[dropcap]D[/dropcap]ie Wiedereroberung von Aleppo durch syrische Truppen im Dezember stellt einen bedeutenden Meilenstein sowohl im syrischen Bürgerkrieg als auch in der Krise der gesamten Region dar. Sie hat aber auch weitreichende Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen in der kommenden Zeit.

Die Verhandlungen von Astana, die Ende Dezember zu einem Waffenstillstandsabkommen führten, waren die erste wichtige Konferenz im modernen Nahen Osten, die ausdrücklich unter Ausschluss der USA stattfand. Aus dem Anti-Assad-Lager war die Türkei, welche ihre Politik im letzten Sommer änderte, als die syrische Opposition immer mehr an Bedeutung verlor, das einzig beteiligte Land.

Die anderen anwesenden Mächte waren der Iran, Russland und Syrien, die Länder, die in den westlichen Medien zuvor verteufelt worden waren. Als die Vereinbarung nach der Konferenz präsentiert wurde, sah sich John Kerry gezwungen diese zu unterstützen. Der UN-Sicherheitsrat, der traditionell ein Werkzeug der von den USA dominierten Weltordnung ist und in dem die US-Botschafterin Samantha Powers noch einige Wochen zuvor ihre Wutrede gegen Russland gehalten hatte, akzeptierte das Abkommen einstimmig.

Aleppo
Mit der Wiedereroberung von Aleppo hat das Assad-Regime seinen Einfluss auf alle wichtigen strategischen und ökonomischen Interessensschwerpunkte in Syrien gefestigt: die Mittelmeerküste, die libanesische Grenze, die Stadt Daraa im Süden, wie auch die vier bedeutendsten Städte Damaskus, Aleppo, Homs und Hama. Das so genannte „nutzbare Syrien“, in dem die wichtigsten ökonomischen Unternehmen und 70% der Bevölkerung zu Hause sind, ist jetzt vollkommen außerhalb der Reichweite der erschöpften Rebellen. Die Vorstellung, das Assad-Regime stürzen zu können, ist zu einem Wunschtraum geworden.

Für die islamistischen Rebellen bedeutet die Niederlage eine Katstrophe. Nachdem sie aus ihrer letzten städtischen Hochburg vertrieben wurden und im letzten Jahr keine bedeutenden Siege errungen haben, sehen sich die meisten Rebellengruppen mit einer sinkenden Moral konfrontiert. In den letzten anderthalb Jahren gab es fast 1100 Versöhnungs- und Waffenstillstandsabkommen. Zehntausende Rebellen und ihre Familien haben ihre Positionen an Assad-treue Kräfte übergeben, die somit den weiteren Zugriff auf Schlüsselbereiche gefestigt haben.

Angesichts weiterer 25.000 Assad-treuer Kräfte, die in Aleppo frei geworden sind, ist es unwahrscheinlich, dass die Rebellen eine Möglichkeit haben, in der nächsten Zeit ernsthafte Gewinne gegen das Regime zu erringen. Nachdem sie zu einer Randbewegung in ländlichen rückständigen Gebieten herabgemindert worden sind, haben ihre westlichen Unterstützer, die Türkei und die Golfstaaten, welche die islamistisch dominierte Opposition gegen Assad finanziert und bewaffnet haben, das Interesse an sie verloren.

Das hat bereits zu einigen Krisen geführt, besonders betroffen davon ist Ahrar al Sham (AAS), die zusammen mit dem al-Kaida-Ableger Jabhat Fatah al Sham (JFS) die zwei größten Rebellengruppen bilden. Die Gruppe ist im Dezember fast auseinandergerissen, als die Türkei ihre frühere Unterstützung für die enge Kooperation mit der JFS zurückzog und Druck ausübte, um sich der von der Türkei geführten Operation „Schutzschild Euphrat“ im Norden Syriens anzuschließen. Ein ähnlicher Schritt seitens der Türkei schwächte die Rebellen in Aleppo, bevor sie durch Assad-treue Kräfte im Herbst belagert und anschließend besiegt wurden. Unter dem Eindruck einer Niederlage wendet sich die Türkei – das einst wichtigste logistische und ökonomische Drehkreuz für die Rebellen – von den Aufständischen ab. Das lässt die Rebellen und ihre anderen Unterstützer – die USA, Saudi Arabien und die Golfstaaten – in einer verzweifelten Lage zurück.

