Es war klar, dass die zweite Welle mit dem Winter kommen würde. Wieso sind Berset & Co. so schlecht darauf vorbereitet?
«Die Schweiz hat die Kontrolle verloren», sagt Epidemiologe Christian Althaus und hat damit völlig recht. Im Kanton Zürich sind die Kapazitäten des Contact Tracings auf 100 Neuansteckungen pro Tag ausgerichtet, doch bereits vor zehn Tagen wurden 270 neue Fälle verzeichnet (inzwischen täglich 500-700). Gemäss Bund wären pro Tag 40’000 Corona-Tests nötig, doch die Kapazitäten erlauben momentan nur 15’000. Am Dienstag waren noch 188 Intensivbetten in der Schweiz frei (plus nochmals 185 improvisierte), und das bei rund 30 Spitaleinweisungen pro Tag. An verschiedenen Orten ist das Spitalpersonal bereits knapp, der dramatische Hilferuf aus dem Kanton Schwyz ging landesweit unter die Haut. Und das ist erst der Anfang, denn «die zweite Welle wird mehrere Monate dauern» (Pressekonferenz des Bundes, 20.10.20).
Planloser Bundesrat
Seit Juni verdoppeln sich die Zahlen monatlich. Ein exponentieller Anstieg in der kalten Jahreszeit war seit Monaten offensichtlich und hat sich über längere Zeit angebahnt. Dennoch wurde eigentlich nichts, oder zumindest viel zu wenig, unternommen, um die nötigen Kapazitäten auszubauen. Alain Berset sagte zuletzt: «Die zweite Welle ist da, früher und stärker als gedacht». Es scheint fast so, als ob Bundesrat Berset weder mitbekommen habe, dass gerade eine 1-Millionen-Tote-Pandemie wütet, noch dass nach dem Sommer der Herbst folgt.
Bereits im Juni sprach der Bundesrat von einer neuen «Normalität», lange bevor ein Ende der Pandemie (sprich ein flächendeckend eingesetzter Impfstoff) in Sicht war. Die Clubs, Restaurants, Schulen, usw. wurden wieder geöffnet. Einen wirklichen Plan dabei gab es nicht, die ganze Verantwortung wurde den Veranstaltern zugeschoben. Hauptsache, die Leute wurden dazu angehalten, wieder auszugehen und zu konsumieren. Die kurzfristigen Profite der Kapitalisten sind offensichtlich wichtiger als eine vernünftige Pandemie-Vorbereitung.
Die Planlosigkeit des Bundes wurde mit den Grossveranstaltungen dann gänzlich entblösst: Ausgerechnet zum Herbstanfang wurden die Massenveranstaltungen wieder erlaubt. Gleichzeitig begannen die Fallzahlen rasant anzusteigen. Der Bundesrat rechtfertigte seine Hochrisiko-Entscheidung mit der Begründung, dass bisher an den Grossveranstaltungen noch nichts passiert sei. Das ist nichts anderes als ein planloses Warten auf die Katastrophe, die eigentlich bereits da ist. Eine Pandemie mit einem solchen Bundesrat ist wie den Berg herunterzufahren ohne Bremsen.
Verlogener Bundesrat
Der Bundesrat ist also sowohl verantwortlich für die zweite Welle, als auch völlig unfähig, sie einzudämmen. Davon versuchen Berset, Sommaruga und ihr ganzer Stab in verlogenster Art und Weise abzulenken. Nämlich indem sie plump der Bevölkerung die Schuld in die Schuhe schieben. Bundesrätin Sommaruga behauptet, dass die Hygieneregeln nicht beachtet würden und fügt ein arrogantes «Es ist nicht so kompliziert!» hinzu. Alain Berset hingegen hetzt weiter gegen die Jugend und gibt den «Partys» die Schuld.
