Inwiefern war die Pariser Kommune ein zentrales Ereignis im Kampf für eine bessere Welt, und warum ist sie auch heute noch relevant? In diesem Artikel werden wir versuchen, die revolutionäre Rolle der Kommune in der Geschichte der Arbeiterbewegung zu verstehen.
Vor 150 Jahren fand in Paris ein entscheidendes Ereignis in der Geschichte des europäischen Proletariats statt. In der Tat errichtete das Pariser Volk im Gefolge des 18. März 1871, ohne sich dessen bewusst zu sein, den ersten Arbeiterstaat der Geschichte.
Diese Erfahrung war zwar nur von kurzer Dauer, hatte aber eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung der Arbeiterbewegung und in der Folge für alle revolutionären Bewegungen. Die Kommune war die erste Form eines Staates, der nicht mehr von und für die herrschende Klasse, sondern im Interesse der Mehrheit geführt wurde. Indem die Kommune die reaktionäre Regierung von Adolphe Thiers aus Paris vertrieb, setzte sie der bis dahin ununterbrochenen Diktatur der Bourgeoisie eine andere Form der «Diktatur» entgegen: die der Massen, die des Proletariats.
Offensichtlich wurde dieses Ereignis aufmerksam verfolgt und trug wesentlich zur Theorie bei, die der Revolutionär Karl Marx entwickelte. Bis zu diesem Punkt hatte Marx es nur gewagt, die Folgen der sozialistischen Revolution in vagen Begriffen anzusprechen, ohne wirklich zu erklären, was den Staat der kapitalistischen Gesellschaft ersetzen würde. Dies war kein Mangel an Weitsicht seitens Marx‘, sondern vielmehr Ausdruck seiner theoretischen Ernsthaftigkeit. In der Tat hatte es die Erfahrung vor der Episode der Pariser Kommune nie erlaubt, genau zu umreissen, welche konkreten Formen ein Staat der Arbeiterklasse annehmen würde. Der Marxismus macht keine Vorhersagen im Dunkeln, sondern studiert die reale Bewegung der Geschichte, der Klassen und ihrer Gegensätze. Die Kommune ermöglichte es also, Antworten auf die bis dahin abstrakten Fragen zu geben: Was ist mit der alten Maschine des kapitalistischen Staates zu tun, und womit ist dieser Staat zu ersetzen?
Die Erfahrung der Pariser Kommune klärte und schärfte die marxistische Theorie des Staates erheblich. Marx und Engels war bereits vorher klar, dass der Staat nur ein Instrument der Herrschaft einer Klasse über eine andere ist, dass die Eroberung der Staatsmacht durch die beherrschte Klasse für die Verwirklichung einer klassenlosen Gesellschaft jedoch unerlässlich ist. Doch nach 1871 konnten die Konturen des zukünftigen Staates endgültig gezeichnet werden. Das Pariser Volk hatte nicht einfach die Kontrolle über die fertige Staatsmaschine übernommen, es hatte sie regelrecht zerbrochen und durch etwas ganz Neues ersetzt.
Die Kommune war der Staat der Mehrheit: Der Staat der unterdrückten Massen, die ihre Ketten sprengen und sich von ihrer Ausbeutung emanzipieren. Hier liegt der grundlegende Unterschied zwischen dem neuen Staat und all denen, die ihm vorausgingen. Während diese in der Vergangenheit immer dazu dienten, die spezifische Macht der Minderheit über die Mehrheit, der herrschenden Klasse über die beherrschte Klasse aufrechtzuerhalten, besteht die Bestimmung des Arbeiterstaates vielmehr darin, alle Klassenunterschiede aufzulösen und damit als Staat zu verschwinden. Folglich war die Form der Pariser Kommune völlig beispiellos.
«Das erste Dekret der Kommune war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk. Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse.» (Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich)
Dies war die Grundlage des Arbeiterstaates, zu der die Ausweitung dieser demokratischen Kontrolle auf alle Staatsbeamten und die Begrenzung ihrer Gehälter auf Facharbeiterlöhne hinzukam. Auf diese Weise wurde der Repressions- und Verwaltungsapparat des kapitalistischen Staates gebrochen, die Polizei und die reguläre Armee konnten nicht mehr gegen die Massen mobilisiert werden und die Bürokratie wurde ihrer Funktionen enthoben. Diese neue Staatsform war unvergleichbar demokratisch und erlaubte den ArbeiterInnen, sich selbst zu regieren. Marx definierte die Kommune brillant als «die Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfs der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.» (Ebd.)
Die Lehren aus der Pariser Kommune sind auch heute noch vollkommen aktuell. In der Periode der historischen Krise des Kapitalismus ist die Errichtung einer Arbeiterdemokratie so dringend wie noch nie. Eine sozialistische Revolution zur Errichtung eines Arbeiterstaates ist nicht nur machbar, sondern absolut notwendig!
Ivan Lampert
ASEMA Genf
Bild: Store Norske Leksikon
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