Die russische Revolution 1917 stärkte das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse weltweit. Darunter auch die ArbeiterInnenklasse in Ungarn. Es folgten Streiks und Aufstände der ungarischen Bevölkerung. In dieser Zeit gründeten die ArbeiterInnen bereits Räte, um für ihre Interessen kämpfen zu können.
Die Streiks und Aufstände mündeten in der Ausrufung der bürgerlichen Republik am 25. Oktober 1918 – die österreichisch-ungarische Monarchie war Geschichte. Die Regierung übernahm der Grossgrundbesitzer Mihaily Karolyi, welcher sofort die reformistische Sozialdemokratie (SDP) in die Regierung einband, um die ArbeiterInnenklasse zu beschwichtigen. Deren linker Flügel spaltete sich ab und gründete die kommunistische Partei Ungarns (MKP) im November 1918. Sie erhielt massenhaft Zulauf, gerade weil die Karolyi-Regierung völlig unfähig war, die drängendsten Probleme der Massen zu lösen: Ein sofortiges Kriegsende und die Verbesserung des Lebensstandards der ArbeiterInnen.
Im Winter 1918/1919 erreichte der Klassenkampf einen kritischen Punkt für die Regierung Karolyi. Der Rückschlag an der bulgarischen Front veranlasste tausende Soldaten zu desertieren und sich den Soldatenräten anzuschliessen. Die faktische Macht lag nun in den Händen der ArbeiterInnen- und Soldatenräte. Der resignierte Karolyi trat daraufhin zurück und übergab das Zepter der Regierung an die SDP, welche unter dem Druck der Massen gezwungen war, die kommunistische Partei in die Regierung einzubinden. Die MKP forderte von der SDP die Zustimmung zu ihrem Programm, welches einerseits die Räterepublik, andererseits den Zusammenschluss beider Parteien auf Basis der Räteherrschaft forderte. Die Sozialdemokratie stimmte zu und die Weichen für die Räterepublik waren gestellt. Am 21. März 1919 wurde schliesslich die ungarische Räterepublik ausgerufen. Doch die Zugeständnisse an die SDP überwogen deren tatsächliche Relevanz. Ihr wurden übermässig viele Sitze in der Regierung zugesprochen, elf von insgesamt 13. Die SDP-Minister waren aber keineswegs verlässliche Revolutionäre, und die mangelnde Verpflichtung auf ein klares revolutionäres Programm liess diesen die Tür offen für ihren späteren Verrat. Im Gegensatz zur bürgerlichen Republik, war es den ArbeiterInnen mithilfe der Mitbestimmung in den Arbeiterräten möglich, soziale Bedürfnisse sofort zu befriedigen. Beispielsweise das Bedürfnis nach Wohnraum. Sofort bildete sich eine konterrevolutionäre Armee um Miklos Horthy, und das benachbarte Rumänien ergriff die Gelegenheit, um sich Grenzgebiete unter den Nagel zu reissen. Innerhalb weniger Tage wurde deshalb im Mai 1919 die Rote Armee mit 90’000 Soldaten aus den Reihen der Arbeiter und desertierten Soldaten gebildet.
Doch die Räterepublik war nicht nur von Erfolgen gekennzeichnet. Eine Landreform, welche die Kollektivierung der Landwirtschaftsfläche in Grossbetriebe anstrebte und somit die Situation der Bauern verbessern sollte, tat das genaue Gegenteil. Die Bauern fühlten sich von der Landreform bedroht und schlossen sich massenhaft den konterrevolutionären Truppen an, welche zusammen mit rumänischen Truppen nach Budapest vorrückten. Aufgrund des mangelnden Rückhalts der Bauern kam es auch zur Mangelversorgung in den Städten. Die Räterepublik wurde zunehmend ausgehungert. Gleichzeitig rächte sich das naive Vertrauen der KP in die Sozialdemokratie. Auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs zwangen die Siegermächte Ungarn zu Gebietsabtritten an Rumänien. Unter dem Vorwand, die KP sei nicht fähig zu Verhandlungen, wurde sie von der SDP aus der Regierung geputscht, nur um zwei Wochen später selbst durch die konterrevolutionären Truppen massakriert zu werden. Die junge ungarische KP hatte also zwei entscheidende Fehler begangen: Eine linksradikale Landreform, welche die Bauern abschreckte und sie in die Arme der Reaktion trieb, und gleichzeitig opportunistische Zugeständnisse an eine schwankende, reformistische SDP, welche ihr im entscheidenden Moment in den Rücken fiel. Diese Fehler waren Ausdruck der Unerfahrenheit der MKP. Für uns MarxistInnen ist die Lektion, die wir aus Ungarn lernen können, dass ein politisches Programm vor der Revolution erarbeitet werden muss. Eine revolutionäre Organisation kann nicht inmitten einer revolutionären Situation aus dem Nichts kreiert werden, sondern braucht lange und ausdauernde Aufbauarbeit.
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