Die ganze Weltwirtschaft, inklusive der Schweiz, steht vor der schlimmsten Krise in der Geschichte des Kapitalismus. Doch diese Krise kommt keinesfalls aus dem Nichts. Was war der Zustand des Schweizer Kapitalismus vor Corona? Und was sind die Perspektiven für die nächsten Wochen und Monate?
Die Zahlen sind bereits nach vier Wochen Coronakrise brutal: 1.3 Millionen eingereichte Gesuche für Kurzarbeit und täglich werden über 2’000 Lohnabhängige entlassen. Hinzu kommen Hunderttausende Temporär-Angestellte, Stundenlohn-ArbeiterInnen und prekäre BetreiberInnen von Kleinstbetrieben. Ein Grossteil der Schweizer Lohnabhängigen steht vor unsicheren Zukunftsaussichten. Sie wissen nicht, ob sie nach der Epidemie wieder oder noch Arbeit haben. Sie wissen nicht, ob ihr Betrieb überleben wird. Die Schweizer Wirtschaft steckt bereits jetzt in ihrer schlimmsten Krise je.
Dies gilt nicht nur für die Schweiz, sondern für die gesamte Weltwirtschaft (siehe die ausführliche Analyse hier). Alle Länder schlittern in eine tiefe Krise und ziehen sich gegenseitig in den Abgrund. Und die Schweiz – als kleines Land mit grosser Abhängigkeit von Export und Import – steht mittendrin in dieser kapitalistischen Abwärtsspirale. Was wir seit einiger Zeit mehrfach analysieren (bspw. hier oder hier), wird nun immer deutlicher: Eine derart tiefe Krise kommt nicht aus dem Nichts!
2008 wurde nie überwunden
Der aktuelle Krisenausbruch ist die Fortsetzung der Wirtschaftskrise von 2008. Die Krise ‘08 wurde nie wirklich überwunden, sondern nur aufgeschoben. Das grosse Problem heute ist, dass die Krisen-Bekämpfungsmittel der Kapitalisten grösstenteils aufgebraucht sind. Dies gilt auch für die Schweiz.
Erstens die hohe Verschuldung: Nach 2008 wurden überall auf der Welt grosse Schulden gemacht, um die Unternehmen und schliesslich auch die Staaten vor dem Bankrott zu retten. Im Jahr 2018 lagen die weltweiten Schulden bei 217 Billionen Dollar oder 327% des Welt-BIPs, der historische Höchststand. Zwar ist die Staatsverschuldung in der Schweiz tief, aber die Unternehmensverschuldung stieg auch hierzulande im letzten Jahrzehnt regelmässig an. Dies bedeutet nun, dass es für die Unternehmen deutlich riskanter wird, heute neue Schulden aufzunehmen. Sie stehen näher an der Zahlungsunfähigkeit.
Zweitens die Rolle Chinas: China war insbesondere nach 2008 der Motor des weltweiten Wirtschaftswachstums. Wie viele Länder hat auch die Schweiz in dieser Zeit sehr enge Handelsbeziehungen mit China entwickelt. So haben sich die Schweizer Exporte nach China seit 2010 vervierfacht. Das heisst, dass der Boom in China für die Schweiz in den letzten 10 Jahren ein wichtiges Krisen-Bekämpfungsmittel war. Dieses Mittel steht nun nicht mehr zur Verfügung, da sich das chinesische Wachstum seit Jahren verlangsamt und jetzt mit Corona völlig eingebrochen ist.
Der Coronavirus ist also nicht der Grund der aktuellen Wirtschaftskrise, sondern der Auslöser. Der Wirtschaftseinbruch während der Epidemie bringt die tiefe Krise des Kapitalismus auf härteste Art und Weise zum Vorschein. Mit den im vergangenen Krisenjahrzehnt benutzten Mittel zur temporären Überwindung der Krise wurde eine noch grössere Krise vorbereitet. Die aktuelle Wirtschaftskrise ist auch in der Schweiz die schlimmste Krise je!
