[dropcap]W[/dropcap]ir veröffentlichen hier die Stellungsnahme der „Marxistischen Linken“, brasilianische Sektion der IMT zur Verhaftung des brasilianischen Ex-Präsidenten Lula da Silva am 8. April 2018.
Die Justiz setzt den Missbrauch ihrer Macht fort. Der oberste Bundesgerichtshof Brasiliens hat die Anfrage Lulas auf eine Haftprüfung abgelehnt und am folgenden Tag, bevor dem regionalen Bundesgericht der 4ten Region (Die regionalen Bundesgerichte sind Berufungsgerichte, wo Berufungen gegen erstinstanzliche Entscheidungen, sprich gegen die Entscheidungen des obersten Bundesgerichtshofs, eingereicht werden können, Anm.) Berufungen vorgelegt wurden, ordnete Richter Sérgio Moro die Festnahme Lulas an.
Die Ablehnung der Haftprüfung orientiert sich an einem Präzedenzfall welcher durch den obersten Bundesgerichtshof im Jahr 2016 geschaffen wurde, dieser autorisiert die Ausführung der Strafe nach einer Verurteilung in zweiter Instanz. Konkret bedeutet dies, dass Lula, während es ihm zwar möglich ist Berufung einzulegen, die Gefängnisstrafe bereits verbüssen muss. Die Verfassung hält fest, dass „niemand für schuldig zu befinden ist bevor ein finaler Schuldspruch beschlossen wird.“ Der Text ist eindeutig, doch für die werten Richter des obersten Bundesgerichtshofs ist alles relativ – kein Wunder, im Kern handelt es sich hier ja um eine politische Frage.
Eine weitere Posse in dieser Verhandlung war das Manöver der Präsidentin des obersten Bundesgerichtshofs, Carmem Lúcia, die „Direkte Aktion der Verfassungsmässigkeit“ (Ação Direta de Constitucionalidade – hier handelt es sich um einen Antrag die Verfassungsmässigkeit einer Entscheidungen zu prüfen) keiner Abstimmung zu unterziehen. Eine solche Entscheidung hätte jegliche Inhaftierung nach einer zweitinstanzlichen Verurteilung, während der Berufungsprozess noch in Gange ist, ernsthaft in Frage gestellt. Stattdessen, unterzog sie lediglich den Antrag Lulas auf eine Haftprüfung einer Abstimmung, worin die Richterin Rosa Weber ihre Stimme gegen Lula mit der heuchlerischen Erklärung rechtfertigte, dass ja das Fallrecht von 2016 ihr Stimmverhalten begründe, und dass sie trotz ihrer prinzipiellen Opposition gegen eine Inhaftierung nach einer zweitinstanzlichen Verurteilung, nicht anders stimmen könne.
Wie wir bereits dargelegt haben, hat sich die brasilianische Justiz erhoben um eine bonapartistische und totalitäre Rolle zu spielen. Bereits in der sogenannten „mensalão“ Verhandlung wurde eine mediale Hetzkampagne initiiert um die PT (Arbeiterpartei) zu kriminalisieren – diese Kampagne beinhaltete die Inhaftierung von Teilen der Parteispitze ohne Beweislage, das Ziel dahinter war die Demoralisierung und Kriminalisierung des Kampfes der Arbeiterklasse. Die „Marxistische Linke“ war eine der wenigen linken Organisationen, welche eine Kampagne gegen diesen Prozess geführt hat, mit der Betonung der Notwendigkeit einer nationalen Konferenz der ArbeiterInnen gegen die Kriminalisierung der Arbeiterbewegung. Leider beschlossen Lula, Dilma und die Führung der PT diese Initiativen zu boykottieren und ermöglichten so die Inhaftierung der eigenen Parteispitze, ohne dabei Widerstand geleistet zu haben.