Der US-Imperialismus
Die Wiedereroberung von Aleppo bedeutet, mehr als alles andere, eine vollständige Demütigung für diese Länder und ihr imperialistisches Projekt in Syrien. Sechs Jahre und mehrere zehn Milliarden Dollar, ein von den USA unterstützter Aufstand, die mächtigste Militärmacht der Welt und die beiden reichsten und mächtigsten Mächte in der Region haben nicht ein einziges angestrebtes Ziel erreicht.

Die Assad-treuen Truppen marschierten in Richtung Aleppo, während die US-Armee im wahrsten Sinne des Wortes Truppen einige Meilen entfernt stationiert hatte und US-Kampfflugzeuge in unmittelbarer Nähe Kampfeinsätze flogen. Diese Supermacht war angesichts der russischen Luftüberlegenheit und der Fähigkeiten der ballistischen Raketen nicht in der Lage etwas zu unternehmen.

Mit dem Ende des Feldzugs ist das Getöse über Russland verstummt und eine lange Reihe von Prinzchen aus den Golfstaaten und westliche Karrierediplomaten stehen Schlange, um eine Audienz bei Wladimir Putin zu erhalten.

Eine solche öffentliche Demütigung ist eine echte Rarität für die USA und sie bedeutet einen Wendepunkt in den internationalen Beziehungen. Putin hatte den USA eine gemeinsame Operation angeboten, einen Verhandlungsfrieden und drei Mal ein Abkommen über die Machtaufteilung, seit Russland sich am syrischen Bürgerkrieg beteiligte. Das erste Mal gleich zu Beginn der russischen Intervention in Syrien, dann erneut im März 2016 und wiederum im September, als die Belagerung von Aleppo abgeschlossen war. Aber die USA, die von ihrer imperialistischen Selbstsicherheit getrieben und von ihren Verbündeten in den Golfstaaten angeheizt wurden, sabotierten absichtlich jedes Abkommen.

Selbst nachdem Aleppo gefallen war, sagte ein hoher US-Beamter der Nachrichtenagentur Reuters: “Dieses Land, Russland, das eine Wirtschaft in der Größenordnung von Spanien hat, stolziert herum und verhält sich so, als ob es wüsste was es tut. Ich glaube nicht, dass die Türken und die Russen diese (politischen Verhandlungen) ohne uns durchführen können.“

Aber sie taten es und sie werden es weiterhin tun. Die USA sind jetzt in Syrien von Russland abhängig. Welche anderen Optionen hat die herrschende Klasse in den USA? Selbst bevor Russland sich am Krieg beteiligte, konnte die Obama-Administration keine parlamentarische Mehrheit für die Bombardierung Syriens bekommen. Heute würde jede weitere Eskalation die USA in Stellung gegen Russland, der zweitgrößten Militärmacht der Welt, bringen. Die Opposition, auf welche die USA von Russland zusammen mit Syrien und den vom Iran unterstützten Kräften träfe, würde alles in den Schatten stellen, womit die USA im Irak und in Afghanistan fertig werden mussten.

Noch bedeutender ist, dass die AmerikanerInnen kriegsmüde sind und die Nase voll haben von internationalen Abenteuern. Die Wirtschaftskrise, sinkende Lebensstandards und ein großer Unmut gegenüber dem Establishment würden jeden weiteren größeren Krieg in einen Brennpunkt für die Explosion des Klassenkampfes verwandeln. Die zunehmende soziale Spaltung hat schon tiefe Gräben innerhalb der herrschenden Klasse und eine tiefe politische und institutionelle Krise hervorgerufen.

