Unter dem Eindruck der Krise machen sich barbarische Lebensbedingungen breit. Doch die Troika (EU, EZB und IWF) fordern immer mehr Opfer von der Bevölkerung. Von Stamatis Karayannopoulos in Athen.
Griechenland steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Depression. Seit fünf Jahren schrumpft die Wirtschaft. Reihenweise schliessen Geschäfte, weil die Menschen gezwungen sind den Gürtel enger zu schnallen, um überleben zu können. Auf den Strassen sind man immer häufiger Arme, die im Müll nach Essensresten suchen. Die Zahl der Obdachlosen nimmt stetig zu, darunter sind auch Menschen, die vor kurzem noch zum „Mittelstand“ zählten.
Die Sozial- und Gesundheitsdienste stehen vor dem Zusammenbruch, weil es hinten und vorne an Geld fehlt. Wer arbeitslos wird, verliert auch seinen Krankenversicherungsanspruch. Eltern lassen oft ihre Kinder nicht mehr impfen, weil sie den Impfstoff nicht mehr bezahlen können.
Das jüngste Sparpaket wird dieses Leid nur noch verschärfen. Die Durchschnittslöhne werden durch diese Massnahmen um rund ein Viertel sinken. Bei jungen ArbeitnehmerInnen ist es noch mehr. Weitere Einkommensverluste in der Höhe von 10 bis 20% gibt es für Polizeioffiziere, ÄrztInnen, usw. Im Gesundheitswesen werden noch einmal 50 Mio. € und bei den Pensionen 75 Mio. € gekürzt. Trotz all dieser Opfer scheint eine Staatspleite unabwendbar. Die EU ist nur unter strengen Auflagen bereit, Griechenland weitere Finanzmittel zu gewähren.
Griechenland muss bis 2013 seine Verfassung dahingehend ändern, dass die Rückzahlung der Schulden als oberste nationale Priorität anerkannt wird. Ausserdem soll ein Spezialkonto eingerichtet werden, wo der griechische Staat die Gelder für die Refinanzierung der Staatsanleihen und die Zinszahlungen für das jeweils nächste Quartal bereits deponieren muss. Diese Zahlungen haben auf alle Fälle Vorrang gegenüber den Ausgaben für Pensionen, Schulen, Spitäler usw. Griechenland muss akzeptieren, dass die EU Kommissare in alle Schlüsselministerien entsendet, egal wie die künftige Regierung sich zusammensetzen wird. Griechenland muss ausserdem seinen Gläubigern stärkere Garantien im Fall einer Staatspleite bieten. Die Banken stimmten einem deutlichen Haircut (53,5% bzw. 107 Mrd. €) nur zu, weil in Zukunft die Rückzahlung von Staatsanleihen dadurch gesichert werden soll, dass Gläubiger im Notfall ein Stück von den verbliebenen Vermögenswerten des griechischen Staates erhalten. Diese Fälle sollen von nun an der englischen Rechtssprechung unterliegen! Damit würde der letzte Rest von „staatlicher Souveränität“ beseitigt werden. Die von der Troika nun zur Verfügung gestellten Gelder sind nicht dafür gedacht „das Land zu retten“, sondern gehen direkt an die Gläubiger.
Das Geld des „Hilfspakets“ soll erst nach den Wahlen im April ausbezahlt werden, damit sichergestellt ist, dass auch die kommende Regierung die Politik der Troika willfährig unterstützt. Das kommt einer offenen Erpressung der griechischen Bevölkerung gleich! Doch die Idee, dass Griechenland aus dem Euro ausscheiden soll, gewinnt immer mehr Fürsprecher in der europäischen Bourgeoisie, vor allem in Deutschland und seinen Satelliten (Niederlande, Finnland, Österreich), die den „Rettungsschirm“ finanzieren müssen.
Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass die von der Troika erzwungenen harten Sparmassnahmen der wichtigste Faktor sind, warum Griechenland nicht aus der wirtschaftlichen Depression kommt und so die Staatsschuldenquote weiter steigt. 2009 lag diese bei 113%, derzeit liegt sie bei 160% (!). Je mehr gekürzt wird, desto weniger Einnahmen hat der Staat und desto geringer fällt das BIP aus – und folglich steigt die Staatsschuldenquote in Relation dazu. Aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit sinken die Einnahmen der Sozialversicherung um weitere 2 Mrd. €. Auch 2012 wird die Wirtschaft neuerlich um 7% schrumpfen. Wie soll Griechenland angesichts dieser Faktenlage einer Staatspleite entkommen?
Selbst die 130 Mrd. € des neuen „Hilfspakets“ sind nicht für öffentliche Ausgaben wie Pensionen, Gehälter im öffentlichen Dienst, Gesundheitssystem oder Bildung gedacht. Die ganze Betrag soll direkt an Banken fliessen: 39 Mrd. € für griechische Banken, 30 Mrd. € für ausländische Banken und der Rest soll für die Deckung von Rückzahlungen auslaufender griechischer Anleihen verwendet werden.
