Die Ermordung des unbewaffneten George Floyd Ende Mai hat eine regelrechte Revolte gegen Polizeigewalt und Rassismus in den USA und weltweit ausgelöst. Es braucht einen entschiedenen Kampf auf Klassenbasis, um den rassistischen Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.
Donald Trump versteckt sich im Bunker des von Protestierenden regelrecht belagerten Weissen Hauses; der Polizeiposten in Minneapolis wird abgebrannt, DemonstrantInnen besetzen das Rathaus von Seattle. Die enorme Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt – die längst über die USA hinausgeht – ist mehr als eine soziale Bewegung, sie ist ein regelrechter Massenaufstand mit revolutionärem Charakter.
In über 1000 Städten in den USA gingen hunderttausende von Menschen auf die Strasse. In Frankreich, Brasilien und Grossbritannien haben sich die Solidaritätsproteste längst zu eigenständigen Massenbewegungen fortentwickelt. Diese gigantische Bewegung ist nicht nur Ausdruck einer lang angestauten Wut über systematischen Rassismus und Polizeigewalt, sondern findet ihren Nährboden auch im dramatischen Einbruch des Kapitalismus. AfroamerikanerInnen machen ein Fünftel der mittlerweile 42 Millionen Arbeitslosen in den USA aus. Schwarze starben ausserdem mit doppelter Wahrscheinlichkeit am Corona-Virus, was den völlig arroganten Umgang der herrschenden Klasse mit der Corona-Krise unterstreicht.
Ein Mord zu viel
Die Ermordung des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd am 25. Mai in Minneapolis ist alles andere als ein Einzelfall. In den letzten zwei Jahren wurden in den USA mehr Menschen durch die Polizei ermordet, als US-Soldaten im gesamten Afghanistan-Krieg ums Leben kamen. Ein Viertel der Opfer dieser Polizeimorde sind schwarz, obwohl AfroamerikanerInnen nur gerade 13% der Bevölkerung ausmachen.
Doch es wäre zu kurz gegriffen, diesen regelrechten Polizeiterror gegen die afroamerikanische Bevölkerung nur auf den Rassismus eines Derek Chauvin oder anderer gewalttätiger Polizisten zurückzuführen, auch wenn die Polizei eine zutiefst rassistische Institution ist und viele ihrer Funktionäre aus den reaktionärsten Schichten der Gesellschaft stammen. Vielmehr ist er Ausdruck einer systematischen rassistischen Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung, die sich durch alle Sphären der Gesellschaft zieht: Schwarze Lohnabhängige verdienen in den USA 35% weniger als ihre weissen KollegInnen, unter Schwarzen ist sowohl die Armutsquote als auch die Kindersterblichkeitsrate doppelt so hoch wie unter Weissen. «Schwarze» Distrikte sind häufig von Arbeits- und Perspektivlosigkeit und folglich einer höheren Kriminalitätsrate gekennzeichnet, welche wiederum mit umso stärkerer Polizeirepression in diesen Gemeinden beantwortet wird. Jeder zehnte Afroamerikaner zwischen 20 und 30 Jahren ist derzeit eingesperrt.
Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus
Seit seiner Geburt greift der Kapitalismus auf den Rassismus zurück, um zu funktionieren. Die Sklavenplantagen in den USA und die dort billig produzierte Baumwolle waren eine wesentliche Vorbedingung für die Entstehung der englischen Textilindustrie, die Kolonisierung Afrikas und Asiens eine unverzichtbare Quelle für billige Rohstoffimporte und Absatzmärkte für die sich ausdehnende Industrie. Im Kapitalismus, eigentlich eine Gesellschaft formal freier und gleicher Warenbesitzer- und Tauscher, ist die systematische Ungleichheit zwischen den Klassen, aber auch ganzen Regionen und Völkern nicht anders legitimierbar als durch angeblich „natürliche“ Unterschiede zwischen den Menschen – sei es die Hautfarbe, die Sprache oder andere äussere Merkmale. Die formelle Überwindung des Kolonialismus hat dem Rassismus jedoch keineswegs seine Grundlage entzogen: Nach wie vor generieren westliche Konzerne Megaprofite auf dem Rücken der ausgebeuteten und unterdrückten Massen der „Dritten Welt“, und diese wird durch ungleichen Tausch und eine gigantische Verschuldung in künstlicher Unterentwicklung gehalten. Gleichzeitig werden die geplünderten und ausgebeuteten Massen gewaltsam vor der Festung Europa oder den USA ausgesperrt und Flüchtlinge auf allen Ebenen diskriminiert.
