Die Angriffe auf die Abtreibungsrechte sind eine zynische Ausnutzung der Frauenunterdrückung im Interesse der Herrschenden. Unsere Antwort muss ein geeinter Kampf der ganzen Arbeiterklasse sein. Für Verbesserungen und wirkliche körperliche Selbstbestimmung!
Ende letzten Jahres lancierten die zwei SVP-Nationalrätinnen Yvette Estermann und Andrea Geissbühler zwei neue Initiativen, die Schwangerschaftsabbrüche einschränken sollen. Mit der ersten Initiative soll eine Bedenkfrist von einem Tag eingeführt werden. Mit der zweiten soll ungeborenen Babys ab der 22. Schwangerschaftswoche ein absolutes Recht auf Leben anerkannt werden. Heute sind medizinisch begründete Abtreibungen auch später noch möglich, wenn das Leben der Mutter durch die Schwangerschaft gefährdet würde. Dies würde bedeuten, dass das Leben des Ungeborenen über das der Mutter gestellt wird. Beide Initiativen haben zum Ziel, die Möglichkeiten für eine Frau abzutreiben, einzuschränken. Wenn bis am 21.06.2023 genügend Unterschriften zustande kommen, wird über sie abgestimmt.
Es ist nicht das erste Mal, dass die SVP solche Abstimmungen lanciert. 2014 wurde ihre Initiative «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache», welche Abtreibungen aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen streichen wollte, abgelehnt. Und die Schweiz ist nicht das einzige Land, in welchem das Recht auf Abtreibungen angegriffen wird. In Polen wurden Abtreibungen faktisch verboten und in den USA soll die nationale rechtliche Grundlage entzogen werden. Einige konservative Staaten haben das Recht bereits massiv eingeschränkt, wie Texas, wo Abtreibungen nur noch bis zur sechsten Schwangerschaftswoche möglich sind. Weitere Staaten werden folgen.
Die Angriffe in der Schweiz sind also Teil eines weltweiten Angriffs auf Abtreibungsrechte.
Das Recht auf Abtreibungen ist ein grundlegendes demokratisches Recht. Es ist eine zentrale Errungenschaft im Kampf für die Frauenbefreiung, die wir verteidigen müssen. MarxistInnen verteidigen, dass alle Personen das Recht haben, über ihren eigenen Körper zu entscheiden. Für die Arbeiterbewegung war der Kampf für Abtreibungsrechte dabei stets sehr wichtig. Abtreibungen zu verbieten, führt nicht dazu, dass es weniger Abtreibungen gibt, sondern nur dazu, dass für die Frauen gefährlichere, weil illegale, Abtreibungen stattfinden. Um aber effektiv gegen diese reaktionären Angriffe kämpfen zu können, müssen wir verstehen, warum diese Rechte überhaupt angegriffen werden.
Den Tag Bedenkfrist, den die Partei der Banken und Konzerne einführen will, begründen sie damit, dass dann schätzungsweise 10 % weniger Abtreibungen stattfinden würden. Das ist pure Heuchelei. Sie implizieren damit, dass man sich die Entscheidung heute nicht überlegt. Dabei wissen sie genau, dass dies nicht stimmt. Die PolitikerInnen, welche diese Angriffe vorantreiben, tun dies nicht, weil sie Kinder retten wollen. Wie es diesen geht, sobald sie geboren sind, ist ihnen egal. Sie forcieren diese Debatte zu Abtreibungen, um vom Klassenkonflikt abzulenken und die Arbeiterklasse zu spalten.
Seit 2008 ist der Kapitalismus in einer tiefen Krise. Die herrschende Klasse ist überall gezwungen, die Arbeiterklasse anzugreifen, um ihre Profitbedingungen zu retten. Seit dem Ausbruch von Corona hat sich die Krise nur verschärft. Hier in der Schweiz wollen sie beispielsweise das Frauenrentenalter erhöhen. Die Realität der ArbeiterInnen sind Sparmassnahmen auf kantonaler- und Gemeindeebene und allgemein mehr Stress und gestiegene Anforderungen bei der Arbeit. ArbeiterInnen wehren sich zunehmend dagegen. In den USA sahen wir bereits einige Streiks und auch in der Schweiz sahen wir Protestbewegungen.
Das ist der Hintergrund der Angriffe auf die Abtreibungsrechte. Sie sind ein Versuch von Teilen der herrschenden Klasse, die Aufmerksamkeit wegzulenken von der Verschlechterung der Lebensbedingungen. Mit den Angriffen auf die Abtreibungsrechte versuchen sie, die sozialen Spannungen weg vom Klassenkampf und in die Kanäle eines «kulturellen Kampfes» umzulenken. Dies mit dem Ziel, die Arbeiterklasse anhand des Geschlechts und anhand religiöser Wertvorstellungen zu spalten, um den gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse auszubremsen.
