Im VPOD, der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, ist ein offener Richtungsstreit entbrannt. Es geht um die zentrale Frage für Gewerkschaften im heutigen Klassenkampf: Die Angriffe der Bosse und Regierungen durch Mobilisierungen der Arbeiter aktiv bekämpfen – oder passiv in der Sozialpartnerschaft verharren? Dieser Konflikt eröffnet die Chance, die Gewerkschaft zu erneuern und in ein echtes Kampfwerkzeug der Arbeiterklasse zu verwandeln.
Im Herbst 2023 wurde mit Christian Dandrès ein linker Gewerkschafter zum neuen VPOD-Präsidenten gewählt. Sein Mandat aus dem Kongress-Positionspapier war klar: «Mit einer Sozialpartnerschaft wird kein Frieden erkauft. Wo strategisch nötig, werden Konflikte ausgetragen und eskaliert.»
Dieser neue Kurs ist Ausdruck der kapitalistischen Krise und der Angriffe auf Lohnabhängige. Besonders der öffentliche Dienst – Bildung, Gesundheit, Soziales – wird zusammengestrichen und privatisiert, um Profite hoch und Unternehmenssteuern tief zu halten. Die Zeiten des florierenden Kapitalismus und der sozialpartnerschaftlichen Verbesserungen sind definitiv vorbei. Heute muss gekämpft, gestreikt werden – allein schon, um frühere Errungenschaften zu verteidigen.
Die Wahl von Dandrès spiegelte den Druck der Arbeiter wider und die Notwendigkeit einer tiefen Umwälzung der Arbeiterbewegung: Jahrzehntelang hingen die Gewerkschaften am Tropf der Sozialpartnerschaft. Die Mitgliederzahlen sinken stetig – bezeichnenderweise besonders stark in der Deutschschweiz, wo es kaum Kämpfe oder Streiks gab. Eine Gewerkschaft, die nichts erkämpft, bietet den Arbeitern keinen Nutzen.
Unter Dandrès versuchte der VPOD, diesen kämpferischen Kurs umzusetzen – und er wurde damit zur Bedrohung für den rechten, sozialpartnerschaftlich geprägten Gewerkschaftsflügel. Wenn in Fribourg im Spital oder in Genf im Bildungswesen gestreikt wird, während in der Deutschschweiz keine Perspektive aufgezeigt wird, dann bedroht dies jene Gewerkschaftler, die in der Sozialpartnerschaft festhängen. Es gefährdet ihre gemütlichen Posten und Privilegien in der Gewerkschaftsbürokratie. Der rechte Flügel ist der Übertragungsriemen des bürgerlichen Staats und der herrschenden Klasse in die Arbeiterbewegung.
Deshalb hat der rechte Flügel im Frühling die Offensive gegen Christian Dandrès gestartet. Ihre «Kritik» war dabei typisch bürokratisch: Es waren gehaltlose Vorwürfe ohne jegliche politische oder inhaltliche Substanz. Denn selbst überzeugte Verfechter der Sozialpartnerschaft können es sich heute nicht leisten, offen zu kritisieren, dass jemand zum Kampf aufruft. Die tatsächlichen Differenzen mussten daher verschleiert werden. Stattdessen warfen sie Dandrès pauschal einen «autoritären Führungsstil» vor – ein Vorwurf ohne jede Grundlage. Bezeichnend ist, dass der Angriff zuerst über die bürgerliche Presse lanciert wurde. Tatsächlich steckt hinter dem Vorwurf nichts anderes als der Unmut darüber, dass sie unter einem kämpferischen «Führungsstil» ihre ruhige sozialpartnerschaftliche Verwaltungstätigkeit nicht mehr fortsetzen können.
Der linke Flügel im VPOD-Apparat – also jene Gewerkschaftssekretäre, die in den letzten Jahren tatsächlich Streiks geführt haben – verwarfen die Vorwürfe entschieden und identifizierten sie korrekt als politischen Angriff.
Dieser unehrliche Angriff ist ein Warnsignal für alle linken Gewerkschafter. Der Konflikt spielt sich bisher im Apparat ab, spiegelt aber eine zentrale Bruchlinie: Sozialpartnerschaft oder Klassenkampf? Auch die Rechten sind in Worten gegen Sparmassnahmen – doch die entscheidende Frage ist, ob aktiv Widerstand dagegen organisiert wird.