Teile und herrsche
Doch der Rassismus dient der Bourgeoisie nicht nur zur systematischen Plünderung einer ganzen Erdregion und der Rechtfertigung einer chronischen Unterentwicklung des Globalen Südens, sondern ebenso zur Spaltung der Arbeiterklasse in den imperialistischen Zentren auf allen Ebenen. Sei es auf dem Arbeits- oder dem Wohnungsmarkt oder dem Umfang an politischen Rechten und Privilegien. ArbeitsmigrantInnen, die zu Billiglöhnen eingestellt werden, erscheinen so als Konkurrenz zu den «inländischen» ArbeiterInnen und seien gleichzeitig auch noch Schuld an den explodierenden Mieten in Grossstädten oder der «Belastung» unserer Sozialwerke – währenddessen die Kapitalisten sich Profite kassierend ins Fäustchen lachen und dabei zuschauen, wie sich die Lohnabhängigen gegenseitig bekämpfen. Solange die Kapitalisten sich den Löwenanteil des gesellschaftlich produzierten Werts als Profit aneignen, bleiben den Lohnabhängigen nur Krümel, um die sie sich gegenseitig streiten sollen. «Er (der «heimische» Arbeiter) fühlt sich ihm (dem «Ausländer») gegenüber als Glied der herrschenden Nation und macht sich eben deswegen zum Werkzeug seiner Aristokraten und Kapitalisten (…), und befestigt damit deren Herrschaft über sich selbst.», stellte bereits Karl Marx fest.
Rassismus und Klassenkampf
Die Interessen aller Lohnabhängigen unabhängig von Hautfarbe, Herkunft und Sprache sind untrennbar miteinander verwoben: Jeder Versuch der eigenen Emanzipation der Ausgebeuteten und Unterdrückten kollidiert zwangsläufig mit den Interessen der Kapitalisten. Der Rassismus kann letztlich nur beseitigt werden durch die Beseitigung des künstlichen Mangels für die unterdrückten Klassen im Kapitalismus, das heisst durch den gleichberechtigten Zugang zu garantierter Arbeit, kostenlosem Wohnraum, Bildung und Gesundheit für alle – etwa durch die Enteignung von Jeff Bezos‘ Billionen, also dem Überfluss der Herrschenden, der dem Mangel der Unterdrückten gegenübersteht. Die vereinte Aktion aller Lohnabhängigen hat die objektive Macht, dieses System zu stürzen und dadurch eine Gesellschaft zu erschaffen, in welcher eine tatsächliche freie Entwicklung für alle und jede möglich ist, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Nur dank der Arbeit der Arbeiterklasse entsteht Wert, nur dank dem mangelnden Widerstand gegen die eigene Ausbeutung und Unterdrückung können die Ausbeuter ihre Position sichern. Ein gemeinsamer Kampf, etwa durch einen Streik, trifft das kapitalistische System jedoch direkt in sein Nervenzentrum, nämlich durch eine Blockade der Produktion.
Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle
Die Herangehensweise des Klassenkampfs gegen Rassismus wurde eindrücklich durch die US-HafenarbeiterInnen am 19. Juni demonstriert. Am Tag der Aufhebung der Sklaverei legten sie in 29 Häfen an der West- wie auch der Ostküste die Arbeit nieder. «Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle!», hielt die Hafenarbeiter-Gewerkschaft ILWU in ihrem Streikaufruf treffend fest, und: «Die organisierten ArbeiterInnen sollten die Speerspitze in allen sozialen Bewegungen bilden». Dies ist ein qualitativer Schritt vorwärts gegenüber früheren Bewegungen gegen Rassismus, etwa die «Black Lives Matter»-Bewegung von 2014, in welcher die organisierte ArbeiterInnenbewegung grossmehrheitlich passiv blieb. Angesichts von seit Jahrzehnten sinkenden Reallöhnen, explodierenden Mieten und Sparpaketen wird zunehmend auch für die weisse ArbeiterInnenklasse offensichtlich, warum es die gleiche herrschende Klasse ist, die hinter diesen Angriffen gegen alle Lohnabhängigen steckt wie auch vom systemischen Rassismus profitiert. Laut einer Umfrage der Washington Post unterstützen 74% der Bevölkerung derzeit die Bewegung. Nichtsdestotrotz weigert sich die Führung der grössten landesweiten Gewerkschaft AFL/CIO, die fest mit der Demokratischen Partei verbandelt ist, ihre etwa 14 Millionen Mitglieder zu kämpferischen Aktionen, geschweige denn zum Streik aufzurufen, und begnügt sich mit Appellen an die Demokraten und den von ihnen kontrollierten Institutionen.
