KMU in der Corona-Krise: Der Gewerbeverband macht im Bund mit SVP und Economiesuisse aggressive Propaganda gegen jegliche Corona-Massnahmen. Derweil stehen viele Klein- und Kleinstbetriebe vor dem Bankrott. Was ist zu tun, ohne in bürgerliche Subventionierungspolitik zu verfallen?
Die Gewerbezeitung präsentierte kürzlich eine Roadmap für ein Ende der Corona-Massnahmen innert acht Tagen. Die Grenzen sollten dicht gemacht werden, alle sollten zweimal getestet werden, und wer negativ ist, könnte sich danach wieder frei bewegen. Texas’ Gouverneur, der kürzlich die Maskenpflicht aufhob, lässt grüssen. Mit solchen menschenfeindlichen Forderungen versucht der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) die kleinen und mittleren Unternehmen, kurz KMU, hinter sich zu einen, die unter den Corona-Massnahmen zu zerbersten drohen.
Klar: Die KMU, wovon der grösste Teil selbständige KleinunternehmerInnen mit wenigen Angestellten sind, bekommen an jeder Pressekonferenz des Bundesrates einen gewaltigen Hieb verpasst. Der Bundesrat handelt im Interesse des Grosskapitals und sträubt sich gegen Stützungsmassnahmen für KMU. Ueli Maurers berüchtigter Ausspruch vom Oktober: «Wir haben nicht nochmals 30 Milliarden» zeugt offen davon. Selbst wenn Geld fliesst, ist es vergleichsweise wenig. Die Schweiz ist das Land mit den aufs BIP gerechnet tiefsten Hilfen für KMU: Schweiz 4,8%, danach Deutschland mit 8,3%. Und das im «KMU-Land» Schweiz!
Wir haben nicht nochmals 30 Milliarden
Ueli Maurer
Wenig erstaunlich sind die KMU denn auch das wohl meistdiskutierte Wirtschaftsthema in der Corona-Krise. Alle äussern sich dazu und selbst bei der SP nehmen die KMU eine prominente Rolle ein. Die ständige Diskussion über KMU lenkt allerdings von zwei Dingen ab: 1. Wir haben eigentlich nie einen richtigen Lockdown erlebt, vor allem nicht in der zweiten Welle. Der Bundesrat zwang die Westschweizer Bauarbeiter im Frühling 2020 sogar wieder zur Arbeit zurück, und heute sind die Einschränkungen in den Innenstädten unmerklich. Indem er vieles offen lässt, schützt der Bundesrat die Profite (und somit auch die KMU). 2. Während die KMU über düstere Zukunftsaussichten klagen, müssen viele Lohnabhängige mit tiefen Einkommen auf Ersparnisse zurückgreifen. Nur so können sie die nötigen Ausgaben decken. Die verminderten Einkommen bei 80% Kurzarbeitsentschädigung, und teils 100% bei sehr tiefen Einkommen, reichen nicht aus. Im Stundenlohn Angestellte haben zudem oft Mühe einen korrekten Berechnungsansatz zu bekommen und stehen in der zweiten Welle meist schlechter da, weil in den letzten 12 Monaten wenig gearbeitet wurde. Gerade im Tieflohnbereich gingen zudem viele Stellen ganz verloren. Ein guter Indikator dafür ist der Umsatzrückgang beim Personalvermittler Adecco Schweiz. 2020 machte dieser Temporärstellen-Riese 14% weniger Umsatz im Kerngeschäft. Die Krise wird also in erster Linie auf die Arbeiterklasse abgeladen, die gleichzeitig den grössten Teil der gesundheitlichen Schäden davonträgt, weil schlechte Gesundheitsversorgung und die Wohnverhältnisse dem Virus den Weg ebnen.