Der Kampf für die Erneuerung der Gewerkschaft muss gegen den rechten Flügel geführt werden. Ein Einknicken oder Entgegenkommen gegenüber haltlosen Vorwürfen würde nur zu neuen Aggressionen einladen. Die Geschichte der Arbeiterbewegung kennt genügend schmerzhafte Beispiele, wie Linke mit solchen Mobbing-Methoden entmachtet wurden – etwa in Grossbritannien mit Jeremy Corbyn aus der Labour Partei und anschliessend Paul Holmes aus der Unison Gewerkschaft.
Anstatt in dieselbe Falle zu tappen, muss die Linke im VPOD den Kampf in die Basis tragen – dorthin, wo sie ihre Stärke hat. Die Gewerkschaftszentralen und der Apparat sind das Terrain der Bürokratie. Der linke Flügel hingegen kann nur auf die Arbeiter zählen. Das heisst, sich an die Gewerkschaftsmitglieder zu wenden, Massenversammlungen einzuberufen, klar zu erklären, was vor sich geht, die Mitglieder zu mobilisieren und den Weg nach vorne aufzuzeigen.
Die grösste Gefahr für den linken Flügel ist, dass er sich in der Romandie und im Tessin isoliert. Der nächste Schritt im Kampf gegen die Bürokratie besteht darin, die Kampftraditionen aus der lateinischen Schweiz in die Deutschschweiz zu tragen. Denn das Potenzial ist schweizweit vorhanden: Seien es die Flughafenarbeiter in Zürich, die Spitalarbeiter in Lausanne, die öffentlichen Angestellten im Tessin oder die Lehrer und Pfleger im ganzen Land – sie alle haben in den letzten Jahren bittere Erfahrungen mit den Grenzen der Sozialpartnerschaft gemacht.
So kann dieser Konflikt genutzt werden, um die Gewerkschaft aus dem Griff der sozialpartnerschaftlichen Bürokratie zu befreien und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter selbst zu stellen. Jetzt muss klar werden: Nur durch Bruch mit den sozialpartnerschaftlichen Methoden des rechten Flügels und mit organisierter Kampfkraft können die Arbeiter sich das Werkzeug der Gewerkschaft zurückerobern.
Im öffentlichen Dienst nimmt der Kampf direkt politische Züge an – gegen Regierungen, die das kapitalistische Spardiktat durchsetzen. Diese Angriffe können nur durch Massenmobilisierungen und Streiks gestoppt werden. Doch gleichzeitig reicht Abwehr nicht: Es braucht massive Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales – das Personal muss mindestens verdoppelt werden. Die Kapitalisten aber werden diese Investitionen nicht tätigen – sie verteidigen ihre Profite. Deshalb muss die Linke über die Grenzen des Gewerkschaftskampfes hinausgehen und den politischen Kampf aufnehmen.
Letztlich braucht es eine Arbeiterregierung, die ihre Macht nutzt, um die Kontrolle über die Schlüsselbereiche der Wirtschaft zu übernehmen, die Vermögen der Konzerne und Grossbanken zu enteignen und unter demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Nur mit der sozialistischen Planung der Wirtschaft und Gesellschaft könnte der soziale Reichtum für die Bedürfnisse der Arbeiter eingesetzt werden.
In der kommenden Periode wird die kapitalistische Krise immer härter auf den Arbeitern lasten. Die Radikalisierung wird unweigerlich steigen. Der Druck von unten wird steigen und die Arbeiter selbst werden die Sozialpartnerschaft immer vehementer herausfordern. Grosse Klassenkämpfe bahnen sich in der Schweiz an. Darauf müssen wir uns vorbereiten.
Die linke Gewerkschaftsführung und die fortgeschrittensten Arbeiter brauchen Klarheit darüber, wie die verschiedenen Hürden – der Röstigraben, die Sozialpartnerschaft, das Profitmotiv – überwunden werden können. Niemand sagt, dass dieser Weg ein leichter wird, als letztes die Kommunisten. Doch schlussendlich ist der Klassenkampf und der Sturz des Kapitalismus der einzig gangbare Weg für die Arbeiterklasse.
Es braucht eine klassenkämpferische Linke in der Arbeiterbewegung, die die Arbeiter und Jugendlichen in den Grundlagen der Wissenschaft des Klassenkampfes und des Marxismus schult und ein fundiertes sozialistisches Programm verteidigt. Für diesen politischen Kampf braucht es nicht nur die Gewerkschaften, sondern vor allem auch eine politische Kraft, eine Partei – die heute allerdings nur im Keim existiert. Aktuell ist die RKP noch zu klein, um entscheidend eingreifen zu können. Genau deshalb bauen wir mit aller Vehemenz die Kräfte des revolutionären Kommunismus auf.
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