In Syrien wurden die zugrunde liegenden Beschränkungen der USA deutlich offensichtlich. Die ursprüngliche Intervention in Syrien hat das Ziel die Alliierten in der Region und ihre Ängste vor dem steigenden Einfluss des Iran zu beschwichtigen. Aber die Operation geriet schnell außer Kontrolle und führte zum Aufstieg des Islamischen Staats (IS). Da die USA nicht in der Lage waren, direkt zu intervenieren, mussten sie sich auf Kräfte wie die Hisbollah und den Iran stützen, um den IS zu bekämpfen.

Das Atomabkommen mit dem Iran und die fehlende Motivation, das im Irak und in Syrien Begonnene zu Ende zu bringen, verstimmte wiederum die traditionellen Verbündeten, die viel in die Kampagne gegen Assad investiert hatten und die, was noch wichtiger ist, sich in einem intensiven Konkurrenzkampf mit dem Iran befanden. Das führte zu politischen Konfliktlinien im von den USA geführten Block und ebenfalls im US-Establishment selbst. Während das Pentagon und der Geheimdienst der Armee (DIA) einen Feldzug gegen den IS, die Türkei und Saudi Arabien begannen, unterstützten Saudi-Arabien und die CIA weiterhin verschiedene dschihadistische Gruppen.

Um die Verstimmung seitens Saudi-Arabiens, das kein Verständnis für die Unterstützung der vom Iran gestützten Truppen hatte, zu vermeiden, stellten sich die USA an die Seite der kurdischen YPG, die sich als effektivste organisierte Streitkraft in Syrien herauskristallisiert hatte. Das jedoch verstimmte die Türkei, welche die KurdInnen als existentielle Gefahr ansieht und sich durch einen kurdischen Staat an ihrer Südgrenze bedroht fühlt.

Im Endeffekt arbeiteten die USA mit drei sich befehdenden Blöcke zusammen und verstimmten gleichzeitig ihre beiden wichtigsten Alliierten. Verfangen im Treibsand der eigenen Widersprüche, waren die USA paralysiert und nicht in der Lage zu handeln. Russland besetzte das Vakuum, das sich eröffnet hatte, und veränderte das Kräfteverhältnis am Boden entscheidend.

Saudi -Arabien
Die USA haben in Syrien einen Dämpfer erhalten, aber relativ gesehen ist es Saudi-Arabien, das als größter Verlierer aus dem Krieg hervorgegangen ist. Nachdem die Türkei ihre Unterstützer aus Aleppo und Idlib abgezogen hatte, blieben die mit den Saudis und Katar liierten Gruppen übrig, um die Hauptlast des Angriffs der Assad-treuen Truppen zu tragen. Sie sind jetzt die schwächsten der am Krieg in Syrien beteiligten Kräfte.

Dies widerspiegelt den allgemeinen Rückgang des saudischen Einflusses bei den internationalen Angelegenheiten. Ihre Stellvertreter im Irak und in Syrien sind auf dem Rückzug, ihr Einfluss auf das ägyptische Regime befindet sich im freien Fall, Jordanien hat sich von den saudischen Plänen in Syrien abgewendet und im Jemen verpulvert es Geld in einen Krieg, der schon lange verloren ist. Selbst die engsten Verbündeten sehen das Königreich mehr als Belastung der Region, denn als Bereicherung. Es war bemerkenswert, dass Saudi- Arabien bei der Wiedereinnahme Mossuls im Irak nicht einmal als Beteiligter erwähnt wurde, während die Türkei und der Iran stark in die Verhandlungen und Vorbereitungen miteinbezogen wurden.

