Der bedingungslose Abbruch des Landesstreiks führte zu grosser Demoralisierung in der Arbeiterbewegung. Doch die ArbeiterInnen gaben nicht auf. In ihren Reihen herrschten Enttäuschung, Wut und ein ungebrochener Kampfeswillen. Ein beispielhafter Ausdruck dafür ist der Basler Generalstreik.
Freitagmorgen, 1. August 1919, tausende Menschen sind an diesem Tag in den Basler Strassen. Den streikenden ArbeiterInnen aus der Textil-, Maschinen- und Chemieindustrie hatten sich auch Beamte und Staatsangestellte angeschlossen. Wer nicht selber streikte, wurde vom Treiben der Streikenden angezogen. Vor der Burgvogtei in Kleinbasel versammelte sich eine riesige Menschenmenge; streikende ArbeiterInnen, JungsozialistInnen, Mütter und ihre Kinder. Nach kurzer Zeit kreuzten Militärlaster und Polizeiwagen auf. Auf den Lastern sassen Schulter an Schulter «Grenzschutztruppen», freiwillige Berufssoldaten und Offiziere. Jeder Laster war mit einem Maschinengewehr bestückt. Die Menge pfiff und schimpfte bei diesem Anblick. Die Situation eskalierte. Die Soldaten eröffneten das Feuer. Die Maschinengewehre hämmerten in die Massen. Die Menge löste sich schlagartig auf. Einzig und allein der Maurer Franz Wöber blieb auf der Strasse liegen, getötet durch einen Kopfschuss.
Landesstreik und Frustration
In den Kriegsjahren 1914-18 verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse massiv. Steigende Preise, sinkende Löhne, überteuerte Wohnungen, um nur einige der Probleme zu nennen. All diese Nöte verschärften sich noch in der Nachkriegsflaute.
Doch nicht alle Teile der Gesellschaft waren mit prekären Bedingungen konfrontiert. Das Bürgertum profitierte vom Krieg und lebte in unübersehbarem Luxus. Die ArbeiterInnen begriffen: Das Elend war Ausdruck des politischen Willens des Schweizer Bürgertums. Entweder liess die Situation sie gleichgültig oder sie profitierten davon. Das Bürgertum hatte also keinen Anlass etwas zu ändern.
Die Basis der Arbeiterbewegung radikalisierte sich zunehmend und war bereit, weiter zu gehen als ihre Führung in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. Im November 1918 entluden sich diese tiefen sozialen und politischen Spannungen im Landesstreik. Der Entscheid für einen bedingungslosen Streikabbruch war Ausdruck dieses Auseinanderdriftens von Führung und Basis. Die Frustration über die Kapitulation der ArbeiterInnen war riesig, vor allem in Städten wie Basel und Zürich.
Im Frühling 1919 wurde der Leitung des Landesstreiks der Prozess gemacht. Neben Grimm wurde auch der Basler Arbeiterführer Friedrich Schneider zu sechs Monaten Haft verurteilt. Das Urteil gab klar zu verstehen, dass die bürgerliche Herrschaft nicht angetastet werden durfte.
Der Klassenkampf von oben ging weiter
Bis auf einige kurzfristige Konzessionen gewann die Arbeiterklasse im Landesstreik nichts.
Nur die 48-Stunden Woche wurde widerwillig vom Bürgertum gewährt. Doch in den Folgejahren wurde diese wieder zurückgenommen. Die Ausbeutung ging weiter und das Bürgertum behielt seine Profite. Doch der Landesstreik hatte ihm einen Schrecken eingejagt und die Macht der Arbeiterklasse gezeigt.
Um ein erneutes Kräftemessen mit der Arbeiterbewegung zu verhindern, mobilisierte die herrschenden Klasse das Militär. Doch die Armee war eine heterogene Masse. Der Klassenkampf radikalisierte die Arbeiter in der Armee zunehmend. Dem war sich das Bürgertum bewusst. Aus Angst vor meuternden Soldaten hatte der Generalstab während des Landesstreiks nur ausgewählte Truppen eingesetzt, wie z.B. die kleinbürgerlichen Berufsmilitärs oder Regimenter aus aus Bauern.
