Für viele Menschen erscheint die Idee eines revolutionären Wandels in der Gesellschaft jedoch wie ein Wunschtraum, der zu ihren Lebzeiten nie möglich sein wird. Es ist schön und gut, ein Bild der Utopie zu zeichnen. Aber wir müssen erklären, wie wir dies verwirklichen können. Leo Trotzki machte bei der Festlegung der Aufgaben der Vierten Internationale 1938 deutlich, dass SozialistInnen über die «minimalen» Forderungen der traditionellen sozialdemokratischen Parteien hinausgehen und «die Brücke zwischen der gegenwärtigen Forderung und dem sozialistischen Programm der Revolution finden» müssen. In dieser Hinsicht entwickelte Trotzki die Idee des «Übergangsprogrammes»: eine Reihe von Forderungen, die unsere Gesellschaft aus den jetzigen Strapazen des Kapitalismus hin zum endgültigen Ziel des internationalen Sozialismus führen können. Diese Tradition setzen wir heute mit unserem Programm «Wofür kämpfen wir?» fort.
Wie würde ein solches Übergangsprogramm für die Umwelt aussehen? Welche Anforderungen sollten SozialistInnen hinsichtlich des Klimawandel stellen? Ein vollständiges und detailliertes Programm würde viele Seiten in Anspruch nehmen. Deswegen haben wir hier sieben wesentliche Forderungen formuliert.
Der freie Markt war noch nie in der Lage, auch nur die elementarsten materiellen Bedürfnisse der Mehrheit der Weltbevölkerung zu versorgen. Anstatt die Armut zu lindern, hat der Kapitalismus die Ungleichheiten nur noch verstärkt und ist nicht in der Lage, Hungersnot, Dürre und Krankheiten zu beseitigen. Warum sollten wir daher der Meinung sein, dass marktbasierte Methoden bei der Lösung des ebenso großen Problems des Klimawandels effektiver sein werden?
Viele Politiker, die nicht in der Lage sind, mit dem freien Markt zu brechen, haben versucht, Kohlenstoff zur Ware umzufunktioneren. Dadurch werden die CO2-Emissionen den gleichen Widersprüchen des Kapitalismus ausgesetzt wie alle anderen Rohstoffe. Spekulanten und Betrüger sind bereits auf den Zug aufgesprungen und haben versucht, mit dem CO2-Handel Gewinne zu erzielen. In der Zwischenzeit prognostizieren viele Ökonomen bereits, dass die Kohlenstoffmärkte im Zentrum der nächsten grossen Spekulationsblase stehen werden.
Die SozialdemokratInnen müssen sich auch entschieden gegen CO2-Steuern aussprechen. Eine Steuer auf Energieverbrauch oder Emissionen wäre eine regressive Steuer (wie die Mehrwertsteuer) und würde die Ärmsten am stärksten treffen. Die Position von SozialistInnen ist immer für eine progressive Besteuerung, die sich an Grossunternehmen und gewinnorientierte Zwischenhändler richtet. Die Energiepreise dürfen für die grosse Zahl der einfachen Menschen, denen es jetzt bereits schwer fällt die Heizungskosten im Winter zu bezahlen, nicht steigen. (Anm. d. Red.: In Grossbritannien erfrieren im Winter regelmässig Menschen in ihren Häusern, weil sie ihre Heizungsrechnungen nicht bezahlen können.)
Wir verurteilen die imperialistischen Länder, die sich weigern, ihre Emissionen zu reduzieren. Trotzdem müssen wir erkennen, dass Umweltverträge wie Kyoto, Kopenhagen oder Paris zum Scheitern verurteilt sind, wenn sie innerhalb der Grenzen des kapitalistischen Systems verharren. Kapitalistische Länder werden sich nicht für etwas einbringen, das den Gewinnen von Unternehmen in ihrem Land schadet. Diese Widersprüche des Nationalstaates waren in Kopenhagen voll sichtbar und haben im Laufe der Jahre zum Scheitern internationaler Verträge in allen möglichen Bereichen geführt, vom Welthandel bis zur Entwicklungshilfe.
Internationale Zusammenarbeit ist eindeutig notwendig, um ein offensichtlich internationales Problem zu lösen. Dies kann jedoch nur im Rahmen von Vereinbarungen geschehen, die von rechenschaftspflichtigen Delegierten getroffen werden, die die Interessen der Menschen und des Planeten vertreten, nicht die Interessen des Grosskapitals.
