Seit ich mich erinnern kann, sehe ich die Ungerechtigkeiten, die Frauen jeden Tag erleiden, und die Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Als ich ans Gymnasium kam, entschied ich mich, der feministischen Vereinigung AFS beizutreten. Ich wollte den Grund für die Unterdrückung der Frauen verstehen, aber vor allem wollte ich dagegen kämpfen können.
Nach einer gewissen Zeit merkte ich jedoch, dass ich mit einigen Entscheidungen der Vereinigung nicht einverstanden war. Z. B. damit, dass es Männern nicht erlaubt war, an bestimmten Gesprächen oder Orten teilzunehmen, da das Ziel darin bestand, einen «safe space» zu schaffen. Denn Männer seien das Problem der Geschlechterungleichheit. Oder damit, dass bei feministischen Streiks Männer gebeten wurden, anstelle von Frauen zu arbeiten. Dabei läuft das dem Ziel von Streiks zuwider, nämlich durch Arbeitsverweigerung die Bosse unter Druck zu setzen.
Aufgrund meiner Meinungsverschiedenheiten beschloss ich, nach einer anderen feministischen Theorie zu suchen. Ich lernte das Konzept des «Patriarchats» kennen. Damals verstand ich nicht, wie ich gegen etwas kämpfen sollte, das ich nicht einmal berühren kann, etwas, das offenbar in der «Natur» der Männer liegt. Ich begann, mich nutzlos und machtlos zu fühlen, weil ich feststellte, dass all die Forderungen und «Streiks», die wir machten, nichts an den Umständen der Frauen änderten.
Alles, was ich offenbar tun konnte, war, die Männer wegzustossen, ihnen ihre machistischen Verhaltensweisen bewusst zu machen und zu versuchen, die Art und Weise zu ändern, wie Kinder erzogen werden. Aber ich hatte das Gefühl, dass dies ein verlorener Kampf war. Das Problem war zu gigantisch, die Lösungen einfach winzig.
Ich dachte mir also, dass ich die Lösung woanders suchen musste. Als ich mit meiner Mutter über das Thema sprach, riet sie mir, das Kommunistische Manifest von Karl Marx zu lesen. Aber dafür musste ich erst einmal verstehen, wer Marx überhaupt war! Also kaufte sie mir ein Buch über den Marxismus.
Sofort als ich anfing, es zu lesen, stellte ich eine Verbindung zur Unterdrückung der Frau her. Ich verstand, dass die in den grossen Bewegungen angewandten Methoden den Kampf auf einzelne Probleme reduzieren. Das behindert das Bewusstsein der unterdrückten Klassen für die eigene Stärke und die Vereinigung der Arbeiterklasse. Doch nur die Arbeiterklasse kann gegen den Kapitalismus und damit gegen die Frauenunterdrückung kämpfen!
Während meiner Mittagspause in der Schule sah ich dann, wie die Marxisten von «Der Funke» bei einer Gruppe von Schülern Flyer verteilten und diskutierten. Also ging ich zu ihnen und sie sagten mir, dass sie eine revolutionäre Organisation aufbauen und sich auf marxistische Theorie konzentrierten.
In meinen ersten Lesekreisen wusste ich bereits, dass ich überzeugt war, mich ihnen in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus anzuschliessen. Zu lernen, dass die Frauenunterdrückung materielle Ursachen und hat die Tatsache, dass die Lösung darin bestand, das System zu ändern, rissen mich aus dem Pessimismus, den ich zuvor empfunden hatte.
Als ich tiefer in den Marxismus eintauchte, erkannte ich die Notwendigkeit einer dialektischen und materialistischen Sicht auf Klassenkämpfe. Früher dachte ich zum Beispiel, der Grund, warum Männer Frauen misshandelten, sei, weil sie von Natur aus frauenfeindlich sind. Aber mit einem marxistischen Ansatz, habe ich gelernt, dass Frauen zwar durchaus von Männern unterdrückt werden. Aber der Grund, warum das passiert, ist nicht die sexistische Natur der Männer, sondern es liegt an den materiellen Bedingungen der Klassengesellschaft: Der Kapitalismus profitiert von der Unterdrückung und treibt die Arbeiter in die Konkurrenz zueinander. Und ich habe gelernt, dass, solange wir in einem System leben, das wirtschaftlich von Diskriminierung profitiert, nicht in der Lage sein werden, aus dieser Situation herauszukommen. Wir brauchen also eine Revolution, um in eine kommunistische, klassenlose Gesellschaft zu kommen!
Emilia, Genf
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