Absolut empfehlenswert ist das Buch von Willi Münzenberg aus dem Jahr 1929, erschienen unter dem Titel „Die Dritte Front“. Darin beschreibt der begnadete KPD-Publizist, die Rolle der Jugendbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, bis hin zur Gründung und den ersten Kongressen der „Kommunistischen Jugend Internationale“.
Im Jahr 1906 trat Willi Münzenberg in Erfurt der sozialistischen „Freien Jugend“ bei, welche in Erfurt den Namen „Propaganda“ trug. Ziemlich schnell entwickelten die Jugendlichen eigene Gedanken und kämpften speziell gegen die Ausbeutung der Lehrlinge in den Betrieben. Damals hatten die Lehrherren noch ein Züchtigungsrecht. Aber die Jugendlichen befassten sich nicht nur mit praktischen Aktionen, sondern legten viel Wert auf das Lesen von Büchern, auf die Aneignung der sozialistischen Theorie. Abwechselnd hielten sie – auch wenn es schwerfiel – wöchentlich Referate zu politischen oder historischen Themen. Das war der Bürokratie in der SPD und den ADGB-Gewerkschaften ein Dorn im Auge. Sie versuchte, die selbstständige Tätigkeit der Jugend zu unterdrücken.
Im Jahr 1908 forderte der Gewerkschaftskongress in Hamburg die Auflösung der selbstständig agierenden sozialistischen Jugendbewegung in Deutschland, welche erst um die Jahrhundertwende entstand. Die „Freie Jugend“ sollte dem Parteivorstand der SPD direkt unterstehen. Bis zum Jahr 1913 war ausgerechnet Friedrich Ebert der Jugendbeauftragte des SPD-Parteivorstandes. Damit hatten die Jugendlichen, sowie der Autor Münzenberg, ihre Probleme. Sie setzten im bestimmten Mass ihre eigenständige politische Arbeit fort. Das war keine Erfurter Lokalerscheinung, sondern eine Erscheinung im gesamten damaligen Deutschen Reich. Die SPD-Bürokratie versuchte die Jugend zu bevormunden und jegliche Eigenaktivität zu unterdrücken. Nur der sozialistische Flügel innerhalb der SPD – besonders Karl Liebknecht – kümmerte sich speziell, um die Arbeiterjugend und dem notwendigen Kampf gegen den Militarismus.
Im Jahr 1910 wanderte Münzenberg in die Schweiz aus. Dort wurde er umgehend Mitglied des „Jungburschenvereins“ in Zürich. Die Entwicklung dieses Vereins ist ausgesprochen interessant. Zuerst gab es einige anarchistische Verwirrungen als Antwort auf den belehrenden und bürokratischen Stil auch der Schweizer Sozialdemokraten. Anschaulich beschreibt Münzenberg, wie sie sich von den anarchistischen Irrungen befreiten. Im Jahr 1912 wurde der Antrag gestellt, den Verein mit einem sozialistischen Namen auszustatten und Frauen und Mädchen die vollen Mitgliederrechte zu gewähren. Zunehmend kamen die Jugendlichen in Kontakt mit den russischen Emigranten um Lenin und Sinowjew in der Schweiz. Ab 1912 intensivierte die Schweizer sozialistische Jugendorganisation ihre internationale Kontaktarbeit. Es wurden enge Beziehungen mit der sozialistischen Jugend Italiens hergestellt.
Ab Ende 1912 war Willi Münzenberg verantwortlicher Redakteur des Organs der Schweizer sozialistischen Jugend mit dem Namen „Freie Jugend“ welche zuerst 14-tägig erschien. Im Jahr 1912 fand eine Massenkundgebung des Burschenvereins und dem sozialdemokratischen Verein „Eintracht“ mit Karl Liebknecht in Zürich statt. Eindringlich beschreibt Willi Münzenberg, welchen positiven und aufklärerischen Eindruck das Buch von Liebknecht „Militarismus und Antimilitarismus“ hatte. Die Schweizer Jugend fühlte sich besonders von diesem Werk angesprochen.
Immer wieder berichtet Münzenberg von Gesprächen mit Lenin, der stets ein aufgeschlossenes Ohr für die Anliegen der Jugend hatte. Natürlich machen Jugendliche Fehler, das nahm Lenin den Jugendlichen allerdings nicht krumm, sondern er forderte stets die geduldige, kameradschaftliche Debatte innerhalb der Jugend. An einer Stelle bemerkte Lenin in Gesprächen mit Münzenberg, dass „bestimmte Fehleinschätzungen der Jugend geduldig überwunden werden müssen“. Nach Münzenberg machte Lenin stets einen Unterschied zwischen den verknöcherten sozialdemokratischen Bürokraten und bestimmten Problemen innerhalb der Jugend. Die Bildungsarbeit nahm in der Schweiz neben vielen Aktionen eine besondere Rolle innerhalb der revolutionären Jugendbewegung ein.