Konservative PolitikerInnen auf der ganzen Welt wollen dieses Thema ausschlachten, um bei den konservativen und christlichen Schichten Wählerstimmen zu generieren, um ihre arbeiterfeindliche Politik im Allgemeinen durchbringen zu können.
Diese Angriffe treffen alle Frauen, aber nicht alle gleich. Es ist eine Klassenfrage. Reiche Frauen finden immer einen Weg abzutreiben: private Kliniken und Ärzte oder auch einfach eine Reise ins Ausland. Der Preis wird also letztendlich bezahlt von den Frauen der Arbeiterklasse, die sich all dies nicht leisten können. Sie bezahlen mit psychischen und körperlichen Folgen und zum Teil mit ihrem Leben. Eine ungewollte Schwangerschaft austragen zu müssen, ist eine enorme psychische Belastung. Dazu kommt, dass das Armutsrisiko für alleinerziehende oder sehr junge Mütter stark erhöht ist.
Frauen leiden und werden leiden, um den Kampf der ganzen Arbeiterklasse zu schwächen. Es ist ein hinterhältiger Angriff der herrschenden Klasse und eine zynische Ausnutzung der Frauenunterdrückung und misogynen Vorurteilen in der Gesellschaft für ihre Interessen. Wir müssen diese Angriffe sehen, als das was sie sind: Verzweifelte Angriffe einer herrschenden Klasse, welche ihr tiefkrankes System retten will.
Letztendlich treffen die Angriffe auf das Abtreibungsrecht die ganze Arbeiterklasse. Eine ungewollte Schwangerschaft austragen zu müssen, kann unter Umständen dazu führen, dass Paare für immer verbunden sind, auch wenn eine Trennung im besten Interesse aller wäre. Eine Abtreibung durchzumachen ist für alle Beteiligten belastend, je problematischer und komplizierter dieser Prozess ist, desto schwieriger wird dies. Auch jegliche ideologische Repression belastet nicht nur die Person, welche abtreiben muss, sondern vergiftet die Beziehungen in der Bevölkerung.
Sie versuchen uns wie auch immer möglich zu spalten, damit wir nicht zurückkämpfen. Aber wir dürfen uns nicht spalten lassen! Es ist ein Angriff auf die ganze Arbeiterklasse und unsere Antwort muss eine Antwort der ganzen Klasse sein.
Dieses System hat uns nichts mehr zu bieten. Alles was wir uns bereits erkämpft haben, kann uns wieder weggenommen werden, wenn es der herrschenden Klasse nützt. Das sehen wir heute klar.
Wir müssen die Angriffe auf das Abtreibungsrecht abwehren. Aber wir brauchen mehr als ein blosses Recht auf dem Papier. Wir brauchen ein Programm, welches den Kampf gegen Abtreibungsverbote und -einschränkungen mit dem Kampf für bessere materielle Lebensbedingungen verbindet. Abtreibungen müssen nicht nur legal, sondern auch zugänglich sein. Aus diesem Grund müssen wir nicht nur für volle Abtreibungsrechte kämpfen, sondern vor allem auch für allgemeinen und leichten Zugang zu sicheren und repressionsfreien Möglichkeiten zur Abtreibung.
Deshalb dürfen wir kein Vertrauen haben in die bürgerlichen PolitikerInnen oder ihren Staat. Wir können nur auf die Macht der Arbeiterklasse vertrauen. Die gleichen PolitikerInnen, welche das Recht auf Abtreibungen einschränken wollen, greifen an allen Fronten unsere Lebensbedingungen an. Die liberalen PolitikerInnen, welche das Recht auf Abtreibungen auf dem Papier verteidigen, treiben ebenso die Sparmassnahmen in der Gesundheit etc. voran, wie die konservativen Abtreibungsgegner. Auch dies führt faktisch dazu, dass es schwieriger wird abzutreiben.
Wir brauchen gratis Gesundheitsversorgung für alle, genügend Ärzte und Kliniken, aber auch die Verstaatlichung der Pharma, gratis Verhütungsmittel und leicht zugängliche Aufklärung frei von religiösen Vorurteilen. Ebenso finanzielle Unterstützung für Familien, Elternzeit und die Vergesellschaftung der Hausarbeit, beispielsweise gratis Kinderbetreuung für alle.
All diese Dinge sind kein Luxus, sondern heute dringend notwendig und absolut möglich. Aber nur im Kampf der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus und für eine Gesellschaft, in welcher die Wirtschaft unter Kontrolle der Arbeiterklasse steht. Für eine Gesellschaft, in der nicht der Profit entscheidet, sondern die Bedürfnisse der Menschen! Eine Gesellschaft, welche die volle Verantwortung für die nächste Generation übernimmt und allen eine menschenwürdige Kindheit und ein gutes Leben garantieren kann. Nur dann wird die Entscheidung, Kinder zu haben oder nicht, frei von Religion und kapitalistischen Zwängen sein und wir werden wirklich frei über unseren Körper und unser Leben entscheiden können.
Anina Durgiai, JUSO Stadt-Bern
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