Das grundlegende politische Ziel der Operation „Autowäsche“ (Lava Jato), einer staatsanwaltlichen Untersuchung der in den Korruptionsskandal verwickelten PolitikerInnen, war die Rehabilitierung der politischen Kräfte, um das politische System so vor weit verbreiteter Demoralisierung und Zorn der Bevölkerung zu bewahren. Die hohe mediale Präsenz der Festnahmen von PolitikerInnen und UnternehmerInnen sind eine wichtige Komponente im Versuch den Eindruck zu schaffen, dass für Alle „das selbe Recht gilt“ und dass „auch die Mächtigen ins Gefängnis müssen.“
Die Eile jene Fälle, in die Lula und die PT involvieren sind, juristisch voranzutreiben ist vom Interesse der herrschenden Klasse die Linke sowie die Arbeiterbewegung als Ganze zu demoralisieren getrieben. Schliesslich geht der ehemalige Präsident, der Metallarbeiter und Gewerkschaftler einer Partei ist, welche von der Arbeiterklasse aufgebaut wurde, ins Gefängnis.
Die Bourgeoisie hat entschieden der Ära der Klassenzusammenarbeit ein Ende zu setzen. Seit Juni 2013 wurde sich die herrschende Klasse zunehmend der Tatsache bewusst, dass die PT nicht mehr fähig war die Massen massgeblich zu kontrollieren; sie ist somit für die Zwecke der Bourgeoisie nutzlos geworden und konnte ausrangiert werden. Die tiefe Krise des Kapitalismus hat es notwendig gemacht, dass eine bürgerliche Regierung die Spitze des Staatsapparates übernimmt und von diesem aus tiefgehende Angriffe gegen die Arbeiterklasse ausführt.
Die „Marxistische Linke“ stellt sich gegen die Verurteilung und Inhaftierung Lulas, die ohne Beweise erfolgt und verteidigt das Recht Lulas bei den kommenden Wahlen als Kandidat teilzunehmen. Wir müssen allerdings klar betonen, dass die Jahre der Regierung der PT eine Periode von Angriffen auf die Arbeiterklasse und Unterwürfigkeit gegenüber der Bourgeoisie und dem Imperialismus war. Ein Beispiel dafür ist, dass fünf der sechs Richter, welche Lulas Haftprüfungsantrag abgelehnt haben von Lula oder Dilma höchstpersönlich ernannt wurden. Eine Regierung der PT würde nichts Neues bringen. Aus diesem Grund unterstützten wir die Kandidatur der Linkspartei PSOL und stellen uns gegen eine „Front für die Demokratie“ welche die Wahlstrategie verfolgt, Parteien wie die PSOL, die PT und bürgerliche Parteien wie die PSB und die PDT zu einem Bündnis zusammenzuschliessen. Dies hätte als einzige Perspektive die Politik der Klassenzusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien fortzuführen.
Die notwendige Einheitsfront zielt nicht auf die Verteidigung der Regierung der PT, oder der Unterstützung der Neuwahl einer PT-Regierung ab. Vielmehr sollte sie dazu dienen, sich klar der „Lava Jato“ der Justiz und der Inhaftierung Lulas entgegenzustellen und demokratische Freiheiten verteidigen.
Die Marxistische Linke bekämpft die Aktionen der Gruppierungen der extremen Rechten, welche sich faschistischer Methoden im Kampf gegen linke AktivistInnen bedient, wie der Angriff auf die Karawane von Lula in der Região Sul zeigt. Wir weisen die Drohungen von Teilen der Arme, welche sich in Form der Erklärung von General Eduardo Villas Bôas am Vorabend der Gerichtsverhandlung am obersten Bundesgerichtshof gegen die „Straffreiheit“ ausgesprochen haben und dargelegt haben, dass die brasilianische Arme „ihre institutionellen Einsätze mit scharfer Aufmerksamkeit verfolgen,“ entschieden zurück. Die kryptisch anmutende Formulierung des Generals ist nichts anderes als die Androhung eines Militärputsches, im Falle, dass die Justiz Lula eine Haftprüfung gewähren würde.