Nachdem die Sozialdemokratie in Europa mit Ausnahme der russischen Bolschewiki und der serbischen Sozialdemokratie ins Lager der Bourgeoisie und der Vaterlandsverteidiger übergingen, litt die organisatorische Entwicklung der Jugendbewegung in der Schweiz, aber auch in anderen Ländern am wenigsten darunter. Die Schweizer Sozialdemokraten unter Grimm hatten eine zentristische Haltung des Sowohl-als-auch. Die freie sozialistische Jugend der Schweiz hingegen lehnte von Anfang an die Unterstützung der Kriegskredite zum Beispiel durch die deutsche Sozialdemokratie auf das entschiedenste ab.
Im Jahr 1915 wurde in Zürich in der Schweiz das „Internationale Sozialistische Jugendbüro“ unter der Leitung von Willi Münzenberg eingerichtet. Aufgabe des Büros war es, die kriegsgegnerische und sozialistische Jugend auf internationaler Ebene zu vereinigen. Es wurde die Zeitschrift „Jugend Internationale“ herausgegeben. Auf zum Teil abenteuerliche Art und Weise wurde die Zeitschrift in die verschiedensten Länder Europas gebracht. Im Jahr 1920 erinnert sich Münzenberg, dass bei einer polizeilichen Vernehmung in Berlin ein Polizeibeamter meinte: „Ach sie sind der berühmte Schmuggler.“ Gemeint war die Lieferung der Zeitung in Tomatengläsern aus der Schweiz, oder unter Bildern von Kaiser Wilhelm nach Deutschland hinein.
Besonders engen Kontakt hatte das Internationale Sozialistische Jugendbüro mit sozialistischen Jugendgruppen in Stuttgart, Berlin und Bremen. Enge Kontakte bestanden auch zu den sozialistischen Jugendorganisationen in Skandinavien, aber auch nach Italien und Frankreich. Die Namen aus der damaligen Zeit spielten oftmals eine wesentliche Rolle bei den späteren Gründungen der kommunistischen Parteien in Europa. Die Freie sozialistische Jugend der Schweiz erreichte mit ihrer antimilitaristischen Propaganda immer grössere Teile der Jugend in der Schweiz. Von wenigen 100 Mitgliedern 1914 stieg die Mitgliedschaft in der schweizer sozialistischen Jugendorganisation auf 5.500 im Jahr 1918. Ähnlich steigerte sich die Mitgliederzahl der mit dem Jugendbüro verbundenen Organisationen in den oben genannten Ländern. Die sozialistische Jugend war später ein wesentlicher Baustein bei der Gründung der Kommunistischen Internationale. Die nachhaltige Wirkung der Oktoberrevolution führte beispielsweise in der Schweiz zu einer Auflagensteigerung der Zeitung „Freie Jugend“ auf 185.000 im Jahr 1918.
Im November 1919 nach der Niederschlagung der deutschen Revolution wurde in Berlin die „Kommunistische Jugend Internationale“ welche sich auf die „Dritte Internationale“ unter der Führung von Lenin und Trotzki bezog, gegründet. Der Gründungsakt war mit allerlei illegalen Kunststücken – wegen der polizeilichen Repression – verbunden. Auf dem Kongress waren Vertreter aus allen wichtigen europäischen Ländern zugegen. Die Leitung der „Kommunistischen Jugend Internationale“ hatte Willi Münzenberg inne. In Deutschland, Italien, Frankreich hatten die sich auf die Kommunistische Internationale bezogenen Jugendverbände jeweils um die 35.000 Mitglieder. Der Mitgliederbestand in der Schweiz blieb im Wesentlichen der gleiche wie 1918, aber nur weil die dort gegründete Kommunistische Partei stark aus Jugendlichen bestand.
Auf dem zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale gab es einen eigenen Tagesordnungspunkt „Arbeit unter der werktätigen Jugend“. In dem Dokument wurde die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Internationale festgeschrieben, aber gleichzeitig eine gewisse Selbstständigkeit der Jugendorganisationen als Notwendigkeit, wegen ihrer spezifischen Aufgaben und Bedürfnisse beschrieben. Viele Mitglieder der KPD kamen aus der sozialistischen Jugend, denn die Konterrevolution 1918 hatte neben Liebknecht und Luxemburg viele erfahrene und ältere Kader des deutschen Marxismus physisch vernichtet. Die Radikalisierung in weiten Teilen der Arbeiterjugend war damals nicht nur in Deutschland ziemlich fortgeschritten.
Das Buch von Münzenberg endet im Jahr 1921. Münzenberg wurde auf Vorschlag Lenins wegen der in Russland bestehenden Hungersnot Leiter der „Internationalen Arbeiter-Hilfe“ (IAH). Das Buch von Willi Münzenberg ist besonders für die heutige sozialistische Arbeit unter der Jugend nützlich und inspirierend. Zudem erfährt man nebenbei viel über die Geschichte der sozialistischen Bewegung in der damaligen Zeit, sowie über Personen wie August Bebel, Karl Liebknecht, aber auch den Schweizer Sozialisten Fritz Platten, welcher die Reise von Lenin – im berühmten Zug – im April 1917 durch Deutschland mit den Vertretern der deutschen Botschaft in Bern aushandelte.
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