Seit Jahrmilliarden entstehen und zerfallen Elemente, bilden sich Planeten und entfaltet sich Leben in den vielfältigsten Formen. In diesen Entwicklungsprozess der Materie reiht sich der Kampf für den Kommunismus ein. Um in die Geschichte einzugreifen, müssen wir diesen Prozess verstehen und uns darin verorten. 

Gestützt auf die moderne Naturwissenschaft zieht der Marxismus deswegen aus diesem langen Blick auf die Geschichte eine mächtige Waffe: die Philosophie der materialistischen Dialektik. Die Kernaussage der Dialektik: Alles entwickelt sich; alles, was ist, ist so geworden, und alles, was ist, vergeht. Ob Kontinent oder Ozean, Zelle oder Bakterium, Mensch oder Gesellschaftsformation: Nichts ist ewig, sondern Teil eines gewaltigen Prozesses des Entstehens und Vergehens.

Das Leben der Sterne

Selbst die Sterne, die seit Jahrmilliarden unseren Nachthimmel zieren, sind nichts Ewiges. Sie entstehen in gewaltigen Gas- und Staubwolken. Durch die Gravitation werden diese Wolken immer weiter in sich zusammengezogen, bis Temperatur und Druck einen kritischen Punkt erreichen, an dem die Kernfusion gezündet wird. Ein Gleichgewicht entsteht: Die Gravitation presst die Materie weiter zusammen, die Kernfusion drückt sie nach aussen. Ein Stern ist geboren. Seine Starrheit ist Ausdruck des unter der Oberfläche tobenden Kampfes widersprüchlicher Kräfte. 

Es mag so wirken, als würde im Kampf dieser beiden Kräfte nicht viel geschehen, als wären Sterne ewig. Doch in etwa sechs Milliarden Jahren wird die Wasserstoffmenge im Kern unserer Sonne unter einen kritischen Wert fallen — der Kernfusion geht der nukleare Brennstoff aus. Das Gleichgewicht der beiden Kräfte wird zusammenbrechen, die Sonne explosionsartig wachsen, dabei eventuell sogar die Erde verschlingen und schliesslich absterben. Selbst die Sterne sind Teil des Prozesses unendlichen Entstehens und Vergehens. Jede Ruhe und jedes Gleichgewicht, und hält es noch so lange an, ist nur temporär — es ist die Ruhe vor dem Sturm.

Die Materie eines gestorbenen Sterns kann erneut eine Gas- und Staubwolke bilden. Doch diese unterscheidet sich in ihrer Zusammensetzung von der alten Wolke, denn die Kernfusion schmiedet im Herzen der Sterne schwerere, komplexere Elemente wie Sauerstoff aus Helium. Der Sternenstaub ist in ständiger Wiederverwertung und Neukonfiguration die Basis für alles, was ist. Er entwickelt sich in langen Phasen des Gleichgewichts (sei es als Stern oder als Wolke) und in den sprunghaften Übergängen dazwischen. Dies ermöglichte zunehmend fortgeschrittenere Formen der Materie – bis hin zur Entstehung unseres Sonnensystems und den Grundbausteinen des Lebens wie Kohlenstoff.

Die Entwicklung des Lebens

Unsere Erde formierte sich vor 4,5 Milliarden Jahren als glühender Magmaball. Durch ihr Abkühlen entstanden eine stabile Kruste, Plattentektonik und sintflutartiger Regen, der die Urmeere auffüllte. Durch das Zusammenwirken dieser Faktoren begann vor 3,5 Milliarden Jahren der Prozess des Lebens; mutmasslich in Unterwasserkratern, sogenannten white oder black smokers.

Dieser Sprung von toter zu lebendiger Materie leitete den dialektischen Prozess der biologischen Evolution ein, durch den sich das Leben aus seiner Urform auf immer fantastischere Höhen der Schönheit, Vielfalt und Komplexität schwang.