Griechenland bewegt sich sehr schnell in Richtung eines Zusammenbruchs der Wirtschaft. Schon jetzt gibt es Berechnungen, wonach der griechische Staat ab Juni kein Geld mehr haben wird, um die Pensionen zu zahlen. Dann müssten die Pensionen um 30 bis 40% gekürzt werden! Solche Massnahmen werden eine soziale Revolution entfachen.
Der zunehmende Druck vor allem von Seiten Deutschlands hat auch in der griechischen Bourgeoisie zu einem Stimmungsumschwung geführt, der sich in nationalistischer Kritik an Berlin ausdrückt. Karatzaferis, der Führer der rechtsextremen LAOS, begründete das Ausscheiden seiner Partei aus der „Regierung der nationalen Einheit“ von Papademos öffentlich damit, dass Merkels Griechenlandpolitik „die Voraussetzungen für eine Revolution schafft“. Mit seiner antideutschen Rhetorik will er auch Stimmen zurückholen, die zur offen neofaschistischen Partei „Chrysi Avgi“ („Goldenes Morgengrauen”) gewandert sind.
Alle Parteien, die bisher Teil der Regierung waren, verlieren laut Umfragen massiv an Unterstützung. Premierminister Papademos selbst wird von 80% als Erfüllungsgehilfe der Banken gesehen. Die PASOK liegt nur noch bei 8-9% der Stimmen, ihr droht die völlige Spaltung. 22 PASOK-Abgeordnete stimmten gegen das letzte Sparpaket und wurden umgehend ausgeschlossen, darunter zwei Kandidaten für den Parteivorsitz nachdem Ex-Premier Papandreou seinen Rücktritt anbot.
Das bedeutet, dass die bisherigen Regierungsparteien nach der Wahl unter Umständen nicht mehr über genügend Mandate verfügen, um die künftige Regierung bilden zu können. Dies erklärt auch, warum derzeit die Demokratische Linke, eine rechte Abspaltung von der Linkspartei Synaspismos, derzeit öffentlich sehr viel Präsenz bekommt. Ihr Vorsitzender Kouvelis wird so als potentieller Koalitionspartner umgarnt und soll dann als linkes Feigenblatt für die Sparpolitik herhalten.
Eigentlich sollten die Wahlen im April stattfinden, aber es gibt immer wieder Gespräche diesen Urnengang nach hinten zu verschieben. Die Sorge der Troika ist, dass die linken Parteien als stärkste Kraft aus diesen Wahlen hervorgehen und dann nicht bereit sind das Spardiktat zu befolgen. Als mögliche Option wird auch die Einsetzung einer reinen „Expertenregierung“ nach italienischem Vorbild gesehen. Je später die Wahlen aber stattfinden, desto stärker werden auch die linken Parteien.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen fordern die Menschen möglichst schnelle Wahlen. Mit dem Stimmzettel wollen sie die Bande, die an der Regierung das Geschäft der Banken macht, endlich vertreiben. Sollten die Wahlen weiter verschoben werden, kann dies das Fass zum Überlaufen bringen und einen spontanen Aufstand auslösen. Die Gewerkschaften und die Linksparteien sollten jetzt die Forderung nach sofortigen Neuwahlen mit grossem Nachdruck erheben. Wenn die Bürgerlichen die Wahlen weiter hinauszögern wollen, dann kann es nur eine Antwort geben: Die Organisierung eines unbefristeten Generalstreiks! Gleichzeitig braucht es eine starke internationale Solidaritätskampagne der europäischen ArbeiterInnenbewegung gegen die Plünderung und Unterwerfung Griechenlands.
Wir unterstützen die Forderung nach Wahlen unter diesen Umständen, aber nicht weil wir die Hoffnung haben, diese Wahlen könnten per se etwas verändern. Wenn die Wahlen stattfinden, dann können wir uns schon jetzt auf eine einzigartige Propagandalawine einstellen, mit der die Linke dämonisiert werden soll, weil eine linke Mehrheit gleichbedeutend sei mit einer sofortigen Staatspleite und dem Zusammenbruch der Wirtschaft. Da die Linke auch keine wirkliche Alternative bislang anzubieten wusste, könnte diese Rechnung auch aufgehen, womit am Ende des Tages irgendeine schwache bürgerliche Regierung zustande kommen könnte. Die politische Instabilität würde damit aber eine neue Dimension erreichen. Die Aufgabe dieser Regierung wäre es, das Ausscheiden aus dem Euro und die Wiedereinführung der Drachma vorzubereiten. Dies würde eine sofortige Abwertung der Währung zur Folge haben. Die Bürgerlichen würden dies als temporäres Mittel zur „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ Griechenlands darstellen, in Wirklichkeit würde es die wirtschaftliche Depression nur verlängern. Viele Unternehmen würden dann Bankrott gehen. Die Arbeitslosigkeit würde steigen. Die Menschen würde ihre Ersparnisse abheben wollen, was eine gewaltige Bankenkrise auslösen würde. Um einen Zusammenbruch des Systems zu verhindern, würden dann auch die Bürgerlichen für die Verstaatlichung der Banken eintreten.
