Während die nationale Kampagne in anderen Sektionen nur schleppend oder überhaupt nicht angelaufen ist, hat sich in den beiden Basler Sektionen eine rege Aktivität an den Berufsschulen entwickelt. Viele Lernende in der Region kennen die AktivistInnen der JUSO bereits und haben die Petition unterschrieben. Nun stehen wir vor der Herausforderung, interessierte Lernende zu aktivieren und zu organisieren. Mit der Broschüre der marxistischen Strömung liegt nun ein wichtiges Mittel vor, diese Arbeit voranzutreiben. Eine der ersten Fragen, die uns gestellt wurde, war: „Wozu brauchen wir denn eine Broschüre?!“ In der JUSO Basel-Stadt wurde kritisiert, man könne doch von durchschnittlichen Lernenden, deren Interesse durch unsere Kampagne geweckt wird, nicht erwarten, eine 32-seitige Broschüre zu lesen. Ihr Interesse würde viel eher durch ein persönliches Gespräch, eine Einladung zur MV und einer Literaturliste – im Idealfall wohl unter 32 Seiten Umfang – geweckt.
Diese grundsätzlich ablehnende Haltung ist schwer verständlich. Davon, dass die Broschüre ein persönliches Gespräch oder gar die Einladung an eine MV – immerhin das Zentrum der Parteiaktivität in den meisten JUSO Sektionen – ersetzen sollte, war jedoch nie die Rede. Im Gegenteil: Um Lernende für die JUSO zu gewinnen, ist dies unumgänglich. Tatsache ist aber, dass wir mit der Broschüre an den Berufsschulen bereits Erfolge verzeichnen konnten. Lernende haben positiv darauf reagiert und es ergaben sich interessante Diskussionen. Niemand hat sich über die Länge beklagt.
Forderungen erklären
Zwar haben das Positionspapier „Mehr Demokratie: Der Weg zu einer besseren Berufsbildung“ und die Infrarot-Ausgabe 212 zur Kampagne gemeinsam weniger als 32 Seiten, doch der Umfang allein ist ein dürftiges Argument. Wie sieht es also inhaltlich aus? Das Positionspapier ist das einzige Dokument der JUSO, welches sich offiziell mit der JUSO-Position zur Lehre befasst. Dies wird jedoch nicht zur Propaganda an den Berufsschulen eingesetzt – zu Recht, denn es galt eher der internen Klärung unserer Positionen zur Lernendenfrage. Zur Propaganda an den Berufsschulen wurde neben dem nationalen Flyer einzig das Infrarot publiziert. Vor allem der Leitartikel charakterisiert die Probleme in der Lehre ziemlich gut. Gleichzeitig erklärt er weder, wie die Probleme entstehen, noch wie die Forderungen der Petition die Situation lösen sollen. Generell fehlt dem Infrarot eine einheitliche Linie. Verschiedene Interviews zeigen zwar vereinzelt Probleme der Lernenden auf, diese werden aber anschliessend nicht in einen allgemeinen Kontext gesetzt und analysiert. Die einzigen aufgeführten Lösungsvorschläge werden in Interviews mit SP-Parlamentarierinnen aufgezeigt. Allerdings sind diese von sehr konservativem bis reaktionärem Charakter. Martina Munz erklärt die Lehre zum „Königsweg“ und sagt, „den Berufslernenden stehe die ganze Welt offen“; dem widersprechen jährlich Tausende von Lehrabgängern, welche keine Anschlusslösung finden. Zur Problematik berufsfremder Arbeiten und der daraus resultierenden fehlenden Ausbildung im Berufsfeld will Munz einzig die Prüfungszeit der LAP verlängern. Lernenden, welche unter ihrer Recht- und Wehrlosigkeit leiden, rät sie ein Protokoll der Ereignisse zu erstellen und so den Lehrmeister „zu beeindrucken“. SP-Nationalrätin Bea Heim will die „Attraktivität“ der Lehre steigern, indem sie die Lehre mit den Bezeichnungen „Bachelor“ und „Master“ aufwerten will, anstatt sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Lernenden zu orientieren. Heim driftet dann völlig ins nationalistische Fahrwasser ab, indem sie Kontingente für ausländische Arbeitskräfte an die Ausbildung in der Schweiz knüpfen will. Der „Industrieplatz Schweiz“ soll so „geschützt“ werden. Was für eine originelle Analyse der Schweizer Lehrlingsproblematik: die „Ausländerflut“ ist schuld und muss begrenzt werden. Und was haben solche Forderungen mit sozialistischer Politik gemein?
Gesamthaft kann festgestellt werden, dass das Infrarot seine Aufgabe, die Forderungen der Petition zu erklären und diese mit den Fragen sozialistischer Politik zu verbinden, nicht erfüllt. Die Frage des Privateigentums wird nicht gestellt, Gegenmassnahmen zur Sparpolitik der Bürgerlichen oder eine Antwort auf die Krise im Allgemeinen werden nicht formuliert.