Die Heuchelei schreit zum Himmel: Zunächst öffnet der Bundesrat die Clubs und Bars, lockert die Massnahmen und spricht von Normalität. Nur um in einem nächsten Schritt die Jungen dafür zu beleidigen, dass sie tatsächlich in die Clubs gegangen sind. Doch weniger als 2% aller Ansteckungen finden in Clubs statt. Die meisten Ansteckungen finden am Arbeitsplatz, in Gesundheitseinrichtungen und in Schulen statt.
Wer bezahlt für die sinnvollen Massnahmen?
Der Bundesrat windet sich also, wirklich konsequente Massnahmen zu ergreifen. Der Grund dafür ist «die Wirtschaft». Der erste Lockdown hat die tiefste Krise des Schweizer Kapitalismus je ausgelöst. Eine zweite Schliessung grosser Teile des öffentlichen Lebens wären eine Fiasko für die kurzfristigen Profite der Kapitalisten. Zu sehr ist der Kapitalismus unmittelbar von den Lohnabhängigen als Produzenten und Konsumenten abhängig.
Und es kommt noch dicker: Mehrere Studien haben gezeigt, dass ein schneller und konsequenter Lockdown besser für die wirtschaftliche Erholung ist. Die extreme Kurzsichtigkeit des Bundesrates und der Kapitalisten ist verblüffend und erschreckend.
Der Bundesrat handelt im Interesse der kurzfristigen Profite der Kapitalisten. Die hohe Anzahl an Kranken, die Toten, die bis zur Erschöpfung krampfenden PflegerInnen und ÄrztInnen – das passiert, weil sich die Regierung bewusst für die kurzfristigen Profite und gegen gute und gesunde Lebensbedingungen der grossen Mehrheit entscheidet.
Würde es Berset und seiner Gang wirklich um den Schutz der Arbeitsplätze und der Gesundheit gehen, müssten folgende Massnahmen getroffen werden:
Ein massiver und flächendeckender Ausbau der Kapazitäten für Tests, Contact Tracing und Gesundheitseinrichtungen. Die Pharmaunternehmen werden verstaatlicht, damit die Forschung für einen Impfstoff nicht dem profitgierigen Wettbewerb ausgesetzt ist. Schliessung aller nicht-existenziellen Produktion. Garantie aller Arbeitsplätze bei gleichbleibendem Lohn.
ArbeiterInnen an die Macht!
Die entscheidende Frage ist natürlich, wer dafür bezahlen soll. Wir haben bei weitem genügend gesellschaftliche Reichtümer, um diese einzigen sinnvollen Massnahmen zu finanzieren. Alleine in Corona-Zeiten stiegen die Vermögen der 37 Milliardäre in der Schweiz um 29% auf 124 Milliarden an. Zusammen mit den übrigen 300 Reichsten der Schweiz besitzen sie nun wohl über 830 Milliarden Franken!
Die ernsthafte Bekämpfung der Pandemie ist möglich: finanziell und technologisch. Doch dafür müssen die Lohnabhängigen die Kontrolle über die Wirtschaft und die Staatsmacht erlangen. Die ArbeiterInnen müssen über Öffnung, Schliessung und Schutzvorkehrungen am Arbeitsplatz entscheiden. Die Arbeiterklasse muss entscheiden, was mit unseren Reichtümern passiert. Denn im Gegensatz zu den Kapitalisten müssen die ArbeiterInnen nicht zwischen Profiten und Gesundheit abwägen.
Genau mit diesem essentiellen Programm müssten die Organisationen der Arbeiterklasse mobilisieren. Die Führung der SP und Gewerkschaften muss mit der pro-kapitalistischen Bundesratspolitik brechen. Sie muss die Lohnabhängigen organisieren. Auf Grundlage dieses Programms muss sie die Verbindung zu den bereits kämpfenden PflegerInnen und den Streiks in Genf herstellen. Nur so kann die Arbeiterklasse dafür sorgen, dass sie nicht voll von der zweiten Welle und der kapitalistischen Wirtschaftskrise getroffen wird.
Für die Redaktion
Dersu Heri
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