Vor einhundert Jahren, am 31. Mai und am 1. Juni 1921, brachen in Tulsa, Oklahoma, sogenannte „Rassenunruhen“ aus. Trotz mutiger und verzweifelter Versuche der schwarzen BewohnerInnen von Tulsa, die Pogromisten zu bekämpfen, wurden bei diesen Ereignissen schätzungsweise 300 Schwarze ermordet. Die wahren Ereignisse, die zu diesem Blutbad führten und die ein direktes Resultat der jahrhundertelangen „Teile und Herrsche“-Politik der amerikanischen herrschenden Klasse sind, werden bis heute verschwiegen. Von John Peterson, 1. Juni 2021.
[Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel zitiert aus primären Quellen, die rassistische Ausdrücke enthalten. Wir haben uns dazu entschieden, diese Zitate dennoch vollständig und unzensiert aufzunehmen, um das rassistische Gift, das die Vereinigten Staaten bis heute durchdringt, unverfälscht darzustellen.]
Vor einem Jahr erschütterte die Ermordung von George Floyd und die ihr folgenden Proteste die Welt. Millionen von AmerikanerInnen haben sich – inmitten einer Pandemie – einer historischen Bewegung angeschlossen, um sich gegen Rassismus und Polizeigewalt zu stellen. Doch die Wut, die sich nach dem neuerlichen Mord durch Polizisten in Minneapolis entlud, hatte sich lange aufgestaut. Jahrhundertelange Unterdrückung, Ausbeutung, Demütigung und Erniedrigung waren das brennbare Material, das nur auf einen Funken wartete, der die Proteste entfachte. Das Massaker von Tulsa, das sich jetzt zum hundertsten Mal jährte, war eines dieser vorhergegangenen rassistischen Ereignisse.
Am 31. Mai und am 1. Juni 1921 stürzte sich ein Mob wütender Weisser auf den schwarzen Stadtteil Greenwood und lynchte schätzungsweise 300 Schwarze. Diese sogenannten „Rassenunruhen“ im Nordosten Oklahomas waren der grösste Massenmord seit dem amerikanischen Bürgerkrieg. Trotz der überwältigenden Überzahl der Angreifer unterwarf sich Greenwood nicht widerstandlos dem vom Ku-Klux-Klan inspirierten Angriff. Bewaffnete BewohnerInnen verteidigten die Nachbarschaft und leisteten Widerstand. Etwa 50 Pogromisten wurden abgewehrt und getötet, bevor die schwarze Bevölkerung überrannt wurde.
Die Ereignisse in Tulsa sind ein tragisches Beispiel dafür, wie der amerikanische Kapitalismus das Gift der Vorurteile zum „teilen und herrschen“ benutzt. Einmal entfesselt, nimmt der Rassismus ein Eigenleben an und hinterlässt auf seinem Weg viele Leichen.
1921 war Tulsa eine boomende Ölstadt mit rund 90.000 EinwohnerInnen. Der Anteil der schwarzen Bevölkerung betrug in etwa 15.000. Der 1907 neu gegründete Staat Oklahoma, der bis dahin lediglich ein US-Territorium gewesen war, galt als Eldorado der Möglichkeiten für Weisse, Schwarze und EinwanderInnen gleichermassen. Aber in der aufstrebenden Stadt, gegründet auf Land, das ursprünglich für Zwangsumsiedelungen indigener Bevölkerung im Zuge des Trail of Tears benutzt wurde, kam es 1901 und 1905 zu grossen Erdölfunden. Diese verwandelten sie zur „Ölhauptstadt der Welt“, und verwarfen so einmal mehr alle vorangegangenen Verträge und Vereinbarungen im Namen der Profitgier.
In das Ereignis, das den rassistischen Aufstand 1921 auslöste, war Dick Rowland verwickelt, ein 19-jährigen Schuhputzer. Er wurde am 30. Mai beschuldigt, Sarah Page, eine 17-jährige Aufzugsbetreiberin im Drexel Building in der Innenstadt, überfallen zu haben. „Diamond Dick“, wie er unter seinen Freunden bekannt war, war öfter in diesem Gebäude unterwegs, da die Toilette im obersten Stockwerk im rassengetrennten Tulsa die einzige in diesem Gebiet für ihn zugängliche war.
Einige HistorikerInnen vermuten eine romantische Beziehung zwischen den beiden Jugendlichen, die zu dieser Zeit als Beziehung zwischen Schwarzen und Weissen illegal war. Belegt ist, dass Page nach der Festnahme Rowlands nicht bereit war, den angeblichen Übergriff zu bestätigen. Es schien, als sei die Polizei zu dem Schluss gekommen, dass die ganze Angelegenheit ein Missverständnis war und keiner weiteren Untersuchung bedürfte.
Aber die Tulsa Tribune, im Besitz von Weissen, erkannte eine Sensationsgeschichte und schlachtete sie aus, indem sie in ihrer Nachmittagsausgabe vom 31. Mai titelte „Neger nach Angriff auf Mädchen im Aufzug festgenommen“. Sarah Page wurde als Waisenmädchen, das versuchte sich die schulische Ausbildung zu finanzieren, dargestellt, während Dick Rowland als schwarzer Lieferjunge, der blutrünstig im Gebäude lauerte, beschrieben wurde. ZeitzeugInnen erinnerten sich auch an einen inzwischen nicht mehr auffindbaren Leitartikel, der mit „Lyncht den Neger heute Nacht“ die aufkeimende Wut weiter anfachte.
Der Sheriff von Tulsa County wusste um die Gefahr, die für seinen Gefangenen ausging und da sich die Situation in den folgenden Stunden mehr und mehr anspannte, liess er Rowland vom Stadtgefängnis in das oberste Stockwerk des County Courthouse verlegen. Doch für die weissen Bewohner von Tulsa, die das Gebäude belagerten, war Dick Rowlands Schicksal bereits besiegelt. Sie wollten ihn dafür bestrafen, die Würde eines weissen Mädchens beschmutzt zu haben, denn selbst die Berührung durch einen Schwarzen kam der versuchten Vergewaltigung gleich und für diese „Dreistigkeit“ musste der „schmutzige Neger“ aufgehängt werden.