Der syrische Bürgerkrieg und der Fall Aleppos haben bewiesen, dass die Westmächte schon seit geraumer Zeit wussten, dass Saudi Arabien nicht als zuverlässiger Verbündeter in der Region angesehen wird. Anstatt ein stabilisierender Faktor zu sein, haben die Saudis eine Schlüsselrolle beim Aufstieg des IS und bei der Verankerung von al-Kaida in Syrien und dem Jemen gespielt. Und was die Sache noch verschlimmert, sie haben keines ihrer Ziele erreicht.

Die ehemals wichtigste lokale Macht Saudi-Arabien ist ins Abseits gedrängt worden und der Einfluss des Königreichs nimmt weiter ab. Dies ist ein Spiegelbild der tiefgreifenden Krise des saudischen Regimes. Das Haus Saud wird durch opponierende religiöse, Stammes- und Klassenkräfte zerrissen, die es allesamt in verschiedene Richtungen ziehen wollen. Über Jahrzehnte war es in der Lage seine Stabilität aufgrund der hohen Ölpreise zu erhalten und eine besondere Beziehung zu den USA gab dem saudischen Öl eine herausragende strategische Bedeutung. Aber die Krise des Kapitalismus hat zu sinkenden Ölpreisen geführt und die USA sind jetzt der zweitgrößte Ölproduzent der Welt.

Die Krise verschärft die inneren Widersprüche, die wiederum das Überleben des Landes in der nächsten Zeit ungewiss macht. Während das Königreich zerbröselt, versucht die Türkei das entstandene Vakuum zu besetzen und ist gemeinsam mit dem Iran bestrebt eine der wichtigsten Mächte in der Region zu werden. Das wird der entscheidende Widerspruch für die zukünftigen regionalen Beziehungen werden.

Türkei
Das Erdogan-Regime plant schon seit längerem den Nahen Osten zu dominieren und eine kapitalistische Version des Osmanischen Reiches zu errichten. Es repräsentiert die anatolische Bourgeoisie, die schon immer die kemalistische, westlich orientierte und im Allgemeinen isolationistische Außenpolitik ablehnte, von der nur die türkisch-kemalistische Großbourgeoisie im Westen des Landes profitiert hatte. Der Osmanismus fand seine letzten Anhänger in Anatolien, besonders in den islamistischen Bewegungen, die dort fortbestanden.

Erdogans Interventionen in Syrien und dem Irak, die von der kemalistischen Armee abgelehnt wurden, waren ein Schritt in Richtung dieser neuosmanischen Außenpolitik und gleichzeitig ein Versuch, um mit Saudi-Arabien um die Führung „der sunnitischen Welt“ zu konkurrieren. Die Intervention in Syrien wurde gegen den Widerstand der Armee, die das größte Hindernis bei der Entsendung von Truppen in das Nachbarland bildete, durchgesetzt.

Das syrische Abenteuer und die Schwächung des Assad-Regimes führten zum Aufstieg der kurdischen Nationalbewegung in Rojava, was wiederum dazu beitrug, die kurdische Bewegung in den Fokus des Klassenkampfes in der Türkei zu bringen. Der Einzug der prokurdischen HDP in das türkische Parlament veränderte das Kräfteverhältnis und schmälerte Erdogans Mehrheit.

Nachdem Erdogan die Opposition aus dem kemalistischen Lager beruhigt hatte, wurde die KurdInnenfrage zum Schlüssel für sein Überleben. Die HDP hatte das Potenzial zu einem Kristallisationspunkt für den Klassenkampf zu werden. Nicht nur das, sondern auch der Aufstieg eines unabhängigen kurdischen Gebiets bereitete den Weg für eine zukünftige kurdische Unabhängigkeit. Die KurdInnenfrage in Syrien wurde somit zu einem existenziellen Problem für den türkischen Kapitalismus selbst. Die USA, welche die YPG-Kräfte unterstützten, verschlimmerten die Dinge für Erdogan.