Aus der Lernendenbroschüre geht hingegen deutlich hervor, dass z.B. Lernende als billige Arbeitskräfte missbraucht werden, weil Kapitalisten gegeneinander in Konkurrenz stehen und deshalb gezwungen sind, die Produktionskosten zu senken. Dass die Berufsbildungsämter die verschärfte Ausbeutung von Lernenden wissentlich in Kauf nehmen, wird durch zahlreiche Erlebnisberichte des Lehrstellenprangers belegt. Dadurch erklärt sich die, auch von der JUSO erhobene, Forderung nach demokratisch gewählten tripartiten Kontrollbehörden aus Lernenden, Gewerkschaften und Staat.
Die Forderungen der Broschüre bauen auf der Analyse auf und kommen in ihrer Gesamtheit als Programm unweigerlich mit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung in Konflikt. Die Broschüre verbindet die Probleme und Forderungen der Lernenden mit dem allgemeinen Kampf gegen den Kapitalismus. Sie schafft den Link zwischen der konkreten Kampagne und der Notwendigkeit des allgemeinen politischen Kampfes. Auf dieser Basis sollten wir die Lernenden davon überzeugen, sich in einer sozialistischen Partei zu organisieren.
Verwirrung über die Zielgruppe
An der Broschüre wurde das „Klassenkampfvokabular“, die „streckenweise Fäkalsprache“, die „drastische Wortwahl und die extreme Schwarz-Weiss-Darstellung“ kritisiert. Offenbar besteht die Angst, dadurch „durchschnittliche Lernende abzuschrecken, deren politisches Interesse durch JUSOs oder durch eigene Erfahrungen geweckt wurde“, die aber ein „differenzierteres Weltbild“ haben.
Hier besteht klar eine Verwirrung darüber, wen wir mit dieser Kampagne ansprechen können. Zwar unterschreibt die grosse Mehrheit der Lernenden an den Berufsschulen die Petition, aber dies sind nicht die „durchschnittlichen Lernenden, deren Interesse durch unsere Kampagne geweckt wurde“ und welche der JUSO beitreten werden. Die Broschüre ist nicht für die Mehrheit der Lernenden gedacht, sondern richtet sich an den bewusstesten und radikalisiertesten Teil. Diese Jugendlichen, welche aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen im Betrieb radikalisiert wurden, sind keine Einzelfälle, wie dies die Unia-Umfrage eindrücklich zeigte. Diese Schicht ist empört über die Ungerechtigkeit und die Demütigungen am Arbeitsplatz. Sie sehen sehr direkt die Ausbeutungsbedingungen und verstehen den Interessenswiderspruch zwischen ihnen (den Lernenden/Arbeitenden) und dem Chef (als Ausbeuter). So zeigt sich der Kampf von Unten gegen Oben sehr konkret im Betrieb. Bei diesem Bewusstsein setzt die Broschüre an. Die täglich erlebte Ausbeutung wird in ihrer Systematik erklärt und mit der allgemeinen Analyse der Ausbeutungsverhältnisse im kapitalistischen System verbunden. In der Broschüre erklären wir aber auch, warum das so ist, erklären die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Klassen. So ist der Chef eben nicht einfach ein „Arschloch“, sondern vertritt die Kapitalinteressen, welche er durch seine Position als Besitzer der Produktionsmittel hat. Dass wir also die Arbeitsbedingungen als „scheisse“ und den Chef als „Arschloch“ bezeichnen, knüpft an der konkreten Analyse der Lernenden an. Genauso wie wir in anderen Kampagnen der JUSO die Reichen und Mächtigen polemisch als „Bonzen“ und „Abzocker“ bezeichneten, soll auch dies den allgemeinen Unmut der Lernenden widerspiegeln. Das mag nicht alle Lernenden ansprechen, doch das will diese Broschüre auch nicht. Sie ist kein Allerheilmittel, sondern richtet sich an die Teile, welche klar Kritik an der bestehenden Situation formulieren und nach einer Alternative suchen. Um diese Jugendlichen anzusprechen, reicht es nicht aus, die bestehenden Verhältnisse moralisch zu kritisieren. Wir müssen Erklärungen und Alternativen bieten.
Was bedeutet die Diskussion der Broschüre für die JUSO BL?
Die Broschüre wurde während der Sommerpause in der AG Lernende der JUSO Baselland diskutiert und überarbeitet. Auf die August-MV wird sie den GenossInnen zur Diskussion und Abstimmung vorgelegt. Dies ist eine Chance, das Thema Lernendenpolitik vertieft zu diskutieren und unsere Zielgruppe, radikalisierte Jungendliche, mit einem sozialistischen Programm dort abzuholen, wohin sie ihre alltäglichen Erfahrungen gebracht haben.
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