Es drängt sich der historische Vergleich zu Deutschland 1922 auf. Bei einem solchen Szenario würde es wahrscheinlich zu einem Massenaufstand kommen. Das wäre der Beginn der griechischen Revolution. Nach jahrelangen Opfern zur Abwendung einer Pleite, würde es erst recht zu einem solchen Zusammenbruchsszenario kommen. Diese Erfahrung würde das Bewusstsein der Massen, die einmal mehr die Zeche zu zahlen hätten, schwer erschüttern.
In der ArbeiterInnenbewegung würde dann kein Stein mehr auf dem anderen stehen. Schon jetzt sehen wir wie die PASOK unter dem Druck der Ereignisse zerbröselt. In den Gewerkschaften werden neue Persönlichkeiten mit einem linken Anspruch nach oben gespült werden. Überall würden Elemente der Selbstorganisation entstehen (Fabrikräte, Stadtteilkomitees usw.).
Auch die beiden grössten Linksparteien, die stalinistische KKE und die Syriza (Wahlbündnis rund um Synaspismos), würden von solchen Ereignissen schwer erschüttert werden. Derzeit erwarten sich viele ArbeiterInnen und Jugendliche von diesen Parteien einen Ausweg aus der Krise. Das Problem ist aber, dass die KKE-Führung eine linke Einheitsfront bislang ablehnt und völlig sektiererisch vom Rest der Linken und der Massenbewegung eigene Demonstrationen organisiert. Statt einer konkreten Einheitsfront mit Syriza ruft die KKE zu einem Bündnis der „Lohnabhängigen und der Armen“ auf, das für die „Volksmacht“ kämpfen soll. Diese Propaganda ist viel zu abstrakt und knüpft nicht am aktuellen Massenbewusstsein an. Die ArbeiterInnen stellen sich jetzt die Frage, wie sie diese Regierung loswerden können. Angesichts der hohen Umfragewerte für die Linksparteien ergibt sich erstmals aus der Sicht vieler Menschen eine realistische Option für eine politische Alternative. Würde die Linke sich zusammenschliessen und eine gemeinsame Wahlplattform auf einem sozialistischen Programm bilden, könnte sie die Mehrheit erlangen. In der Praxis wirkt die Linke aber gelähmt, was vor allem in der Verantwortung der KKE liegt.
Die Linke muss in den nächsten Wochen den ArbeiterInnen und Jugendlichen verständlich erklären, dass es im Rahmen des Kapitalismus keinen Ausweg aus dieser Krise gibt. Egal ob in der Eurozone oder ausserhalb steht Griechenland vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die Forderung „Raus aus dem Euro“ in der Hoffnung, dass dies dem Land einen grösseren wirtschaftlichen Spielraum gibt, streut den Menschen Sand ins Gesicht. Griechenland kann nur dann wieder „wettbewerbsfähig“ werden, wenn es seine Produktivität weiter senkt, was wiederum auf Kosten der ArbeiterInnenklasse gehen würde. Das Spardiktat müsste weiterhin befolgt werden. Es wäre völlig falsch den Kampf der griechischen ArbeiterInnen als „patriotische Pflicht“ darzustellen, vielmehr braucht es einen klaren Klassenstandpunkt und die Perspektive des internationalen Klassenkampfes.
Eine linke Regierung kann nur dann einen Ausweg aus der Krise bieten, wenn sie das Problem der Staatsschulden an der Wurzel packt. Sie müsste sich weigern, die Schulden zurückzuzahlen und gleichzeitig die Banken und Schlüsselbereiche der Wirtschaft vergesellschaften. Die reformistischen Kräfte werden uns sagen, dass Griechenland dann isoliert wäre. Aber diese Krise ist kein rein griechisches Problem. Was die ArbeiterInnen in Athen und Patras heute bereits erleiden, wird morgen und übermorgen auf die ArbeiterInnen in ganz Europa zukommen. Italien, Spanien oder Portugal zeigen das sehr deutlich. Sobald die griechischen KollegInnen beginnen mit der kapitalistischen Logik zu brechen, werden sie umgehend als Alternative für die ArbeiterInnen in den anderen Ländern gesehen werden. Die Revolution in Griechenland hat so das Potential zum Funken für die europäische Revolution zu werden. Unsere Perspektive lautet „Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa“!
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