Unsere Autorin hat im Oktober zwei Wochen im Iran – hauptsächlich in Teheran – verbracht. Wir veröffentlichen Eindrücke, vorwiegend vom Leben hinter den Kulissen – aus dem privaten Bereich. Trauerfest Aschura In die Schwere der versmogten Luft mischt sich ein Geruch nach Essen und persischem Weihrauch. Es ist Aschura, das Trauerfest der Schiiten um den verschwundenen Imam Hossein. Teherans Strassen sind voll von Ständen, wo gekochte Gerichte – Essensspenden – verteilt werden. Für das Betreiben eines solchen Standes zahlt die Regierung Geld. Sie zahlt auch dafür, dass man religiöse Sprüche hinten ans Auto schreibt. Trauerelegien hallen aus Lautsprechern, ein paar Schritte weiter in der nächsten Strasse sind der Sänger und die Trommler zu sehen. Die Iraner und Iranerinnen gehen in Schwarz. Einige schwingen Geisseln und schlagen sich auf den Rücken. Noch vor ein paar Jahren schlugen sich fanatische Männer mit Schwertern auf das blosse Haupt. Doch diese Blutspritzerei wurde nun verboten. N. schüttelt den Kopf, das ist doch alles nur religiöses Getue! Und die Leute im Stadtinnern Teherans haben die Essensspenden, die eigentlich für arme Leute gedacht sind, gar nicht nötig! N. ist eine etwa 45-jährige taffe Frau mit Prinzipien. Für sie ist das religiöse Auftreten vieler Leute eine reine Show. Sie hingegen gibt sich authentisch und trägt entgegen der Vorschrift pinkes Oberteil und gelben Hijab (Kopftuch). Sie wird angestarrt. Ja, mit ihrer Kleidung provoziert sie, man könnte es schon ein politisches Statement nennen. Schon kleine Dinge wie farbige Kleidung, das Tragen des Hijabs weit hinten, ein zu kurzes Oberteil, das Hören der „falschen Musik“, … erlangen sofort politische Dimensionen. Sprechen oder Schweigen Heikel wird es dann, wenn man tatsächlich „Oppositionelle(r)“ ist. M erzählt von ihrem Vater, der bei einer Mullah-kritischen Zeitung gearbeitet hat und deshalb drei Jahre im berühmten Evin-Gefängnis inhaftiert war, in dem Teheraner Gefängnis, das „berüchtigt (ist) für Folter, sexuellen Missbrauch Gefangener und Hinrichtungen. Ein grosser Teil der politischen Gefangenen im Iran sitzt hier ein.“ (Tageswoche) Tatsächlich wurde er gefoltert. N. erzählt, wie jung ihre Mutter noch war, als er eingesperrt wurde, und von der Veränderung ihres Vaters, als er entlassen wurde: Er riet seinen Töchtern, sich in keiner Weise politisch zu organisieren und nicht einmal eine politische Zeitung zu lesen. Genau dies bezweckt das Regime. Es braucht nur mit dem Finger zu schnipsen und alle, die Ideen haben und sie äussern und damit eine potentielle Gefährdung für das Regime darstellen könnten, werden entweder physisch oder psychisch gebrochen oder zum Schweigen gebracht. Sie werden sich sicherlich nicht wieder engagieren. Draussen und drinnen Es verwundert nicht, dass sich die Menschen in diesem unglaublichen Land misstrauen und sie sich in ihre Familien und mit ihren Freunden zurückziehen, so gut es geht. Im Privaten lässt es sich ziemlich gut leben, im Öffentlichen ist man in vielen Bereichen eingeschränkt. Ein Ausdruck dieser Tatsache sind die in Mode geratenen verspiegelten Fenster, die verhindern, dass man von aussen in die Wohnung hineinschauen kann. Aufgepasst, mit wem du wann und wo worüber sprichst. Die IranerInnen beherrschen das Game dieser Unterscheidung von öffentlich und privat meisterhaft. Wir sind bei Verwandten eingeladen. Es gibt Chai, Früchte im Übermass und traumhaft saftige Datteln. Mir wird erklärt, dass es gewisse Speisen nur zu speziellen Anlässen gibt. Datteln beispielsweise werden nur zu Trauerfesten gegessen. Schade eigentlich, denn sie schmecken gut! Zum Nachtessen setzen sich alle auf den Teppich und schöpfen aus den Töpfen, die auf einer Tischdecke vor uns ausgebreitet sind. Es wird gelacht und die Kinder quietschen. Die Sorgen und die Welt draussen scheinen vergessen. Freiheit Wüste Sieben Geländewagen fahren los von Teheran Richtung Qom und dann weiter in die Sandwüste Maranjab. Unterwegs fragen wir einen Schafhirten nach dem Weg und schenken ihm eine Flasche Wasser. Nach 5 Stunden Fahrt – von weitem sehen wir Kamele – und einer kurzen Rast bei einer ehemaligen Karawanenunterkunft erreichen wir unser Ziel. Wir stellen Zelte auf, niemand meh r trägt Kopftuch noch Mantel. In der Wüste ist man (respektive frau) wie zu Hause nicht gezwungen, sich zu verschleiern, denn die