In der Schweiz (und im Vereinigten Königreich) sind Verkehr, Industrie und Gebäude die Hauptverursacher für den Energieverbrauch (und damit für die CO2-Emissionen). Unter privater Kontrolle arbeiten diese Sektoren gewinnorientiert und tätigen wenig Investionen in eine nachhaltige Wirtschaft. Als Einzelpersonen verfügen wir weder über das Geld noch über die notwendige Kontrolle, um die Verschwendung und Ineffizienz dieser Verursacher zu reduzieren. Was wir also brauchen, ist die Verstaatlichung dieser grossen Energieverbraucher unter der demokratischen Kontrolle der Arbeitnehmenden, Gewerkschaften und gewählten Vertreter.
Aufgrund des krisenbedingten Sozialabbaus der letzten Jahren stiegen die Billetpreise im öffentlichen Verkehr stetig an, während der Service gleich blieb oder sich teils verschlechterte. Wir fordern ein öffentliches, voll integriertes Verkehrssystem. Busse, Straßenbahnen und Züge im ganzen Land müssen unter der Kontrolle der Lohnabhängigen verstaatlicht werden, und die Schließung von Schienen- und Buslinien muss rückgängig gemacht werden, insbesondere in ländlichen Gebieten. Auch die Fahrpreise müssen gesenkt werden; ein erschwingliches und effizientes öffentliches Verkehrssystem könnte Hunderttausende von Autos von der Strasse bringen, die Umweltverschmutzung, Atemwegserkrankungen und Verkehrsunfälle reduzieren und den Pendlern grosse Mengen an Geld sparen.
Die Industrie und die von ihr produzierten Rohstoffe sind in jeder Phase der Produktion ineffizient. Rohstoffe und Ressourcen werden ohne Rücksicht auf die Umwelt gewonnen; die Produktion ist ungeplant; Konsumgüter sind zum Scheitern verurteilt; Abfälle werden von der Industrie selten recycelt. In jedem Fall ist dies auf die unersättliche Profitgier des Big Business zurückzuführen, was zu Kostensenkungen bei jeder Gelegenheit führt. Was wir brauchen, ist eine demokratisch geplante Wirtschaft, die unnötige Umweltschäden beseitigen kann.
Die Regierung sollte ein Massenprogramm zur Verbesserung der Isolierung und Heizung aller Gebäude auflegen, während auch neue, erschwingliche und energieeffiziente Häuser benötigt werden. Ein solcher Plan würde den Energiebedarf senken und Tausende von neuen Arbeitsplätzen schaffen. Die Bauwirtschaft muss verstaatlicht und zur Einhaltung strengerer Bauvorschriften gezwungen werden. Gleichzeitig muss der Sozialwohnungsbau ausgebaut und wieder in den öffentlichen Besitz zurückgeführt werden. Und nicht privaten Vermietern überlassen werden, die Profitmacher sind, während sie nichts zurück in die Gesellschaft investieren.
Energieversorgungsunternehmen erzielen derzeit riesige Gewinne, indem sie den Verbrauchern unverschämt hohe Preise für Strom und Gas berechnen und gleichzeitig nur minimale Investitionen in erneuerbare Technologien tätigen. Diese Versorgungsunternehmen müssen unter demokratischer ArbeiterInnenkontrolle in öffentliches Eigentum überführt werden, was einen gross angelegten Übergang von fossilen Brennstoffen zu alternativen Energiequellen wie Wind, Welle, Flut und Sonne ermöglicht.
Beim Übergang zu einem nachhaltigen Energiesektor ist es unvermeidlich, dass Öl, Kohle und Gas für eine beträchtliche Zeit in Gebrauch bleiben. Wenn alte Kraftwerke modernisiert oder stillgelegt werden, müssen alle Arbeitnehmenden ohne Lohnausfall einen Ersatz- oder Ausbildungsplatz finden.
Im ursprünglichen «Übergangsprogramm» wies Trotzki darauf hin, dass die Banken die tatsächliche Kontrolle über die Wirtschaft haben: «Neben den Konzernen und Trusts, und oft über ihnen, konzentrieren die Banken in ihren Händen die wirkliche Befehlsgewalt über die Wirtschaft. […] Unmöglich, auch nur einen ernsthaften Schritt vorwärts zu tun im Kampf gegen die Despotie der Monopole und die kapitalistische Anarchie (die sich gegenseitig in ihrem Zerstörungswerk ergänzen), wenn man die Steuerhebel der Banken in den Händen raubgieriger Finanzmagnaten belässt.»
Trotz vieler Diskussionen über Investitionen in erneuerbare Energien und die Schaffung umweltfreundlicher Arbeitsplätze haben Regierungen und Unternehmen bisher sehr wenig ausgegeben. In seinem Sonderbericht über Investitionen in grüne Energie stellt The Economist fest: «Während die Politik von Konferenz zu Konferenz eilt, um die Welt zu einer grünen Zukunft zu bewegen, haben sich die Investoren von ihr entfernt.»