Eine Klasse rüstet sich
Zur Unterstützung der als «vaterländisch» geltenden Truppen rief die herrschende Klasse Bürgerwehren zur Hilfe – reaktionäre Organisationen bestehend Bürgertum und Kleinbürgertum. Durch ihre sehr homogene Klassenzusammensetzung galten die Bürgerwehren als überaus standfest und effizient im Kampf gegen die revoltierenden ArbeiterInnen. Diese Bürgerwehren wurden gezielt bewaffnet, militarisiert und unter das direkte Kommando der Armeeleitung gestellt. Nebst der Bespitzelung von ArbeiterInnen wurden die Bürgerwehren vor allem eingesetzt um Streikposten zu zerschlagen, Streikbrecher zu schützen und die öffentliche Ordnung aufrecht zuhalten.
Streik in Basel
Dies Begebenheiten führten in Basel zu einer explosiven Mischung, speziell in der Textilindustrie, wo der Druck der KapitalistInnen auf die ArbeiterInnen beispielhaft war. In diesem Industriesektor fanden langwierige Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Industriellen statt. Doch die KapitalistInnen waren nicht bereit einen Schritt auf die ArbeiterInnen zuzugehen. Der Funke für den Generalstreik entsprang in der Auseinandersetzung vom 22. Juli 1919, in der Firma Clave & Lindenmeyer. Infolge einer Arbeiterunruhe in der Färberei reagierten die Patrons mit der Aussperrung und Entlassung der kompletten Belegschaft. Die TextilarbeiterInnen bildeten ein Aktionskomitee und traten in Streik. Am Abend des 30. Juli trafen sich das Aktionskomitee und die Delegierten des Arbeiterbundes. Es wurde der einstimmige Beschluss für den Generalstreik in Basel gefasst – mit Ausnahme des Gas- und Elektrizitätswerks der Stadt. Dort erwiesen sich die Arbeiter als weitaus radikaler als das Streikkomitee und fassten in Eigenregie den Beschluss sich dem Streik anzuschliessen. Die anfänglichen Forderungen der TextilarbeiterInnen wichen immer mehr den allgemeinen Forderungen: Preisabbau, Mindestlohn und Beseitigung der Wohnungsnot.
Streikabbruch
Das Bürgertum stellte sich mit geballter militärischer Repression gegen den Basler Generalstreik. Am 1. August wurden fünf Menschen von der Schweizer Armee erschossen. Die Entlassungen aller am Streik Beteiligten wurden vom Staat unterstützt. So wurde der Arbeiterbewegung innert weniger Tage der Boden unter den Füssen weggezogen, die Streikfront fing an zu bröckeln. Am 7. August beschlossen die Delegierten des Arbeiterbundes mit 155:86 und sieben Enthaltungen den Streikabbruch.
Der Basler Generalstreik endete in einer totalen Niederlage für das Proletariat. Das Bürgertum konnte nicht zu Konzessionen gezwungen werden.
Die Niederlage des Basler Generalstreik ist dem Versagen der Führung der Arbeiterbewegung zuzuschreiben. Die Arbeiterklasse war weiterhin bereit für ihre Interessen zu kämpfen, ganz im Gegenteil zu ihrer Führung. Die führenden Köpfe der Schweizer Arbeiterbewegung hatten keine oder falsche Lehren aus dem Landesstreik gezogen. Sie versäumten es die Arbeiterklasse breit zu organisieren, den Streik in Basel mit anderen Streiks in den Städten Bern und Zürich zu verbinden und somit eine nationale Streikbewegung aufzubauen.
Bereits im Landesstreik 1918 hat sich gezeigt: Der Staat ist nicht neutral und steht auf der Seite des Bürgertums. Es war essentiell die ArbeiterInnen vor Gewaltanwendungen durch den Staat oder durch Bürgerwehren zu schützen. Mittels Arbeiterverteidigungskomitees hätten die geopferten Leben der streikenden ArbeiterInnen verhindert werden können, doch auch dies hat die Führung der Arbeiterbewegung versäumt. All dies wäre jedoch nötig gewesen um eine revolutionäre Situation vorzubereiten und so schlussendlich die Schweizer Arbeiterklasse aus der Unterdrückung zu führen.
M. Nyffeler
Vorstand JUSO Solothurn
Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt.
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