Der Mord an Sarah Everard in England löste eine landesweite Welle von Protesten aus. Sie ist kein Einzelfall, Frauen weltweit sind davon betroffen. Wie hängen die Gewalt und der Kapitalismus zusammen und wie bekämpfen wir diese?
Das Ausmass der Gewalt an Frauen erschreckt: Weltweit hat jede dritte Frau Gewalt erlebt, dies meistens von ihrem Partner. In Ländern wie Mexiko werden täglich zehn Frauen ermordet. Auch die Schweiz ist keine Ausnahme: Wir erinnern uns an den Sommer 2018, als fünf junge Frauen in Genf brutal zusammengeschlagen wurden. Nur schon in den letzten Monaten gab es zwei Morde an Frauen, einer davon in Bussigny, als ein Polizist seine Freundin und dann sich selbst erschoss. Dies ist nur die Spitze des Eisberges: Hinter den Kulissen erleben Frauen in der Schweiz Gewalt und Angst im Alltag. Jeden Tag werden 22 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Und diese Zahl lässt die massive Dunkelziffer ausser Acht. Hinzu kommen sexuelle Belästigung, verbale Gewalt, Sexismus, Lohnungleichheit und wirtschaftliche Abhängigkeit. Die Unterdrückung der Frau ist im Kapitalismus fest verankert. Doch wie kämpfen wir gegen die Gewalt an Frauen?
Frauenunterdrückung sowie die Gewalt an Frauen gab es schon vor dem Kapitalismus. Frauen werden als Objekt und als Anhängsel des Mannes angesehen. Sie werden in die private Sphäre verdrängt, wo sie sich um die Familie und auch heute noch zum grössten Teil alleine um die Hausarbeit kümmern müssen. Doch die Frauenunterdrückung hat es nicht immer gegeben. Sie entstand mit dem Aufkommen der Klassengesellschaft. Sowenig wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft naturgegeben ist, ist es die Gewalt an Frauen. Es ist nicht in den Genen des Mannes festgeschrieben, Frauen zu schlagen oder sie zu unterdrücken.
Statistiken zeigen, wie schlechtere finanzielle und soziale Bedingungen auch mehr Gewaltsituationen herbeiführen. Mexiko ist da ein klares Beispiel, wo die meisten Feminizide in den ärmsten Gebieten und Familienverhältnisse geschehen. Doch wir sehen auch eine allgemeine Tendenz zu mehr Gewalt mit der Zunahme von ökonomischem und sozialem Elend. In den letzten zehn Jahren hat die häusliche Gewalt in der Schweiz um 23 Prozent zugenommen, zusammen mit den sinkenden oder stagnierenden Lebensbedingungen. Dazu kommt die aktuelle Krise und die Pandemie, welche wie ein Brandbeschleuniger für die Gewalt wirken. Letztes Jahr gab es über 20 Prozent mehr versuchte Tötungen als im Jahr zuvor. Vergewaltigungen nahmen um fünf Prozent zu. Der Kanton Bern spricht sogar von einer Steigerung von 40 Prozent an häuslicher Gewalt.
Seit Jahrzehnten wird beim Sozialstaat und den Opferhilfen der Rotstift angesetzt. Alle möglichen Anlaufstellen haben schon vor der Pandemie ausgesagt, dass sie unterfinanziert seien. Alleine im Jahr 2017 wurden 1’200 Gewaltopfer aus Platzmangel von Frauenhäusern abgewiesen. Die kommenden Sparmassnahmen in der Krise werden diesen Mangel klar nicht aufheben, sondern im Gegenteil verstärken.
Die Fähigkeit, sich aus einer Gewaltsituation zu befreien, ist stark von den materiellen und finanziellen Umständen abhängig. Man muss sich eine neue Wohnung suchen, vielleicht einen neuen Job, man muss weiterhin seine Kinder ernähren. Viele Frauen, auch wenn sie selber arbeiten, stehen vor allem in Familien mit Kindern in finanzieller Abhängigkeit zum Mann. Frauen haben oft prekäre Arbeitsbedingungen, einen tieferen Lohn und sind die ersten, die in der Krise entlassen werden. Zusätzlich gehören alleinerziehende Mütter in der Schweiz zu den ärmsten Schichten der Gesellschaft. Die Unterfinanzierung der Hilfestellungen und die ökonomische Abhängigkeit der Frau hält sie in ihrer Gewaltsituation gefangen. Der Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung der Lohnabhängigen und der Unterdrückung der Frauen. In der Krise sieht sich das System zunehmend gezwungen, die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen und vor allem jene der Frauen noch härter anzugreifen. Der Kapitalismus ist völlig unfähig die Frauen von der Gewalt zu befreien.