Tausende von schwarzen Jungen und Männern waren und würden im ganzen Land für weniger gelyncht werden. 34 Jahre später wird Emmett Till in Mississippi brutal ermordet werden, weil er mit einer weissen Frau geflirtet hatte.Im noch „Wilden Westen“, der Oklahoma damals war, wurden sogar Weisse aussergerichtlich hingerichtet, beispielsweise der Mordverdächtige Roy Belton, der im Jahr zuvor in Tulsa von einem aufgebrachten Mob aus dem Gefängnis gezerrt und unter Zustimmung der örtlichen Polizei ermordet wurde.
1921 war Tulsa eine boomende Ölstadt mit 90.000 EinwohnerInnen, davon etwa 15.000 Schwarze. (Foto: Library of Congress via Picryl)
1917 tobten in den Ölfeldern der Stadt Arbeitskämpfe, bekannt unter „Tulsa Outrage“. Zwölf Aktivisten der Industrial Workers of the World (IWW), sowie fünf weitere, die es gewagt hatten als Zeugen der Verteidigung aufzutreten, wurden aufgrund ihres „Vagabundenlebens“ beziehungsweise dem fehlenden Besitz von Kriegsanleihen verurteilt. Nach der Verurteilung übergab die Polizei die Männer den örtlichen „Knights of Liberty“ (Ritter der Freiheit). Sie wurden mit vorgehaltener Waffe zum Stadtrand geführt, an einen Baum gefesselt, ausgepeitscht, geteert und gefedert. Eines der Opfer beschrieb die Situation später:
„Nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass sie unsere Körper genug gefoltert hatten, wurde unsere Kleidung auf einen Haufen geworfen, mit Benzin übergossen und angezündet. Durch den Feuerschein unseres brennenden Besitzes hindurch wurde uns befohlen Tulsa sofort zu verlassen und nie wieder zurückzukehren.“
In dem Wissen, was der junge Dick zu erwarten hatte, riskierten die BewohnerInnen Greenwoods alles, was sie sich aufgebaut hatten, um ihn als einen von ihnen zu verteidigen. Dutzende schwarze Weltkriegsveteranen und viele andere trafen sich, um ihre Optionen zu besprechen. Schliesslich fuhren um etwa 9.30 Uhr etwa 50 bis 60 von ihnen mit Gewehren, Schrotflinten und improvisierten anderen Waffenin die Innenstadt, um Dick Rowland zu schützen. Vor Ort überzeugte sie ein Gespräch mit dem Sherrif davon, dass die Behörde die Situation unter Kontrolle hatte, woraufhin sie wieder nach Greenwood zurückfuhren.
Aber der Anblick bewaffneter und organisierter Schwarzer erzürnte den weissen Mob noch weiter, viele von ihnen fuhren nach Hause, um sich selbst zu bewaffnen. Agitatoren des KKK feuerten die Menge mit Reden an, wie Tim Madigan in „The Burning“ beschreibt: „Die Ehre und Reinheit weisser Frauen überall muss hier in Tulsa verteidigt werden! Ein junges Waisenmädchen wurde fürchterlich geschändet! Kann Tulsa dafür einstehen? Verdient ihr Schmerz nicht unsere Rache? Welches Gericht in Tulsa ist fähig dazu, mit solch einem Negermonster fertig zu werden, wie dasjenige das direkt dort oben hinter Gittern auf der anderen Strassenseite sitzt?“
In Greenwood kursierte das Gerücht, der Mob hätte bereits begonnen das Gerichtsgebäude zu stürmen, um Dick Rowland zu lynchen. Eine Gruppe von etwa 75 bewaffneten Männern aus Greenwood kehrte gegen 22 Uhr zum Gerichtsgebäude zurück, dort hatte sich der schwer bewaffnete weisse Mob aber schon auf etwa 2000 Menschen vergrössert. Die Situation war angespannt.
Die Anwesenden beschimpften sich, Weisse forderten Schwarze auf, ihr Waffen abzugeben. Dann wurde, unklar ob als Unfall oder aus Absicht, ob als Warnung oder als Versuch jemanden zu treffen, der erste Schuss abgegeben – das Signal zum allgemeinen Chaos. In der allgemeinen Verwirrung und im Feuer der Gewehre lagen innerhalb von Sekunden zehn Weisse und zwei Schwarze tot oder sterbend auf der Strasse. Es entwickelte sich ein anhaltender Schusswechsel, in welchem Rowlands Verteidiger sich nach Norden zurückzogen um hinter den Frisco-Eisenbahngleisen, dieser de-facto Grenze zwischen zwei Welten, Verteidigungslinien aufzubauen. Gleichzeitig begann eine massenhafte Flucht aus der Stadt heraus.
Die Ereignisse beim Gerichtsgebäude schienen den schlimmsten Alptraum weisser NationalistInnen zu bestätigen: ein sogenannter „Negeraufstand“ war im Gange. Dieser musste mit allen Mitteln unterdrückt werden. Es ging jetzt nicht mehr darum ein Individuum zu lynchen, sondern darum ein ganzes Volk anzugreifen und es auf seinen vermeintlichen Platz zurückzudrängen. Der Anblick von Unterdrückten, die zur Waffe griffen und sich selbst verteidigten, führte in den Köpfen der Rassisten zu einem Kurzschluss und der Blutdurst kam an die Oberfläche, wie es schon früher nach dem Sklavenaufstand von Nat Turner und seine AnhängerInnen passiert war.
