Im Rahmen der Initiativdebatte in der JUSO Schweiz hat die Geschäftsleitung und eine Gruppe von einzelnen GenossInnen jeweils einen Vorschlag zur Konzerndiktatur eingereicht. In diesem Artikel wollen wir die beiden Projekte kritisch unter die Lupe nehmen und damit einen Beitrag zur Debatte zur Initiativwahl der JUSO vom 5. November leisten.

Sowohl die „Konzerndiktaturinitiative“ der Geschäftsleitung als auch der Vorschlag „Für Demokratie statt Konzerndiktatur“ fordern Mindeststandards für internationale Abkommen und ein Verbot von Investoren-Schiedsgerichten. Zudem werden bei dem einen Vorschlag noch explizit die Privatisierungen im Service Public bei internationalen Verträgen als unzulässig erklärt. Diese Anliegen sind natürlich absolut korrekt und sind angesichts der TTIP/TISA Verhandlungen brandaktuell. Man muss den AutorInnen der beiden Projekte ebenfalls Recht geben, wenn sie sagen, dass der Kampf gegen diese Abkommen grosses Mobilisierungspotential, vor allem auch unter Jugendlichen, haben kann.

Wenn man sich jedoch den Charakter der Forderungen anschaut, offenbaren sich gewisse theoretische Fehler. Diese widerspiegeln sich auch in der Argumentation der Initiativprojekte. Beide Vorschläge argumentieren etwas unterschiedlich, aber es liegen dieselben Fehler zugrunde.

Zugeständnisse an den Nationalismus
Dreh und Angelpunkt der Argumentation im Vorschlag der GL ist, dass wir die Souveränität der Schweiz gegen böse internationale Abkommen verteidigen müssen. Komplett ausgeblendet wird dabei die reaktionäre Rolle, welche die Schweizer Bourgeoisie in diesem Prozess selbst einnimmt. Es ist zwar richtig, dass die Schweizer KapitalistInnen solche Verträge nutzen wollen, um den Lebensstandard und die Errungenschaften der arbeitenden Klasse in der Schweiz anzugreifen. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass diese Angriffe auch ohne solche Abkommen auf der Tagesordnung stehen werden. Der Vorschlag vermittelt so die Illusion, dass ein Kampf gegen die «ausländische» Konzerndiktatur die Schweiz als Nation davor bewahren kann. Die Argumentation der GL zielt genau auf dieses Sentiment ab. Hier einige Zitate aus dem Initiativ-Vorschlag:

«Die Schweiz ist eine der ältesten Demokratien auf der ganzen Welt. Wir lassen es nicht zu, dass mit Freihandelsabkommen unsere Demokratie ausgehöhlt wird. Multinationale Konzerne, denen unsere Spielregeln nicht passen, sollen gehen»

«Die Konzerndiktaturinitiative verlangt deshalb, dass Freihandelsabkommen die Schweizer Demokratie und Souveränität nicht in schwerwiegender Weise beeinträchtigt»

«Wenn es in der entscheidenden Schlacht um die Frage der Diktatur vs. der Demokratie geht, wird sich die Schweiz als ur-demokratischer Staat immer für die Demokratie entscheiden.»

«Unsere Regeln gehören eingehalten. Und diese Regeln lassen wir uns von niemandem diktieren, auch nicht vom Geld und Macht»

Diese Form des Storytelling ist eine offensichtliche Kapitulation vor dem Nationalismus. Als SozialistInnen ist es in erster Linie unsere Aufgabe den Kampf gegen unsere eigene herrschende Klasse zu führen und nicht einen äusseren Feind heraufzubeschwören, gegen den wir die Schweizer Demokratie verteidigen müssen. Natürlich verteidigen wir die demokratischen Errungenschaften in der Schweiz, aber wir dürfen auf keinen Fall die Illusion schüren, dass damit die Angriffe der KapitalistInnen Einhalt geboten werden kann. Wir möchten an dieser Stelle der GL keinesfalls einen gewillten Nationalismus vorwerfen. Mit einer solchen Argumentationslinie beugen wir uns aber dem Druck der nationalistischen Propaganda und tragen nichts dazu bei, das Klassenbewusstsein in der Schweiz zu heben. Auch grosse Teile der SVP sind gegen die Abkommen TTIP/TISA und verwenden genau diese Argumente. Wir sollten uns daher ein Projekt aussuchen, das die Macht unserer eigenen Herrschenden Klasse in Frage stellt.

Illusionen in die bürgerliche Demokratie
Unsere Kritik an den Illusionen in die bürgerliche Demokratie möchten wir vor allem anhand des zweiten Initiativvorschlags aufzeigen, bei welchem diese noch viel stärker zur Geltung kommen.

