhältnismäßig sehr gering ausgefallen ist, und die mediale, bürgerliche Hetzkampagne, können über das nicht hinwegtäuschen. Der Grossteil der Masse von AktivistInnen hat, mit ihren unterschiedlichen politischen Konzepten und Vorgehensweisen, die Aktionen am Samstag, ohne mit allem einverstanden zu sein, als Einheit ausgeführt. Das ist es auch vor dem die Herrschenden wirklich Angst haben müssen und was ihnen auch zum Teil bewusst ist.
Die kurzfristige Angst, dass die SVP dadurch einige Stimmenprozente dazugewinnen wird, ist vielleicht sogar berechtigt. Sie soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Samstag mittelfristig positiv auswirken wird. Die Erfahrungen aller Beteiligten werden sich im Bewusstsein festsetzen. Die Erfahrung, dass man aktiv seine Meinung vertreten und danach handeln kann, hat einen viel größeren Wert, als das was kaputt gegangen ist.
Unserer Meinung nach ist es nun die Aufgabe von allen linken Gruppierungen, Organisationen und Parteien sich nicht vorbehaltlos zu distanzieren, sondern die kritische Unterstützung auszudrücken. Wenn man mit einzelnen Taten nicht einverstanden ist, soll man nicht die ganze Aktion verurteilen. Was verheerend ist, aber sich bereits ereignet hat, ist unhinterfragt in den bürgerlichen Chor der Verleumdung einzustimmen. Dies wird den Bürgerlichen und der SVP auf längere Sicht viel mehr bringen und der Aufgabe der Errichtung einer solidarischen, demokratischen, gerechten und freien Gesellschaft eher schaden, als das die zerstörte SVP Infrastruktur auf dem Bundesplatz und geborstene Fensterscheiben machen.
Am Samstag hat die Linke gezeigt, dass man nicht nur schöne Reden schwingen kann und parlamentarische Arbeit macht, sondern dass man sich bewegen und für seine Ideen kämpfen muss. Die Strasse ist ein politischer Ort, wohin wir den Klassenkampf tragen wollen und in Zukunft auch wieder müssen. Es ist traditionell der Ort, wo die Basis jeder sozialen Bewegung ihre demokratischen Forderungen gestellt und schlussendlich auch durchgesetzt hat.
Den Schluss, den wir am letzten Samstag aus dem Ganzen ziehen konnten, ist ein politischer, aber auch ein Gefühl: Die Strasse ist LINKS!
Die Redaktion
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