Industrie und Gastronomie im freien Fall
Schauen wir nun die verschiedenen Sektoren der Schweizer Wirtschaft etwas genauer an. Wir beginnen mit der Industrie. In der Industrie (Metall, Maschinen, Chemie, Autoteile, etc.) arbeiten ein Achtel aller Lohnabhängigen der Schweiz. Der Sektor produziert grösstenteils für den Export. Während den letzten Jahren war zwar Wachstum vorhanden, jedoch auf tiefem Niveau. Dieses Wachstum hat sich nun in Luft aufgelöst. Im Jahr 2019 gingen beispielsweise im Maschinenbau und in der Metallindustrie die Aufträge um satte 15% zurück. Grund dafür ist die internationale Wirtschaftslage: Da in China, in Deutschland und in den USA die Wirtschaft zurück geht und weniger investiert wird, haben auch Schweizer Firmen weniger Aufträge.
Die Schweizer Industrie war bereits vor Corona im Abschwung und wird nun frontal getroffen. Tausende Unternehmen haben kaum Reserven und stehen vor dem Bankrott. Wir müssen mit Lohnkürzungen, Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit rechnen. Doch dies wird sich nicht auf einen Sektor beschränken. Die Krise in der Industrie könnte bald auf die Spedition, den Transport und mehrere Dienstleistungsbereiche überspringen.
Die vom Lockdown am härtesten getroffenen Sektoren sind wohl die Gastronomie und der Tourismus. Zusammen machen sie 5% der Gesamtschweizerischen Wertschöpfung aus, beschäftigen 200’000 ArbeiterInnen und haben daher durchaus Gewicht. Die Schliessung aller Betriebe per Verordnung hat die Branche regelrecht niedergeschmettert. Doch der Tourismus und die Gastronomie waren bereits zuvor stark angeschlagen: 65% (!) aller Schweizer Restaurants und Hotels schreiben rote Zahlen. Alle diese Betriebe sind nun existenziell bedroht.
Wenn die Restaurants und Hotels wieder öffnen, werden sich einige Betriebe sicherlich wieder aufrappeln können. Doch der Sektor wird sich keinesfalls normalisieren können. Mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit überall auf der Welt werden die Gästezahlen schrumpfen. Hinzu kommt der starke Franken, der in der Krise erneut aufgewertet wird und insbesondere den Tourismus stark belastet. Wir müssen davon ausgehen, dass während und nach der Coronakrise zahlreiche Betriebe in der Gastronomie und im Tourismus pleite gehen werden. Wie für viele Sektoren gilt: Wegen der langfristigen Krise wird es wohl kein Zurück in die Zeit vor Corona geben.
Die grosse Ausnahme ist die Pharmaindustrie – der grösste Exportsektor und wichtige Kraft des Schweizer Wachstums. Sie wird wohl nicht grundlegend durch die Coronakrise bedroht. Zu gross sind die Reserven, zu mächtig die Monopolposition auf dem Weltmarkt. Es handelt sich vielleicht um den einzigen wirklich stabilen Sektor. Doch diese Stabilität ist beschränkt, denn nur 0.8% der über vier Millionen Lohnabhängigen sind in der Pharma tätig.
Banken
Die Schweizer Banken wurden nach der Finanzkrise von 2008 gezwungen, grössere Reserven anzulegen. Dies wird ihnen ein bisschen Luft verschaffen. Die Banken stehen zwar, doch sie stehen auf dünnem Eis. Durch die hautenge Verknüpfung der Banken auf internationaler Ebene könnte der Bankrott von beispielsweise einer der schwer angeschlagenen italienischen Grossbanken einen heftigen Dominoeffekt auslösen.
