Wie können wir den Pflegenotstand bekämpfen? In diesem Artikel erklären wir, wie das mit der Pflegeinitiative geht und warum wir aber nicht auf ihre Umsetzung warten sollten.
In jedem fünften Akutspital herrscht Pflegenotstand: Bis zu 22% fehlendes Personal und das war vor der Pandemie – inzwischen müssen deswegen ganze Stationen geschlossen werden. Akuter Personalmangel auf den Stationen, Schichtarbeit, angehäufte Überstunden und längere Arbeitszeiten und Tiefstlöhne – die schlechten Arbeitsbedingungen haben im Corona-Jahr noch zugenommen: «Man kann einfach nicht mehr. Und man weiss auch, dass es nicht besser wird in der nächsten Zeit. Und das frustriert extrem», beschreibt eine Pflegefachfrau die Lage (SRF).
Die Pflegeinitiative vom Pflegeverband SBK, die am 28. November vors Volk kommt, setzt an dieser prekären Situation an und fordert eine kollektive Lösung: bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal pro Patient und mehr Ausbildungsplätze. Obwohl der Pflegenotstand anerkannter Fakt ist, stösst bereits dieses Minimalprogramm auf massiven Widerstand – woher und warum?
Ein nüchterner Blick auf die letzten Jahre zeigt die Klasseninteressen klar auf: Spitäler und Pflegeinstitutionen werden privatisiert, geschlossen und zusammengelegt, profitable Prestigeprojekte forciert und die Konkurrenz und damit der Kostendruck v.a. im Bereich der Personalausgaben verschärft. Klinikaktionäre, Baufirmen, die Pharmariesen und die Krankenkassen machen so jährlich Milliarden-Gewinne. Die bürgerlichen Parteien sowie die starke Kassen-Lobby forcieren diesen katastrophalen Privatisierungs- und Sparkurs in den Bundes- und Kantonsbudgets. Der Pflegenotstand hat folglich nichts «Naturgegebenes», sondern ist direkte Folge der bürgerlichen Angriffe.
Dass diese Damen und Herren ihre Profite über jegliches «Gesamtwohl» stellen, hat sich in den letzten 1,5 Jahren bewiesen: In der grössten Gesundheitskrise des Jahrhunderts, die das Schweizer Gesundheitswesen mehrmals an Rand des Kollapses trieb, ging ihr Altruismus nicht über ein zynisches Klatschen hinaus. In mehreren Kantonsparlamenten wurden dringliche Forderungen nach geregelten Ruhezeiten, Personalaufstockung und Corona-Prämien abgeschmettert. Bundesparlament und Ständerat begruben die Pflegeinitiative mit einem Gegenvorschlag, der jeglichen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen eine Absage erteilt.
Diese geballte Ohrfeige zeigt klar: Die Kapitalisten, die Kassen-Lobby und ihre bürgerlichen Handlanger gehen buchstäblich über Leichen, um ihre Profite zu verteidigen. Wir dürfen keine Illusionen haben: Selbst bei Annahme der ursprünglichen Initiative werden sich diese Players auf allen Ebenen gegen eine Auslegung und Umsetzung der Forderungen in unserem Sinn stellen. Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und die Qualität der Pflege können nur im härtesten Kampf in den Gesundheitsbetrieben und auf der politischen Ebene gegen diese Klasse siegreich geführt werden!
Der historisch niedrige Organisierungsgrad in den Gewerkschaften (ca 7%) und fehlende Kampftraditionen atomisiert die Angestellten: Die Burnout- und Kündigungsraten explodieren zunehmend und die Aussteigerquote aus der Pflege überflügelt mit über 40% alle anderen Berufe. Gleichzeitig gibt es aber auch erste Versuche, aus dem ohnmächtigen Zustand auszubrechen hin zum kollektiven Kampf: Mehrere Basis-Netzwerke (Pflegedurchbruch, «Gesundheit vor Profit») und gewerkschaftlich organisierte Betriebsgruppen (Pflegeaufstand) werden aufgebaut, Pflegedemonstrationen nehmen zu.
Höhepunkt dieser Radikalisierung war bis dato der Streik des CHUV-Personals im Unispital Lausanne. Das CHUV-Personal hat damit gezeigt, dass ein Streik Im Gesundheitswesen nicht nur nötig, sondern auch möglich ist: Entscheidend war, dass weder das CHUV-Personal noch die Gewerkschaft VPOD der Regierung oder Spitalleitung blindes Vertrauen schenkten. Statt abzuwarten, versuchten sie sich im Spital um ihre Forderungen zu organisieren, teils über die Berufsgruppen und Abteilungen hinweg. Damit zeigen sie den Weg vorwärts: Die Arbeiterklasse kann nur auf ihre eigenen Kräfte setzen gegen die Angriffe der Kapitalisten und Bürgerlichen.
Die Gesundheitsangestellten müssen sich im Betrieb und darüber hinaus in Arbeiterorganisationen organisieren und militante Kampfmethoden wie Streiks anwenden: Nur der Angriff auf die Profite wird die Kapitalisten und Bürgerlichen zu entscheidenden Verbesserungen zwingen. Diese elementare Wahrheit der Klassengesellschaft muss nach Jahrzehnten verlorener Kampftraditionen wieder gelernt werden. Um diese Schule abzukürzen, kämpfen wir für ein Programm, dass klar benennt, wie wir unsere Forderungen umsetzen und wer für die Krise im Gesundheitswesen zahlen soll!
Die Forderungen der Initiative nach mehr Lohn, Personal und Ausbildungsplätzen setzen am richtigen Ort an. Wir brauchen aber Antworten, wer diese Forderungen in unserem Sinn umsetzt und wer dies bezahlen soll. Wir haben bereits gesehen: die Kapitalisten, Regierungen und Spitalleitungen stellen in jedem Moment ihre Profite vor unsere Gesundheit. Sie unterwerfen sich der kapitalistischen Konkurrenz und Sparlogik und werden uns an jedem Schritt zur Umsetzung unserer Forderungen hindern. Darum kämpfen wir:
Olivia Eschmann
VPOD Bern
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