Richtigerweise sagen die InitiantInnen des Projekts «Für Demokratie statt Konzerndiktatur», dass im Kampf gegen die Konzerndiktatur auf wirtschaftlicher Ebene argumentiert werden muss und der Konzerndiktatur die Demokratie gegenübergestellt werden muss. Das Problem liegt jedoch im unkritischen Verständnis von Demokratie. Die Schweiz ist eines der besten Beispiele dafür, dass die Diktatur der Konzerne, sprich des Grosskapitals, ein «demokratisches» Mäntelchen tragen kann, ohne ihre Machtposition aufgeben zu müssen. Als SozialistInnen sollten wir wissen, dass diese Machtposition nicht in erster Linie auf Verfassungstexten und Gesetzbüchern beruht, sondern auf den realen Kräfteverhältnissen in der Gesellschaft und damit auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln. Eine sozialistische Demokratie, welche im Sinne der Mehrheit umfassende Entscheidungen treffen kann, muss zwingend auf der Basis des gemeinschaftlichen Eigentums der Wirtschaft beruhen. Um dieses Ziel zu erreichen, können und dürfen wir uns nicht auf die bürgerliche Demokratie verlassen (was natürlich nicht heisst, dass wir nicht an ihr teilnehmen, soweit dies möglich ist)

Die Argumentation des Vorschlages macht jedoch das Gegenteil und schürt genau solche Illusionen in den bürgerlichen Staat und seine demokratischen Instrumente. Hier einige Zitate:

«Die Initiative stellt vereinfacht die Frage, wer heute Macht hat: Konzerne (Markt) oder der Staat (Demokratie)? Die Initiative ermöglicht so, die grundlegenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu thematisieren und problematisieren.»

«Sie [die Konzerndiktatur] muss deshalb gestoppt und durch eine demokratische Handelspolitik ersetzt werden, die sich an den Bedürfnissen aller Menschen statt den Profiten einiger weniger ausrichtet (Primat der Politik über die Wirtschaft). Gemeinsam sorgen wir mit mehr Demokratie dafür, dass die Schweizer Handelspolitik den Menschen dient und nicht den Profiten.»

Wie gesagt ist die Stossrichtung einer solchen Argumentation grundsätzlich richtig. Der Fehler besteht in der Gleichsetzung von Demokratie und Staat beziehungsweise Politik – Illusionen, die wir als Sozialisten keinesfalls schüren sollten. Wir müssen genau auf das Gegenteil aufmerksam machen und den Klassencharakter des bürgerlichen Staates entlarven.

Dies ist insofern relevant für die Forderung der Initiative, insofern dass nicht der Staat und die Politik gegen die Wirtschaft die Frontlinie sein soll, sondern wir gegen den Kapitalismus, von welchem der Staat ein integraler Bestandteil ist. Dies aufzuzeigen schafft diese Initiative nicht.

Ebenfalls wird in beiden Vorschlägen zutiefst moralisch argumentiert. Das heisst, dass auf die individuelle charakterliche Gier und Skrupellosigkeit der KapitalistInnen geschossen wird. Mit der Initiative soll nun die Vorherrschaft der Politik über die Wirtschaft „wiederhergestellt“ werden und damit diese Leute in die Schranken gewiesen werden. Es wird vernachlässigt, dass Politik und die Wirtschaft eng miteinander verknüpft sind und der Staat in letzter Instanz die Interessen der Besitzenden verteidigt. Es ist ein ungenügender Ansatz zu versuchen den Kapitalismus mit Hilfe des Staates in den Griff zu bekommen. Vielmehr müssen wir das System dahinter bekämpfen, welches diese Skrupellosigkeit und Gier zur Notwendigkeit macht.

Fazit
Die Vorschläge bergen durch ihre Aktualität und das Radikalisierungspotential im Kampf gegen TTIP/TISA die Möglichkeit, breitere Schichten von Jugendlichen zu mobilisieren. Inhaltlich wird es jedoch schwierig, nicht Illusionen in den bürgerlichen Staat zu schüren. Wir müssen uns im Klaren sein, dass eine Umsetzung dieser Initiative die Angriffe auf unsere Errungenschaften in keinster Weise abwenden kann. Die Krise des Kapitalismus macht diese Politik zur Notwendigkeit, um die Profite aufrechtzuerhalten und in der verschärften internationalen Konkurrenz bestehen zu können. Die Agenda der Herrschenden ist in allen kapitalistischen Staaten in ihren Grundzügen dieselbe: Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, Sparmassnahmen auf dem Buckel der ArbeiterInnen, Privatisierungen etc. Dies geschieht mit oder ohne Freihandelsvertrag. Einzig der Aufbau einer starken Partei und der Kampf gegen diese Angriffe kann dies stoppen und verhindert somit auch, dass die herrschende Klasse der Schweiz solche Verträge abschliessen kann.

Wir sollten uns daher für ein Thema entscheiden, welches die Kämpfe gegen diese Angriffe aufnimmt und den reaktionären Charakter des Kapitalismus und des bürgerlichen Staates in der Krise offenbart. Unser Vorschlag gegen die Privatisierungen ist hier ein viel effektiveres Mittel, die reaktionären Machenschaften der Schweizer Bourgeoisie zu stoppen.

Florian Eschmann
JUSO Winterthur