Die Revolution im Herzen der Bestie
Der Ausbruch einer Massenbewegung dieses Ausmasses kann nicht anders als erstaunen. Doch fällt sie nicht vom Himmel: Wir erleben bereits seit 2008 eine organische Krise des Kapitalismus, also eine Phase, die von stagnierendem Wachstum und konstanten Angriffen auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse gekennzeichnet ist. Bereits vor dem jetzigen historisch tiefen Einbruch der Weltwirtschaft vollzog sich überall auf der Welt ein Prozess der Radikalisierung, der politischen Polarisierung und spontanen Massenbewegungen. Erinnern wir uns nur an den Herbst 2019, wo 47 Länder revolutionäre Aufstände erlebten – von Chile über Katalonien nach Hong Kong. Auch in den USA sahen wir bereits vor der jetzigen Krise Ausdrücke des gleichen Prozesses: Mehrere Umfragen ergaben in den letzten Jahren, dass insbesondere die junge Generation mehrheitlich den Kapitalismus ablehnt und den Sozialismus bevorzugen würde. Dies fand auch sein Echo im massiven Zuspruch zu der verhältnismässig kämpferischen Präsidentschafts-Kampagne von Bernie Sanders 2016 und 2020. Das Vorurteil, dass die US-amerikanische Arbeiterklasse unverbesserlich ignorant und reaktionär sei, muss allerspätestens jetzt über den Haufen geworfen werden. In der aktuellen Periode macht das Bewusstsein der Lohnabhängigen gewaltige Sprünge und bietet das Potential für eine radikale sozialistische Alternative zum Kapitalismus im Niedergang, der nur noch Perspektivlosigkeit und Verschlechterungen des Lebensstandards für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung anzubieten hat.
Weg mit den falschen Freunden…
Doch einem radikalen Wandel der Gesellschaft, den sich immer breitere Schichten herbeisehnen, steht ein gewaltiges Hindernis im Weg: Die Arbeiterklasse in den USA hat kein Instrument, um ihre eigenen Interessen auszudrücken. Sowohl die Gewerkschaften wie auch linke Exponenten wie Bernie Sanders klammern sich nach wie vor an den Rockzipfel der pro-kapitalistischen Demokratischen Partei. Demokraten wie Republikaner sind beide Repräsentanten der herrschenden Klasse und verteidigen die Interessen des US-Kapitals. Die Lohnabhängigen brauchen dringender denn je ihre eigene Partei, die kompromisslos die gemeinsamen Interessen aller Unterdrückten und Ausgebeuteten vertritt: Für ein kostenloses Gesundheits- und Bildungssystem, garantierte Jobs mit einem guten Mindestlohn für alle und Zugang zu kostenlosem Wohnraum für alle benachteiligten Schichten. Nur durch einen Bruch mit dem kapitalistischen System können wir die gegenwärtige Krise wie auch den systemischen Rassismus überwinden.
…her mit den revolutionären Kräften!
In zahlreichen Städten bildeten sich spontan Komitees zur Versorgung der Gemeinden mit Nahrungsmitteln, Masken und Desinfektionsmitteln, Selbverteidigungskomitees zum Schutz vor Polizeigewalt, Solidaritätsinitiativen in einzelnen Betrieben. Durch diese Selbstorganisation der Massen wird eine radikale Veränderung der Gesellschaft möglich, nicht durch die Hinterzimmerpolitik in den Institutionen des bürgerlichen Staates. Durch eine organisierte Kraft wie die Gewerkschaften und eine Partei der Lohnabhängigen könnten diese Strukturen vernetzt und auf die Betriebe ausgedehnt und unter einem sozialistischen Programm ein Generalstreik vorbereitet werden: Trump und seine Regierung wären im Null komma nichts gestürzt. Die Ereignisse überschlagen sich; eine revolutionäre Welle ist mittlerweile längst auch in den USA angekommen, die Arbeiterklasse ist in der Offensive. Will sie gewinnen, braucht sie aber eine Organisation. Unsere US-amerikanische Schwesterorganisation «Socialist Revolution» verteidigt genau dieses Programm in der Bewegung und in den Gewerkschaften. Es ist allerhöchste Zeit für den Aufbau der revolutionären Kräfte, in den USA und weltweit!
(Bild: Flickr)
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