Es gibt Momente, in denen auch in den bürgerlichen Medien die „Rechtsstaatlichkeit“ und Vertrauenswürdigkeit der politischen Institutionen in Frage stehen. In den letzten Wochen haben gerade zwei Beispiele gezeigt, dass in den Führungsetagen in den politischen Institutionen der Schweiz ein ähnlicher Bereicherungstrieb vorherrscht, wie man ihn sonst nur in reichlich ausgeschmückten Berichten über die politischen Eliten in Afrika oder Südamerika mitbekommt.
„Wie in einem Selbstbedienungsladen“ titelte der Tagesanzeiger zum Korruptionsskandal in der Steuerverwaltung. Im grossen Stil wurden seit mindestens 2001 Aufträge an mit MitarbeiterInnen verbandelte Unternehmen vergeben. Um die Richtlinien zu umgehen, wurden diese in kleine Miniaufträge aufgespalten. Noch erhellender als diese Tatsachen waren die Reaktionen darauf. Der mittlerweile freigestellte Direktor der Steuerverwaltung und SVP-Mitglied Urs Ursprung beklagte sich beispielsweise in seiner ganzen bürokratischen Arroganz darüber, dass es in der Steuerverwaltung an Know-How zur Umgehung der Vorschriften fehle. Also nicht die Korruption war das Problem, sondern die fehlende Professionalität dabei. Erstaunlich ehrliche Worte eines ehemaligen Chefbeamten des Schweizer Staats.
Der zweite Fall erhielt leider nur wenig Aufmerksamkeit und es wurden nach anfänglichen Berichten keine weiteren mehr publiziert, und es wird wohl auch keine Konsequenzen geben. Das Ausmass und die Dreistigkeit übertreffen den oben beschriebenen Fall aber sogar noch. Die Schweizer Nationalbank (SNB) hat die Bedenken zur Stabilität der CS und der UBS nicht erst am 14. Juni bekannt gegeben, sondern hatte bereits drei Tage vorher einen ausgewählten Kreis darüber informiert. Diese schienen diese Informationen gut zu nutzen gewusst zu haben und schlossen spekulative, oder, da sie die Zukunft bereits kannten, eben genau nicht spekulative Geschäfte mit CS-Papieren ab. Die Rechtfertigung der SNB, dass man nicht gewusst hätte, dass diese Informationen Einfluss auf den Aktienkurs der CS habe werde, ist offensichtlich dreist gelogen. Dumm sind sie ja nicht.
Dies ist die Bananenrepublik-Politik des bürgerlichen Filzes, welche die Schweizer Politik dominiert. Eine Mischung aus Lobbyisten, Bankern und Politikern, die selbst direkt mit mächtigen Wirtschaftskreisen verbandelt sind. Die Bereicherung ihrer selbst und ihrer Kumpanen ist das Ziel. Auch die Schätzungen des Bundesrats für den Bundeshaushalt 2013 sind ganz in diesem Kontext zu sehen. Für 2013 wird ein Minus von 400 Mio. prognostiziert. Dies, obwohl 2012 trotz budgetiertem Minus voraussichtlich ein Plus von ca. 3.6 Mrd. Franken bestehen wird. In den letzten Jahren wurden auf kantonaler und Bundesebene regelmässig viel zu pessimistische Budgets erstellt, um Sparmassnahmen zu rechtfertigen. Nun heisst es vom Bundesrat auch schon wieder, dass man weitere Sparmassnahmen vornehmen müsse. Gleichzeitig, und auch das ist mittlerweile ein bekanntes Spiel des bürgerlichen Filzes, sollen mit der Unternehmenssteuerreform III Steuererleichterungen für Grosskonzerne und Holdinggesellschaften eingeführt werden. Angeblich ging es ja bei der Unternehmenssteuerreform II um die KMU’s und nun sollen auch die Grossen was abbekommen. Real bedeutete die Unternehmenssteuerreform II, wie in Vergangenheit erläutert, bereits Steuererleichterungen vor allem bei Grosskonzernen im Wert von mehreren Mrd. Franken. Gerechtfertigt werden solche Massnahmen stets mit dem Argument, dass es dem Wachstum diene, doch konkret steht die reine Profitgier einer kleinen Schicht von Reichen und Superreichen dahinter. Bezahlt werden diese Geschenke mit Sparmassnahmen in der Bildung, Sozialwesen, usw.
Die SP schaut diesem Treiben zwar nicht immer ganz tatenlos, aber zumindest ratlos zu. Wo waren die Stellungsnahmen der SP zu den Korruptionsskandalen? Wo bleiben die Artikel, die die Zusammenhänge der bürgerlichen Sparpolitik und der Steuergeschenke aufzeigen? Wo bleiben die Aufrufe zum Widerstand und wo bleiben die Mobilisierungen gegen das Treiben des bürgerlichen Filzes? Allzu sehr scheint die Führung der Sozialdemokratie und die Parlamentsfraktion in Ehrfurcht vor dem bürgerlichen Staat und seinen Institutionen erstarrt und auch darin eingebunden zu sein, als dass sie es noch wagt, die Dinge beim Namen zu nennen. Die oben beschriebenen Beispiele sind keine Ausnahmen und es geht auch nicht um Einzeltäter, sondern sie sind Ausdruck des Kapitalismus. Die bürgerliche Klasse, also die Klasse, welche den grössten Teil des Reichtums besitzt und die Wirtschaft kontrolliert, herrscht auch über den bürgerlichen Staat und nutzt ihn für ihre Interessen. Als man auf Tagi-online am 8. Juni lesen konnte: „Es wird Ihnen nicht entgangen sein: Alain Berset ist ein Rechtspolitiker“, hätte spätestens der Punkt erreicht sein müssen, wo sich jedeR SozialdemokratIn fragen sollte: Weshalb beteiligen wir uns eigentlich an diesem Bundesrat? Im Bundesrat wird bürgerliche Politik für Reiche gemacht, und die „SP-Bundesräte“ spielen dabei mit. Alain Berset hat in seinen Interviews zu Managed Care sogar offen gesagt, dass er nun nichts mehr mit der SP zu tun hat. Der Bruch mit der bürgerlichen Regierung ist längst überfällig. Nur so kann die SP eine Alternative zur korrupten bürgerlichen Politik darstellen. Die Dinge beim Namen zu nennen und es auch wieder zu wagen, an staatlichen Institutionen Kritik zu üben, sind wichtige Schritte dazu.
Die Redaktion
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