In einem modernen gläsernen Gebäude befindet sich der Hauptsitz des grössten Transporteurs des Schweizer Schienengüterverkehrs. Mittendrin befindet sich die «operative Leitstelle». Die Dispo ist der Motor dieses riesigen Logistikbetriebes.
Hier arbeiten wir DisponentInnen, koordinieren Frachten, Fahrzeuge oder das Personal draussen auf der Fläche. Zum Beispiel LokführerInnen, technische Kontrolleure oder Rangiermitarbeiter. Ausserdem managen wir Störungen und Fahrplanabweichungen. Gleichzeitig sind wir das ganze Jahr über 24 Stunden am Tag operativer Ansprechpartner für die wichtigsten Kunden und Kompagnons unseres Unternehmens.
Mein Arbeitstag beginnt – je nach Schicht um 4 Uhr morgens, 12 Uhr Mittags oder 8 Uhr Abends – immer mit der Schichtübergabe. Dabei erfahre ich vom abzulösenden Kollegen die relevanten Ereignisse der vergangenen Schicht. Sowie die Störungen und Einschränkungen, die auch noch in meiner Arbeitszeit relevant sind, wie etwa Streckenunterbrüche, Zug-Ausfälle oder Fahrzeugdefekte. Nachdem ich alle meine Programme gestartet und installiert habe, besprechen wir im Team die aktuelle Betriebslage. Welche Probleme sind zwingend in unserer Schicht zu lösen und welche haben Priorität? Wenn alles geklärt ist, arbeiten wir gleichzeitig an den «übergebenen» Problemen, während wir den Tagesbetrieb disponieren. Die wenigsten Arbeitstage sind ruhig, wir kämpfen fast täglich mit fehlenden Lokführern oder grösseren Einschränkungen im Bahnverkehr. Obwohl es während der Arbeit immer wieder sehr stressig ist und wir unter starkem Druck stehen, ist das Klima im Büro angenehm, denn wir wissen: Nur mit einer konstruktiven Teamarbeit und optimistischen Herangehensweise können wir die Probleme bewältigen.
An meinem Job mag ich besonders das betriebsame Arbeiten, die Abwechslung und das Koordinieren von Störungen im Team. Es ist vor allem die Action, die Spass macht. Die Züge, deren Probleme ich löse, fahren meistens schon einige Stunden später. Obwohl ich eine abstrakte Büroarbeit an den Monitoren verrichte, sehe ich das Produkt, wenn ich aus dem Fenster schaue. Zudem schätze ich den vielen Kontakt mit den internen Stellen, mit denen wir zusammenarbeiten oder mit den MitarbeiterInnen auf der Fläche.
An einem normalen Arbeitstag telefoniere ich rund 100 Mal mit Güterbahnhöfen und den ArbeiterInnen, die den Betrieb draussen auf den Gleisfeldern am Laufen halten. Leider ist der Ton meistens rau und die Stimmung gedrückt. Denn seit Längerem ist die finanzielle Lage im Betrieb äusserst angespannt. Das wurde uns auch schon mehrmals mitgeteilt. Seitdem der Schienengüterverkehr auch für Private geöffnet wurde, haben wir einige sehr wichtige Grosskunden und Geschäfte, sogenannte Verkehre, verloren. 2019 wurden auch wir dann teilprivatisiert, massive Sparmassnahmen folgten. Die Mitarbeitenden draussen trifft dies besonders hart. LokführerInnen und Rangiermitarbeiter erzählen uns immer wieder über die prekären Verhältnisse bei Ihrer Arbeit, fehlende Zeit für die jeweiligen Tätigkeiten und enorme Überstunden.
Auch unser Team erlebte diese drastischen Sparmassnahmen und wurde vor einiger Zeit auf die Hälfte der Mitarbeitenden reduziert. Prozesse wurden verallgemeinert und teilweise automatisiert. Durch die Personalreduktion ging wertvolles Know-how von erfahrenen MitarbeiterInnen verloren, diese Lücken sollten neue Prozesse und IT-Systeme füllen. Leider vergeblich, denn auch hier macht sich die Privatisierung und das fehlende Geld bemerkbar. Die Systeme funktionieren nicht fehlerfrei und die Prozesse sind teils lückenhaft. Unsere Qualität sinkt und der Druck auf die MitarbeiterInnen steigt immens. Ein Rattenschwanz, denn immer mehr Kunden sind wegen des Qualitätsmangels unzufrieden und drohen abzuspringen.
Fast alle meine KollegInnen sind in der Gewerkschaft, aber ich habe noch nie einen Sekretär bei uns vorbei kommen sehen.
In den letzten zwei Jahren habe ich bereits vier verschiedene Teamleiter durchlebt. Die Reorganisationen oder Wechsel in den Stufen über mir zähle ich nicht mehr. Jedes Mal ein Neustart, eine neue aufregende PowerPoint, die Verbesserungen und Visionen der Chefs propagieren, alles leere Versprechen…
Anonym, 14.01.2021
Bildquelle: Dustpuppy72, flickr
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