Zwischenzeitlich wurde die russische Intervention in Syrien zu einem Rückschlag für die islamistische Opposition und damit auch für den türkischen Präsidenten. Um sich zu behaupten, schoss die Türkei im Oktober 2015 ein russisches Kampfflugzeug ab. Das verschärfte die Lage, als Antwort vernichtete Putin von der Türkei unterstützte Rebellengruppen und verhängte strenge Sanktionen gegen das Land.

Da Erdogan mit der mangelnden westlichen Unterstützung unzufrieden war, macht er eine Kehrtwende und schloss mit Russland ein Abkommen. Die Abwendung von den USA verschärfte sich durch den Putschversuch in der Türkei im Juli 2016. Es wird weithin anerkannt, dass Russland und der Iran Erdogan vor dem Putsch warnten, während die Westmächte ihn mit einem eisigen Schweigen aufnahmen, bis klar wurde, dass er gescheitert war. Die folgende Säuberung innerhalb der Armee verstärkte die Spannungen, weil die Offizierskaste sehr enge Beziehungen zu den USA und der NATO unterhielt.

In dieser Situation war Putin mehr als froh, die Türkei in Syrien zu beherbergen. Für Russland war der gewachsene Einfluss auf die Türkei, eines der wichtigsten NATO-Mitglieder, selbst schon ein Sieg. Putin, Assad und der Iran hatten kein Problem, ein Abkommen zu schließen, das die KurdInnen außen vor ließ.

Nachdem die Türkei zuvor fast vollständig aus dem Land vertrieben worden war, erlaubte es Russland, das den syrischen Luftraum wirkungsvoll kontrolliert, den Türken, Syrien wieder zu betreten und große Gebiete nördlich von Aleppo mit der Operation „Schutzschild Euphrat“ einzunehmen. Von der Türkei unterstützte Rebellengruppen durften die Stadt Aleppo verlassen bevor sie belagert wurde, um sich der Operation anzuschließen. Diese Neuausrichtung war die politische Grundlage für die Niederlage der islamistischen Gruppen in Aleppo im Dezember letzten Jahres. Das gestattete es der Türkei ihre neuen Hauptziele in Syrien zu verfolgen: Rojava eine Niederlage zuzufügen und den Traum von einem neuosmanischen Reich am Leben zu halten.

Das heißt natürlich nicht, dass die Türkei zu einem Verbündeten Russland geworden ist, aber indem sich das Land auf Russland stützt, versucht es zusätzliche Zugeständnisse von den USA und der EU zu erhalten. Vor allem will Erdogan, dass die USA ihre Unterstützung der KurdInnen einstellen.

Rojava
In der ersten Phase der syrischen Revolution, bevor die Bewegung von den Islamisten gekapert wurde, musste das Assad-Regime große Teile des Nordostens verlassen. Dieses Machtvakuum besetzte die Partei der Demokratischen Union (PYD) – eine Schwesterorganisation der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) – zusammen mit deren militanten Flügel, die Volksverteidigungseinheiten (YPG), und wurde die dominierende Kraft in der Region. Mit der Degeneration der syrischen Revolution in einen sektiererischen Bürgerkrieg, entwickelte sich die YPG zu einer beeindruckenden Milizarmee mit mindestens 50.000 KämpferInnen.

Die kurdische Bewegung schuf ihre eigenen demokratischen Selbstverwaltungsorgane, die eindeutig nicht sektiererisch sind. Rojava wurde de facto eine unabhängige Einheit und die dort ansässigen militärischen Kräfte, die auf der Basis einer demokratischen Plattform für ihre Heimat kämpfen, sind äußerst effektiv. Die US-Armee, die nicht in der Lage war ihre eigenen Bodentruppen einzusetzen, sahen in der Bewegung eine Alternative als Anti-Assad-, Anti-IS- und auch als nichtiranische Kraft.