Die Ortsgruppe der Veteranenorganisation „American Legion“ und die Nationalgarde wurden aktiviert und patrouillierten durch die Strassen, während weisse Tulsaner die Geschäfte und das Waffenarsenal der Stadt plünderten, um sich mehr Gewehre und Munition zu beschaffen. Dutzende Polizisten, uniformiert wie auch in zivil, halfen mit, die Gewalt in die „richtige Richtung“ zu lenken. Bürgerwehren wurden offiziell aufgestellt und aufgefordert, sich „eine Waffe zu besorgen und einen Neger zu schnappen“. Hunderte von Schwarzen, die als Angestellte in den wohlhabenden weissen Haushalten untergebracht waren, wurden festgenommen, verprügelt, in die Kongresshalle der Stadt getrieben und dort von Bewaffneten festgehalten.
Der Weisse Mob zählte 2.000 Mann und war schwerbewaffnet. (Bild: George Lane, Flickr)
Entlang der Frisco-Gleise tobten Schiessereien und es verbreitete sich das Gerücht, dass eine bewaffnete schwarze Armee aus Muskogee in Richtung Tulsa unterwegs sei, was den weissen Mob noch mehr in Aufruhr versetzte. Sie waren bei Weitem in Überzahl, besser bewaffnet und so bahnten sie sich ihren Weg nach Greenwood hinein. Auch die schwarzen Weltkriegsveteranen, die als Scharfschützen mehrere Angreifer erschossen, konnten den Vormarsch nicht stoppen. Schwarze Geschäfte an der Greenwood Avenue und der Archer Street wurden in Brand gesteckt, Feuerwehrleute wurden daran gehindert die Brände zu löschen, ebenso wurden SanitäterInnen aufgehalten, die nicht zu den immer mehr Verletzten durchgelassen wurden.
Am 1. Juni gegen fünf Uhr ertönte ein Pfiff oder eine Sirene und der Angriff auf Greenwood begann. Das schwarze Tulsa wurde geplündert und dem Erdboden gleichgemacht. Die Pogromisten schossen wahllos auf schwarze Wohnhäuser und Geschäftslokale, übergossen sie mit Benzin und steckten sie in Brand. Als die Menschen die brennenden Gebäude verlassen wollten, wurden sie draussen kaltblütig niedergeschossen. Kleidung, Schmuck und sogar Klaviere wurden abtransportiert, dutzende unbewaffnete Schwarze wurden an Ort und Stelle hingerichtet und ihre Körper, an Seilen festgebunden, hinter Autos hergezogen.
Zusätzlich zeugen mehrere Berichte davon, dass zivile Flugzeuge das schwarze Viertel in Greenwood unter Beschuss nahmen.
„Die Flammen schlugen in den Himmel und der Rauch stieg in dicken Säulen auf, inmitten dessen summten die Flugzeuge – ein Dutzend oder mehr – und tauchten mit der Beweglichkeit von Vögeln immer wieder zwischen den Wolken auf.“
Eine Handvoll schwarzer Kämpfer in der Mount Zion Baptist Church gehörte zu den letzten, die Widerstand leisteten.
Truppen der Nationalgarde aus Oklahoma City trafen später an diesem Morgen ein, das Kriegsrecht wurde verhängt und der grösste Teil der gewalttätigen Exzesse beruhigte sich bis zu den Mittagsstunden. Aber der Schaden war bereits angerichtet. Dick Rowland war dem Lynchmord entgangen, aber seine Nachbarn bekamen die geballte Gewalt zu spüren, und sein Stadtviertel wurde dem Erdboden gleichgemacht – grausame Vergeltung gegen die Menschen seiner Hautfarbe im Namen der „Gerechtigkeit“. Fast 200 Geschäfte und 1.256 Häuser waren niedergebrannt worden. Weitere 215 Häuser wurden geplündert, aber nicht angezündet. zehntausende BewohnerInnen des Viertels wurden obdachlos, befanden sich in Gewahrsam oder hatten sich auf der Flucht in alle Himmelsrichtungen zerstreut.
Hunderte von gedemütigten und verletzten schwarzen Gefangenen wurden unter bewaffneter Bewachung durch die Strassen getrieben, während weisse Menschenmassen vom Rand aus zusahen, wie Gefangene eines erobertes Volkes von ihren Eroberern auf einer Parade präsentiert werden würden. Lastwagen mit Leichen von Schwarzen fuhren durch die Strassen, die Toten wurden in anonyme, nicht markierte Massengräber geworfen oder ohne Beerdigung oder Sterbeurkunde einfach in Flüsse geworfen.
Obwohl unmittelbar danach in den nationalen Medien von den Geschehnissen berichtet wurde, wurden die Fakten schnell verfälscht. Versprechen, Mittel für den Wiederaufbau bereitzustellen, gerieten bald in Vergessenheit und die kollektive gesellschaftliche Amnesie manifestierte sich über Jahrzehnte. Kein einziger Mensch wurde jemals wegen des schlimmsten Massenmordes an schwarzen AmerikanerInnen in der US-amerikanischen Geschichte verurteilt, welcher sogar das Massaker der Konföderierten an kapitulierenden Unionssoldaten in Fort Pillow 1864 übertraf.
Zu jenen, die während der sogenannten „Tulsa-Rassenunruhen“ niedergemetzelt wurden, gehörte auch Dr. A.C. Jackson, der von den berühmten Mayo-Brüdern als der „fähigste schwarze Chirurg Amerikas“ bezeichnet wurde. Er war der Erfinder zahlreicher Erfindungen im Gebiet der Medizin, die heute noch verwendet werden und ein Sohn ehemaliger Sklaven, die die Wirren am Ende der „Reconstruction“ ebenso wie einen Lynchmob in Memphis überlebt hatten, bevor sich die Familie Ende des 19. Jahrhunderts in Oklahoma ansiedelte.