In dieser Krise sehen wir eine krude Kombination aus völlig inkonsistenter Pandemiebekämpfung, Krisenprofiteuren, Verarmung und einer politischen Polarisierung. Der sichtbarste Ausdruck dieser Zuspitzung der Gegensätze ist das wütende Kleinbürgertum. Ihm bietet niemand Paroli. So gering die Gefahr, welche von Protesten wie „#wirmachenauf“ oder Covidiotendemos ausgeht, muss man das doch als Anzeichen einer tiefgreifenden Krise verstehen. Der eigentliche Konflikt in der kapitalistischen Gesellschaft besteht nicht zwischen Kleinbürgern und dem Staat, sondern zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie. Allerdings: Keine der traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung stellt die Frage der Krise aus der Perspektive der Arbeiterklasse. Das ist das wahre Problem. Die SP probiert die Krise zu lösen, indem sie bürgerliche Politik für alle KMU vorschlägt. Aber die KMU bilden keine Einheit. Die einen sind normale Kapitalisten, die anderen verelendende, sich selbst ausbeutende Teile des Kleinbürgertums. Was sie jedoch überzeugen könnte, ist eine Arbeiterpartei die entschieden in den Kampf gegen das Grosskapital zieht.
Die Betriebe der durch die Massnahmen eingeschränkten Branchen sind oft existentiell bedroht. Während das verarbeitende Gewerbe bereits eine gewisse Erholung erfährt und die grossen Detailhändler 2020 grosse Umsatzzuwächse verzeichneten, machen dem Gastgewerbe, Grosshandel und anderen Dienstleistungen grosse Ausfälle zu schaffen. Die Liste an geschlossenen Betrieben war in der zweiten Welle noch willkürlicher als in der ersten. Aber nicht nur die geschlossenen Betriebe spüren die Krise, sondern auch bei vielen, die offen blieben, brach der Umsatz ein, aufgrund sinkender Auslastung oder sonstigen Einschränkungen.
Die Credit Suisse meldete erfreut, dass viele krisengeschüttelte KMU Investitionen tätigen wollen. Die Bankiervereinigung unterstützte das:
Die Kredite werden nicht alle Probleme der Wirtschaft und der KMU lösen können – es geht darum, den KMU nun möglichst rasch Liquidität zur Verfügung zu stellen.»
Das lässt auf eine finanzielle Schieflage schliessen. Es gibt keine gesicherten Zahlen über die Lage der Betriebe in der Schweiz. Doch in Umfragen der KOF äussern viele Betriebe Skepsis für die Erholung im Jahr 2021. Zudem fehlt 20% der Unternehmen das Geld für dringend benötigte Investitionen. Die Krise ist für viele nicht ausgestanden.
Handfestere Zahlen gibt es vom Chef von Gastrosuisse C. Platzer:
Die Anzahl der ausgeschriebenen Gastro-Immobilien liegt im Januar 2021 um fast 70 Prozent über dem Wert des Vorjahresmonats.»
Platzer droht in fast jeder Medienmitteilung mit einer riesigen Konkurswelle, wenn die Beizen nicht sofort wieder öffnen könnten. Die grosse Konkurswelle ist bisher ausgeblieben. Doch viele Betriebe sowie die EigentümerInnen müssen ihre (privaten) Rücklagen aufbrauchen. Denn die versprochenen Härtefallgelder werden nur schleppend ausbezahlt. Die Gewerbezeitung beschrieb das Vorgehen des Bundesrates so:
Härtefälle diskutieren, Entschädigungen in Aussicht stellen, auf den St. Nimmerleinstag vertrösten, während das Firmenkonto rapide leerläuft.»
An diesem Punkt ist eine Spaltung in der herrschenden Klasse zu bemerken. Denn die Banken fürchten um ihr verliehenes Geld und nehmen die Staatsgarantien für die Covid-Kredite gerne in Anspruch, denn mit den Krediten und Hilfsgeldern werden grösstenteils Mieten, Zinsen und Versicherungsbeiträge beglichen. Doch auf der anderen Seite könnte eine Konkurswelle so zu erhöhter Staatsverschuldung führen, was die Attraktivität des Finanzplatzes und damit allgemein die Stabilität der Volkswirtschaft mindern würde. Der bürgerliche Thinktank Avenir Suisse propagiert deshalb klar die K-Erholung (Der Konjunkturverlauf geht selbst innerhalb derselben Volkswirtschaft gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen, nach oben und nach unten.) als anzunehmende Perspektive. In einer Studie betonen sie, dass die meisten Betriebe sowieso eine kurze Lebensdauer hätten: «Die meisten Firmen sind demnach sehr jung, und die Hälfte aller Neugründungen wird nicht mehr als fünf Jahre alt. In gewissen Branchen liegt dieser Wert noch weitaus tiefer – so existiert im Gastgewerbe und in der Beherbergung die Hälfte aller Firmen bereits drei Jahre nach ihrer Gründung nicht mehr.» Da es bisher wegen der Staatshilfen erst wenige Firmenbankrotte gab, prognostiziert die NZZ ohne Scheu einen Nachholeffekt, wenn die Stützungsmassnahmen aufgehoben sind:
Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind Staatskrücken für nicht lebensfähige Betriebe Verschwendung».