Ein zweiter Gefahrenherd für die Schweizer Banken ist die Situation in allen anderen Sektoren. Wie gesagt sind die Schweizer Unternehmen stark verschuldet. Und zwar bei den Banken. Grosse Bankrotte bei den wankenden Industrie- oder Gastronomiebetriebe würden zu grossen Verlusten bei den Banken führen. Eine solche Finanzkrise hätte dann wiederum grosse Auswirkungen auf alle anderen Sektoren.
Wir können das Ausmass der Krise nicht genau voraussagen. Doch das Potenzial einer riesigen Abwärtsspirale ist gross. Alle Wirtschaftszweige sind international und sektoriell miteinander verbunden. Es ist eine tiefe Krise des Weltkapitalismus. Und die Schweiz steckt mittendrin. Alle Sektoren des Schweizer Kapitalismus werden hart getroffen werden.
Rettungspaket: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Das grösste Rettungspaket des Bundes je soll nun den Kapitalismus retten. Die Bundesgelder fliessen einerseits in die Kurzarbeit. Damit werden die Unternehmen davon befreit, die Löhne weiter bezahlen zu müssen. So wird die Explosion der Arbeitslosigkeit zumindest temporär gestoppt werden.
Andererseits garantiert der Bund sogenannte Liquiditätshilfen, das heisst vereinfachte Kredite, damit die Unternehmen auch ohne Umsatz ihre laufenden Kosten decken können. Mit den Liquiditätshilfen sollen schlussendlich vor allem die Banken geschützt werden. Denn die laufenden Kosten der Unternehmen sind neben den Mieten insbesondere die Abzahlung von alten Schulden. Der Bund garantiert den Unternehmen Geld, damit die Unternehmen die Schulden, die sie bei den Banken haben, zurückzahlen können.
Der wichtigste Punkt, den wir bezüglich des Rettungspaketes betonen müssen: Das Rettungspaket heisst, dass auf Zeit gespielt wird. Den Unternehmen wird Zeit gekauft. Es wird gehofft, dass die ganze Coronakrise bald vorbei sei und die Unternehmen wieder Gewinn machen werden.
Doch das ist ein Spiel mit dem Feuer. Es werden immer mehr Firmen Geld vom Bund benötigen. Nach nur einer Woche des Rettungspakets waren über zwei Drittel der Liquiditätshilfen aufgebraucht. Tausende Firmen werden noch dazu kommen. Der Bund wird die Schweizer Unternehmen nicht ewig lange künstlich am Leben erhalten können. Das Rettungspaket schiebt die grossen Probleme des Schweizer Kapitalismus nur auf. Je länger die Krise dauert, je mehr Firmen werden bankrott gehen.
Die Perspektive ist klar: Nach der Epidemie wird sich die Wirtschaft nie wieder auf das Niveau von davor erholen. Aktuell ist die Nachfrage mit dem Lockdown völlig zusammengebrochen. Gleichzeitig trifft Corona auf die langfristige Krise des Kapitalismus. Aufgrund dieser langfristigen Krise wird die Wirtschaft nach Corona nicht einfach wieder auf «Normal» zurückspringen.
Wer bezahlt?
Überall wird weniger Geld vorhanden sein. Viele Firmen werden hochverschuldet sein. Die Arbeitslosigkeit wird zunehmen, womit auch der private Konsum sinken wird. Das ist ein Teufelskreis: Unzählige Firmen werden ihre Waren nicht mehr verkaufen können. Viele Unternehmen müssen über kurz oder lang Pleite gehen. Wir werden in der kommenden Zeit in der Schweiz in vielen Bereichen Lohnkürzungen und Entlassungen sehen.