Gemeinsam mit Tausenden anderen aus Arkansas, Florida, Texas, Georgia und Mississippi flohen sie nach der Einführung der Jim-Crow-Gesetze [Die Gesetze, die nach dem Ende der „Reconstruction“ die Rassentrennung im Süden der USA zementierten und Schwarze wieder weitgehend entrechteten] gen Westen, wobei sich manche auch lokalen Stämmen von UreinwohnerInnen anschlossen. Gemeinsam bauten sie mehr als ein Dutzend „Freiheitskolonien“ oder „Freedmen towns“ in ganz Oklahoma auf, Volks- und Verteidigungsenklaven, in denen Schwarze ein Leben in relativer Autonomie, Ruhe und Frieden anstrebten konnten. Die 35 quadratischen Häuserblocks von Greenwood – die „Black Wall Street“ – zählte zu den Besten von ihnen und war eine Quelle des Stolzes und der Inspiration für Schwarze in den gesamten USA.
Bevor der Lynchmob alles niederbrannte, besass der allseits beliebte Dr. Jackson eine von insgesamt acht Arztpraxen in Greenwood. Daneben gab es Kirchen, Restaurants, Lebensmittelgeschäfte, Friseure, Billiard- und Tanzlokale, eine öffentliche Bibliothek, Baumärkte, ein Fotostudio, Schneider, Anwälte, Apotheken, Textilreinigungen, Geschäfte für Nähbedarf, das Dreamland Theater, Williams Konditorei und die Booker T. Washington High-School.
Neben Jackson waren in Greenwood auch andere bekannte Persönlichkeiten ansässig. Der „Tulsa Star“-Redakteur Andrew J. Smitherman, der berühmte ehemalige Anwalt John Smitherman, der „Zauberer“ der Automechaniker John Williams und der Hotelier und Anwalt J.B. Stradford. Sie alle hatten, gemeinsam mit anderen, schon lange Diskussionen und Debatten um die Zukunft der Schwarzen in Amerika geführt.
Die 35 Strassenblocks Greenwoods, genannt „Black Wall Street“ war eine Inspiration für Schwarze AmerikanerInnen. (Foto: Tom Baddley, Flickr)
Sollten sie sich der weissen Vorherrschaft beugen, den Kopf unten halten und ihre Geschäfte und ihr Eigentum langsam durch harte Arbeit und moralische Rechtschaffenheit aufbauen, um eine Art Respektabilität innerhalb der Grenzen des weissen Amerikas zu erlangen? Das war der Wille von Booker T. Washington, dem „grossen Wohltäter“. Oder war Marcus Garveys „zurück nach Afrika“-Bewegung, die einen schwarzen nationalistischen und separatistischen Weg vertrat, der richtige Ansatz? Oder sollten sie um ihren rechtmässigen Platz in der amerikanischen Gesellschaft kämpfen und sich so den inspirierenden und kämpferischen Worten von W.E.B. Du Bois anschliessen, die er 1919 in einem Leitartikel nach einem „Rassenaufstand“ in Chicago verfasste:
„Brüder, wir befinden uns im unendlichen Abgrund[1]. Wir haben uns auf eine grosse Reise begeben, die zur Freiheit oder zum Tod führen wird. Seit drei Jahrhunderten haben wir gelitten und uns geduckt. Keine Rasse hat dem passiven Widerstand und der Fügung ins Übel länger eine Chance gegeben. Heute greifen wir zur zerstörerischen Waffe der Selbstverteidigung. Wenn die Mörder kommen, werden sie uns nicht mehr von hinten treffen. Wenn sie sich zu bewaffneten Lynchmorden versammeln, müssen wir uns mit denselben Waffen wehren. Wenn sich der Mob bewegt, entgegnen wir ihm mit Steinen, Knüppeln und Schusswaffen.
Aber wir müssen mit Vorsicht vorgehen. Wir dürfen niemals zulassen, dass gerechtfertigte Selbstverteidigung gegen Individuen zu einem blinden, gesetzlosen Angriff gegen alle Weissen wird. Wir dürfen keine Reform durch Gewalt anstreben. Wir dürfen uns nicht von Rache leiten lassen […] Wir müssen uns, unsere Häuser, unsere Frauen und Kindern ohne Zögern und ohne Beschränkung vor den Gesetzlosen verteidigen, aber wir müssen sorgfältig und gewissenhaft vermeiden, dass es ungerechtfertigte Aggressionen gegen irgendjemanden gibt.“
Die meisten der Wortführer aus Greenwood glaubten – oder besser gesagt hofften nach dem „roten Sommer“ 1919 verzweifelt – dass Washingtons Ansicht der Verbesserung in „kleinen Schritten“ Früchte tragen würde. Schliesslich hatte Washington dem Namen von Greenwood inspiriert, und zwar als eine Anspielung auf das schwarze Stadtviertel, das er in Tuskegee, Alabama, mitgegründet hatte. Und er war es auch, der den Begriff der „Black Wall Street“ geprägt hatte, nachdem er 1905 das Viertel in Oklahoma besucht hatte.
Der Vergleich mit dem Finanzdistrikt in New York ist jedoch nur im Vergleich mit der Not der Mehrheit der schwarzen Bevölkerung zur damaligen Zeit zulässig. Statt „Black Wall Street“ handelte es sich lediglich um eine bescheidene „Black Main Street“. Die Geschäfte des Viertels, die von Schwarzen besessen wurden, waren der Quell grossen Stolzes, erweckten aber auch Eifersucht unter vielen Weissen. Der Anblick von Schwarzen in Neuen Autos und teurer Kleidung war ein unerträglicher Affront gegen die damalige Rassenhierarchie. Doch an echtem Kapital fehlte es, gab es doch weder Bankwesen noch Aktienmarkt oder ein Finanzzentrum zur Ausbeutung der Arbeiter des Landes und der restlichen Welt.
Greenwood war eine Insel des bescheidenen Wohlstandes, aus Notwendigkeit getrennt vom weissen Tulsa. Von den Weissen wurde es als „Neger-Siedlung“ oder als „Kleinafrika“ bezeichnet und war doch getrennt vom bürgerlichen Leben in Tulsa, abgeschnitten von der Wasserversorgung, der Müllabfuhr oder dem Abwassersystem. Ein/e schwarze/r TulsanerIn konnte nur in Greenwood Kleidung kaufen oder in einem Restaurant essen.
