Krieg in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten und eine riesige weltweite Palästina-Bewegung: Es mangelt weder an Gründen noch an Willen, den Imperialismus zu stürzen.
Doch das ist alles andere als einfach, wie uns das letzte Jahr lehrte. Um die Imperialisten zu besiegen, braucht es tiefe politische Klarheit und einen grossen Horizont.
Was ist der Charakter der Weltlage und unsere Aufgabe als Kommunisten darin? Was zeichnet unseren Feind, den Schweizer Imperialismus, aus? Was ist die richtige Herangehensweise an Krieg? Welche Rolle spielt Kunst in der Revolution?
An der deutschsprachigen marxistischen Schule vom 1. bis 3. November in Bern haben sich 130 Teilnehmer mit diesen drängendsten Fragen unserer Zeit beschäftigt. Die gelieferten Antworten haben das politische Verständnis und das Vertrauen in die Partei gestärkt. Das beweist die Spende von 21’000 Franken. Trotz geringerer Teilnehmerzahl als im Vorjahr, haben wir unser Spendenziel übertroffen.
«Auf den ersten Blick scheint die Welt völlig verrückt geworden zu sein», sagte Niklas Albin Svensson, führendes Mitglied unserer Internationalen (RKI) im Eröffnungsplenum zur Weltlage. Die alte Sicherheit ist weg, Instabilität nimmt auf allen Ebenen gleichzeitig zu: Kriege, Klimakatastrophen, Ungleichheiten und Massenproteste, verhasste Regierungen und unberechenbare Rechtspopulisten.
Als Marxisten müssen wir die tieferen Prozesse unter dem Chaos begreifen. Das Grundlegendste ist die tiefe ökonomische Krise seit den 1970ern. Die drei wichtigsten Krisenbekämpfungsmittel der Bourgeoisie – Angriffe auf die Arbeiter, Globalisierung und billiges Geld – haben die heutigen Explosionen vorbereitet. Seit Jahren werden Trillionen in die Wirtschaft gepumpt, während die Produktivitätssteigerungen abnehmen. Der Kapitalismus wurde durch Geldspritzen künstlich am Leben gehalten.
Heute rächt sich diese Krisenbewältigung in Form globaler Schuldenberge (320% des globalen BIPs) und Inflation, in Form zunehmenden Protektionismus und Handelskriegen und in Form zunehmender Streiks und Protesten bis hin zu revolutionären Aufständen (Sri Lanka, Bangladesh etc).
Ein kaputtes System lässt sich nicht gesund verwalten. Egal wer regiert, alle produzieren das gleiche: Angriffe auf die Arbeiterklasse und damit noch mehr Unmut gegen das ganze Establishment. Darum stürzen Regierungen und traditionelle Parteien reihenweise ein und rechte Demagogen steigen als vermeintliche Alternativen auf.
Der Sturz Hasinas in Bangladesh durch einen Massenaufstand, der Einsturz der Ampel-Regierung in Deutschland oder die Wahl Trumps in den USA sind verschiedene Ausdrücke der gleichen Sackgasse: Die Herrschenden können nicht mehr und die Massen lassen sich nicht mehr regieren wie bisher. Weder linear noch überall morgen – doch Kämpfe bis hin zu Massenaufständen werden zunehmen.
«Doch eine Zutat fehlt überall», sagte Niklas. Nämlich die revolutionäre Partei. Eine Partei, die die Arbeiterklasse zum Sieg, also zur Machtübernahme führt – statt wie die jetzigen reformistischen Führungen in sichere Bahnen und damit in die Sackgasse.
Wir, die RKP, sind heute viel zu klein. Aber wir stellen uns der Verantwortung, diese Partei aufzubauen. Der Parteiaufbau ist eine Kunst, die jeder Genosse selbst lernen muss. Die Grundlage ist der Marxismus, wie Niklas unterstrich. Denn: «Unsere Aufgabe als kleine Partei besteht darin, die fortgeschrittensten Schichten vom ganzen kommunistischen Programm zu überzeugen, zu vereinen und auszubilden».
