Die Wahlerfolge der Linken in Griechenland und Frankreich sind ein Ausdruck des wachsenden Unmuts gegenüber dem Spardiktat. Doch wie soll eine linke Alternative zu den bürgerlichen Krisenbewältigungsstrategien aussehen?
Seit Ausbruch der Krise wurden Unsummen an Steuergeldern aufgebracht, um das Finanzsystem zu stabilisieren.
Von einer Lösung der Krise ist aber keine Spur, im Gegenteil das europäische Wirtschafts- und Währungssystem steht am Abgrund. Viele Menschen fragen sich, was mit dieser ungeheuren Summe an Geld passiert ist. Unser Geld ist an geheimnisvolle Orte geflossen, deren Bedürfnisse als heilig und rätselhaft gelten. Im Tageslicht jedoch entpuppen sich diese schwarzen Löcher als profane Eigentümerinteressen: In die Taschen von „Investoren“ wurde das ganze Geld geschaufelt. Diese Kapitalbesitzer verfügen über verbriefte Rechte auf (Zins-)Rendite und Rückzahlung, die im Zuge der Krise (durch das Platzen der Immobilienblasen, durch die Krise der Staatsfinanzen von Griechenland, Irland, Portugal usw.) wertlos geworden sind. Zur Sicherung dieser Kapitalansprüche wurde das Geld der SteuerzahlerInnen eingesetzt, was zu einem massiven Verschlingen gesellschaftlichen Reichtums führte.
Im Jahr vier der Krise redet niemand mehr von Aufschwung. Die Weltwirtschaft wird mittlerweile nur noch in drei Kategorien eingeteilt: 1) Länder, die sich im freien Fall befinden, 2) Länder in einer Rezession und 3) Länder mit nachlassendem Wachstum. Und klarerweise drücken die hohen Verzinsungsansprüche der Vermögensbesitzer – die in zunehmendem Masse aus der Staatskasse beglichen werden – weiter unmittelbar auf die Konjunktur, da sie auf der anderen Seite mit Sparpaketen ausgeglichen werden.
Lohnzurückhaltung, steigende Einkommensungleichheit, der aufgeblähte Finanzsektor, Ungleichgewichte zwischen den EU-Mitgliedsstaaten – also alle Gründe die z.B. vom französischen Staatspräsidenten Hollande als Krisenursachen gelten – sind selbst aber nur Krisenphänomene. Die tatsächliche Krisenursache liegt in der beschränkten Aufnahmefähigkeit der Märkte, in der Überproduktion von Waren, Gütern und Dienstleistungen, die auf den Märkten nicht profitabel untergebracht werden. Diese Überproduktion ist dem Kapitalismus systemimmanent und nicht die Folge „neoliberaler“ Politik.
Die Konzepte bürgerlicher Wirtschaftspolitik waren auch in den letzten beiden Jahrzehnten darauf ausgerichtet, diesen Widerspruch zu entkommen. Die Idee der Europäischen Union bestand genau darin, der Industrie einen grossen internen Markt zu bieten. Die Rolle des Kredits war es, durch Vorgriffe auf zukünftig produzierten Reichtum, die engen Grenzen eines profitträchtigen Konsums auszuweiten. Was bis vor kurzem noch als Garantie für steigenden Wohlstand galt, sind jetzt die Faktoren, die die Krise immer mehr vertiefen.
Selbst wenn man diese Analyse nicht teilt, und weiter an die „Wachstumspolitik“ à la Hollande glauben will, soll die Dimensionen der Krise mit den vorgeschlagenen Gegenmassnahmen in Relation zu einander setzen. In der weltweiten Autoindustrie liegt mehr als ein Drittel der Kapazitäten brach. Auf Ebene der Finanzen: Die Gesamtverschuldung Spaniens (Staat, Konsum- und Immobilienkredite, Investmentkredite) liegt bei 380% des BIP, d.h. die volkswirtschaftliche Produktion der kommenden 3 Jahre und 10 Monate ist bereits konsumiert worden. Eine stärkere Ausweitung der Geldmenge wird unter diesen Bedingungen unweigerlich zu einer Geldentwertung führen. Die Rechnung zahlen dann erst wiederum die Lohnabhängigen, denen es nicht möglich ist, die Löhne entlang den Preissteigerungen zu erhöhen. Die letzten Jahre haben uns das schon in der Praxis gelehrt.
Wer noch immer nicht überzeugt ist, soll sich den konkreten Vorschlag Hollandes anschauen: Ein „Wachstumspaket“ von kolportierten 150 Mrd. €. Im Vergleich zu den bisherigen EU-Bankenrettungspaketen in der Höhe von 4.500 Mrd. ist das ein Tropfen auf dem heissen Stein. Hollandes zweite wichtige Forderung ist jene nach Eurobonds. Es ist leicht nach der Rechnung zu rufen, wenn wer anderer bezahlen soll. Dieser Vorschlag nach einer teilweisen Vergemeinschaftung der Schulden könnte sich durchaus in der einen oder anderen Form durchsetzen. Die einzelnen Nationalstaaten werden aber weiter die Haftungen für diese Schulden übernehmen müssen. Das wird das Problem der ökonomisch schwächeren Nationen daher nicht lösen. Deutschland wird wie bisher nur soviel Geld in die EU pumpen, wie es für den Rückzug der eigenen Banken aus den Krisenstaaten braucht. Die Reform der EU zu einer politischen Union, einer Fiskal- und Bankenunion wird unter dem deutschen Stiefel oder gar nicht zustande kommen.
Die Europapolitik von Frankreichs neuem Präsidenten erscheint also völlig unzulänglich. Die teilweise Rücknahme der Rentenreform von 2009 und die gesetzliche Erschwerung von Kündigungen sind zwar positive Schritte, die als Zugeständnis an die französische Arbeiterbewegung zu werten sind. Gleichzeitig lässt Hollande, der jetzt sogar über eine absolute Mehrheit verfügt, keinen Zweifel offen, dass er die Sparlogik akzeptiert.
An diesem Punkt hebt sich die griechische SYRIZA positiv ab. Sie ist die erste relevante politische Kraft in Europa, die selbst unter grossem Druck und der Aussicht auf Ministerposten zum Spardiktat der EU „Nein“ sagt, die Zahlung der Staatsschulden in Frage stellt und eine Rücknahme aller arbeiternehmerfeindlichen Gesetze fordert. Parteichef Tsipras hat den Lebensnerv des Kapitalismus getroffen, weil er die Renditeversprechen für die Kapitalbesitzer nicht als oberstes Gebot akzeptiert. Weil SYRIZA den Tanz um das goldene Kalb stört, wird sie verdammt. Die europäische Arbeiterbewegung soll sich an ihr ein Beispiel nehmen.
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