Die überwältigende Mehrheit in Greenwood befand sich in direkter Abhängigkeit zu den wohlhabenden Weissen in Tulsa, pendelten sie doch zwischen den Orten, um Dienstbotenjobs für reiche Weisse zu übernehmen. Als es ums Ganze ging, identifizierten sich die wenigen in relativem Wohlstand lebenden Bewohner Greenwoods mehr mit ihren schwarzen Nachbarn als mit den wirklich wohlhabenden Weissen in anderen Stadtteilen.
Um den Verlauf zu verstehen, der zu den Ereignissen geführt hat, müssen wir sie in einen breiteren historischen Kontext stellen. Nach dem Bürgerkrieg wurde die Gesellschaft des Südens auf den Kopf gestellt, insbesondere während der radical reconstruction. Millionen ehemaliger Sklaven besassen Eigentum, trugen Waffen, wählten, bekleideten politische Ämter und bauten Enklaven relativen Wohlstands auf. Die Schicht von ehemaligen Sklavenbesitzern – und die Millionen armer Weisser, die sie in einem Krieg um Sklaverei und Sezession unterstützt hatten – fühlten sich entmachtet und dürsteten nach Rache.
Der Aufstieg des ursprünglichen Ku-Klux-Klans war ihre Antwort. Die weissen Männer in ihren weissen Kapuzen und Kutten, versuchten den verletzten Stolz der ehemaligen Konföderation zu retten, indem sie ihre Vorherrschaft durch Gewalt erzwangen und die Zeit vor die Reconstruction zurückdrehten, sowohl in ihrer eine radikaleren als auch ihrer milderen Ausprägung. Der KKK war auch bekannt als das „unsichtbare Imperium des Südens“, und sein erster „Grosser Hexenmeister“ [Anführer des KKK, Anm. d. Ü.] war Nathan Bedford Forrest, ein ehemaliger General der konföderierten Kavallerie, der Sklavenhändler gewesen und verantwortlich für das Massaker an kapitulierenden schwarzen Unionssoldaten in Fort Pillow war.
KKK Hexenmeister Nathan Bedford Forrest. (Foto: TradingCardsNPS, Flickr)
Obwohl der KKK zu Beginn der Amtszeit von Ulysses S. Grant als Präsident von Bundestruppen unterdrückt wurde, war bis zur Finanzkrise 1873 die Ermüdung des Nordens über die Massnahmen der Reconstruction so weit fortgeschritten, dass Millionen von befreiten Sklaven wieder der Willkür der sogenannten „Redeemers“ überlassen wurden.
Lynchmobs, „Sharecropping“[2] und Zwangsarbeit für Strafgefangene waren die Folge. Frederick Douglas düstere Prophezeiung vom 9. Mai 1865 hatte sich bewahrheitet:
„[Der Sklaverei] wurden schon viele Namen gegeben, und sie wird mit anderem Namen wieder kommen; und du und ich und wir alle sollten besser abwarten, welche neue Form dieses alte Monster annehmen wird, in welcher neuen Haut diese alte Schlange als nächstes hervorkriechen wird.“
Der 1915 erschienene Film Birth of a Nation sorgte landesweit für Aufsehen. Der Film war nicht nur ein technologischer Durchbruch, sondern er verherrlichte ganz im Sinne einer Konföderations-Nostalgie die Selbstjustiz gewaltbereiter Mobs und des KKK. Gleichzeitig bediente er rassistische Stereotypen von animalischen, lasziven „bösen Negern“. Doch die Botschaft einer nationalen Einheit – einer weissen Einheit – klang bei Millionen von Menschen nach, auch beim Obersten Richter des Obersten Gerichtshofs oder beim amtierenden Präsidenten Woodrow Wilson, der den Film im Weissen Haus abspielen liess.
Wilson äusserte sich zu dem Film: „Es ist, als würde man die Geschichte durch einen Blitzschlag schreiben. Mein einziges Bedauern ist, dass alles so furchtbar wahr ist.“ Diese Unterstützung verwundert wenig, wenn man bedenkt, dass Birth of a Nation auf dem Roman seines Freundes Thomas Dixon Jr., The Clansman, welcher wiederrum Elemente aus Wilsons Pro-KKK-geprägten History of the American People-Büchern enthält. Inspiriert durch die romantisierte Darstellung in Birth of a Nation wurde der KKK noch im selben Jahr wiederbelebt – diesmal landesweit, weit über „Dixie“[3] hinaus, mit zehntausenden AnhängerInnen.
Die Kriegsheimkehrer aus Europa von 1918 und 1919 wurden in den Vereinigten Staaten mit einer Wirtschaftskrise empfangen. Arbeitslose weisse Veteranen suchten sich Sündenböcke und fanden diese in Schwarzen, EinwanderInnen, „Roten“ und KatholikInnen. Doch die über 350.000 schwarzen Kriegsveteranen, die im Namen der Freiheit gedient und in Frankreich von vielen als gleichberechtigt angesehen worden waren, waren davon überzeugt, dass Gleichberechtigung ihr Lohn sein müsse. Wie W.E.B. Du Bois es in seinem Gedicht „Returning Soldiers“ kraftvoll formulierte:
Wir kehren zurück
Wir kehren vom Kampf zurück
Wir kehren kämpfend zurück
Die „grosse Migration“[4] aus dem Süden war ebenso schon in vollem Gange und so war die Bühne frei für die gewalttätigen Zusammenstösse, die im Sommer 1919 ausbrachen und stark an frühere Vorfälle in Orten wie East St. Louis oder Houston erinnerten.