Zur selben Zeit, vertreten wir die Position, dass heute keine soziale Basis besteht um ein faschistisches Regime zu erhalten, aktuell noch ist dies für die Bourgeoisie und den Imperialismus eine Option für die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation. Ein Militärregime könnte nämlich nicht auf die Unterstützung der breiten Sektoren der Gesellschaft zählen, da die Erinnerung an die Erfahrung der Militärdiktatur noch fest in den Köpfen der Menschen sitzt. Der Grossteil der Bourgeoisie hat die Erklärung des Generals in ihren Medien ebenfalls zurückgewiesen. Der Leitartikel der „Folha de São Paulo“ (einer wichtigen brasilianischen Tageszeitung) hat festgehalten, dass eine solche Erklärung „die strengste Zurückweisung verdient, anlässlich des Schadens, welcher von jemandem verursacht wurde, dem es eigentlich ansteht, über den Gehorsam der Armee gegenüber der zivilen Autorität zu wachen.“ Die Bourgeoisie bevorzugt die demokratische Option. Sie ist auf der Suche nach einer Erneuerung ihrer Politikerkaste sowie des demokratischen, bürgerlichen Regimes, einher mit zunehmenden Angriffen auf die Arbeiterklasse und die demokratischen Freiheiten durch Repression und staatliche Kriminalisierung.
In der breiten Massen macht sich wachsende Empörung gegenüber der politischen und ökonomischen Situation spürbar, die Kämpfe der Jugend und der ArbeiterInnen dauern an, wie auch an dem siegreichen Streik der öffentlich Bediensteten in São Paulo oder der massiven Reaktion gegen den brutalen Mord von Marielle Franco ersichtlich ist. Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, der Nationalkongress hat erst vor kurzem das Agrobusiness mit einer Sozialabgabenstreichung von 10 Milliarden Real beschenkt, und die Kaufkraft der Löhne steht überall massiv unter Druck. Dies alles wird mehr Aufstände, Streiks und Demonstrationen provozieren.
Update: Während wir hier diesen Artikel verfassen, hat sich Lula bereits der Polizei übergeben, um seine Gefängnisstrafe von 12 Jahren für Korruption und Geldwäsche zu verbüssen, aktuell sitzt er in Curitiba in Haft. Nachdem Lula die letzten zwei Nächte vor dem 8ten April in dem Gewerkschaftshauptquartier „ABC“ der MetallarbeiterInnen verschanzt hatte, entschied er sich für die eigene Auslieferung an die Behörden. Die Polizei musste Tränengas einsetzen um die ProtestantInnen zu zerstreuen, welche gegen die Verlegung Lulas nach Curitiba demonstrierten. Wir sprachen uns am 6ten April gegen die freiwillige Auslieferung Lulas aus, da wir in der Verweigerung der Auslieferung eine Möglichkeit sahen, durch die Zuspitzung des politischen Druckes dem Kampf der ArbeiterInnen mehr Momentum zu verleihen.
Obwohl diese Möglichkeit nun nicht mehr auf der Tagesordnung steht, ist der Kampf gegen die Bourgeoisie in eine wichtige Phase übergetreten. Deswegen nimmt die „Marxistische Linke“ an einer Reihe von Demonstrationen gegen die Inhaftierung Lulas teil, darunter auch an der Demonstration vor dem erwähnten Hauptquartier der Gewerkschaft ABC der MetallarbeiterInnen.
Es ist notwendig den Kampf gegen Kapitalismus und seine Institutionen weiterzuführen: die Justiz, die Polizei, die Armee, die Regierung und das Parlament, welche kontinuierlich die Rechte unserer Klasse rauben. Der Staat steht im Dienst der Geschäfte der Bourgeoisie. Es ist notwendig eine politische Alternative der Arbeiterklasse aufzubauen mit dem letztendlichen Ziel der sozialistischen Revolution.
April 11, 2018
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