Nachdem die USA sahen, dass die Türkei sich weigerte ihre Grenzen für den IS dicht zu machen, unterstützten sie die kurdischen Kräfte bei ihrem Vormarsch entlang der türkischen Grenze. Der Einmarsch der türkischen Armee in Syrien war ein Versuch, diese Gebietsgewinne rückgängig zu machen und den Weg für die Vernichtung der kurdischen Enklave zu ebnen. Da alle ihre verbündeten Rebellengruppen quasi am Boden liegen, haben die USA keine andere Wahl als sich auf die KurdInnen zu stützen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass sie die Unterstützung der kurdischen Bewegung dauerhaft fortführen werden. Für die USA ist es wichtiger, die Türkei, selbst wenn diese schwach ist, als Alliierten zu behalten, als den kurdischen Kampf zu unterstützen. Tatsächlich wird die PKK von den USA immer noch als terroristische Organisation bezeichnet. Schließlich spielte die CIA eine Schlüsselrolle bei der Auslieferung von PKK-Führer Abdullah Öcalan an die Türkei 1998. In den Augen der US-Amerikaner ist Rojava unfruchtbares Land ohne ökonomische Bedeutung außer momentan für den direkten Kampf gegen den IS. Die Türkei andererseits ist ein NATO-Mitglied mit wichtigen Militärbasen und auch Stationierungsgebiet von US-Atomraketen.

Die kurdische Bewegung kann den USA bei der Sicherung ihrer Interessen nicht trauen. Beim weiteren Fortgang der Verhandlungen werden sich die USA positionieren müssen und die kurdische Bewegung verkaufen und verraten. Genauso wenig können sie dem iranischen und dem irakischen Regime trauen, das versucht sie in die Volksmobilisierungs-Einheiten im Irak einzugliedern. Die Iraner stützen sich im Moment auf die PKK gegen die Türkei und deren kurdische Marionette Masoud Barzani, aber sobald ein Abkommen erreicht worden ist, werden sie sich nicht scheuen, die KurdInnen im Stich zu lassen, die sie auch als Bedrohung für den Iran selbst sehen.

Wir MarxistInnen haben immer gesagt, dass die KurdInnen nur als kleine Wechselbeziehung der Großmächte betrachtet werden. Diese haben kein Interesse an einer kurdischen Unabhängigkeit oder Autonomie, die eine Gefahr für ihre eigenen Grenzen darstellt. Sobald die Kriegsparteien ein Abkommen zur Aufteilung des Nahen Ostens erreicht haben, könnte jede Macht in der Region sich gegen die KurdInnen wenden und die Bewegung zerschlagen.

Die KurdInnen können kein Vertrauen in die reaktionären Führer der USA, des Iran und jeder anderen Nation haben. Sie können nur ihren eigenen Kräften und der ArbeiterInnenklasse der Region trauen. Der einzige Ausweg für die kurdische Bewegung ist die Ausweitung ihres Kampfes in einem Klassenkrieg, in dem das erste Ziel die Vereinigung der kurdischen Gebiete in Syrien, der Türkei, dem Irak und dem Iran sein muss. Dieser muss von einem Aufruf an die werktätigen Massen dieser Länder zu einem Aufstand gegen die herrschenden Klassen, die in dieser Region verheerenden Schaden anrichten, begleitet werden.

Der Aufstieg Russlands
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte der US-Imperialismus versucht, Russland mit der Errichtung von NATO-Militärstützpunkten in Osteuropa, einzuschnüren und den russischen Einfluss in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu untergraben. Aber in Georgien und der Ukraine zog Russland eine Grenze und machte deutlich, dass es kein weiteres Vordringen seitens der NATO erlauben würde. In Syrien jedoch ist Russland der größte Schlag gegen die USA gelungen.

Die russische Intervention war aufgrund der relativen Schwächung des US-Imperialismus möglich. Es ist aber auch klar, dass Russland, das jetzt vor seiner eigenen Wirtschaftskrise steht, nicht stark genug ist, eine langfristige Operation in Syrien durchzuführen. Bis jetzt waren die Kosten der syrischen Operation nur ein wenig höher als die normalen militärischen Ausbildungskosten, aber eine umfangreichere Mission würde eine ein Loch in den angespannten Staatshaushalt reißen.

