Eine neue Weltwirtschaftskrise wird kommen. Nach Jahren der tiefen Zinsen sind die Zentralbanken in einer schlechten Position, wirksam auf die Krise zu reagieren. Rufe nach staatlichen Investitionen werden lauter. Helfen wird auch das nicht: Das gesamte System ist kaputt.
40% der Unternehmensschulden sind vom Zahlungsausfall bedroht. Das Risiko einer Kettenreaktion im Finanzsektor steigt.
Für ihre erste Rede als Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte Kristalina Georgiewa nicht gerade erfreuliche Botschaften zu überliefern. Die Weltwirtschaft befinde sich in einem «synchronisierten Abschwung», sagte sie am 8. Oktober. Für 2019 erwarte der IWF in fast 90% der Welt eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Dieses falle damit auf seinen tiefsten Stand seit Beginn des Jahrzehnts.
Der IWF ist nicht alleine mit diesen düsteren Einschätzungen. Im Oktober wurden wir regelrecht bombardiert mit Kommentaren von Ökonomen, die erklärten, wir stünden am Rande der ersten globalen Rezession seit der historischen Krise von 2008. Zwar hat der Kapitalismus seine tiefe Krise seither ohnehin nie überwunden, doch nun droht sie wieder offen auszubrechen – und zwar auf einer höheren Ebene als noch vor mehr als 10 Jahren.
In der industriellen Produktion ist die globale Rezession bereits Tatsache. In den letzten Monaten hat sich der Industriesektor in allen Weltregionen schnell abgekühlt. Und zwar sowohl in den grössten wie in einer Vielzahl kleineren Volkswirtschaften und den «Schwellenländern».
Die US-Industrie schreibt seit zwei Quartalen negatives Wachstum. Und über die Industrie hinaus befindet sich die gesamte US-Wirtschaft faktisch in einer Gewinnrezession: Die 500 grössten US-Konzerne weisen seit zwei Quartalen sinkende Gewinne auf – mit Aussicht auf weitere Verschlechterung. In China ist das schnelle Wachstum der letzten Jahre Vergangenheit. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Welt. Die deutsche Industrie befindet sich nicht zuletzt wegen des Rückgangs der Nachfrage aus China in einer Rezession. Auch die Schweizer MEM-Industrie verzeichnet seit mittlerweile fünf Quartalen in Folge sinkende Bestellungseingänge. Der Branchenverband SwissMEM stellte Mitte November nüchtern fest, dass es «wenig Hinweise auf eine baldige Trendwende» gebe.
Bisher ist die Krise noch nicht von der Industrie auf den Finanz- und Dienstleistungssektor übergesprungen. Dass es – eher früher als später – zum allgemeinen Einbruch kommen wird, steht nicht in Frage. Die Frage ist, wie Regierungen und Zentralbanken darauf noch reagieren können.
Der Handelskonflikt zwischen den USA und China wird oft als Ursache der Verlangsamung und als grösste Gefahr für eine neue Krise dargestellt. Tatsächlich haben sich die Schutzzölle negativ aufs Wirtschaftswachstum in der Industrie ausgewirkt. Das Wachstum des Welthandels ist praktisch zum Erliegen gekommen. Exportindustrien schieben in diesem unsicheren Umfeld die ohnehin schon tiefen Investitionen weiter auf. Aber der Handelskonflikt ist höchstens ein Brandbeschleuniger. Der Kapitalismus krankt nicht an irgendwelchen kleinen Ungleichgewichten oder falscher Wirtschaftspolitik der Regierungen. Er befindet sich in einer organischen Krise, die ihre Ursachen in der Funktionsweise des Kapitalismus selbst hat.
Der Kapitalismus leidet am grundlegenden inneren Widerspruch, dass er die Produktion von Konsumgütern schneller ausdehnt als er die Nachfrage nach denselben ausdehnen kann. Diese Tendenz des Kapitalismus zur «Überproduktion» sehen wir anschaulich an den massiven Überkapazitäten in der Industrie. In den USA werden 20-25% der vorhandenen produktiven Kapazitäten nicht genützt, weil die Waren auf den gesättigten Märkten ohnehin nicht abgesetzt werden könnten. In so einer Situation wird auch nicht mehr in die Produktion investiert, weil ohnehin bereits massive Überkapazitäten bestehen. Doch sind es gerade die Investitionen, die das Wirtschaftswachstum antreiben. Das ist die tiefere Ursache der kapitalistischen Krise, wie wir sie seit 2008 erleben.