James Weldon Johnson von der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) bezeichnete diese Zeit als „Roten Sommer.” Dieser überlappte mit der „Roten Angst“[5] , die sich nach dem Sieg der Bolschewiki in der russischen Oktoberrevolution 1917 ausbreitete und sich in den Palmer-Razzien[6] gegen politische Radikale und EinwandererInnen 1919/20 manifestierte. In mehr als drei Dutzend Städten, sowie im ländlichen Elaine, Arkansas, wüteten rassistische Pogrome von BefürworterInnen einer weissen Vormachtstellung. In Norfolk griff ein weisser Mob eine Gruppe zurückkehrender schwarzer Weltkriegsveteranen an. In Bisbee, Arizona, wurden mehrere „Buffalo Soldiers“ (afroamerkanische Militäreinheiten im mittleren Westen) der 10. US-Kavallerie von ansässigen RassistInnen angegriffen, verprügelt und erschossen. In Chicago brachen 13 Tage andauernde Ausschreitungen aus, nachdem der 13-jährige Eugene Williams an einem separierten Strand in die „weisse“ Seite des Wassers schwamm, woraufhin er mit Steinen beworfen wurde und in Folge dessen ertrank. Unzählige Schwarze wurden verletzt oder getötet und in Städten wie Washington, DC oder Chicago leisteten Schwarze erbitterten Widerstand.
Im September desselben Jahres wurde in New York die African Blood Brotherhood (ABB) als der selbstbezeichnete „Fels von Gibraltar für die Neger“ gegründet. Ihr Gründer Cyril Briggs war ein Einwanderer aus der Karibik. Er wurde von sozialistischen und kommunistischen Ideen beeinflusst und plädierte für bewaffnete Selbstverteidigung und Klasseneinheit gegen den gemeinsamen Feind: den Kapitalismus. Die ABB organisierte Solidarität und verbreitete die wahren Geschehnisse von Tulsa und wurde schliesslich in die Kommunistische Partei Amerikas integriert.
Währenddessen hatte der KKK für sich in den Jahren vor den beschriebenen Ereignissen ein enormes Wachstumspotential in Tulsa erkannt. Aufgrund des Stotterns des Ölbooms wegen der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg gab es unzählige unzufriedene Weisse, die nach Sündenböcken suchten. Nahezu alle „respektablen“ Weissen in Tulsa hatten die weissen Roben des KKK in ihrem Schrank hängen. Angeblich gab es eine Weisung der nationalen an die lokale Klanführung, dass „ein guter Aufruhr der beste Weg sei die Mitgliederzahlen zu erhöhen“.
Laut The Burning veröffentlichte die Tulsa Tribune am 4. Februar 1921
„[…]etwas, was auf eine Pressemitteilung des neuen KKK hinauslief: Eine Story, die die Ziele des neuen Klans, Ortsgruppen in Oklahoma zu gründen, lobte. Der neue Klan war, so diese Story, ein lebendiges, dauerhaftes Denkmal für die ursprünglichen Klan-Mitglieder, die den Süden vor einem „Negerreich, gegründet auf den Ruinen der südlichen Häuser und Institutionen“, gerettet hätten. Zu den Prinzipien des KKK gehörte laut der Tribune die „Überlegenheit der weissen Rasse in sozialen, politischen und Regierungsangelegenheiten der Nation“.“
Diese journalistische Segnung durch das Sprachrohr des weissen Tulsa trug zu einem raschen Anstieg der Klan-Mitgliedschaft bei. Doch obwohl die Tribune sicherlich Öl in die Flammen des Rassenhasses goss, war sie doch vor allem Ausdruck des tiefsitzenden Rassismus in der DNA des amerikanischen Kapitalismus.
Genau hier lag das gesellschaftliche Minenfeld, welches Dick Rowland betrat, als er an jenem schicksalhaften Tag den Aufzug des Drexel-Buildings bestieg.
Wie bei allen Terrorakten wurden zwar Einzelpersonen ins Visier genommen und getötet, doch das eigentliche Ziel war die Demütigung und Bedrohung der gesamten Bevölkerung. Die Schuld an dem Massaker wurde einzig und allein auf jene „dreisten Neger“ geschoben, die es gewagt hatten, Dick Rowland verteidigen zu wollen. Der lange prophezeite „Negeraufstand“ war ausgebrochen und musste nun mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterdrückt werden. Schwarze galten als den Weissen unterlegene Rasse und hatten alles verdient was sie erlitten hatten – und noch mehr.
Nachdem der KKK seinen herbeigesehnten „guten Aufruhr“ bekommen hatte, wuchsen die lokalen Mitgliedszahlen kräftig an: Bürgermeister, Sheriffs, Bezirksstaatsanwälte oder Stadträte, sie alle zahlten nun brav ihre Mitgliedsbeiträge. Der Klan schuf sogar Hilfstruppen aus Frauen und Kindern über 12 Jahren. Weisse Kapuzen und Roben etablierten sich als beliebtes Halloween-Kostüm für die kommenden Jahre und der grösste Sitz des KKK entstand direkt neben Greenwood – eine Warnung an diejenigen, die das Massaker überlebt hatten.
Die uns heute bekannten Bilder der gestapelten Leichen und dem verbrannten und verbrennenden Greenwood erinnern an die vom US-Imperialismus zerstörten Städte Hiroshima und Nagasaki. Viele dieser Fotos verbreiteten sich über Postkarten, die fröhlich durchs Land geschickt und als geschätzte Erinnerung an eine Zeit angesehen wurde, in der die Neger von Tulsa „so richtig in ihre Schranken verwiesen wurden“. Abgesehen davon gibt es nur wenige offizielle Unterlagen über den Umfang von Mord und Brandstiftung. Protokolle der Nationalgarde und auch der berüchtigte Leitartikel der Tulsa Tribune, der zum Lynchmord an Dick Rowland aufgerufen hatte, gelten seit Jahrzehnten als verschollen.
Der darauffolgende „Frieden“ ähnelte dem zwischen einem traumatisierten Opfer häuslicher Gewalt und dem soziopathischen Peiniger, die nach wie vor unter einem Dach leben. Schwarze Automechaniker mussten wieder die Autos derjenigen reparieren, die nur wenige Tage zuvor damit durch Greenwood gefahren waren und auf alles geschossen hatten, was sich bewegte. Dienstmädchen mussten weiter die Kleidung derjenigen waschen, die wohl ihre Häuser niedergebrannt hatten. Gewiss gab es viele Weisse, die von den Geschehnissen tief schockiert waren und sich dafür schämten. Die Mehrheit war an der Gewalt unbeteiligt, einige hatten auch versucht, den gewaltbereiten Mob zu stoppen. Viele haben ihre schwarzen Hausangestellten in ihren Kellern versteckt, oder selbst einiges riskiert, um ihre Freunde und Angestellte aus dem brennenden Greenwood herauszuholen – sei es aus echter Empathie, oder um einfach um ihre billigen Arbeitskräfte behalten zu können.