Jedes Tier und jede Pflanze verändert sich ständig durch Zellteilung und -erneuerung. Mehr noch: Wie Darwin zeigte, sind selbst Tier- und Pflanzenarten weder ewig noch starr. Von Generation zu Generation gibt es kleine, zufällige Veränderungen. So kann der Hals einer Giraffe ein wenig länger sein als der Hals einer anderen. Doch dies sind nur quantitative Unterschiede; es bleiben beides Giraffen. Unter gewissen Umweltbedingungen kann ein längerer Hals jedoch von Vorteil sein, weil man damit mehr Blätter erreicht. Unter diesem Druck der Umgebung setzen sich Giraffen mit längerem Hals durch. Aus Zufall wird Notwendigkeit. Die kleinen, quantitativen Unterschiede häufen sich, bis Quantität in Qualität umschlägt: Die Giraffe kann sich nicht mehr mit dem Okapi, der Kurzhalsgiraffe, paaren. Neue Tierarten sind entstanden.

Die Entwicklung der Spezies verläuft nicht geradlinig. Die längste Zeit sind Flora, Fauna, Klima und Atmosphäre relativ harmonisch aufeinander abgestimmt. Die Natur befindet sich in einem Gleichgewicht. Bis dieses schlagartig durchbrochen wird. Bei mindestens fünf grossen Massenaussterben verschwanden jeweils über 70 % des damals existierenden Lebens. Doch genau aus diesem Chaos erhoben sich besser angepasste, komplexere Lebensformen. Neue Spezies entfalteten sich in gewaltigen biologischen Explosionen, wie beispielsweise der kambrischen. Ein Gleichgewicht auf höherer Ebene pendelte sich ein. So leitete das Aussterben der Dinosaurier den Aufstieg der Säugetiere und damit der höchstentwickelten Spezies je ein: jener des Menschen.

Die Geburt des Menschen

Vor etwa 14 – 7 Millionen Jahren änderte sich das Klima auf der Erde. Der daraus folgende Rückgang des Waldes zwang einen Teil der Proto-Menschenaffen zum Leben auf offenen Ebenen. Um weiter sehen zu können, war dort ein aufrechter Gang vorteilhaft. So erhob sich der Mensch; wortwörtlich wie auch welthistorisch. Denn der aufrechte Gang befreite die Hand des Menschen. Dieser ergriff die Gelegenheit mit beiden freien Händen und machte sich an die Arbeit. Er schuf Werkzeuge, Lebensmittel — und damit umgekehrt sich selbst. 

Durch die zunehmend komplexere Arbeit entwickelte sich das Gehirn, was rückwirkend noch komplexere Tätigkeiten ermöglichte. An einem gewissen Punkt entstand mit und durch die Arbeit die Sprache. Sie war möglich geworden, weil der aufrechte Gang den Stimmapparat und die Arbeit das Hirn ausgebildet hatten. Nötig wurde sie, um die immer komplexer werdenden Anforderungen gemeinschaftlicher Arbeit zu bewältigen. So begannen die Menschen miteinander zu sprechen und zu denken. Damit wurde sich die Materie mit dem Menschen erstmals ihrer selbst bewusst.

Das Denken ist also ein Kind der Materie. Daraus folgt der philosophische Materialismus: Das Verständnis, dass Materie primär ist und das Sein das Bewusstsein bestimmt. Konsequente Dialektik ist materialistisch, «weil ihre Wurzeln weder im Himmel noch in den Tiefen unseres ‹freien Willens› liegen, sondern in der objektiven Wirklichkeit der Natur», wie Trotzki festhielt.

Was sehen wir in der objektiven Wirklichkeit dieser Natur? Nichts ist ewig, alles entwickelt sich. Wie Heraklit zusammenfasste: «Alles fliesst» — aber nicht ausserhalb seines Flussbetts, wie Trotzki hinzufügte. In diesem ewigen Prozess der sich entwickelnden Materie treten temporär erstarrte Formen wie Sterne oder Tierarten auf. Bis diese festgeronnenen Formen mit der Weiterentwicklung der Materie in Widerspruch geraten. Es kommt zum Knall, zur Explosion. Schliesslich wird das alte Flussbett weggesprengt und der Fluss der Geschichte fliesst weiter, indem er sich neue, höhere Formen schafft, die der inneren Entwicklung der Materie nunmehr besser entsprechen und sie befruchten; vom Leben der Sterne, über die Entstehung des Menschen, hin zu immer noch fantastischeren Landen.

