Die Flüchtlingskrise – so plötzlich sie die Köpfe der EuropäerInnen erreicht hatte – ist längst zur neuen Realität geworden. Es ist gerade mal ein Jahr her, seit das Sinken eines Flüchtlingsboots im Mittelmeer die europäische Öffentlichkeit schockierte. Obwohl diese menschliche Katastrophe schon viel länger Realität war, brauchte es den Tod von 700 Menschen auf einen Schlag, um das Thema ins Rampenlicht zu stellen. Seit dem Sommer hat sich die Situation nun in zuvor undenkbarem Masse zugespitzt und ist seit Monaten Thema Nummer eins. Die Grenzen werden geöffnet, dann wieder geschlossen, die Festung Europa wird eingezäunt und rechtspopulistische Parteien gewinnen in einem Land nach dem anderen an Boden.
Oberflächlich gesehen bewegen sich viele Staaten rapide nach rechts. Diese oberflächliche Analyse von Wahlergebnissen sagt jedoch weniger über die Stärke der Rechten als über die Schwäche der organisierten Linken aus. Zahlreiche Bewegungen, welche wir im letzten Jahr beobachten konnten, zeichnen ein ganz anderes Bild. Die Flüchtlings-„Krise“ hat beispielsweise die Ereignisse des griechischen Sommers komplett aus der öffentlichen Diskussion verdrängt. Die gewaltigen Mobilisierungen in Griechenland rund um das Referendum gegen das Spardiktat der Troika, die Hetzkampagne der bürgerlichen Medien gegen den griechischen Widerstand und letztendlich die skandalöse Kapitulation der Syriza Regierung sind schon fast in Vergessenheit geraten. Obwohl der Verrat der Syriza ein harter Rückschlag für den Kampf gegen die brutale Zerstörung der Lebensgrundlage der GriechInnen war, erwacht der Widerstand gegen die Implementierung der Massnahmen des neuen Memorandums langsam wieder zum Leben. Die Griechischen Massen haben noch lange nicht ihr letztes Wort gesprochen und in einem Jahr wird auch an dieser Front wieder viel geschehen sein.
Die Ereignisse in Griechenland sind aber keinesfalls ein isoliertes Phänomen, sondern, im Gegenteil, Ausdruck eines generellen Prozesses der Radikalisierung der ArbeiterInneklasse in Europa. In Spanien sehen wir wie der Aufstieg von Podemos ungebremst weitergeht, in Portugal wurde nach den Wahlen die rechte Minderheitsregierung abgesetzt. Begleitet von grossen Demonstrationen übernahmen die Sozialisten mit kritischer Unterstützung des Linksblocks und der KP die Regierung. In Grossbritannien verloren vor einem Jahr die Blairisten deutlich die Wahlen, trotz der Verachtung, welche die konservative Regierung um David Cameron in breiten Kreisen erfährt. Die rechtspopulistische UKIP legte dafür deutlich zu. Keine zwei Monate später entstand rund um Jeremy Corbyn ein beispielhaftes Ringen um die Führung der Labourpartei. Hundertausende registrierten sich als Parteimitglieder, um an den Wahlen teilzunehmen. Trotz einer beispiellosen Schmutzkampagne gegen die Person Jeremy Corbyns, geführt durch die bürgerlichen Medien, unterstützt von den Blairisten, wurde dieser mit grosser Mehrheit gewählt. Gleichzeitig verbucht in den USA Bernie Sanders mit sozialistischen Forderungen grosse Erfolge, vor allem bei den Jungen.
In Island stürzten die grössten Demonstrationen in der Geschichte des Landes innerhalb von wenigen Tagen die Regierung, nachdem die Veröffentlichung der Panama Papers die Verstrickungen des Ministerpräsidenten offengelegt hatten. Sogar in Frankreich, wo sich die Sozialistische Regierung komplett diskreditiert hat und dadurch der Front National an der Wahlfront stark an Unterstützung gewonnen hatte, zeichnet sich nun ein ganz anderes Bild ab. Die Demonstrationen der StudentInnen und SchülerInnen gegen Hollandes Arbeitsrechtsreform drohen zu einer gewaltigen Bewegung zu werden. Bereits haben sich nationale Strukturen gebildet und Teile der ArbeiterInnenklasse beginnen sich mit den StudentInnen zu solidarisieren. Die Macht dieser Solidarität haben die französischen ArbeiterInnen 1968 deutlich demonstriert.
Dass diese Bewegungen zumeist weit fortschrittlicher sind als die traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung ist dabei das eigentliche Problem. Es ist nicht die Bevölkerung, die immer mehr nach rechts rückt, sondern die Linke, welche massiv nach rechts gerückt ist, keinen Ausweg aus der Krise aufzeigen kann und damit die Menschen in die Arme der rechten Demagogen treibt.
Genau dies gilt auch für die Schweiz, wo die Entlassungen in der Industrie und Sparmassnahmen auf allen Ebenen die Krise auch hier langsam spürbar machen. Im Dezember haben die ArbeiterInnen, StudentInnen und SchülerInnen in Genf einen grossartigen Kampf gegen diese Angriffe geführt. Aber auch in der Deutschschweiz beginnt sich Widerstand gegen die Sparmassnahmen, vor allem in der Bildung, zu formieren. Die JUSO, die SP und die Gewerkschaften müssen sich an die Spitze dieser Bewegungen stellen und sie unter einem klaren sozialistischen Programm vereinen.
In diesem Sinne wünschen wir unseren Leserinnen und Lesern einen kämpferischen 1. Mai.
Vorwärts zur sozialistischen Revolution!
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