Außerdem sind Russlands Ziele in Syrien – die Verteidigung des Regimes und seines eigenen Marinestützpunkts – schon erreicht worden. Syrien hat als Land nur eine geringe strategische Bedeutung für Putin, der sich eher Sorgen um Osteuropa, Zentralasien und sogar den Fernen Osten macht. Syrien ist für Putin ein Ort, um anderweitig an Einfluss zu gewinnen. Deshalb ist er mehr daran interessiert einen schwelenden Konflikt zu schaffen, an dem alle Mächte beteiligt sind und Russland seine Position stärken kann, indem es sie gegeneinander ausspielt.

Hierin liegt das wahre imperialistische Gesicht Russlands. Entgegen den Wünschen von Assad und des Iran, und vielleicht vieler SyrerInnen, will Putin die oppositionellen Rebellengruppen nicht aus dem Land vertreiben. Er hat die Türkei wieder ins Land geholt, um dem Iran etwas entgegenzusetzen und zu verhindern, dass dieser in der Region mächtiger wird als Russland.

Falls der Iran und Assad ihre Offensiven zum jetzigen Zeitpunkt fortsetzen wollen, können sie dies nicht ohne die Unterstützung Russlands. Wenn ganz Syrien eingenommen worden wäre, wäre Russland bei der Aufrechterhaltung der Lage vom Iran abhängig. Das ist etwas, was Russland, das auch mit dem Iran und der Türkei um den Einfluss im Kaukasus konkurriert, nicht zulassen kann. Putin möchte lieber eine Lage schaffen, in der sich die lokalen Mächte gegenseitig neutralisieren und er selbst die Fäden zieht, statt einer Lage, in welcher der Iran zur dominierenden Macht wird. In einem von Russland unterstützten Abkommen könnten sogar die Islamisten in Idlib – allerdings mit kürzeren Bärten und unter einem neuen Namen – eine begrenzte Rolle bei einer zukünftigen Regelung spielen. Das würde zu weiteren Spannungen zwischen Russland und dem Iran führen.

Noch wichtiger ist jedoch, dass Putin bestrebt ist, auch die Westmächte an einem Abkommen über die zukünftige Machtverteilung zu beteiligen. Eine gemeinsame russisch-amerikanische Operation war das öffentlich verkündete Ziel während des gesamten russischen Feldzugs. Das kann sich jetzt leicht verändert haben, aber Putin geht immer noch auf die USA zu. Wenn Donald Trump das Präsidentenamt übernimmt, wird er mit vollendeten Tatsachen konfrontiert, welche ihm die Entscheidung leicht machen wird. Im Gegenzug wird er Putin wahrscheinlich bitten, etwas gegen den Iran zu unternehmen – ein Wunsch, den Putin ihm problemlos gewähren könnte.

Ein Wendepunkt
Der syrische Bürgerkrieg ist noch lange nicht vorbei. Der Konflikt wird noch eine ganze Zeit weitergehen, allerdings auf einem weniger intensiven Niveau. Das Assad-Regime wird weiterhin Rebellennester in der Nähe der Großstädte ausheben und auch gegen den IS und vielleicht gegen die AAS und die JFS in Idlib vorgehen. Die Türkei wird in der Zwischenzeit seine Augen auf Rakka und Rojava richten. So werden zumindest die nächsten Schritte aussehen.

Nach der Schlacht um Aleppo ist noch nicht klar, wer der endgültige Sieger sein wird, die Verlierer aber stehen fest. Der Nahe und Mittlere Osten wurden von der herrschenden Klasse der USA als ihre Domäne betrachtet. In der Vergangenheit sind die USA zwei Mal ohne mit der Wimper zu zucken in den Irak einmarschiert und sie haben sich in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen in der Region eingemischt und haben dort konspiriert und taktiert. In Aleppo aber waren die USA nicht in der Lage zu handeln.