Die Angst vor einer neuen Rezession trieb die Zentralbanken rund um die Welt bereits zum Handeln. In einem Land nach dem anderen wurde eine neue Runde der Zinssenkungen angestossen, um mit «billigem Geld» Investitionen zu ermutigen und die Wirtschaft anzukurbeln. In den USA hatte die Notenbank (FED) seit 2015 schüchtern versucht, von den tiefen Zinsen und der ultra-lockeren Geldpolitik wegzukommen. Mit diesen wurde seit Beginn der Krise 2008 krankhaft versucht, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Mit den düsteren Aussichten in der Industrie kam in diesem Sommer jedoch die Kehrtwende: Seit Ende Juli hat das FED bereits drei Mal den Leitzins gesenkt und ist wieder zum Kauf von Staatsanleihen (Quantitative Easing) zurückgekehrt.
Doch die Lockerung der Geldpolitik kann die Wirtschaftskrise bestenfalls hinauszögern, aber nicht verhindern. Sie kann das Problem nicht an der Wurzel lösen, sondern häuft vielmehr Widersprüche an, die an einem gewissen Punkt notwendigerweise in eine umfassendere Krise umschlagen.
Weil durch die gesättigten Märkte die profitablen Investitionsmöglichkeiten in der Produktion fehlen, fliesst das «billige Geld» durch die tiefen Zinsen grösstenteils in die Spekulation an den Finanzmärkten. Damit werden dort jedoch die Preise aufgebläht und damit das Risiko einer Finanzkrise erhöht. Andererseits treiben die tiefen Zinsen die Verschuldung der Unternehmen und Haushalte an. Schulden sind in den letzten Jahren global explodiert. Mit dem Wachstum der Schulden sinkt allerdings auch zunehmend die Fähigkeit der Unternehmen, die Schulden zurückzuzahlen. Einer IWF-Analyse zufolge sind bei einer Wirtschaftskrise 40% der Unternehmensschulden in acht grossen Volkswirtschaften vom Zahlungsausfall bedroht. Das ist mehr als während der letzten Finanzkrise. Das Risiko steigt, dass eine ganze Reihe von Unternehmen bankrott geht, die Banken auf faulen Krediten sitzen lässt und im Finanzsektor eine Kettenreaktion auslöst.
Die lockere Geldpolitik als Krisenbewältigungsmittel hat jedoch nicht nur eine ganze Reihe neuer Probleme geschaffen ohne ein einziges Problem lösen zu können. Sie hat der herrschenden Klasse für die kommende Krise auch ihr wichtigstes Mittel geraubt, den Einbruch abzufedern: Mit Zinsen bei 0% oder gar im negativen Bereich sind die Zentralbanken ausgeschossen. Das brachte den Hedgefonds-Guru Ray Dalio Anfang November zu einer Feststellung, die man von einem Multi-Milliardär vielleicht nicht erwarten würde: «Die Welt ist verrückt geworden und das System ist kaputt».
Dalio und eine immer grössere Zahl bürgerlichen Ökonomen fordern daher, die expansive Geldpolitik mit staatlichen Investitionsprogrammen zu ergänzen. Doch werden auch solche «keynesianistische» Massnahmen keinen Ausweg aus der Krise bieten. Der Grund dafür liegt darin, dass das System tatsächlich kaputt ist – und in einem weit tieferen Sinn als Ray Dalio sich das vorstellen mag. Der Kapitalismus als System befindet sich in seiner Phase des Niedergangs. Seit Jahrzehnten sinkt das Wachstum der Produktivität.
Aus kapitalistischer Perspektive gibt es hier keine andere Antwort als die Arbeiterklasse massiv anzugreifen, um die Profite bestmöglich zu retten. Aber ein System, das für den grössten Teil der Bevölkerung nur noch Rückschritte zu bieten hat, hat seine historische Grundlage verloren. Die aufständischen Massenbewegungen rund um die Welt sind die Reaktion auf den Zerfall dieser Gesellschaftsordnung. Bauen wir die Kräfte auf, die ihr den Todesstoss versetzen können!
Bild: Public Domain
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