Der Bundesrat und die Kapitalisten verschieben die Probleme also auf morgen. Doch wir können uns sicher sein, dass morgen die ArbeiterInnen und die Jungen dafür bezahlen müssen. Die Gelder des Rettungspaketes muss der Bund irgendwann wieder herein holen. Dies wird mehrheitlich über Kürzungen in den Ausgaben geschehen. Das Rettungspaket von heute bedeutet grosse Sparmassnahmen von morgen. Sparmassnahmen in der Bildung, in den Sozialleistungen, Kürzungen bei den Renten, vielleicht sogar im Gesundheitswesen, ganz sicher aber bei den Schwächsten, zum Beispiel bei den Flüchtlingen. Die Aussicht ist klar: Die Lohnabhängigen und ihre Familien werden brutal für das Rettungspaket bezahlen müssen.
Perspektiven des Klassenkampfs
Seit 40 Jahren ist der Kapitalismus in der Krise und seit zehn Jahren richtig am Wanken. Das heisst, dass die Arbeiterklasse seit Jahrzehnten angegriffen wird. Seit 30 Jahren stagnieren die verfügbaren Löhne in der Schweiz. Wir sind heute die erste Generation, der es schlechter geht als unseren Eltern. 700’000 Menschen in der Schweiz leben in Armut. 25% aller Haushalte könnten eine unerwartete Rechnung von 2’500 Franken nicht bezahlen. Ein Grossteil aller Familien in der Schweiz lebt von Lohn zu Lohn.
Dies ist die Situation der Schweizer Arbeiterklasse vor der aktuellen Wirtschaftskrise. Bereits in den letzten Jahren hat sich eine beträchtliche Unzufriedenheit angesammelt. Irgendwann muss sich diese Unzufriedenheit entladen. Die Lohnabhängigen und die Jugend weltweit und in der Schweiz werden sich weitere Angriffe auf ihre Lebensbedingungen immer weniger gefallen lassen. Zahlreiche Menschen werden sich zur Wehr setzen: gegen die Entlassungen, gegen die Lohnkürzungen, gegen die Sparmassnahmen. Dieser Kampf hat bereits begonnen. Die aktuellen Kämpfe auf den Baustellen, die riesige Solidaritätsarbeit in den Quartieren, alle politischen Diskussionen im Betrieb oder im Internet, das alles sind die Vorläufer der grossen kommenden Kämpfe.
Die Coronakrise eröffnet eine neue Periode im Schweizer Klassenkampf. Das vergangene Jahr war auch in der Schweiz von den Massenmobiliserungen um den Klima- und Frauenstreik geprägt. Die allgemeine Unzufriedenheit hat bereits begonnen, sich in grossen Bewegungen auszudrücken. Mit der nun völlig veränderten politischen und wirtschaftlichen Situation werden weitere grosse Bewusstseinssprünge folgen.
Es werden weitere Kämpfe und Mobilisierungen kommen, und zwar genau weil die Probleme des Kapitalismus nur aufgeschoben wurden. Zahlreiche ArbeiterInnen und Junge werden aus der politischen Passivität gezogen und auf die politische Bühne geworfen werden. Sie werden nach Wegen suchen, um für ihre Lebensbedingungen einzustehen. Antworten, die vor ein paar Wochen «zu extrem» schienen, werden nun in den neuen extremen Bedingungen viel greifbarer.
Es ist jetzt die Zeit, sich zu organisieren. Wir müssen jetzt eine revolutionäre Organisation aufbauen. Eine Organisation, die im aktuellen Chaos einen kühlen Kopf bewahrt, klare Analysen und die richtigen Perspektiven aufstellt. Eine Organisation, die in den bestehenden Massenorganisation für revolutionäre Positionen kämpft. Denn der Kampf für den Bruch mit dem Kapitalismus ist heute der einzige Weg, um nachhaltig gute Lebensbedingungen zu garantieren. Tritt dem Funke bei! Mach bei unseren momentan online stattfindenden Diskussionen mit! Hilf, eine revolutionäre Organisation aufzubauen!
Für die Redaktion
Dersu Heri
Bild: cc Elias «eko» Kopf flickr (CC BY-NC-ND 2.0)
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