Was der Katastrophe folgte kann daher nur mit einem Triumph nach einem römischen Eroberungskrieg verglichen werden. Tausende von schwarzen TulsanerInnen waren aus der Stadt geflohen und viele von ihnen kehrten nie wieder zurück. Die Nachkommen in der Diaspora wohnen heute in St. Louis, Chicago, Kansas City, Kalifornien und an anderen Orten. Aber Hunderte oder Tausende wurden verhaftet und in öffentliche Gebäude, Parks und Ställe für Kühe oder Schweine gesperrt. Wie die JapanerInnen während des zweiten Weltkrieges wurden sie danach in improvisierten Lagern auf den Baseballplätzen der Stadt interniert. Ein Entkommen gab es nur für jene, die eine Bürgschaft durch eine/n Weisse/n vorweisen konnten. Ein rassebasiertes Passsystem wurde eingeführt, das die „guten Schwarzen“ zwang, sich mit einer grünen Identifikationsmarke auszuweisen, um sich frei in der Stadt zu bewegen zu können. Wer das nicht konnte, wurde festgenommen.
Obwohl etwas Geld und Unterstützung aus schwarzen Townships und der NAACP lukriert wurde, war es das Rote Kreuz, das die meiste Hilfe leistete. Es war das erste Mal, dass diese Organisation mobilisiert wurde, um auf eine menschgemachte, statt auf eine Naturkatastrophe zu reagieren. Es stellte finanzielle Mittel für Gesundheitsversorgung, Unterkünfte, Nahrung, Löhne für öffentliche Hilfsmassnahmen zur Verfügung. Aber selbst das war für viele Weisse in Tulsa zu viel, die selbst Schwarze für niedere Arbeiten ausbeuteten. Einige wandten sich mit Leserbriefen an die Öffentlichkeit und argumentierten, dass sie die Bezahlung von „Dienstbotenlöhnen“ für solche Arbeiten zu hoch wären und sie selbst finanziell ruinieren würden, „wenn die Dinge sich wieder normalisiert haben“.
In den Tagen nach den Ereignissen titelte die berüchtigte Tulsa Tribune: „Es darf nicht wieder geschehen“. Das war allerdings kein Aufruf gegen die rassistische Gewalt, sondern vielmehr eine Mahnung, dass Greenwood nicht wieder schwarz werden dürfe:
„Ein solcher Stadtteil wie das alte „Niggertown“ darf in Tulsa nicht mehr zugelassen werden. Es war ein Sündepfuhl der Ungerechtigkeit und der Korruption […] Jeder konnte in die unsäglichsten Tanzlokale, diese Sammelbecken für Prostitution gehen. Dieses alte „Niggertown“ war voll von schlechten Niggern und ein schlechter Nigger ist das niederste Wesen auf zwei Beinen.“
Der Mob war genau dort erfolgreich, wo die lokalen Behörden versagt hatten – genau wie es der Hurrikane Katrina war, der angeblichen „Erfolg“ darin hatte, dass historische schwarze Stadtviertel in New Orleans „gesäubert“ wurden. Lokale Bauunternehmer hatten schon länger auf das Land nördlich der Frisco-Bahnstrecke spekuliert, das für die industrielle Entwicklung der Region wie geschaffen war. Die „Black Wall Street“ bestand jetzt nur noch aus Zelten und Baracken und Spekulanten versuchten nun, Grundstücke um Spottpreise zu lukrieren. Sogar Brandschutz- und Grenzsetzungsgesetze der Stadt wurden geändert um denjenigen, die alles verloren hatte, den Wiederaufbau zu erschweren. Ein Gerichtsverfahren wendete die Gesetzesänderungen schliesslich ab und die RückkehrerInnen begannen mit dem Wiederaufbau, aber es sollte zwei Jahrzehnte dauern, bis die Region wieder halbwegs in ihrem früheren Zustand war.
Es gab es tatsächlich strafrechtliche Untersuchungen des Massakers – mit weissen Geschworenen. In einem perfekt inszenierten Mikrokosmos eines Amerika im Zeichen Jim Crows wurde kein einziger Weisser wegen Brandstiftung oder Mord angeklagt. Schwarze Geschäftsinhaber wie J.B. Stradford hingegen wurden angeklagt, einen Aufstand angezettelt zu haben. Stradford, der nach Chicago geflohen war, kämpfte Jahrzehnte lang gegen die Vorwürfe an – freigesprochen wurde er schliesslich 1996, sechzig Jahre nach seinem Tod.
Es gab eine strafrechtliche Untersuchung des Massakers – und keine einzige weisse Person wurde der Brandstiftung oder des Mordes angeklagt. (Foto: George Lane, Flickr)
Ob aus Scham oder aus Angst vor einer Strafverfolgung, die weissen TulsanerInnen schwiegen beharrlich über das Massaker. Versuche von JournalistInnen und anderen, sich mit den Fakten zu befassen, scheiterten am allgemeinen Schweigen und sogar an Todesandrohungen. Auch die Schwarzen trauten sich nicht öffentlich Aussagen zu tätigen, aus Angst die Weissen damit zu provozieren und ein weiteres Massaker auszulösen. Nur eine Handvoll trug die Geschichte an die nächste Generation weiter – selektiv und heimlich.