Der Gewerbeverband als Wortführer der wütenden KleinunternehmerInnen pflichtet dem, so pervers es klingen mag, quasi bei. Seine Forderungen kommen nur aus einem anderen Blickwinkel. Der SGV behauptet, die gesunden Betriebe überlebten, wenn nur die Corona-Massnahmen aufgehoben würden. Solange diese gelten, sei ein Berufsverbot in Kraft und dieses müsse entschädigt werden. Im Kern fordert er ausschliesslich das Ende der Einschränkungen. Damit gaukelt die Verbandsführung vor, dass die Krise vom Bundesrat hausgemacht sei und von den KMU problemlos umgangen werden könnte. Damit erfüllt der SGV, seiner Geschichte treu bleibend, bestens die Funktion des Rammbocks gegen die Arbeiterbewegung. Er kuscht nach oben und tritt nach unten. Für seine Mitglieder tut der SGV nichts, sondern zieht auf perfide Weise politischen Kredit aus der Misere der KMU.
Der Grund für die überproportionale Betroffenheit der KMU von der Krise hat zwei wichtige Gründe: 1. ihre Stellung im Produktionsprozess und 2. die zahlenmässige Übermacht der Kleinbetriebe. Innerhalb des Produktionsprozesses sind die allermeisten KMU unselbständig und eigentlich vor- oder nachgelagert Teile eines Grossbetriebes, respektive ein Glied in einer Produktionskette. Damit üben die kleinen Betriebe meist nur eine einzige Aufgabe aus, einen Produktionsschritt, und sind kaum fähig umzustellen. Wenn die Krise also kommt, dann finden sie sich rasch völlig im Leerlauf.
KMU sind marktwirtschaftliche Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten. In der Schweiz gibt es knapp 600’000 davon. Dazu kommen gut 1’600 Grossbetriebe, die aber einen Drittel der Beschäftigten ausmachen. KMU ist als Ordnungskriterium natürlich absurd, wenn eine kleine familiengeführte Garage gleichgesetzt wird mit einem Industriezulieferer von 250 Mitarbeitenden. Im ersten Fall basiert der gesamte Betrieb stark auf Selbstausbeutung, im anderen reden wir von einem normalen kapitalistischen Betrieb, wo der Patron nie Hand anlegt und einfach den Profit einstreicht. Der allergrösste Teil (>530’000) sind Mikrounternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten. 98% aller Betriebe haben weniger als 50 Angestellte, was sie als Kleinbetrieb klassiert. Ungefähr bis zu dieser Grenze können wir wohl grob annehmen, dass die BesitzerInnen noch wirklich mitarbeiten und nicht nur den Profit einstreichen.
Diese KMU als ganze heterogene Masse werden in Schweiz völlig mythisiert. Übel daran: Das gilt auch für die Führung der Arbeiterbewegung. Nicht nur die Sozialliberale Plattform, sondern auch Gewerkschafter und die SP-Führung stimmen hier mit ein. Das erstaunt, denn das Geschäftsmodell des Kleinbetriebes basiert zu einem grossen Teil auf der Selbstausbeutung der UnternehmerInnen und deren Familien sowie der verstärkten Ausbeutung der Angestellten.
Das Schweizer Gesellschaftsrecht hält quasi keine Hürden bereit für die Unternehmensgründung. Folglich werden jährlich 10’000e Betriebe neugegründet und verschwinden wieder. Hier werden Ersparnisse in den Sand gesetzt, Existenzen ruiniert und gleichzeitig profitiert das Grosskapital. Dieser Prozess ist alles andere als neu, sondern wurde von Rosa Luxemburg schon 1899 sehr treffend als «periodisches Abmähen der Kleinkapitale» beschrieben. Die Klasse, die verliert, heisst Kleinbürgertum, wer ist das?