Natürlich ist der US-Imperialismus bei weitem die stärkste Macht auf dem Planeten und das wird sich so schnell nicht ändern. Aber aufgrund seines langfristigen Niedergangs ist er nicht länger fähig, überall auf dem Planeten zu intervenieren. Im Nahen Osten wurden diese Beschränkungen öffentlich. Wie jede Weltmacht waren die USA auf dem Gipfel der Macht und befinden sich jetzt in der Phase des Niedergangs. Die kapitalistische Nachkriegsordnung wurde von den USA aufgebaut, so ist es jetzt kein Wunder, dass die Krise des Kapitalismus auch eine Krise des US-Imperialismus und seiner Weltordnung ist. Am Ende des Zweiten Weltkriegs betrug der Anteil der US-Wirtschaft 50% des weltweiten BIP. Heute ist dieser Anteil auf ungefähr 20% gefallen. Die USA waren der weltgrößte Kreditgeber, heute sind die der größte Schuldner. Die Wirtschaftskrise führt wiederum zu einem Anstieg des Klassenkampfes und zu einer politischen und institutionellen Krise. Und das US-Militär leidet unter den Folgen dieses Niedergangs.

Der Niedergang des US-Imperialismus hat schon vor einigen Jahrzehnten eingesetzt, jetzt aber sehen wir eine Beschleunigung dieses Prozesses, der die Supermacht immer weniger in die Lage versetzt, eine Weltordnung zu garantieren, welche sie in der Vergangenheit aufgebaut hat. Die Geschichte verläuft nicht geradlinig. Die Niederlage der USA in Aleppo war die Konsequenz aus all den angehäuften Widersprüchen. In dieser Beziehung ist die Wahl von Donald Trump auch kein Zufall. Trumps isolationistische Außenpolitik ist eine Widerspiegelung der wirklichen Position der USA in den internationalen Beziehungen.

Der Nahe Osten hat nicht mehr die strategische Bedeutung für die USA wie in der Vergangenheit. Außerdem verfügen die USA nicht über die Ressourcen zur Stabilisierung der Region. Deshalb ist ein Abkommen mit Russland möglich, vor allem, wenn es den USA ermöglicht, sich auf China zu konzentrieren, das auf internationaler Ebene die größte Bedrohung für die USA darstellt. Das Scheitern in Syrien wird auch zu einem verstärkten Druck auf die Amerikaner führen, weil immer mehr regionale Gegner und Verbündete, wie China und Japan, alles tun werden, um ihre Positionen zu behaupten, wenn die USA weiter schwächeln.

In der kommenden Zeit ist ein Weltkrieg auszuschließen, was aber nicht bedeutet, dass die internationalen Beziehungen nicht beeinträchtigt werden. Wir sind in eine Periode der wachsenden Instabilität eingetreten. Da der Weltkapitalismus immer weiter in eine tiefe Krise schlittert, wird es zu endlosen lokalen Kriegen und Konflikten kommen, an denen sich die verschiedenen Mächte beteiligen, um ihre eigenen Einflusssphären zu schützen und in die der anderen einzugreifen. Millionen Menschen in der Welt werden erkennen, dass die herrschenden Klassen bereit sind die gesamte Menschheit in die tiefste Barbarei zu ziehen, um ihre eigene Macht, ihre Privilegien und ihre Profite zu verteidigen. Diese Situation bereitet auch überall den Boden für einen verstärkten Klassenkampf und den Aufstieg revolutionärer Bewegungen. Vor einhundert Jahren beendeten die Bolschewiki den Ersten Weltkrieg, indem sie den Kapitalismus in Russland stürzten. Heute bleibt die Aufgabe die gleiche. Der Kapitalismus erzeugt Krieg und der einzige Ausweg für den Kampf um Frieden, ist der revolutionäre Kampf für den Sozialismus.

London, 12. Januar 2017

Hamid Alizadeh
In Defence of Marxism