Sittenpolizei ist weit weg. Nachdem wir die Düne erklommen und den Sonnenuntergang bewundert haben, gesellen sich alle zusammen, um Fleisch vom Grill zu essen, zu tanzen, Wasserpfeife zu rauchen und zu trinken – und zwar Tequila, Wodka, Whiskey – auch selbst gebrannten. Die Männer werfen sich euphorisch auf die „Tanzfläche“. Die Frauen machen mit – die Stimmung ist super, die Musik laut. Hier fühlt man sich frei. – Findet sich keine Disko in der Stadt, so geht man eben in die Wüste um zu feiern. Jedenfalls die IranerInnen, die sich einen Geländewagen und die Ausrüstung leisten können… Frauen und Rollenbilder Doch nicht nur Geländewagen sind ein Spass der wohlhabenderen IranerInnen, auch das Heiraten muss man sich leisten können. Eine Hochzeit ist teuer und die Wohnungen, gekauft oder gemietet auch. Es wird erwartet, dass beide, Mann und Frau, Geld mit in die Ehe bringen. Die Verbindungen sind meist auch wirtschaftliche Zusammenschlüsse, und nicht, dass der Mann sich eine Dienerin für sein zu Hause sucht. Der Mann hat es zwar im Falle einer Scheidung in vieler Hinsicht einfacher, schon nur sie einzuleiten, ist ihm ohne Einverständnis der Frau möglich, umgekehrt nicht, und wenn es tatsächlich zur Scheidung kommt, hat er auch automatisch mehr Rechte, beispielsweise bekommt er das Pflegerecht für die Kinder. Mittlerweile sichern sich viele Frauen mit Verträgen ab, die der Mann bei der Verlobung zu unterzeichnen hat. Die Rollenteilung zwischen Mann und Frau ist dennoch klarer als in der Schweiz. Die Frau kocht zu Hause das Essen und erledigt den Abwasch. Der Mann hilft vielleicht beim Abräumen und bereitet anschliessend seine Wasserpfeife. Doch das alles wirkt nicht unterwürfig. Viele Frauen strahlen eine starke Persönlichkeit aus. Viele sind auch gut ausgebildet und würden auch gerne einen Job ausüben, leider gestaltet sich Arbeitsfindung sehr schwierig. Auto und Moschee Wir fahren im Auto auf der von Platanen gesäumten Valiasr Strasse. Sie ist 19km lang und verbindet den Süden Teherans mit dem Norden. Je nördlicher man kommt, desto teurer werden die Wohnungen. Denn der Süden der Grossstadt ist versmogt und alle, die es sich leisten können, ziehen in den Norden. Die Regierung hat kein Interesse daran, das Verkehrsproblem zu lösen, es werden neue Strassen gebaut. Das Benzin ist schlecht raffiniert, dafür billig. Zum Inventar jedes Haushaltes im Iran gehört ein Auto, sei es auch nur eine Klapperkiste. Nachts aus der Vogelperspektive sehen die Autostaus der Stadt wie riesige Lichtschlangen aus. Um dem Stau zu entgehen, nimmt man sich am besten ein Töff-Taxi, das sich durch die Lücken schlängelt. Wir halten in der Nähe des Tajrish Platzes an, hier gebe es das beste Kebab. Mit prall gefüllten Bäuchen spazieren wir zur Emamzadeh Sadeh Moschee. Frauen dürfen sie nur mit Tschador – einem Tuch, mit dem man sich von Kopf bis Fuss umhüllt, das Gesicht aber frei bleibt – und natürlich ohne Schuhe betreten. Drinnen finden sich murmelnde und am Boden kauernde Gestalten, weiter im Innern blinken einen tausende Spiegelteilchen an. Hier ist es ganz still. Hülle und Fülle Am folgenden Tag fahren wir in ein kleines Dorf etwa eine Stunde von Teheran entfernt. Auf jedem der Hügel, an denen wir vorbei brausen, gibt es Flugzeugabwehrgeräte der Armee. Ja, der Iran ist nicht nur mit Rohstoffen und allerhand paradiesisch anmutenden landwirtschaftlichen Produkten ausgestattet, auch militärisch findet sich einiges. Am letzten Tag besichtigen wir den Winterpalast des letzten Schahs. So historisch die Luxusresidenz wirkt, so aktuell ist sie auch. Das heutige Regime zeigt seinen Prunk und seine Privilegien zwar nicht, doch vorhanden sind sie: Das Haus des „Revolutionsführers“ Chamenei hat ein eigenes hochmodernes Spital. Er besucht nicht das öffentliche Spital, er hat sein privates. Möglicherweise hat die Herrscherclique auch irgendwo versteckte Paläste. Wer weiss, ob wir sie in 20 oder 30 Jahren auch als historische Denkmäler wie den Palast des Schahs betrachten können. Das Regime sorgt nicht für die Gesellschaft. Das System funktioniert nicht für alle, darum schaut zur Zeit jede(r) für sich. Die Widersprüche werden zunehmen, irgendwann werden die Menschen aus ihrer Lethargie aufwachen, wie sie es schon in diversen Revolutionen und Aufständen bewiesen haben.
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