Leo Trotzki lieferte in den 1930er Jahren in «Wohin geht Frankreich?» eine sehr hilfreiche Erklärung über die Mittelklassen oder eben das Kleinbürgertum. Dies ist die dritte Klasse der modernen Gesellschaft neben den beiden dominanten, der Grossbourgeoisie und der Arbeiterklasse. Das Verhältnis dieser drei bestimmt die politische Lage des Landes. Das Kleinbürgertum ist wirtschaftlich unselbständig, wie erklärt, und sich sozial ungleich innerhalb der Klasse:
Seine oberen Schichten gehen unmittelbar in die Grossbourgeoisie über. Die unteren Schichten verschmelzen mit dem Proletariat und sinken selbst in den Zustand des Lumpenproletariats hinab. Seiner wirtschaftlichen Lage entsprechend, kann das Kleinbürgertum keine eigene Politik haben. Stets wird es zwischen den Kapitalisten und den Arbeitern hin- und herschwanken. Seine eigene Oberschicht stösst es nach rechts; seine unteren, unterdrückten und ausgebeuteten Schichten vermögen unter gewissen Umständen, schroff nach links zu schwenken.»
Leo Trotzki, «Wohin geht Frankreich?»
Die grösseren KMU gehören zu den unteren Schichten der Bourgeoisie. Doch der grösste Teil der KMU sind Kleinbürgertum. Sie sind von der Krise in ähnlicher Weise betroffen wie die Arbeiterklasse. Ihnen fehlt nicht der Profit, sondern sie sind an ihrer Existenz bedroht. Dazu kommt, dass 2018 knapp die Hälfte der Beschäftigten (ca. 2,1 Mio. Stellen) in den 580’000 Klein- und Kleinstbetrieben angesiedelt waren.
Innerlich ist das Kleinbürgertum gespalten: Es «beutet sich selbst als Lohnarbeiter aus und zahlt sich in dem Mehrwert den Tribut, den die Arbeit dem Kapital schuldet.» Aus der inneren Zerrissenheit folgt eine heterogene, unklare Interessenslage. Dies verhindert das Fassen einer eigenen politischen Linie: Entweder geht es mit der Bourgeoisie oder der Arbeiterklasse.
Daraus folgt, dass das Kleinbürgertum per se weder Freund noch Feind der Arbeiterklasse ist. Vor allem ist es ein riesiger Fehler, wenn die Arbeiterbewegung primär gegen das Kleinbürgertum kämpft. Der wirkliche Feind, der von Ausbeutung und Unterdrückung profitiert, ist das Grosskapital. Nimmt die Arbeiterbewegung den Kampf gegen dieses auf, dann kann es im Kampf auch die Unterstützung des Kleinbürgertums gewinnen.
Die Bourgeoisie betreibt einen grossen Aufwand, damit es sicher zu keiner Allianz der beiden anderen Klassen, der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum, kommt. Der SGV hat letztlich nur die Funktion, sicherzustellen, dass dem Kleinbürgertum alle sozialistischen Ideen ausgetrieben werden. Der Verband hängt am Rockzipfel der Economiesuisse. Von den bürgerlichen Parteien schreiben sich alle auf die Fahnen, für die KMU einzustehen. Seit den Nullerjahren hat die SVP aber auch hier klar die führende Stellung übernommen. Sie ist sowohl die wichtigste Partei des Grosskapitals wie des Kleinbürgertums.
Der Brückenschlag zwischen diesen zwei Klassen gelingt dann, wenn nicht die materiellen Interessen gegeneinander ausgespielt werden – das kostet aber immer wieder viel Aufwand. In Krisen droht immer wieder die Spaltung der KMU. Leicht ist es, Einheit in der Staatsfeindlichkeit, eigentlich der Unternehmensfreiheit, zu finden. Das Kleinbürgertum glaubt im Normalfall, es sei unabhängig und ohne staatliche Einmischung fähig, Krisen zu überwinden und erfolgreich zu wirtschaften. Das lässt sich leicht mit erbittertem Hass auf Gewerkschaften verbinden. Denn diese stehen für Regulierung von aussen, wobei die Kleinbürger sich für gute Patrons halten und behaupten, gute Anstellungsbedingungen zu bieten. Natürlich ist das Gegenteil der Fall, oft nicht mal bewusst oder mit bösen Absichten. Die persönliche Nähe der kleinen Belegschaft und des Chefs verdeckt zur Verletzung von Arbeitsgesetz oder sonstigen Bestimmungen wie GAV. Eine aussagekräftige Zahl: 2016 waren die Löhne für den gleichen Job in einem KMU um 15% tiefer als in einem Grossbetrieb. Somit entsteht Druck auf das allgemeine Lohnniveau. Den guten Patron gibt es nicht, das lässt der Kapitalismus nicht zu, denn sonst geht der Betrieb rasch bankrott.