Nur etwa 20 Prozent der Fälle von Gewalt an Frauen werden schlussendlich der Polizei gemeldet. Ein Grund dafür ist die Stigmatisierung und Sexualisierung der Frau. In jeder Zeitschrift, in jedem Film, auf Social Media: Die Frau wird als sexualisiertes Objekt, als Mutter oder als Ehefrau dargestellt. Oft wird Frauen die Schuld gegeben, warum sie sich in einer Gewaltsituation wiederfinden – man sollte sich doch einfach wehren oder sie hätten ihren «Pflichten» besser nachgehen sollen. Dies führt einerseits dazu, dass sich die Frauen selbst die Schuld geben Gewalt zu erleben. Andererseits, oder auch als Folge, suchen sich Frauen keine Hilfe.
Denn ohne Anlaufstellen wie Frauenhäuser, gibt es für Frauen im Kapitalismus nicht sehr viel Möglichkeiten: Der bürgerliche Staat schafft es nicht Frauen vor Gewalt zu schützen – auf den Strassen oder Zuhause. Das Beispiel von England zeigt auf, dass der Staat und die Polizei nur sich selbst schützen: Sarah Everhard wurde auf dem Nachhauseweg von einem Polizisten ermordet. In Protest gegen diesen Mord gingen landesweit tausende junge Frauen und Männer auf die Strasse – die Polizei versuchte die Demonstrationen mit Verboten und Gewalt zu unterdrücken (wie auch die 8. März Demo in Zürich). Die bürgerliche Justiz ist genauso unfähig, Frauen den nötigen Schutz zu bieten. Zum Beispiel kriegt nur jeder dritte verurteilte Vergewaltiger eine bedingte Haftstrafe und kann sich somit gleich wieder auf freiem Fuss bewegen.
Frauen gehören im Kapitalismus zu den ärmsten, am wenigsten organisierten und isoliertesten Schichten der Gesellschaft. Und der Kapitalismus hält sie systematisch in dieser Rolle gefangen. Um die Gewalt an Frauen zu bekämpfen müssen wir uns um Forderungen organisieren. Zum einen braucht es mehr und bessere Schutzmöglichkeiten: Wir kämpfen gegen die Sparmassnahmen und für den Ausbau des Sozialstaats und der Opferhilfen wie Frauenhäuser – finanziert von den Kapitalisten. Andererseits müssen wir das Problem an der Wurzel packen: Nur der Kampf für gute Lebensbedingungen für alle schafft die Grundlage, um Frauen aus der ökonomischer Abhängigkeit zu befreien und damit die Möglichkeit, aus Gewaltsituationen fliehen zu können. Wir kämpfen für bezahlbaren Wohnraum, kostenlose und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung und das Recht auf Arbeit für alle, also die Aufteilung der gesellschaftlichen Arbeit und die Reduktion des Arbeitstages bei vollem Lohnausgleich. Diese Forderungen zielen nicht nur auf ökonomische Unabhängigkeit ab, sondern auch darauf, die Frau aus der Isolation des Haushaltes zu holen.
Auf Grundlage dieses Programms müssen wir den Organisationsgrad und das politische Bewusstsein der Frauen heben. Denn nur im gesellschaftlichen und kollektiven Kampf für ein sicheres und selbstbestimmtes Leben können wir uns befreien. Um Armut, Ausbeutung und systematischer Unterdrückung den Boden zu entziehen, müssen wir den Kapitalismus als Ganzes bekämpfen und überwinden. Millionen von Frauen (und Männern) haben in den letzten Jahren weltweit auf den Strassen gegen Sexismus, Gewalt und Frauenunterdrückung protestiert. Nun gilt es diese Wut zu kanalisieren und gegen das System zu richten, welches diese Barbarei tagtäglich hervorbringt: Der Kampf gegen die Gewalt und gegen die Frauenunterdrückung ist der Kampf gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus!
Sereina Weber
ASEMA Genf
Bild: Ian Vogler / Daily Mirror)
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