Der russische Kapitalismus ist in einer tiefen Krise. Trotzdem spielt Russland eine wichtige Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Unterstützung Assads durch Russland hat das Kräftegleichgewicht massgeblich verschoben. Doch auch in Russland bewegt sich was. Die Unzufriedenheit über den ständig sinkenden Lebensstandard wächst.
Russische Intervention in Syrien
Seit 2011 wütet schwärzester Bürgerkrieg in Syrien. Vor der russischen Intervention haben Assads Truppen stark an Boden verloren und wurden gegen Westen zurückgedrängt. Die Moral seiner Truppen war geschwächt und sein Regime drohte unter der Last des Krieges zusammenzubrechen.
Für Russland war die Gefahr gross, mit Assad einen zuverlässigen Verbündeten im Mittleren Osten und eigene Militärbasen zu verlieren. Ein vollständiger Kollaps des Assad-Regimes könnte für Russland verheerende Folgen haben. Die islamistischen Kräfte in der Region wie auch in Russland selbst würden gestärkt und die Region weiter destabilisiert werden.
Russland trat am 30. September 2015 in den Krieg ein und flog zunächst Bombenangriffe auf IS-Stellungen und die Freie Syrische Armee (FSA). Durch russische Intervention auf der Seite der syrischen Armee konnte deren Moral, wie auch die technische Ausbildung und Ausrüstung, verbessert werden.
Die Unterstützung von Assad durch die russische Armee läuft jedoch den Interessen von Erdoğan zuwider. Dieser unterstützt selbst die Kräfte, die gegen das Assad-Regime kämpfen, mit dem Ziel, syrisches Territorium zu erobern. Das hat wiederholt zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei geführt.
Die Intervention von Russland hat das Kräfteverhältnis komplett verändert und eine erhebliche Stärkung der syrischen Armee bewirkt. Mit der Hilfe Russlands und dem Iran konnte Assads Armee Gebiete gegenüber den vermeintlich und teilweise dem IS gewinnen. Russland hat dabei in erster Linie die militärischen Gruppen in Opposition zu Assads Regierung angegriffen, ohne dabei einen wirklichen Unterschied zwischen „moderaten“ und islamistischen Kräften zu machen. Dabei haben Putins Leute erfolgreich erreicht, das aus ihrer Sicht legitime Assad-Regime zu stabilisieren. Die so erzielte Schwächung der „moderaten Rebellen“ drängt den Westen dazu, sich mehr und mehr mit Assad abzufinden, sofern er sich nicht auf den IS stützen will.
Am 15. März 2016 wurde ein Teil der russischen Streitkräfte aus Syrien abgezogen. 1000 russische Soldaten und die S-400 Flugabwehrsysteme sollen in Syrien verbleiben. Trotz des Teilabzugs baut Russland seine militärische Stellung in Syrien weiter aus. Die Besatzung kann, falls nötig, schnell erhöht werden.
Russlands weltpolitische Stellung
Nach der Annexion der Krim durch Russland verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den westlichen Mächten und Russland. Es wurden diverse Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Vermögen wurden eingefroren, bestimmten Personen die Einreise in die EU verboten und Importe aus Russland untersagt.
Als klar wurde, dass die USA keine Fortschritte in Syrien machen konnten, haben sie sich bereit erklärt, mit dem Iran und Russland zur Beseitigung des IS zusammenzuarbeiten.
Der geschwächte US-Imperialismus ist nicht in der Lage, die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten in eigenem Sinne zu verändern. Die USA waren und sind auf die russische Intervention angewiesen, um die Gefahr durch den Islamischen Staat einzudämmen und die Region zu stabilisieren. Obama sagte zur UN-Generalversammlung: „Die Vereinigten Staaten sind bereit, mit jeder Nation – einschliesslich Russland und dem Iran – zusammenzuarbeiten, um den Konflikt zu lösen.“ Das russische Eingreifen ermöglicht den USA, sich stärker aus einem Konflikt zurückzuziehen, in dem sie nur noch verlieren können. Gleichzeitig bedeutet der russische Vorstoss aber auch eine weitere Schwächung des US-Imperialismus in seinem Ringen um die geopolitische Vorherrschaft im Nahen Osten.