Infolgedessen sind ganze Generationen von TulsanerInnen, Weisse wie Schwarze, ohne jegliches Wissen rund um die Geschehnisse aufgewachsen. Erst in den 1990er Jahren, nach dem Terroranschlag von Oklahoma City, wuchs das Bewusstsein und das Interesse am schlimmsten Terrorangriff in der Geschichte des Staates. Kaum ein Wort wird über die Ereignisse in den Geschichtsbüchern verloren, so dass viele TulsanerInnen erst durch die jüngsten Fernsehsendungen wie Watchmen oder Lovecraft County von den Anschlägen erfuhren.
Im Jahr 2001 kam eine staatliche Kommission in Oklahoma zu dem Ergebnis, dass im Rahmen der öffentlichen Anerkennung des Massakers Entschädigungszahlungen an Überlebende geleistet werden sollten. Wie nicht anders zu erwarten, wurden diese Reparationszahlungen aber bis heute nicht geleistet. Stattdessen investieren Firmen und Privatprofiteure im Rahmen des 100-jährigen Gedenkens in ein schickes Geschichtszentrum, Hotels oder andere Bauvorhaben und Projekte. Erst kürzlich wurde ein Massengrab mit elf nicht identifizierten Leichen entdeckt, was die Schilderungen der Überlebenden bestätigt. Aber das Leiden einer ganzen Generation und das kollektive Trauma wurden nie thematisiert.
Tulsa ist bis heute tief gespalten, mit eklatanten rassistischen und geographischen Unterschieden in Armut, Arbeitslosigkeit, Infrastruktur, Investitionsvorhaben und Polizeibrutalität. Die „Black Wall Street“ fiel über die Jahrzehnte der Gentrifizierung zum Opfer. In den 1960er und 70er Jahren wurde ein grosser Teil, wie in so vielen anderen schwarzen Vierteln, für den Bau einer Autobahn abgerissen. Im Sommer 2020, mitten in den Protesten rund um die Ermordung von George Floyd, plante Donald Trump eine Wahlkampfkundgebung in Tulsa, ausgerechnet am 19. Juni (dem Gendenktag zur Sklavenbefreiung in den USA). Zwar zog er sich schliesslich von diesem Plan zurück, aber die Trump-GegnerInnen und UnterstützerInnen demonstrierten an diesem Tag trotzdem gegeneinander.
Wie so viele andere wesentliche historische und kulturelle Ereignisse unter schwarzer Beteiligung wurden die Geschehnisse von Tulsa vor hundert Jahren aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt und verschwiegen. Es ist die Pflicht revolutionärer MarxistInnen, die Geschichte aus Kämpfen, Siegen und Niederlagen unserer Klasse am Leben zu erhalten: wir studieren die Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen und uns auf die Zukunft vorzubereiten.
Welche Lehren können wir also aus Tulsa ziehen? Das frühe 20. Jahrhundert war der Tiefpunkt im jahrhundertelangen Kampf um schwarze Emanzipation in der amerikanischen Gesellschaft. Trotz einzelner Beispiele menschlicher Empathie, fehlte es in Tulsa 1921 vor allem an Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse. Es ist ein schmerzliches Beispiel dafür, wohin ein Mangel an Klassenbewusstsein und Solidarität führen kann und die Verantwortung dafür liegt letztlich bei den damaligen Verantwortlichen der American Federation of Labor (AFL) (dem damals wie heute (als AFL-CIO) grössten Gewerkschaftsdachverband der USA).
Am Ende stellte sich heraus, dass W.E.B. Du Bois und die anderen schwarzen Befürwortern der radikalen, sozialistischen und kommunistischen Traditionen wie Claude McKay recht hatten: schwarze ArbeiterInnen müssen um ihren Platz am amerikanischen Tisch kämpfen, der Kapitalismus muss dafür besiegt werden und diesen Kampf konnten sie nicht alleine gewinnen.
Die zweiköpfige Hydra aus Rassismus und Kapitalismus kann nur von der Arbeiterklasse besiegt werden – über alle Grenzen der Hautfarbe, alle nationalen, ethnischen, religiösen, geschlechterspezifischen und andere Unterschiede hinweg. Eine solche Einheit kann nur im gemeinsamen Kampf entstehen und obwohl dies leichter gesagt als getan ist, führt kein Weg daran vorbei.
In den Jahren nach dem Massaker von Greenwood zeigten die Kämpfe der Brotherhood of Sleeping Car Porters (BSCP) und der Erfolg des Congress of Industrial Organizations (CIO) den Weg nach vorne für die Bewegung auf. Und die breite demographische Zusammensetzung der Black-Lives-Matter-Proteste letztes Jahr sollte uns heute Zuversicht in die Möglichkeit eines vereinten revolutionären Klassenkampfes geben.
Nur der revolutionäre Sturz des Kapitalismus und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung könnte sinnvolle Wiedergutmachung für jahrhundertelange kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung garantieren. Vor 156 Jahren führte eine mutige Generation von weissen und schwarzen AmerikanerInnen, Freie wie SklavInnen, mit und ohne Uniform, einen revolutionären Krieg, um die Institution der Sklaverei abzuschaffen. Trotz ihres Wagemuts und vieler Opfer gelang ihnen kein vollkommener Sieg und es liegt nun an unserer Generation, den Kampf zu beenden, den sie begonnen haben.
[1] Tehom (hebr.) / Abyssos (gr.), in der Bibel und in der Mythologie der Ort des Ursprungs oder Ort der Gefangenschaft
[2] Sharecropping: Eine Form der Verpachtung, bei der Bauern bei den Grossgrundbesitzern einen Teil der Ernte abliefern müssen
[3] Dixie: Ein anderer Begriff für die Südstaaten
[4] Grosse Migration: Die Wanderungsbewegung von Millionen AfroamerikanerInnen aus den Südstaaten in die Industriestädte des Nordens
[5] Rote Angst: Eine Welle der antikommunistischen Hysterie
[6] Palmer Razzien: Eine Welle der Massenverhaftungen von tausenden KommunistInnen, SozialistInnen, AnarchistInnen und GewerkschafterInnen, benannt nach dem damaligen Justizminister Mitchell Palmer
Titelbild: George Lane, Flickr
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