Ich arbeite als Elektriker in einem grossen Elektroinstallations-Unternehmen. Morgens versammelt sich die ganze Belegschaft, Bauteams und Störungsdienst in Gruppen in der Firma. Der Betrieb läuft ohne Einschränkungen, Sicherheitsabstände und Hygienemassnahmen werden komplett ignoriert.
Es hängen Zettel mit Hinweisen am schwarzen Brett und beim Sekretariat steht eine Flasche Desinfektionsmittel. Unsere Chefs machen sich grossteils lustig über die Situation, spielen die Gefahr runter, appellieren an unsere Vernunft und unseren Firmenstolz. Gleichzeitig rumort es unter der Oberfläche bei allen Arbeitern, besonders bei den Lernenden. Die allermeisten verstehen nicht, warum man uns noch immer arbeiten lässt, warum man uns zu Kunden nach Hause oder in vollbesetzten Autos auf die Baustellen schickt. Es ist unmöglich, bei unserer Arbeit einen Sicherheitsabstand von zwei Metern einzuhalten. Wir müssen zu zweit Geräte montieren, arbeiten in engen Räumen, benutzen dieselben immer hässlichen Baustellen-ToiTois und stecken die Köpfe zusammen um Baupläne zu besprechen. Jeden Morgen erhoffen wir uns vom Chef die Botschaft zur Einstellung der Arbeit. Viele Arbeiter hoffen auf die Gewerkschaften, viele schauen auf die Unia. Vor der Pressekonferenz des Bundesrates meinte einer zu mir „Die Unia macht jetzt Druck, die holen uns schon raus, da hab ich keine Angst“. Die Unia wie auch der Bundesrat haben uns aber wieder enttäuscht, die Arbeit geht weiter wie bislang. Alle sind extrem angespannt und fühlen sich ans Messer geliefert. Einige reden auch von Streik, aber niemand weiss genau, wie man das anstellen soll. Alle blicken auf die Gewerkschaft als Leitstern in diesen unsicheren Zeiten, und trotz Petitionen und Pressemitteilungen steigt die Ungeduld von Tag zu Tag.
Wir veröffentlichen Berichte aus dem Alltagsleben der Lohnabhängigen, die trotz dem Coronavirus zur Arbeit gehen müssen – unabhängig davon, ob ihre Arbeit lebensnotwendig ist oder nicht. Dies soll aufzeigen, wie inkonsequent die Massnahmen des Bundes sind. Die Corona-Krise soll nicht auf den Schultern der Lohnabhängigen abgewälzt werden!
Wir fordern, dass alle, die nicht-essentielle Arbeit machen müssen, zu Hause bleiben dürfen. Nur so kann die Pandemie eingedämmt werden. Leben vor Profite!
Wenn du auch deine Geschichte erzählen möchtest, meldet dich bei info@derfunke.ch. Es ist wichtig zu streuen, wie fahrlässig mit unserer Gesundheit umgegangen wird! Schreib uns, schick uns zwei oder drei Sätze, ausführliche Berichte, oder melde dich, wenn du dies persönlich besprechen willst!
Als Störungsdienst schickt mich mein Chef unter anderem ins Altersheim oder in eine Asylunterkunft. Beim Altersheim, meint er, wüssten die schon, was für Sondermassnahmen zu treffen seien, drückt mir aber noch vorsorglich ein Paar Gummihandschuhe und eine 3M-Staubmaske in die Hand, mehr ironisch als fürsorglich. Immerhin weist uns das total überlastete Pflegepersonal im Altersheim in die Sondermassnahmen ein, desinfiziert uns und stattet uns mit Gesichtsmasken, Überschuhen und Handschuhen aus. In der Asylunterkunft gibt es dagegen keinerlei Vorkehrungen. Der Sicherheitsdienst ist wie schon immer rüpelhaft zynisch, die Betreuer tragen teilweise Gesichtsmasken, fast schon ironisch hängen überall Zettel in allen Sprachen dieser Welt mit dem Hinweis, man solle den Sicherheitsabstand von 2m wahren.
Der Bauleiter meint: „Wegen euch musste der Sanitärinstallateur Nachtschicht einlegen!“ Ich antworte ihm, dass wegen mir bestimmt niemand extra arbeiten müsse, erst recht nicht in dieser Situation. Es ist ja schon absurd genug, dass wir noch immer weiterarbeiten, ohne jegliche Anpassung in Hygiene und Umgang. Daraufhin meint der Stiefellecker nur, wir sollten uns besser beeilen, sonst werde das hier nie fertig. Ich klettere auf einen Heizkessel, um an meine Apparate ranzukommen, worauf mich ein Heizungsinstallateur humorvoll mit dem Hinweis anspricht, dass sowas keine SUVA-konforme Standfläche sei. Wir lachen beide und ich teile ihm mit, dass wir, wenn es um unsere Gesundheit gehe, gar nicht hier arbeiten sollten. Er versteht sofort, wird ernst und meint: „Die liefern uns ans Messer, wir müssen wohl erst krank werden, bevor die uns nach Hause schicken.“ Auch er ist Unia-Mitglied und auch er hofft auf eine Heldentat der Gewerkschaften.
Am Mittwoch Nachmittag arbeite ich auf einer Baustelle mit einer Gruppe Schreiner. Wir bauen eine Luxusküche zusammen, der Kunde besteht darauf, dass das trotz Pandemie genau jetzt passiert. Plötzlich erhält der Schreiner eine SMS – die Aufforderung der Unia, die frisch lancierte Petition für einen Baustopp zu unterstützen: „Baustellenstopp für grosse und mittlere Baustellen jetzt!“ heisst es da. Der Schreiner überfliegt die SMS nur, interpretiert den Text voreilig und ruft durch die Baustelle: „Die Baustellen gehen zu! Die Unia macht die Baustellen zu!“ Alle rennen herbei, allgemeine Verwirrung gepaart mit Erleichterung. Der Schreiner liest die SMS nochmals durch. Falscher Alarm, nur eine Petition. Alle zurück an die Arbeit. Immerhin treten die beiden Lernenden noch am selben Tag in die Gewerkschaft ein.
Zum Schutz der Autoren werden die Berichte anonymisiert.
#VirusAtWork
#WirWollnNachHauseGehn
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024
Europa — von Jack Halinski-Fitzpatrick, marxist.com — 11. 11. 2024