US-Präsident Joe Biden präsentiert staatliche Investitionspläne in Billionenhöhe. Was steckt dahinter?
Mit symbolischen Gesten und 6000 Milliarden Dollar will Joe Biden, der 46. Präsident der USA, die Krise seines Landes lösen. SozialistInnen tun gut daran, genau hinzuschauen. Biden plant die bedeutendsten staatlichen Investitionen in die Wirtschaft seit Jahrzehnten. Das markiert einen Strategiewechsel in der bürgerlichen Krisenpolitik.
Das kapitalistische System ist ökonomisch, sozial und politisch am Anschlag. Insbesondere in den Vereinigten Staaten. Die staatlichen Milliarden sollen die Wirtschaft stimulieren, das Elend lindern und die amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter besänftigen. Wie lange das klappt, ist noch offen.
Der «Build Back Better Plan» besteht aus drei Programmen. Davon ist bislang nur das COVID-19 Hilfspaket über 1,9 Billionen Dollar in Kraft getreten. Davon profitierten Unternehmen, Schulen und das Gesundheitssystem. Zudem erhielt jedeR ArbeiterIn einmalig 1400 Dollar und das Arbeitslosengeld wurde um 300 Dollar in der Woche erhöht. Im Wahlkampf versprach Joe Biden noch 2000 Dollar.
Der «Families Plan» sieht Ausgaben von 1,8 Billionen Dollar vor. Kleinkinderbetreuung und höhere Bildung sollen erschwinglicher werden und Familien werden mit einem Kindergeld und günstigeren Krankenkassenprämien subventioniert.
Der geplante «Jobs Plan» umfasst Investitionen in die Infrastruktur von 2 Billionen Dollar, über acht Jahre. Für das Transportwesen (Strassen, Brücken, Flughäfen) sind 621 Milliarden Dollar vorgesehen. 650 Milliarden Dollar würden Hausrenovationen, Schulen sowie die Wasser-, Strom- und Breitbandnetzwerke unterstützen. Der Pflegesektor erhält 400 Milliarden. 480 Milliarden gehen in die Forschung und Produktion, mit Fokus auf die Bekämpfung des Klimawandels.
Die KapitalistInnen erhalten staatliche Aufträge und verbesserte Infrastruktur, während die soziale Not der ArbeiterInnen gelindert wird und es mehr Arbeitsplätze gibt. Es ist kein Wunder, dass Liberale und SozialdemokratInnen begeistert applaudieren. Seit Generationen sah die USA keine vergleichbaren Investitionen, warum gerade jetzt?
Joe Biden war in seiner 40-jährigen politischen Karriere sehr sensibel für die Interessen der herrschenden Klasse und ist ihr stets zu Diensten. Das hat sich nicht über Nacht geändert. Erhöhte staatliche Ausgaben sollen dem angeschlagenen Kapitalismus wieder auf die Beine helfen und den Klassenkampf beruhigen.
Die amerikanische Wirtschaft ist völlig verschuldet und marode. Die Infrastruktur verlottert seit Jahrzehnten. Die Corona-Krise hat sie hart getroffen und der Staat musste viel Geld verleihen, um einen vollständigen Kollaps zu vermeiden. 35 Millionen Menschen wurden arbeitslos und verloren dabei meist ihre Krankenversicherung. Als ob Armut und Ungleichheit nicht genug wären, mordet die rassistische Polizei auf offener Strasse.
Die herrschende Klasse hat in den letzten Jahren stark an Legitimität eingebüsst. Die Wut auf die Wirtschaftsbosse und korrupten Politiker wegen Armut und Ungleichheit nimmt zu. In Trumps Politik wurde die Fäulnis des «Establishment» offensichtlich. Die ArbeiterInnen begannen sich zu mobilisieren. Letztes Jahr protestierten 25 Millionen Menschen gegen die rassistische Polizeigewalt. Der Klassenkampf geht in eine intensive Phase über, auch mit mehr Arbeitskämpfen. 69% der US-AmerikanerInnen unterstützen jetzt Gewerkschaften, im Jahr 2014 waren es noch 50%.
Joe Biden will den Sturz des Kapitalismus in den USA um jeden Preis verhindern. Er unterstützt Militär- und Polizeigewalt, kennt aber deren Grenzen. Um die soziale Lage zu beruhigen und die Legitimität des Systems wiederherzustellen, befürwortet Biden minimale Reformen. Um den KapitalistInnen Aufträge zu verschaffen, befürwortet Biden Staatsausgaben. Diese Politik heisst Keynesianismus. Mit sozialistischer Politik hat sie nichts zu tun.