Das Ziel der Politik von SGV und SVP ist die Vereinzelung der Betriebe, die Atomisierung der Kleinbetriebe: Keine Organisierung, keine Regulierung. Sie propagieren Eigenverantwortung für die KMU. Das heisst nichts anderes, als dass die UnternehmerInnen allein bleiben und ihnen nur bleibt, auf Zugeständnisse des Grosskapitals zu hoffen und den ökonomischen Druck an die Arbeiterklasse weiterzugeben. In den meisten Fällen funktioniert das so gut, dass die KMU als der aggressivste Teil des bürgerlichen Lagers auftreten. Allerdings sind das Zeichen der Schwäche und der Krise. Trotzki dazu:
Natürlich ist der Kleineigentümer für die Ordnung, solange seine Geschäfte leidlich gehen und solange er hofft, dass sie morgen besser gehen werden. Ist aber diese Hoffnung dahin, so gerät er leicht in Wut und ist bereit, auf die extremsten Massnahmen einzugehen.»
Leo Trotzki, «Wohin geht Frankreich?»
Durch die bundesrätliche Krisenpolitik wird den KMU heute natürlich auch die letzte Hoffnung genommen und in der Arbeiterbewegung finden sie aktuell keinen Anker.
Der Bundesrat steht auf der Seite des Grosskapitals. Er vertritt, mit seinem Schatzmeister Ueli Maurer, selbst in der Pandemie eine harte Austeritätslinie. Sicher, es kam zu historischen Rettungspaketen. Aber diese waren nie vergleichbar mit Hilfen für Betrieben in anderen Ländern wie Österreich. In lupenreiner Interessenspolitik fürs Grosskapital und dank der Konkordanz allseitig abgestützt, lädt der Bundesrat die Kosten der Krise auf die KMU und vor allem die Arbeiterklasse ab. Das alles dominierende Credo ist: Auf keinen Fall die Staatsschulden zu stark erhöhen. Bezüglich der KMU-Unterstützung führt das zum Zögern, wodurch die Betriebe ausgeblutet werden. Wenn Härtefallunterstützungen fliessen, dann laufen sie in Form von Mieten, Zinsen und Versicherungsbeiträgen fast direkt wieder zurück an das Grosskapital. Das ist gesundheitspolitisch völlig irrational, denn ein richtiger Lockdown wird so völlig undurchführbar. Die Betriebe krepierten und wehren sich gegen die Schliessung. Es gibt also keinen richtigen Kampf gegen die Pandemie und da die einzige Opposition gegen die Pandemiepolitik des Bundes von SVP und SGV kommt, werden die KMU diesen in die Arme getrieben.
Ein jämmerlicher Versuch Gegensteuer zu geben, war im Januar in der Unia-Zeitung work zu lesen. Sie ersehnte sich die gleiche Umsatzversicherung für die Schweiz, wie es sie in Österreich gibt. Der Bundesrat wurde in Schutz genommen und die Schuld den Chefs des Gewerbeverbands H.U. Bigler, Gastrosuisse C. Platzer und den Kantonen zugeschoben. Diese hätten die Bemühungen des Bundesrats sabotiert. Einerseits bedeutet Umsatzersatz für die Betriebe, dass die Arbeiterklasse mit Steuern für die Subventionierung von Betrieben zahlt. Andererseits wird den Verbandschefs damit eine viel zu grosse Macht zugeschrieben. Vor allem aber, wird die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse keine Wichtigkeit zugeschrieben. Der Bundesrat kümmert sich nur um das Grosskapital. Doch schlimmer ist: Die SP stellt dem nichts entgegen, sondern versucht pragmatisch zu verbessern.