Der parasitäre Charakter der Schweizer Banken wurde in den letzten Jahren immer deutlicher (Nahrungsmittelspekulation, um ein Beispiel zu nennen). Deshalb muss die Kontrolle über die Banken in den Händen der Arbeitnehmer und Gewerkschaften liegen, damit öffentliche Gelder in grüne Industrien investiert werden können, die nicht dazu dienen, Boni an die Bankiers auszuzahlen.
Wer heutzutage den Fernseher einschaltet oder Zeitung liest, wird von Artikeln und Programmen überflutet, die versuchen, die Schuld für die ökologische Katastrophe auf die DurchschnittsbürgerInnen zu übertragen. In einigen Fällen versuchen die Medien, den Klimawandel ganz zu leugnen. Diese Fälle werden normalerweise von grossen, reichen, mächtigen Lobbygruppen wie der Öl- und Kohleindustrie finanziert und stehen im völligen Widerspruch zur grossen Mehrheit der wissenschaftlichen Studien. Der Kampf gegen eine solche Propaganda muss mit dem Kampf für eine demokratisch kontrollierte Presse in gesellschaftlichem Besitz beginnen. Wir sagen nein zu Medien in den Händen der Medienmogule.
Inzwischen hat das Grosskapital einen beachtlichen Einfluss auf die Umweltbildung und -forschung. Das Centre for Energy Studies an der Cambridge University befindet sich beispielsweise an der Judge Business School und wird grosszügig von BP und ExxonMobil finanziert. Wir sagen, dass es Studierende und ArbeitnehmerInnen sind, die entscheiden sollten, was an Universitäten gelehrt und geforscht wird – nicht die privaten Unternehmen.
Im Jahr 2009 erhielt das Verteidigungsministerium von der britischen Regierung 44,6 Milliarden Pfund an Steuergeldern, was über 7% der gesamten öffentlichen Ausgaben entspricht. Das ist mehr als die Summe der Budgets für Verkehr, Wohnen, Umwelt, Energie, Klimawandel und internationale Entwicklung. In der Schweiz sehen wir ähnliches mit den Investitionen in neue Kampfjets und die Rüstungsindustrie. Öffentliche Gelder sollten nicht für Kriege verschwendet, sondern in die Forschung zu grünen Technologien investiert werden. Grosse Rüstungsunternehmen, wie BAE Systems, sollten verstaatlicht werden, und ihre produktiven und wissenschaftlichen Kapazitäten sollten für die Entwicklung von Windturbinen und nicht von Waffen genutzt werden.
Der Anbau von Biotreibstoffen wurde in den letzten Jahren von vielen Regierungen als nachhaltige Treibstoffquelle gefördert; die Nachteile von Biotreibstoffen werden jedoch allzu oft übersehen. Durch die Umstellung der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf Biotreibstoffe steigen die Lebensmittelpreise, was die Armen am härtesten trifft. Ein sozialistisches Programm lehnt die derzeitige Verwendung von Biotreibstoffen ab und fordert wirklich nachhaltige Energiequellen.
Gentechnisch veränderte Pflanzen haben das Potential, den Ertrag stark zu steigern, aber es gibt auch mögliche Risiken einer Kreuzkontamination. Was wir brauchen, ist die Verstaatlichung der grössten Agrarunternehmen und eine angemessene wissenschaftliche Untersuchung der gentechnisch veränderten Pflanzen durch unabhängige WissenschaftlerInnen, nicht durch diejenigen des Grosskapitals. Eine Planwirtschaft könnte Lebensmittel viel rationeller verteilen, anstatt sich auf die Kräfte des Markts zu verlassen, die verhindern, dass Millionen von Menschen genug zu essen haben.
Die obigen Punkte geben einen kurzen Überblick darüber, was SozialistInnen zum Thema Klimawandel und Umwelt fordern sollten. Es sollte betont werden, dass der Sozialismus nicht von Natur aus grün ist. Selbst wenn alle oben genannten Massnahmen umgesetzt würden, wäre die Sicherheit des Planeten nicht gewährleistet. Ein grösseres Bewusstsein für Umweltfragen wäre nach wie vor notwendig. Diese individuellen Verhaltensänderungen können jedoch nur gemeinsam mit einer systematischen Veränderung erfolgen. Wenn die Produktionsmittel in den Händen der Mehrheit legt, würde sich die Trennung der Arbeiter von den Früchten ihrer Arbeit auflösen, und die Menschen würden nicht mehr von der Umwelt entfremdet werden.
Die Profitgier der KapitalistInnen ist die grösste Barriere für den Umweltschutz. Der Kampf für Auflösung dieses Widerspruchs der Klassengesellschaft muss mit dem Kampf für unsere Umwelt einhergehen!
Den Originalartikel findest du bei Socialist Appeal.
(C) Bild: Latuff 2009
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