Die Dialektik der Gesellschaft

Menschliches Gehirn und Bewusstsein sind Produkte der Entwicklung der Materie – und umgekehrt Werkzeuge zur Erkenntnis dieser Materie. Genau darin besteht der historische Fortschritt in der Menschheitsgeschichte: im zunehmenden Verständnis der Naturgesetze und seiner technischen Anwendung zur effizienteren und umfassenderen Befriedigung unserer Bedürfnisse – sprich  in der gesteigerten Kontrolle des Menschen über die Natur.

In diesem Prozess organisieren sich die Menschen in Gesellschaftsformationen. Diese beruhen jeweils auf einem gewissen Stand der Naturbeherrschung. Egal wie stabil eine solche Form wirken mag: Früher oder später entspricht die Gesellschaftsformation nicht mehr der inzwischen erhöhten Naturbeherrschung. Sie wird vom Motor zum Hindernis für den Fortschritt der Menschheit. Dann spitzen sich unter der Oberfläche die Widersprüche zu, bis es zur Explosion, d.h. Revolution kommt. Revolutionen sind also weder Zu- noch Unfall. Im Gegenteil: Sie sind eine historische Notwendigkeit und ein entscheidendes Moment im Prozess, durch den sich der Mensch von einer Spezies, die blind der Natur ausgeliefert war, zum Schöpfer von Antibiotika, Gentechnik und künstlicher Intelligenz hochgearbeitet hat.

Es ist kein Zufall, dass wir in der Gesellschaft dieselben Entwicklungsgesetze finden wie in der Natur. Der Mensch und die Gesellschaft mögen besondere Teile der Welt sein, die sorgfältig untersucht werden müssen. Aber sie sind dennoch ein Teil der Welt und gehorchen deswegen denselben allgemeinen Gesetzmässigkeiten. Das bedeutet insbesondere: Nichts ist ewig, auch keine Gesellschaftsformation. Weder Feudalismus noch Sklavenhaltergesellschaft waren es und auch der Kapitalismus wird es nicht sein. 

Krieg, Klimawandel und Zusammenbruch der alten, liberalen Weltordnung beweisen: Der Kapitalismus ist längst eine Fessel für den Fortschritt geworden. Deswegen steht uns eine Periode der Revolution und Konterrevolution bevor. Wie bei der Sonne wird sich schliesslich eine der beiden widersprüchlichen Kräfte durchsetzen müssen: entweder die der Barbarei oder die des Kommunismus.

Der Kampf für den Kommunismus

Unser Kampf reiht sich in diesen gesamten historischen Prozess ein. Der Kommunismus ist das nächste Glied der unendlichen Kette, die über die Entstehung der Sterne bis zum modernen Menschen führte. Mit ihm erhebt sich der Mensch endgültig aus dem Tierreich. Indem er zum Herrn seiner eigenen Gesellschaft wird, die er bewusst und planmässig auf die Erfüllung seiner Bedürfnisse ausrichtet, wird  der Mensch zum ersten Mal wirklich Herr der Natur. 

Aber der Kommunismus setzt sich nicht von alleine durch. Eine alte Klasse von Kapitalisten stemmt sich zum Erhalt ihrer Privilegien und unserer Ausbeutung dagegen. Es ist die historische Pflicht und das Privileg der Arbeiterklasse, mit den Marxisten an ihrer vordersten Front, den Kommunismus zu erringen und so der Kette des Fortschritts die nächste Perle hinzuzufügen.

Indem er sich auf ein Verständnis dieses gesamten historischen Prozesses stützt, weist uns der Marxismus im Befreiungskampf der Menschheit und der Materie im Allgemeinen unseren Platz zu. Damit ist er unsere mächtigste Waffe. Denn während der alte Boden unter unseren Füssen zusammenbricht, ermöglicht uns dieses Verständnis, nicht gegen den Strom der Geschichte zu schwimmen, sondern dessen allmächtige Kraft zu nutzen, um neue historische Ufer zu erreichen.  


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