Die SP stellt sich hinter den Bundesrat als Kollegium und trägt damit ein skandalöses Krisenmanagement mit, das nicht nur politisch, sondern auch epidemiologisch falsch ist. Mit dem neuen Präsidium ist die SP sicher aktiver und präsenter geworden, aber es ist keine klare Trennlinie in der Partei zu erkennen. Niemand schlägt einen Kurs vor, der von einem unabhängigen Standpunkt der Arbeiterklasse ausgeht. Co-Präsidentin Mattea Meyer sagte gar im Februar 2021:
In einer Krise ist es zentral, dass man nicht auf Spaltung setzt, sondern dass wir als Gesellschaft diese Krise gemeinsam meistern und vor allem auch in der Politik diese Verantwortung wahrnehmen».
In ihren Positionspapieren fordert die SP zwar korrekte Dinge, wie den effektiven Schutz der Gesundheit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege oder vollen Lohnersatz bei Kurzarbeit. Durchsetzen konnten sie nichts davon, ohne Zustimmung der Bürgerlichen. Die tiefsten Einkommen werden seit Dezember zu 100% kompensiert. Die SVP stimmte zu.
Die SP interveniert nicht mit einer geeinten Linie. Wiederholt widersprechen sich die Aushängeschilder der Partei wie die Bundesräte, Parteiführung, Regierungsrätinnen oder Ständeräte. In der Februarsession verteidigte Levrat die Notwendigkeit eines ausgeglichenen Staatshaushaltes gegen die Erhöhung der Härtefallgelder, was die Paradeforderung des Präsidiums ist. Köppels Weltwoche freute sich hämisch.
Die fehlende Härte und Konsistenz in den Forderungen schwächen die SP auf ganzer Linie. Im Coronapapier von November 2020 fordert die SP etwa: «Ja zum Teilmieterlass bei den Geschäftsmieten und dessen Ausdehnung auf die aktuelle Situation». Das höchste der Gefühle, das hierbei erreicht wurde, ist: Vermieter, Mieter und Staat teilen sich die Mietkosten paritätisch. Der Versuch, dieses Modell im Geschäftsmietengesetz zu verankern, scheiterte. Die SP liess sich anschmieren und baute keinen Druck ausserhalb des Parlaments auf. Nun bleibt der SP, mit ihrem bisherigen Kurs, einzig die Unterstützung des Härtefallregimes.
Von Beginn weg versuchte die SP von Beginn die KMU zu gewinnen, indem sie diesen die Wünsche von den Lippen ablas. Das geht so weit, dass die NZZ der Sozialdemokratie sogar den Titel «neue Gewerbepartei» verlieh. Doch das Kleinbürgertum ist eine Mittelklasse. Es steht zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie. Geht es mit letzterer, dann verliert die Arbeiterklasse. Geht das Kleinbürgertum aber mit der Arbeiterklasse, dann verliert die Bourgeoisie. Das eine oder das andere, aber beides bedeutet einen Angriff auf eine der Hauptklassen. Wenn die SP versucht, mittels Staatsschulden die KMU zu retten, weicht sie dem Konflikt aus. Sie weicht der Tatsache aus, dass es die Grosskonzerne und Banken sind, die Immobilienfirmen und Versicherungen, deren Profitstreben der Lösung der Krise im Weg steht.
Aber dem Konflikt kann man nicht ausweichen. Er basiert auf den objektiven Klassenbeziehungen. Jemand wird für die Staatsausgaben zahlen müssen: unter den heutigen Bedingungen wird das die Arbeiterklasse sein. Mit dieser Politik zieht man tatsächlich einen Graben zwischen der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum. Stattdessen müsste ein Keil zwischen das Kleinbürgertum und die Bourgeoisie geschlagen werden.
Die Unterstützung von pragmatischen Lösungen und das Schmieden bürgerlicher Kompromisse verwässert die eigenen Forderungen. Die Unterstützung der bundesrätlichen Coronapolitik ist gleichbedeutend mit der Kapitulation gegenüber den Bürgerlichen. Die Krise kann nur gelöst werden mit sozialistischen Massnahmen, mit einem Kampf der Arbeiterklasse gegen das Grosskapital. Und genau das erlaubt es auch, das Kleinbürgertum zu gewinnen.