Es ist klar, dass keine imperialistische Intervention Russlands zu einem fortschrittlichen Syrien führen kann. Das Ziel der Intervention ist es ein stabiles, kapitalistisches Syrien unter einem Russland zugewandten Regime zu restaurieren und den eigenen Einfluss in der Region zu sichern.
Russlands interne Widersprüche
Seit 2014 befindet sich die russische Wirtschaft in einer tiefen Krise. Ausschlaggebend waren unter anderem der starke Fall des Öl-Preises und die Sanktionen von 2015.
Der Lebensstandard in Russland ist im Zuge dieser Krise stark gesunken. Die Einkommens- und Armutszahlen sind auf den Stand der Krise 2009 zurückgefallen. 2009 wurde die Krise noch durch Sozialleistungen gedämpft, was aktuell nicht mehr möglich ist, da das Staatsbudget von den tief gefallenen Ölpreisen stark beeinträchtigt ist.[1] Nach einigen Schätzungen hat sich die Armutszahl seit 2013 verdoppelt.
Gemäss dem Zentrum für die Erforschung der öffentlichen Meinung in Russland (VCIOM), ist die Zufriedenheit mit den ökonomischen und sozialen Politik auf einem Tiefststand seit 2011. 32% der Befragten würden an Protesten zur Sozial- und Wirtschaftspolitik teilnehmen.
In diesem Krisen-Kontext muss auch der Teilabzug der Truppen aus Syrien gesehen werden. Die russische Regierung präsentierte nach aussen ein Bild eines makellosen Einsatzes. Sie hätten bloss drei Tote zu beklagen. Keine Bombe habe ihr Ziel verfehlt, sagte der Chef der russischen Luftwaffe. Von den vielen zivilen syrischen Opfern war keine Rede.
Allerdings haben Putin und seine herrschende Klasse die Krise bisher tatsächlich relativ unbeschadet überstanden. Seit den letzten Wahlen (2012) ist die Popularität des Präsidenten in Russland von 60 % (2012) auf bis zu 90 % (2015) stetig gestiegen. Dazu geben 74 %, der befragten RussInnen an, dass sie Putin bei den nächsten Wahlen 2018 wieder wählen werden, falls er antritt. Das gleiche gilt für die Beliebtheit des Militärs, die von 32 % (2006) auf 82 % (2015) stieg. Faktoren bei der enormen Steigerung der Popularität der russischen Armee waren auch die Interventionen in der Ukraine und Syrien, sowie deren Aufbereitung durch die Regierung (VCIOM).
Die gesellschaftlichen Konflikte im Innern werden verschleiert durch die Kreml-Propaganda, die im Westen stets einen glaubhaften Schuldigen findet. Doch trotz aller Bemühungen des russischen Regimes, die unterdrückten Klassen in Schach zu halten und den potentiellen Widerstand in nationalistische Bahnen zu lenken, brodelt es unter der Oberfläche der russischen Gesellschaft. Putins Regierung hat keine Mittel, die soziale und wirtschaftliche Krise im Sinne der arbeitenden Bevölkerung zu lösen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Widersprüche in der russischen Gesellschaft aufbrechen. Seit den Wahlen 2012 ist die Zahl der Proteste bereits stark gestiegen. Was noch fehlt ist eine organisierte linke Kraft, die diesen aufkeimenden Widerstand aufnehmen kann, um der herrschenden Klasse Russlands eine kräftige sozialistische Alternative entgegenzusetzen.
Cyrill S.,
Juso Zürich
[1]“During Russia’s last economic downturn, a deep but short recession in 2009, the government cushioned the fallout with social support handouts. Now, as plummeting oil prices cut deeply into budget revenues and more than half of the country’s regions run deficits, there is not enough money for that.”(FT, 7. April 2016)
Nordamerika — von Alan Woods, marxist.com — 27. 11. 2024
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024