Die Ausgestaltung der «Families» und «Jobs» Programme bleiben nebulös. Bislang bleiben sie Versprechen. Das Parlament könnte sie noch merklich abspecken. Mehrjährigen Pläne werden zudem oft im Nachhinein abgebrochen oder reduziert. Angenommen, Bidens Pläne werden vollumfänglich verwirklicht, werden sie ausreichen?
Das Ausgabenprogramm ist gigantisch. Die Probleme des US-Kapitalismus sind grösser. Der Zustupf von 1400 Dollar pro Person ist nützlich. Angesichts der seit Jahrzehnten stagnierenden Löhnen aber nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Dasselbe gilt für die Bekämpfung des Klimawandels: Es bräuchte das Zehnfache der von Biden vorgeschlagenen Summe.
Staatliche Investitionen stimulieren die Wirtschaft. Der Effekt ist immer oberflächlich und zeitlich beschränkt. Das zeigen die historischen Beispiele. Der amerikanische «New Deal» ab 1933 war eine Reaktion auf die Grosse Depression und die starke Arbeiterbewegung. Mit viel Geld schuf Präsident Roosevelt eine künstliche soziale und wirtschaftliche Stabilität. Nach fünf Jahren brach die Wirtschaft erneut zusammen. Auf Druck der KapitalistInnen wurden die staatlichen Ausgaben wieder gekürzt. Die ökonomische Krise war zu tiefgehend.
Bidens keynesianistisches Programm wird die Krise der US-Wirtschaft nicht lösen können. Zur Finanzierung wird sich der amerikanische Staat weiter verschulden müssen. Das Problem wird damit lediglich in die Zukunft verschoben, ohne die Ursachen auch nur zu anzutasten. Die wirtschaftliche Konjunktur wird erneut einbrechen. Wer kommt dann für die gemachten Schulden auf?
Die Finanzierung ist bislang ungesichert. Joe Biden schlägt vor, den Spitzensteuersatz (Einkommen über 400’000 Dollar) von 37 % auf 39,6 % zu erhöhen. Damit würde Trumps Steuersenkung von 2017 zurückgenommen. Zudem will Biden die Unternehmenssteuern von 21 auf 28% heben, um das Geld aufzutreiben. Um ihr System zu stabilisieren, sollen also die KapitalistInnen etwas abgeben müssen.
Vom Politico-Magazin befragte CEOs sind aber zuversichtlich, dass die Steuerpläne im Parlament verhindert werden können. Alternativ werden die Schulden mittels Inflation und Sparpolitik auf die arbeitende Klasse abgewälzt. Das ist inakzeptabel.
Wenn die KapitalistInnen bezahlen, werden ihre Profite beeinträchtigt. Das drückt wiederum auf die Konjunktur. Wenn die ArbeiterInnen bezahlen, geht erstens die Nachfrage zurück. Das drückt auch auf die Konjunktur. Und zweitens steigt der Unmut der ArbeiterInnen. Das zerstört die politische Stabilität, die sich Biden mit den Plänen erkaufen will. So oder so: Das staatliche Ausgabenprogramm ist keine Lösung für die Krise des Kapitalismus. Es ist ein Spiel auf Zeit.
Das amerikanische Establishment steht mit dem Rücken zur Wand. Ihre Wirtschaft stagniert und das System steckt in einer Legitimitätskrise. Mit umfangreichen Investitionsprogrammen und einer progressiven Rhetorik will Joe Biden das Ansehen des US-Kapitalismus reparieren. Wird es gelingen?
Biden ist kein Hoffnungsträger wie es Barack Obama war. Biden wird aber als Fortschritt im Vergleich zu Donald Trump wahrgenommen. Reformen und staatliche Investitionen werden in der Arbeiterklasse einige Illusionen schüren und Teile der Klasse etwas besänftigen. Die herrschenden Klasse erhält dadurch kostbare Zeit.
Die fundamentalen Problem des Systems bleiben ungelöst. Die Wut der amerikanischen ArbeiterInnen richtet sich früher oder später gegen Bidens Regierung. Die amerikanischen SozialistInnen stehen vor der Herausforderung eine ArbeiterInnenpartei zu schaffen, welche die Bewegung zum Sieg des Sozialismus führen. Andernfalls ist erneut Donald Trump am Zug.
Lukas Nyffeler
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