Will die SP wirklich gegen die Krise, und nicht einfach gegen deren schlimmsten Auswüchse, kämpfen, dann braucht sie eine klare Linie und muss geeint handeln. Sie muss von der Arbeiterklasse ausgehen, von all jenen, die lohnabhängig sind, waren (RentnerInnen) und es sein werden (SchülerInnen). Die Forderungen einer sozialistischen Partei müssen sich grundsätzlich um die Interessen der Lohnabhängigen drehen, das heisst im aktuellen Fall die Sicherung und Hebung des materiellen Lebensstandards, der Gesundheit und der Verteidigung und Ausweitung der demokratischen Rechte. Wenn die SP sich grundlegend für die Einhaltung der Arbeitsgesetze und GAV einsetzt, dass die Löhne nicht beschnitten werden, die Arbeitszeiten nicht ausgeweitet und die Hygienevorschriften eingehalten werden, sind das keine rein ökonomischen Forderungen. Das Programm der SP muss klar heissen: Wir zahlen eure Krise nicht, weder mit unserem Lohn oder unserer Rente noch mit unserer Gesundheit. Die verfügbaren Einkommen müssen verteidigt werden, auch im Fall von Kurzarbeit. Und wer seinen Job verliert, muss vollen Lohnersatz erhalten.
Eine Politik für die Gewinnung des Kleinbürgertums kann nur auf dieser Grundlage, und quasi als zweiter Schritt, gemacht werden. Dazu ist es unerlässlich, klar und hemmungslos die Schuldigen und Profiteure zu benennen. Nicht nur mit dem Namen, sondern anhand ihrer Klasse. Schuld an der Krise ist das Grosskapital und dieses zieht Profit aus der Krise. Diesem parasitären Pack müssen wir den Kampf ansagen! Wenn wir das tun, dann können wir auch grosse Teile des Kleinbürgertums auf unsere Seite ziehen.
Unser Programm kann nie sein, die Betriebe mit Steuergeldern zu sanieren. Steuergelder sind die Löhne der Arbeiterklasse. Wir müssen für die Enteignung der Banken und Versicherungen kämpfen. Diese führen wir zusammen zu einer demokratisch kontrollierten Zentralbank und einer allgemeinen Versicherung. So können wir günstige Kredite anbieten und bei Schwierigkeiten problemlos die Zahlungen stunden. Zudem vergesellschaften wir sämtliche Immobilien, die nicht zum Wohngebrauch für die eigene Familie genutzt werden. Die Räumlichkeiten können dann zu Kostenmiete (ohne Profit/Rente) angeboten werden. Mit diesem Programm kann man überzeugen. Wir verteidigen die menschlichen Existenzen, aber sicher sanieren wir keine unrentablen Betriebe. Wenn ein Betrieb in finanzielle Schieflage gerät, dann muss die Belegschaft und die Gewerkschaft die Offenlegung der Geschäftsbücher fordern. Es wird sich schnell zeigen, dass in Kleinbetrieben die vermeidbaren Auslagen bei den Forderungen an Miete, Versicherungen und Zinsen liegen. Ist der Patron bereit gegen das Grosskapital zu kämpfen statt die Löhne zu senken, dann kann er auf die Unterstützung der Belegschaft zählen. Doch buckelt er nach oben und tritt nach unten, dann muss ihm bedingungslos der Kampf angesagt werden. Das ist der einzige Weg, das Kleinbürgertum zu überzeugen. Alles steht und fällt dabei mit der Ernsthaftigkeit, mit welcher die Arbeiterbewegung auftritt. Trotzki drückte das so aus:
Aber, noch einmal, der Schwerpunkt liegt jetzt nicht in einem speziellen Programm. Programme haben die „Mittelklassen“ viele gesehen. Sie brauchen die Gewissheit, dass mit dem Programm auch Ernst gemacht wird. In dem Augenblick, wo sich der Kleinbürger sagen wird; „diesmal gibt, scheint’s, die Arbeiterpartei nicht nach“, wird die Sache des Sozialismus gewonnen sein. Dazu aber ist notwendig, mit der Tat die unerschütterliche Bereitschaft zu zeigen, alle Hindernisse aus unserem Wege zu räumen.»
Die Krise zu lösen erfordert eine wirkliche Arbeiterpartei. Die SP steht in der Pflicht, eine solche zu werden. Eine Arbeiterpartei kämpft gegen das Grossbürgertum. Tut sie das, dann, und nur dann, kann sie auch den kleinbürgerlichen Teil der KMU gewinnen!
von Michael Wepf
vpod Basel
Bild: CC BY 2.0 von Phillip Pessar
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