Der historische Beitrag der Marxisten in der Schweiz zur Weltrevolution liegt darin, die Arbeiterklasse zur Enteignung und Entmachtung von UBS, Nestlé und Co zu führen. Das versucht die bürgerliche Ideologie mit Konzepten wie «Sonderfall», «Neutralität» oder «Vorzeige-Demokratie» zu verschleiern. Mehrere Workshops haben diese bürgerlichen Lügen mit messerscharfen Klassenanalysen zerschnitten.
Dersu Heri entlarvte im Workshop Schweizer Imperialismus bekämpfen – RKP aufbauen die Schweizer «Neutralität», das Bankgeheimnis oder die «Guten Dienste» als Instrumente der Schweizer Kapitalisten zur Verteidigung ihrer Profitinteressen. Mit der Neutralität versuchte sich die Schweizer Bourgeoisie, aus weltpolitischen Konflikten herauszuhalten, um mit möglichst allen Mächten profitable Geschäfte betreiben zu können.
Doch Rosinenpickerei funktioniert nur, solange mehr Brot gebacken wird. Weil sich in der Krise die Konkurrenz zwischen den Grossmächten zuspitzt, funktioniert das alte Erfolgsmodell der Schweizer Bourgeoise nicht mehr. Mit der Unterstützung des NATO-Blocks in beiden laufenden Kriegen fällt der «humanitäre» und «neutrale» Mantel und die nackten Profitinteressen kommen zum Vorschein.
Jannick Hayoz’ Workshop zur Schweizer Demokratie beleuchtete die politische Seite des gleichen Prozesses. Im grossen historischen Bogen von der Gründung des bürgerlichen Nationalstaates 1848 bis heute erklärte er, warum die sogenannte «Vorzeige-Demokratie» Schweiz in Tat und Wahrheit als Werkzeug der aufstrebenden Kapitalistenklasse entstand und wie sie im Zuge der aufkommenden Arbeiterbewegung ab Ende des 19. Jahrhunderts ihr reaktionäres Gesicht zu zeigen begann.
Dario Dietsche erklärte in seinem Workshop zu Rassismus in der Schweiz, warum der Rassismus seit der Sklaverei im 18. Jahrhundert bis heute tief im Schweizer Kapitalismus verankert ist – als ein Mittel zur Rechtfertigung der Plünderung auf der ganzen Welt, der Überausbeutung von Migranten im Inland und zur Spaltung der Arbeiterklasse. Nur wer die Funktion und die materielle Grundlage des Rassismus versteht, kann der rassistischen Hetze und der «dekolonialen» Symbolpolitik ein Programm zur Einheit der Arbeiterklasse entgegenhalten.
Diese drei Workshops legten das wahre Wesen des «neutralen», «demokratischen» und «weltoffenen» Schweiz frei: Ein Klassenstaat, der die Herrschaft der Banken und Konzerne verteidigt.
Imperialismus bedeutet Krieg und «Schrecken ohne Ende» (Lenin). Martin Kohler erklärte dies im Workshop Imperialismus im Nahen Osten mit einem grossen historischen Blick auf die Rolle des westlichen Imperialismus in der Region. Hinter der heutigen Barbarei steckt eine 150-jährige Geschichte. Als die USA, Grossbritannien und Frankreich als Hegemonialmacht ablösten, versprachen sie «Demokratie» und «Frieden». Doch stattdessen haben sie das Gleichgewicht im Nahen Osten vollends zerstört.
Das Resultat ist der Aufstieg des islamischen Fundamentalismus und eine nicht endende Reihe von Kriegen in Syrien, im Jemen, in Palästina oder im Libanon, in denen regionale Imperialisten (Israel, Saudi-Arabien, Iran, etc) und Grossmächte (USA, Russland) um die Vorherrschaft ringen.
Dieses Ringen um die in der Krise schrumpfende Profit-Beute wird zunehmen. Darum rüsten die Imperialisten überall auf.
Das war bereits zu Lenins Zeit rund um den Ersten Weltkrieg der Fall. Damals wie heute unterstützen die Führer der Arbeiterklasse ihre eigenen Bourgeoisien im Kampf um die Beute. Caspar Oertli erklärte im Workshop Lenin, die Schweizer Bolschewiki und der Krieg, was wir aus der Geschichte lernen müssen, um nicht im Lager unserer eigenen Bourgeoisie zu landen.
Es reicht nicht, Lenins Slogans wie «Der Hauptfeind steht im eigenen Land» auswendig zu lernen. Wir müssen Lenins Herangehensweise an den Krieg hinter den Slogans verstehen. Diese erlaubte es Lenin einerseits, nicht einzuknicken vor dem Druck, im Krieg die Klassenunterschiede beiseite zu schieben und «das Vaterland» oder «die Demokratie» zu verteidigen.
Andererseits bewies Lenin in der Praxis positiv, dass die marxistische Methode entscheidend ist, um Kriege zu beenden. Auf Grundlage der theoretischen Klarheit in seinen Werken zum Imperialismus, zum Krieg und zum Staat führten die Bolschewiki die Arbeiterklasse zum Sturz ihrer eigenen Kriegstreiber, zur russischen Revolution. Diese entfachte Revolutionen in ganz Europa, die den Ersten Weltkrieg beendeten.
Michael Wepf erklärte im Workshop Wie die britischen Kommunisten gegen Hitler kämpften, wie Ted Grant die Methode von Lenin im Zweiten Weltkrieg anwendete. Der Gründer unserer Internationalen löste eine Gleichung mit komplexen Faktoren – Sowjetunion verteidigen und Faschismus bekämpfen, ohne dabei Illusionen in die Bürgerlichen zu schüren – in einem Krieg voller schroffer Wendungen. Ein Kapitel mit unabdingbaren Lektionen für Marxisten.
Die meisten Vorschläge gegen Krieg heute sind abstrakte Friedensappelle an die UNO oder den Bundesrat. Sereina Weber erklärte im Workshop Ihre Moral und unsere: Marxismus vs Pazifismus, dass der Pazifismus der Bürgerlichen und der Reformisten zwar harmlos daherkommt (wer ist schon gegen Frieden?), doch in Tat und Wahrheit schädlich ist. Denn wer die Gewalt der Unterdrücker mit jener der Unterdrückten gleichsetzt – der verschleiert den Klassengegensatz und hilft damit den Unterdrückern.
Hinter dem Pazifismus steckt die idealistische Auffassung, dass Gewalt prinzipiell zu verurteilen sei. Um für eine wirklich friedliche Welt zu kämpfen, braucht die Arbeiterklasse eine von der Bourgeoisie unabhängige Denkweise, eine Philosophie zur Einsicht in die Wahrheit: den dialektischen Materialismus.
Für viele Teilnehmer stellte der Workshop Kunst und die Russische Revolution den Höhepunkt der Schule dar. Olivia Eschmann erklärte, dass Kunst etwas tief Menschliches ist. Wir haben schon immer Kunst gemacht.
Mit der Entstehung der Klassengesellschaften ergriffen die Herrschenden jedoch das Monopol über Kunst. Die unterdrückten Massen wurden und werden der Kunst beraubt.
Kommunismus bedeutet Rückkehr zum Ur-Kommunismus, angereichert durch alle Schätze der Klassengesellschaften. Dazu gehören die Fabriken und Technologien. Diese bieten die Grundlage für ein Leben ohne materielle Sorgen für alle.
Aber Kommunisten kämpfen für viel mehr, wie die Oktoberrevolution in Russland 1917 andeutete. Sie leitete eine Explosion der künstlerischen Kreativität ein und begann, den Massen die Türe zur Sphäre von Kunst und Kultur zu öffnen.
In den Worten des russischen Künstlers El Lissitzky:
«Die Kommunisten haben nicht nur eine gerechtere oder ökonomisch bessere Welt versprochen, sondern – und das ist vielleicht am wichtigsten – eine schöne»
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